Fremdenrecht

1905, von Geh. Justizrat Prof. Dr. Philipp Zorn, Bonn.

I.
Tausende und Tausende von Fremden durchziehen Jahr um Jahr die schönen Gegenden unseres deutschen Vaterlandes. Und Tausende von Fremden haben sich bei uns zu dauerndem Aufenthalt niedergelassen, sei es, um an schönen Orten der Ruhe zu pflegen, sei es, um an unsern Schulen, insbesondere unsern hohen Schulen sich mit Wissen und mit Können auszurüsten für den Wettkampf des Lebens, sei es, um in diesen Wettkampf des Lebens selbst mit unsern eigenen Volksgenossen einzutreten, sei es aus andern Gründen.

Und was wir in unserm Lande und inmitten unseres Volkes andern gewähren, das fordern wir für uns in andern Ländern; Tausende von Deutschen reisen draußen im Ausland, und andere Tausende wohnen draußen im Ausland aus den verschiedensten Gründen.

Jeder Deutsche kann, ohne daß ihn der Staat daran hindert, sowohl im Ausland reisen wie vollständig auswandern; auch durch Auswanderung geht an sich die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren. Nur für die Zeit vom 17. bis zum vollendeten 25. Lebensjahre bestehen in Hinsicht der Auswanderung gesetzliche Einschränkungen zur Wahrung der militärischen Interessen, und außerdem hat die deutsche Gesetzgebung zurzeit noch die vielangefochtene Vorschrift, daß, wer zehn Jahre ununterbrochen im Auslande lebt, ohne für die Erhaltung der deutschen Staatsangehörigkeit Sorge zu tragen, z. B. durch Eintrag in die Konsularmatrikel, die deutsche Staatsangehörigkeit verliert.

So ist die Gemeinschaft der Kulturvölker im Laufe des letzten Jahrhunderts, insbesondere infolge der enormen Entwicklung der Verkehrsmittel, eine immer innigere geworden, und alle modernen Lehrbücher des Völkerrechts verkünden als einen der wichtigsten Rechtsgrundsätze des heutigen Völkerrechts den Satz: daß die Oeffnung und Offenhaltung der Staatsgrenzen für solchen gegenseitigen Völkerverkehr Rechtspflicht der Staaten sei. Es kann auch keinen Zweifel unterliegen, daß das internationale Leben diesem behaupteten Rechtsgrundsatz tatsächlich entspricht. In allen Kulturländern ist daraufhin eine weitgehende Mischung der Bevölkerung aus Staatsangehörigen und Fremden eingetreten. Der Prozentsatz dieser Mischung ist selbstverständlich in den verschiedenen Ländern ein verschiedener; die Statistik hat sich in letzter Zeit vielfach mit diesen Dingen beschäftigt und interessante Resultate festgestellt. Jedenfalls ist die Mischung überall in den Kulturländern vorhanden und überall ein sehr bedeutsamer Faktor des Lebens. Die Interessen der verschiedenen Völker und Staaten sind demgemäß im wesentlichen die gleichen, und man mag gern und unumwunden anerkennen, daß im geraden Gegensatz zu Altertum und Mittelalter, in diesem über die Grenzen der Staaten hinwegflutendem Völkerverkehr eine der größten Errungenschaften der Neuzeit und des heutigen Völkerrechts liegt,

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Freilich völlig schrankenlos ist diese Freiheit des Völkerverkehrs auch heute nicht. Auch hier wie in allen Fragen bewegt sich das Völkerrecht um die beiden Pole: Staatssouveränität und Völkergemeinschaft. Und auch hier wie in allen Fragen ist der entscheidende Punkt die Staatssouveränität.

