Excellenz Krupp †

Am Nachmittag vor Totensonntag ist Friedrich Alfred Krupp auf seinem Schloß, der Villa Hügel bei Essen, einem Gehirnschlag erlegen. Sein Name war ein Faktor, mit dem in aller Herren Ländern gerechnet wurde. Er war der Gebieter eines Industriestaats, wie Deutschland einen ähnlichen noch nicht gesehen hat. Als Wirklicher Geheimer Rat der Krone Preußen führte er das Prädikat Excellenz. Die Nobilitierung hat er nach dem Beispiel seines Vaters wiederholt zurückgewiesen. Seine wenig robuste Natur war Aufregungen, die in den letzten Wochen in ungewöhnlicher Form an ihn herangetreten sind, nicht gewachsen, was zu seinem plötzlichen Tod geführt hat. Als er am Mittwoch in Essen zu Grabe getragen wurde, ist der Deutsche Kaiser seinem Sarg gefolgt.

Friedrich Alfred Krupp hatte keine Jungendfreude. Er war ein schwächliches, krankes, zartes Kind. Wie zum Hohn hatte ihn das Geschick in eine phantastische Fülle irdischen Glücks hineingesetzt. Es hatte ihn nicht geformt wie seinen Vater, der elastisch war, zäh, hart und schneidig wie eine Klinge aus dem besten Stahl, den er schmiedete; es hatte ihm nicht die starken Schultern gegeben, dies Glück zu tragen. Als Friedrich Alfred herangewachsen war, als er sein Erbe angetreten hatte, wurde er den Gedanken nicht los, daß seine Persönlichkeit absteche gegenüber dem, was sein Namen bedeute. Er peinigte sich, indem er sich selbst immer und immer wieder die Ueberzeugung vorhielt, er diene dem Interesse seines Werks, wenn er dessen Repräsentation wie Leitung andern überlasse. Nur wo sein Direktorium darauf bestand, trat er mit seiner Person hervor. Es war das namentlich, wenn Fürstlichkeiten ihn zu sehen wünschten. „Hohe Ehre für mich!“ lächelte er mit besonderem Gesichtsausdruck, wenn solche Forderung an ihn gelangte. Man hielt die Bemerkung für einen Ausdruck kräftigen Selbstgefühls. Vielleicht war sie auch aus dem Gegenteil zu erklären.

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Der Gang des technischen wie des kaufmännischen Betriebes seiner Werke interessierte ihn lediglich von bestimmten Gesichtspunkten aus. Im allgemeinen regierte er nur, so weit er sich aus Pietät gegenüber den Grundsätzen seines Vaters hierzu für verpflichtet hielt. Wirklich ständigen Einfluß übte er allein zur Durchführung seiner Forderung aus, daß über die Fabrikation von Kriegsmaterial die von Material für Verkehr und Handel nicht zurücktreten dürfe. Als er den Ankauf der Kieler Germaniawerft sanktionterte, war der entscheidende Gedanke für ihn der, daß man dort in Zukunft, neben Kriegsschiffen ja auch Kauffahrteischiffe bauen könne. Daß man ihn den Kanonenkönig nannte, war ihm ein Gegenstand ständigen Aergers.

Geheimrat Friedrich Alfred Krupp, Hofphot. Reichard & Lindner, Berlin

Repräsentation, Technik und das Kommerzielle überließ er also, so weit wie irgend möglich, seinem Direktorium. Ein Gebiet indessen behielt er seiner ganz speziellen Aufsicht vor, nämlich das Wohlfahrtswesen. Hier zu organisieren, hier thätig zu sein, war etwas, was ihm lag da er durchaus kein unbedeutender Kopf war, da ihm unbegrenzte Mittel zur Verfügung standen, hat er auf Gebiet sehr Erhebliches zuwege gebracht. Der Verwirklichung seiner Ideen hoffte er auch zu dienen, indem er ein Reichtagsmandat annahm. Was Krupp als Philanthrop gewesen, ist in Wort und Bild an dieser Stelle wiederholt dargethan worden. Auch heute geben wir die Ansicht einer der ihm geschaffenen Arbeiterkolonien. Ein zweites Bild führt an die Ausgabestelle der – übrigens durchaus liberal verwalteten – Bibliothek für Angestellte und Arbeiter der Essen Gußstahlfabrik. Man sagt immer, daß nur Leute, die selbst nichts besitzen, freigebig seien. Krupps Handeln war unter den nicht seltenen Beispielen für die Unrichtigkeit dieser Ansicht besonders beweiskräftig.

