Weinlese am Rhein

Die edle Rebe ist eigentlich während des ganzen Jahres das Sorgenkind des Winzers, des „Wingertsmannes“, wie er am Rhein heißt.

Im wesentlichen hängt aber das Wohl und Wehe der Weinernte sowohl nach Qualität, als nach Quantität von zwei kurzen Zeitperioden ab, der seit der Blüte und der Zeit des herbstlichen Ausreifens der Trauben. Ist die Blüte gut verlaufen, und zeigen die Gescheine einen reichen Fruchtansatz, dann beginnt der Winzer froh zu hoffen. Mag sich dann auch der Sommer einmal feucht und kühl anlassen, so daß mitfühlende Weinfreunde im Land drinnen schon ängstlich um das Schicksal des Heurigen werden, er thut frohgemut seine schwere Pflicht den geliebten Reben gegenüber, er jätet den Weinberg von Unkraut, er bindet die Reben auf, entfernt die „Geize“ und führt mit Energie seinen unentwegten Kampf gegen die Feinde aus dem Tier und dem Pflanzenreich, gegen die schädlichen Insekten und die nicht minder schädlichen Schmarotzer aus dem Geschlecht der Schimmelpilze. Er hofft auf den Herbst; der September und der Oktober,

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Sie müssen’s bringen, und wenn „der Winzer Schutzherr Kilian“ ein Einsehen hat und etwas Feines will, dann wird er zum Wettermacher und sorgt für trockenes Wetter und Sonnenschein.

Mit Ende August fängt das Winzervölkchen an, nervös zu werden. Jeder rauhe und nasse Tag wird wie eine persönliche Kränkung empfunden, jeder sonnigwarme wie eine besondere Bonifikation. Welche Wohlthat, wenn in der Frühe noch die Nebel, die „Traubendrücker“, durch die Berge streichen und ihre Feuchte an die reichlich angesetzten Beeren hängen. Dann steigt die Sonne lachend über die Höhen und vertreibt die weißen Schwaden, erwärmt die Feuchte an den Trauben und kocht diese fein sacht und gründlich, daß sich der köstliche Zucker in der strotzenden Beere bildet. Mögen auch die Nächte kühl sein, die freundliche Herbstsonne sorgt wohl für den rechten Ausgleich.

Beim Mostern

Schon werden die ersten Trauben weich. Da wird’s nötig, daß die Weinberge geschlossen werden. Das wär ne schöne Geschichte, wenn jeder ernten, „herbsten“, könnte, wenn es ihm gerade beliebte. Da würden die, die s nicht abwarten können, den Segen zu bergen, recht häufig den guten Ruf einer Marke aufs Spiel setzen.

Aber der Winzer am Rhein, sonderlich der, in dessen Ortsgemarkung hervorragende Tafelweine, Hochgewächse gezogen werden, der hat das Warten gelernt, ob ihn auch oft ein geheimes Bangen ankommt, daß vielleicht schlechtes Wetter eintreten und die Ernte schwer beeinträchtigen könne. Immerhin giebt’s oft hitzige Debatten in den Gemeindeberatungen, ob die Lese beginnen solle oder nicht. Aber gerade die Besitzer hervorragender Lagen sind zäh und harren bis zum äußersten, damit die Sonne ihr Werk vollende und damit auch der „Edelfäule“ der Trauben, die die Qualität so hervorragend verbessert, rechte Zeit gelassen werde. Inzwischen wird alles eifrig vorbereitet; die Keller werden gesäubert, die Keltern, die Kufen gewaschen, die neuen Fässer werden wieder und wieder ausgebrüht, damit aller Lohgeschmack aus dem eichenen Holz herauszieht.

Das Lesen der Trauben

Dann schwefelt man sie gründlich, brüht sie wieder und wieder, um sie „weingrün“ zu machen, während es sich die alten, bewährten Fässer, die bestimmt sind, den edelsten Wein aufzunehmen, gefallen lassen müssen daß man etwas rauh mit ihnen verfährt, da es gilt, den Weinstein, der sich in ihnen mit den Jahren angesetzt hat, herauszuklopfen.