Ob jemals für die Menschheit eine Zeit kommen wird, in der dies anders ist, kann heute und hier ruhig dahingestellt bleiben. Dermalen ist jedenfalls die Staatssouveränität der absolut entscheidende Punkt im Völkerleben und im Völkerrecht; alle Bestrebungen, eine Staatengemeinschaft unter rechtlicher Beugung der Staatssouveränität unter eine internationale Gewalt herstellen zu wollen, tragen mehr oder minder utopistischen Charakter und enthalten einen Widerspruch zum Staatsbegriff. Der heutige Staatsbegriff mußte erst überwunden werden, ehe jenes neue Völkerrecht aufgerichtet werden könnte. Heute aber stehen die Staaten im letzten Ende nur auf sich selbst und allein. Das ist besonders uns Deutschen in den letzten Wochen und Monaten klarer denn je geworden. Und unser Auge, soweit es klar sehen kann, reicht nicht in Fernen, in denen dies anders sein könnte, wenn wir auch zugeben wollen, daß der die tatsächlichen Möglichkeiten überspringende philosophische Gedanke in jene uebelhaften Fernen einzudringen versuchen mag.

Der freie Völkerverkehr beruht demnach auf dem den internationalen Interessen weiteste Rechnung tragenden Willen des einzelnen Staates. Und dieser Wille ist grundsätzlich ein in den Kulturstaaten gemeinsamer.

Aber im einzelnen bleibt es jedem Staate völlig unbenommen, Voraussetzungen und Formen dieses Völkerverkehrs festzustellen. Daß Träger von ansteckenden Krankheiten nicht über die Grenze gelassen zu werden brauchen, ist selbstverständlich. Und so mag jeder Staat erwägen, welche Formen für den Uebergang in sein Gebiet (Pässe, Meldungen u. dergl.) vorgeschrieben werden wollen; und ebenso mag jeder Staat erwägen, ob er bestimmten Kategorien von Personen (Verbrechern, Mittellosen u. dergl.) den Eintritt über die Grenze zu versagen für richtig hält. Das Völkerrecht steht derartigen Vorschriften nicht im Wege, und tatsächlich bestehen solche in allen Staaten in mehr oder minder weitem Umfange. Sehr weit sind in diesem Punkte in letzter Zeit bekanntlich die Vereinigten Staaten von Amerika, die man und die sich selbst als das freieste Land der Erde zu betrachten gewohnt sind, in ihren Einwanderungsgesetzen gegangen; die Staatsnotwendigkeit hat dort offenbar solche Einschränkungen gebieterisch gefordert.

Selbstverständlich ist, daß ein Fremder, dem persönlich und ausdrücklich der Aufenthalt im Staatsgebiet untersagt worden ist – darüber sofort Näheres – bei Wiedereintritt in dieses Gebiet sich mit Wissen und Willen allen denjenigen polizeilichen Maßregeln aussetzt. die behufs Internierung und Wiederabschiebung einer solchen Person erforderlich sind Diese Maßregeln sind in solchem Fall einfache Amtspflicht der Polizei, mit denen “der Richter gar nichts zu tun hat. Die in unserm Recht vorgeschriebene Pflicht der Polizei, verhaftete Personen alsbald dem Richter vorzuführen bezieht sich nur auf diejenigen Verhaftungen, die behulfs Verfolgung eines strafrechtlichen Tatbestands vorgenommen werden, nicht aber auf die rein polizeilichen Verhaftungen zur Aufrechterhaltung von „Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ des Gemeinwesen, die übrigens einen Inländer ganz genauso treffen können wie einen Ausländer, und gegen nur die allgemeine Beschwerde an die vorgesetzte Behörde gegeben ist.

Daß auch in solchem Falle jede Schikane, das ist willkürliche oder unangemessene Behandlung, von der Behörde vermieden werden muß, ist selbstverständlich gleichfalls Amtspflicht, wenn auch die Frivolität, die in einem mit Wissen und Willen provozierten Einschreiten der Polizei gesehen werden muß, der Behörde eine rücksichtsvolle Behandlung des Internieren vielleicht schwer macht. Das richtigste Vorgehen wird in solchem Fall immer sein, den Ausgewiesenen, der die Ausweisungsverfügung bricht, so rasch und so sicher als möglich wieder über seine Grenze zurückzubefördern. Bezüglich der Behandlung von Anarchisten in solchem Fall scheinen seinerzeit auf der Konferenz in Rom bestimmte Gesichtspunkte unter den Staaten vereinbart worden zu sein.