Bilder aus den Kruppchen Arbeiterkolonien bei Essen – Panorama von Alfredshof

Es war aber das Mißgeschick Krupps, vor dem ihn sein Millionen nicht bewahrt haben, daß es ihm versagt blieb seelisch zur Ruhe zu kommen. Er widmete sich seiner Thätigkeit als praktischer Sozialpolitiker mit wahrem Feuereifer und trug sich bis zu seinem Tod mit Ideen, über deren Verwirklichung er sann und grübelte. Er wollte auf diesem Feld Persönliches leisten und glaubte es auch zu thun; er hielt dafür, daß er einen Anspruch habe auf Anerkennung, daß namentlich an der Reinheit und Lauterkeit seiner Absichten ein Zweifel nicht bestehen dürfe. Da kam das Wort von den Scharfmachern auf, das sich bald in die Formel „die Krupp, Stumm und Genossen“ umsetzte. Krupp war außer sich und auf das Tiefste verletzt; er war empört, wenn er auf irgendeine Zusammenstellung seiner Person mit Stumm stieß, dessen System er verwarf, was übrigens seinen im allgemeinen leidlichen persönlichen Beziehungen zu dem „König von Saarabien“ keinen Eintrag that. In der That waren dieser und er grundverschiedene Persönlichkeiten. Der Hallberger würde nie und nimmer seinen Zorn hinabgeschluckt haben, wenn er fortgesetzt mit publizistischen Leistungen identifiziert worden wäre, die sich mit seiner persönlichen Ansicht durchaus nicht deckten, oft sogar ihr direkt widersprachen. Krupp that es um persönlicher Rücksichten willen, hat aber schwer darunter gelitten. Er war keine Autokratennatur; das frohe Selbstvertrauen des Herrn von Neunkirchen war nicht seine Art. So waren seine letzten Jahre für ihn Jahre ständiger Depression des Gemüts.

All diesen Widerwärtigkeiten gegenüber war sein Aufenthalt auf Capri für ihn die Oase, die ihm immer wieder Lebensmut und Erholung spendete. Jahr für Jahr wiederholte sich die Reise nach dem Süden. der kranke Leib seiner Jugend war ihm geblieben; nur wenn er von Capri nach Villa Hügel zurückgekehrt war, fühlte er sich auch körperlich für eine Weile wieder leistungsfähig. Er liebte Capri; und nun, gerade in Verbindung mit Capri hat ihn der empfindlichste Schlag getroffen, dem seine sensible Natur ausgesetzt war. Er hat ihn nicht überstanden.

Karte

Eine kleine Anekdote noch. Einer der Großen der Berliner Industrie unterhielt sich einst mit Krupp. Man sprach von den Wurzeln der beiderseitigen Kraft. „Wir sind groß geworden,“ so erzählte die Essener Excellenz, weil wir alle Leute, die uns etwas zu können schienen, an, uns gezogen haben, auch wenn wir im Augenblick nicht wußten, wie wir sie verwenden sollten. Wer etwas war, hat dann den Platz, für den er geeignet war, schon selbst gefunden. Dies System hat uns sehr wesentlich mit emporgebracht.“

Bilder aus den Kruppchen Arbeiterkolonien bei Essen – Der Ausgaberaum der Bücherhalle

Eine andere, dem großen Publikum bisher nur wenig bekannte Kleinigkeit. Die Essener Konsumanstalt für die Arbeiter und Angestellten der Gußstahlfabrik ist ein riesiges Geschäftshaus für sich; überall, wo Kruppsche Arbeiter in halbwegs genügender Anzahl bei einander wohnen, in allen Stadtteilen, in allen Kolonien errichtet sie Filialen; Konfektion, Schlächterei, Bäckerei, Kohlenhandel, Waschanstalt, Kaffeeschänken und dergleichen mehr sind mit ihr verbunden. All dies ist nicht neu. Wenig bekannt aber ist, daß das Haus Krupp, wenn es heute derartige schöne und nützliche Dinge in großem Umfang in den Handel bringt, im Grunde nur den Traditionen der Familie Folge giebt. Friedrich Krupp, der Vater Alfreds, und der Großvater des jetzt verstorbenen Geheimen Rats war, als er auf die Idee kam, die Fabrikation von Stahl in der Essener Gegend einzuführen, Kaufmann. Er hatte ein offenes Geschäft, in dem neben Lebensmitteln alle Dinge der Welt zu haben waren. Aus dem Viktualienhandel sind Mittel geflossen, die es Friedrich Krupp ermöglicht haben, den Grundstein zu dem Riesenwerk, das inzwischen erstanden ist, zu legen.

Dieser Artikel von A. Zimmermann erschien zuerst in Die Woche 48/1902.