Vor vierzehn Jahren konnte die Stadt Bern in einer imposanten Gedenkfeier auf volle 700 Jahre ihres Bestehens zurückblicken. Sie ließ in bunten Bildern auf freier Festbühne die Erinnerung wieder aufleben an eine reiche, ehrenvolle Geschichte und an eine kräftig aufstrebende Entwicklung, die das kleine Reichsstädtchen, das der zähringische Herzog Berchtold V. 1191 hatte bauen lassen, zu einer mächtigen, in der Weltpolitik mitsprechenden Republik machte und das kriegsfreudige Gemeinwesen zur Hauptstadt eines blühenden Bundesstaats erhob, der in den Werken des Friedens heute eine führende Stellung einnimmt.
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Diese geschichtliche Entwicklung hat der heutigen Stadt ihren Stempel aufgedrückt, so daß sie auch jetzt noch zu den eigenartigsten und charaktervollsten Städten nicht nur der Schweiz gezählt werden muß. Und doch ist es nur das Städtebild, die Anlage der Stadt, die, durch die natürliche Beschaffenheit des Baugrundes bedingt, zu allen Zeiten ungeteilte Bewunderung fand, und die Bern auch heute noch das malerische Bild einer alten Reichsstadt sichert, von der der Chronist 1546 sagt, sie ist „wunderschön erbauven, alle heuser und gebeuv stehen in richtiger ordnung, mehrteils aus quadern und gehauvenem werck aufgericht. Und das besonders lieblich ist, sind alle heuser mit gewelben gegen die gassen also zierlich zusamen geschmuckt, daß man bei ungewitter und rägentag durch alle straßen der gantzen Stadt trockens Fuß wandeln mag“.
Von dieser Stadt Bern haben sich nur die Anlage im ganzen und die originellen Arkaden erhalten; das heutige Bern „in bürgerlicher Gleichheit ein Haus wie das andere gebaut“ (wie Goethe seinen Eindruck 1779 zusammenfaßte), ist größtenteils das Werk des beginnenden 18. Jahrhunderts, als der Staat und die Privaten wetteiferten in der Verschönerung der Stadt und beinah alle Häuserfassaden neu in Quadersteinen hergestellt wurden. Nur seltene Spuren der ältesten Bauweise haben sich bis in die Neuzeit erhalten. Abgesehen von dem prächtigen Denkmal später Gotik, dem Münster, finden sich nur noch spärliche Ueberreste dieses Baustils, und auch die Zeit der Renaissance ist beinah spurlos an Bern vorübergegangen. Eine Ausnahme machen nur die zahlreichen Brunnen mit ihren hübschen Kapitälen und Standbildern, die, zum größten Teil aus der Mitte des 16. Jahrhunderts datierend, das Stadtbild so malerisch beleben. Die Brunnenfiguren sind frisch und keck aufgefaßt und kräftig charakterisiert, und mancher Name ihrer Verfertiger hätte es verdient, auf die Nachwelt zu kommen. Zu Dank verpflichtet sind wir wohl den Zunftgesellschaften, die die Herstellung der Brunnenfiguren in die Hand nahmen und damit der Stadt Bern eine Zierde von unvergleichlichem Reiz geschaffen haben.
Bern, die auf drei Seiten von der Aare umspülte Stadt, war immer stolz auf ihre Wasseranlagen; bis in die Gründungszeit zurück datiert die großartige Schwellenanlage, und in der gleichen, frühen Zeit schon wurde der Stadtbach mitten durch alle Hauptstraßen der Stadt geleitet zu deren Reinhaltung. Schon 1394 wurden laufende Brunnen in der Stadt angelegt, deren hölzerne Brunnenstöcke im 16. Jahrhundert durch die charakteristischen Brunnenbilder ersetzt wurden.
Wir zählen gegenwärtig noch elf, die meisten in den Hauptgassen verteilt. Zum Glück hat ihnen die neue Zeit ihr ursprüngliches buntes Kleid wiedergeschenkt, was ihre malerische Wirkung wesentlich erhöht.
Zum Teil sind sie als Wahrzeichen einer Korporation vor die Zunfthäuser gestellt, wie der stattliche Schützenbrunnen an der Marktgasse, der Armbrustschütze an der Aarbergergasse und der Löwenbezwinger Simson als Repräsentant der „manligen Bursche der Metzger“, die bei den bernischen Kriegstaten stets eine hervorragende Rolle spielten. Ein religiöses Bild des Moses, steht auf steht auf dem Brunnen beim Münster, während der David auf dem Brunnen an der Spitalgasse verschwunden ist. Die Wehrkraft des alten Bern verkörpern der stattliche Krieger, im Volksmund Venner Brüggler geheißen, der gegenwärtig an der Amthausgasse steht, und der Bär, „der Mutz“, im zähringischen Tornisterschmuck an der oberen Kramgasse, einer der schönsten Brunnen, der mit den Zeitglocken als Hintergrund und den beiden reizenden Erkern an den Straßenabschlüssen sich zu einem Straßenbild vereinigt, das wohl kaum an malerischen Effekt seinesgleichen hat. Die Krone der Standbilder aber bleibt die Gerechtigkeit in der Mitte der gleichnamigen Gasse, sie ist ein Meisterwerk echter Renaissance, und der Entwurf dazu wurde deshalb auch keinem Geringeren als Niklaus Manuel zugeschrieben. Das Brunnenbild auf der antiken Marmorsäule oben an der Marktgasse wurde nach der wohltätigen Stifterin des Inselspitals Anna Seiler benannt. Zu Ehren eines ganzen Standes wurde der hübsche „Läufer“ in seiner schmucken Amtstracht auf den Brunnen am unteren Tor gestellt, und die Brüderschaft der Stadtpfeiffer stellte an der Spitalgasse einen drolligen Repräsentanten ihrer fröhlichen Kunst auf den Brunnenschaft, der seinerseits auch reich ausgestattet ist mit Anspielungen auf das lustige Musikantentum. Es ist unstreitig eins der gelungensten Standbilder und gibt seinem Zunftgenossen zu Basel, der Hans Holbein herrühren soll, wenig nach. Der originellste und kulturhistorisch interessanteste Brunnen ist aber zweifellos der Kindlifresser auf dem Kornhausplatz. Oben auf dem Schaft sitzt ein an seiner Tracht erkennbarer Jude, der ein Kind verschlingt und in seiner Tasche noch mehrere in Bereitschaft hält. Er soll an einen den Juden mit Unrecht zugeschriebenen rituellen Mord erinnern. Unten am Säulenschaft ist ein drolliger Zug bewaffneter, mutig ins Feld ziehender Bären dargestellt.
Mit einem derartigen künstlerischen Schmuck der Stadtbrunnen steht Bern keineswegs einzig da, es genügt, an die berühmten Brunnen in Nürnberg zu erinnern und an die Brunnen, die die meisten alten Schweizerstädte zieren; aber in der einheitlichen Durchführung der charakteristischen Figuren und in der regelmäßigen eigenartigen Aufstellung der Stadtbrunnen dürfte Bern es allen zuvortun und mit berechtigtem Stolz alle seine Besucher auf diese oft von ihnen vernachlässigte Sehenswürdigkeit aufmerksam machen.
Dieser Artikel erschien mit dem Autorenkürzel B. B. zuerst 1905 in Die Woche.