Die Frage, ob es völkerrechtlich zulässig sei, Arbeiter einer bestimmten Staatsangehörigkeit generell von der Einwanderung und damit von dem Aufenthalt auszuschließen – Verbot der Einwanderung chinesischer Arbeiter in den Vereinigten Staaten und in Australien – ist vielfach erörtert worden.

Daß darin eine überaus weitgehende Einschränkung des völkerrechtlich anerkannten, allgemeinen Völkerverkehrs liegt, ist klar; besteht aber für diese Einschränkung eine Staatsnotwendigkeit, so entscheidet lediglich das Prinzip der Staatssouveränität, und es kann nur als politische, nicht als Rechtsfrage anerkannt werden, inwiefern der geschädigte Staat gegen derartige Gesetze vorgehen mag.

Der Fremdenverkehr über die Grenzen und der vorübergehende oder dauernde Aufenthalt von Fremden innerhalb der Grenzen eine somit heute präsumtiv und tatsächlich so gut wie unbeschränkt. Ueber Voraussetzungen und Formen des Fremdenverkehrs an den Grenzen und im Land kann jedoch jeder Staat die ihm geeignet oder notwendig erscheinenden Vorschriften kraft seiner Souveränität in voller Freiheit erlassen. Gegenüber Einschränkungen, die nur einen einzelnen Staat betreffen und von diesem als zu weitgehend erachtet werden, Abhilfe zu suchen, ist lediglich Sache der Politik.

II.

Die Fremden, die so in das Staatengebiet eingetreten sind, sei es zu vorübergehendem, sei es zu dauerndem Aufenthalt, leben nach der heutigen Staatenpraxis in dem Land ihres Aufenthalts tatsächlich genau ebenso wie die Staatsangehörigen. Von den 365 Tagen des Jahres wird der Engländer oder Franzose, der in Bonn lebt. nur an wenigen daran erinnert, daß er ein Fremder in fremdem Land ist.

Und ebenso der Deutsche in London oder Paris.

Er benutzt die Wege, Posten, Eisenbahnen, die der Staat oder die Gemeinde geschaffen haben und unterhalten, genau ebenso wie der Staatsangehörige; das Licht, das aus öffentlichen Mitteln eingerichtet ist, leuchtet dem Fremden wie dem Staatsangehörigen in gleicher Weise; in der Schule sitzt neben dem deutschen Kind ein englisches oder holländisches; der Schutzmann schützt im Haus und auf der Straße den Fremden genau ebenso wie den Einheimischen; und der Richter spricht dem Franzosen grundsätzlich kein anderes Recht als dem Deutschen.

Daß diese tatsächliche und Rechtsgemeinschaft der Kulturvölker eine der großartigsten Errungenschaften der Neuzeit ist, bedarf keiner weiteren Erörterung, und es ist auch wohl keine Ueberhebung, wenn ich ausspreche: das deutsche Volk hat es allezeit als eine ganz besondere Ehrensache betrachtet, diese Gemeinsamkeit zu pflegen und weiter auszubauen, selbst auf die Gefahr hin, in seinen eigenen Interessen dadurch geschädigt zu werden.

Aber diese tatsächliche Gemeinsamkeit der Rechte hat zur Voraussetzung die Gemeinsamkeit der Pflichten und den Vorbehalt, daß der Staat, wenn die Interessen seines Volkes dies fordern, besondere Vorschriften für die Fremden geben kann und unter Umständen geben muß.

Was zunächst den ersten Punkt betrifft, die Gemeinsamkeit der Pflichten, so sind die Fremden dem Recht des Staats, in dessen Gebiet sie leben, genau ebenso unterworfen wie die Inländer. Die privatrechtlichen Verpflichtungen beim Kauf oder der Miete, bei Aufnahme eines Darlehns und dergleichen sind für den Fremden die gleichen wie für den Deutschen, und nur unter dieser Voraussetzung hat der Fremde den Rechtsschutz der deutschen Gerichte. Die Einschränkungen dieses Prinzips sind geringfügig. Und der Mord oder Diebstahl wird, von Fremden begangen, nach den gleichen Gesetzesparagraphen bestraft wie beim Einheimischen; weitaus die meisten Vorschriften des Strafgesetzbuches beginnen mit dem die Frage der Staatsangehörigkeit von vornherein als gleichgültig erklärenden Wort: “wer”; nur wenige auf den Staat oder das Staatsoberhaupt bezügliche Vorschriften beginnen mit den Worten: “ein Deutscher”.