Indes so Winzer, Küfer und Aichmeister im Ort ihre Arbeit haben, sind die geschlossenen Weinberge wie ausgestorben. Nur hin und wieder schreitet ein „Traubenschütz“ mit seiner Flinte spähend die Pfädchen dahin und pfeffert auch wohl einmal mit weithin schallendem Schuß eine Ladung Vogeldunst in eine Schar naschhafter Stare oder Drosseln, denn diese Vögel sind bedeutende Gourmands und wissen, nicht weniger wie allerhand Fliegen und Wespen, die süßen Beeren der reifen Trauben wohl zu würdigen.

Mancherorts hat die Lese der Frühburgunder und der früh reifenden roten Trauben schon begonnen.

Aber den „Riesling“, die edelste, bouquetreichste Traube, soll die Herbstsonne bis zuletzt freundlich bescheinen sogar einen ganz, ganz leichten Frost – ein schärferer kann allerdings die ganze Ernte verderben – muß er unter Umständen über sich ergehen lassen. Jetzt endlich hat die Kommission ein Einsehen, sie beschließt, die Weinberge zu öffnen, die Lese beginnen zu lassen. Der Ortsdiener zieht mit seiner schelle in der ganzen Gemeinde umher und macht das wichtige Ereignis kund, das allenthalben freudig begrüßt wird.

Im Kelterraum
Winzerin
An der Kelter

Und nun ist der erste Tag der Lese da. Ein dichter Nebel, zum Greifen dick, liegt über dem Rheinthal und zieht sich fast bis zu den Höhen in alle Seitenthäler hinein. Da tönen feierlich die Glocken thalauf und ab, den Anfang der Weinlese verkündend. Mancherorts machen auch Böllerschüsse den Beginn kund. Erst – zwischen sechs und sieben Uhr – versammelt sich die Gemeinde zum Frühgottesdienst, dann geht’s hinaus in die weiße Finsternis, mit Bütten und Legel, mit Karren und Fässern, mit Krügen und Körben, die kalte Küche für den Tag enthalten. Hie und da tauchen dunkle Gestalten im Nebel auf, man hört freudige Zurufe, lautes Jauchzen, Winzerlieder, wie sie schon in der Schule gelehrt wurden, und den Knall der Terzerole, die loszuschiessen die Jungens unermüdlich sind.

Am Ladfass

Bald sieht man, wie es allenthalben von fröhlichen, emsig arbeitenden Scharen wimmelt. So wird den ganzen Tag ohne Pause gelesen. Jeder hat zwei Behälter. In dem einen werden die weniger guten Trauben, die unreifen oder mit Trockenfäule behafteten, gesammelt, in dem andern die guten. Die Büttchen werden in die „Legel“ entleert, in die Tragbütten, die dann ein Arbeiter auf dem Rücken zu einer Hütte oder zu dem mit einem großen hölzernen Trichter versehenen Ladfaß trägt, in das sie, nachdem sie vorher gemostert, das heißt, mit einem hölzernen Stampfer zerquetscht wurden, hineingeschüttet werden. Das Faß wird dann, nachdem es gefüllt ist, zur Kelter gefahren, wo sein zerquetschter Inhalt erst gründlich ausgepreßt wird und als Most und nach einigen Tagen als berauschender “Federweißer“ die ersten Stufen seiner Entwicklung zum Wein durchmacht. Zeigt die Mostwage daß der ausgepreßte Saft einen hohen Zuckergehalt hat, dann ist die Freude natürlich doppelt groß, und das ganze Lesegeschäft nimmt einen viel lustigeren Verlauf, als wenn die Kreszenz an Quantität und Qualität zu wünschen übrig läßt. Immerhin hat sich die Weinernte, wird sie auch heute nicht mehr so festlich begangen, wie früher, doch noch eine Fülle poetischer Momente gerettet. Schon das bunte Treiben in den sonnigen Bergen, während aus der Tiefe der Rhein heraufblitzt, ergiebt eine eigenartige, reizvolle Stimmung. Und dann wird doch auch noch von mancher Herrschaft gesorgt, daß die Lese einen Anstrich von Festlichkeit erhält, sei es auch nur dadurch, daß das letzte Ladfaß, mit Bändern und Weinlaub geschmückt, zu Thal geführt wird.

Dieser Artikel von W. Schulte vom Brühl erschien zuerst am 20.09.1902 in Die Woche, dazu 6 photographische Aufnahmen von Osw. Heiderich, Rüdesheim am Rh.