Ebenso haben die Fremden den allgemeinen polizeilichen Vorschriften genau die gleiche Folge zu leisten wie die Einheimischen, und zwar für jeden Zweig der Polizei: Bau-, Sanitäts-, Wege-, Jagd- Fischereipolizei usw. Wer den Bürgersteig vor seinem Haus nicht rechtzeitig reinigt, wo dies polizeilich vorgeschrieben ist, wird genau ebenso bestraft, ob er Staatsangehöriger oder Fremder ist.

Dies ist die Regel, die für weitaus die meisten Fälle zutrifft, und die das heutige Leben in den Kulturländern im weitesten Umfang beherrscht. Auch für das Erwerbsleben ist nach unserer Gesetzgebung die Eigenschaft als Fremder grundsätzlich gleichgültig, ausgenommen nur ganz wenige Einzelpunkte zum Beispiel Gewerbetrieb im Umherziehen, Küstenfischrei, Apothekenbetrieb), und ebenso ist der Erwerb von Grundeigentum bei uns Fremden in unbegrenzter Weise gestattet (anders in Japan, Rußland, Rumänien und bis vor kurzem in England). In den Hörsälen, Instituten, Laboratorien unserer Hochschulen werden Fremde genau ebenso zugelassen wie Einheimische, und nur an einzelnen Hochschulen, wo die Staatsangehörigen von Fremden geradezu verdrängt zu werden Gefahr liefen, wurden sehr maßvolle Sondervorschriften zum Schutz der Staatsangehörigen gegen jene Gefahr erlassen. Der fremde Arbeiter in Werkstätten und Fabriken lebt grundsätzlich genau nach gleichem Recht wie der Einheimische.

Von dem Prinzip, daß der Fremde im Staat sich den Anforderungen des Staats, in dem er lebt, insbesondere dessen Rechtsordnung und Polizeigewalt, unterzuordnen hat, besteht eine große Ausnahme: Fremde haben keinen Militärdienst zu leisten. Der für den Militärdienst maßgebende Gesichtspunkt ist nicht in erster Linie der formaljuristische: Schutz des Staatswesens, dessen Schutz man selbst genießt, sondern der höhere ethische: Gemeinsamkeit der Waffengenossenschaft zum Schutz des Vaterlandes. Demgemäß erstreckt sich das Ehrenrecht und die Ehrenpflicht zum Waffenschutz des Staats und seiner Einrichtungen nur auf die Personen, denen das Land der Väter gemeinsam ist, und die demgemäß durch Geburt und Eid an die Fahne gebunden sind, die der schützt, der als Führer an der Spitze von Volk und Land steht.

Dieser altgermanische Grundsatz ist dermalen allenthalben von den Kulturnationen, wenn auch in sehr verschiedener Ausführung, im einzelnen angenommen, und danach sind die Fremden militärfrei, was natürlich freiwilligen Eintritt und Aufnahme in das Heer des Aufenthaltsstaats nicht ausschließt. Inwiefern Fremde in ihrem eigenen Staat dienen und zu diesem Zweck in dessen Gebiet zurückkehren müssen, gehört nur dem inneren Staatsrecht, nicht dem Fremdenrecht an. Die heutigen Heere sind Waffengenossenschaften des Volkes, nicht Söldnerheere von Reisläufern.

Ausgeschlossen sind ferner die Fremden von jeder Teilnahme am Staatsleben, die sich durch Wahlen betätigt, sowie von den Ehrenämtern der Rechtspflege, dem Geschworenen und Schöffendienst. Auch hier wie beim Militärdienst wirkt der Gedanke der ethischen Zugehörigkeit zum Vaterland, das innerliche Moment der Treue im Unterschied von dem bloß äußerlichen Moment des Gehorsams, so stark und so ausschließend, daß der Grundsatz allgemein als selbstverständlich betrachtet wird: an Wahlrecht und Wählbarkeit in Staats- und Gemeindeangelegenheiten – die Gemeinde ist ja auch bei weitester Selbstverwaltung grundsätzlich nur staatsrechtlicher Bestandteil des Staats – sowie an den Ehrenämtern der Rechtsprechung hat der Fremde keinen Anteil. Anders könnte dies nur bei kirchlichen Wahlen sein, da für die Kirche die notwendige, aus ihrem Wesen folgende Verbindung mit dem Staat wie für die Gemeinde an sich nicht besteht.

Was hingegen die Teilnahme an den finanziellen Staatslasten betrifft, so liegen die vorerwähnten besonderen ethischen Gesichtspunkte wie beim Militärdienst und den Staats- und Gemeindewahlen nicht vor. Der Staat und die Gemeinde brauchen zur Einrichtung und Unterhaltung ihrer Anstalten Geld, und dieses Geld muß in erster Linie durch Steuern beschafft werden. Diese Anstalten, handle es sich nun um Gerichte oder Schutzleute, um Schulen oder Wege, um Eisenbahnen oder Straßenbeleuchtung, dienen dem gemeinen Besten, und zwar für die Fremden genau ebenso wie für die Staatsgenossen. Daraus ergibt sich, daß die Fremden bei dauerndem Aufenthalt zu den finanziellen Lasten für diese Staats- und Gemeindeanstalten ebenso beizutragen haben wie die Staats angehörigen. Für die sogenannten indirekten Steuern versteht sich dies von selbst, gemäß der Art ihrer Erhebung; es muß aber genau ebenso von den direkten Steuern gelten.

Hier liegt ein schwieriges Problem für die Gesetzgebung vor, an dem die Staaten in letzter Zeit sich mehrfach abgemüht haben. Selbstverständlich wird der Fremde, der das Land für einige Wochen oder Monate bereist, nicht zur direkten Steuer herangezogen werden dürfen. Der Fremde aber, der Jahr um Jahr in einem Land wohnt, auch wenn er vielleicht jedes Jahr längere Zeit auf Reisen ist, muß zur Besteuerung herangezogen werden, und es erhebt sich wenig über den gewöhnlichen Betrug, wenn in solchem Fall wegen nicht vorhandener “Ansässigkeit” die Steuer vielleicht von einem Kapital von Millionen hinterzogen wird, während sie von dem Arbeiter, kleinen Beamten oder mittellosen Leutnant, deren karges Einkommen genau aus Kassenbüchern festgestellt werden kann, mit unnachsichtlicher Härte eingetrieben wird. Die Staaten haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, gegenüber ihrer steuerschwachen Bevölkerung in der Frage der Besteuerung von Ausländern dem im Schwange gehenden Betrug im großen scharf entgegenzutreten. So ist – abgesehen von Militärdienst, Staats- und Gemeindewahlen, Ehrenämtern der Rechtspflege – das Leben des Fremden im Staat heute kaum verschieden von dem Leben des Staatsangehörigen. Wollte man etwa noch darauf Gewicht legen, daß die sogenannten “Grundrechte” prinzipiell nur den Staatsangehörigen zukommen – “von den Rechten der Preußen” lautet die Titelüberschrift des II. Abschnitts der preußischen Verfassung – so ist dies allerdings richtig; aber eine Durchsicht der Grundrechte im einzelnen ergibt, daß sie teilweise nach der heutigen Spezialgesetzgebung den Fremden ebenso zustehen wie den Deutschen, besonders so weit sie den Schutz des Eigentums und die Rechtspflege betreffen, teilweise, wie Preß-, Versammlungs-, Gewissensfreiheit, eine Einschränkung auf Staatsangehörige tatsächlich gar nicht finden können.

Aber dennoch ist dieser ganze tatsächliche Rechtszustand der Fremden prinzipiell grundverschieden von dem der Staatsangehörigen: für den Staatsangehörigen ist er ein Recht, für den Fremden ist er ein Geschenk. Erstens kann der Staat den Rechtszustand der Fremden jederzeit einschränken, und er wird es tun müssen, wenn das Interesse der eigenen Staatsangehörigen dies gebieterisch fordert. Sollte das Erwerbsleben der letzteren durch eine erleidende Konkurrenz von Fremden im Inland schwere Gefahr laufen, so mũßte der Staat hiergegen Maßnahmen treffen, und in manchen Staaten und in einzelnen Punkten ist dies geschehen. Doch haben die Vorschriften dieser Art keinen erheblichen Umfang bis jetzt, wenigstens nicht in den mitteleuropäischen Kulturstaaten. Aber es wäre unsinnig, einer Regierung Vorwürfe zu machen, wenn sie z. B. in Laboratorien von Hochschulen die Zulassung ganz oder teilweise nur den eigenen Staatsangehörigen vorbehält. Das ist nicht nur ihr Recht, das ist ihre Pflicht.

Viel bedeutsamer aber ist ein zweiter Punkt; jeder Fremde kann jederzeit aus dem Staatsgebiet ausgewiesen werden ohne jede Angabe von Gründen, der Staatsangehörige dagegen kann des Landes nicht verwiesen werden. Diesen Grundsatz halten alle Staaten unbedingt und aufs strengste fest, wenn auch die Ausweisungspraxis in den verschiedenen Staaten ziemlich verschieden gehandhabt wird. Aber alle Staaten, auch jene, die von dem Ausweisungsrecht geringen Gebrauch machen, halten jedenfalls den internationalen Grundsatz aufrecht und sind durchaus nicht geneigt, ihn preiszugeben. Und anderseits machen selbst jene Staaten, die davon häufiger Gebrauch machen, diesen Gebrauch doch nur aus ganz schwerwiegenden Gründen. In Wirklichkeit kommt auf Millionen von Fremden, die völlig ruhig und ungestört in einem Land leben, Tag um Tag und Jahr um Jahr einmal eine Ausweisung. Die meisten Fremden leben tatsächlich ganz so ungestört und sicher im Land wie die eigenen Staatsangehörigen. Aber sie leben hier als Gäste und genießen die Ruhe der Gastfreundschaft nur so lange, als sie selbst die Ruhe des Staates, der ihnen Gastfreundschaft bietet, nicht stören. Was als solche Störung zu betrachten sei, ist freilich Tatfrage, und die Antwort auf derartige Fragen wird in verschiedenen Staaten verschieden lauten. Richter hierüber aber ist nur jeder Staat selbst kraft seines souveränen Ermessens, und es gibt in dieser Beziehung keine internationalen Grund- geschweige denn Rechtssätze. Dem fremden Staat gegenüber besteht hierfür auch keinerlei Rechtfertigungspflicht; die konstitutionellen Faktoren des eigenen Staates mögen von ihrer Regierung in solchen Fällen Rechenschaft fordern, dagegen kann kein Einwand erhoben werden.

Mehrfach ist in den letzten Jahrzehnten von diesem Ausweisungsrecht Gebrauch gemacht worden gegen politisch gefährliche oder nur politisch unbequeme Personen. Man wird schwerlich einer Regierung verargen können, wenn sie Ausländer des Landes verweist, die z. B. als Zeitungskorrespondenten sich in einer andauernden hämischen Feindschaft gegen diese Regierung gefallen. Der Aufenthalt der Fremden im Land beruht auf Gastfreundschaft; Gastfreundschaft legt Ehren und Anstandspflichten auf; wer diese nicht erfüllt, hat den Anspruch auf Gastfreundschaft verwirkt und mag ruhig weg gewiesen werden. Der Sohn des Hauses, der dessen Ruhe stört, muß ertragen werden; der Fremde, der sie stört, muß das Haus verlassen: das ist elementarstes Hausrecht. Daß in diesem Punkt die Staatenpraxis verschieden ist, ist richtig.

Aber es besteht zurzeit nicht die geringste Aussicht, tatsächlich oder auf dem Weg formeller Staatsverträge zu einer einheitlichen Gestaltung der Praxis des Ausweisungsrechts zu gelangen.

Dieser Text erschien zuerst 1905 in Die Woche. Der originale Artikel beinhaltete kein Bild, das hier verwendete Bild ist ein Beispielbild von RJA1988 auf Pixabay.