Gefahrvolle Berufe

1905, von A. Oskar Klaußmann. Es gibt zahlreiche Berufe, deren Gefährlichkeit dem Publikum ohne weiteres bekannt ist. Zu diesen gehört der Beruf des Bergmanns, des Seemanns, des Tauchers, des Luftschiffers, des Feuerwehrmanns, des Tierbändigers, des Arbeiters in der chemischen Fabrik und bis vor kurzem noch die geradezu menschenmordende Arbeit in jenen Fabriken, die noch Phosphorzündhölzer herstellen durften. Gefährlich ist der Beruf des Feuerwerkers, auch natürlich der Arbeiter und Arbeiterinnen, die in Fabriken tätig sind, die Explosivstoffe herstellen.

Jährlich mindestens einmal hört man von einer furchtbaren Explosion in einer Fabrik für moderne Sprengstoffe oder Schießmaterial, wie Cordit, Melinit usw. Gefährlich ist auch der Beruf des Elektrotechnikers; ein unwillkürliches Berühren von Schaltungen und Leitungen, die hochgespannte Ströme führen, bringt in den meisten Fällen augenblicklichen Tod.

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Wenig bekannt ist, daß die Sandbläserei sehr gefährlich ist, und daß sich die Arbeiter in höchst sorgfältiger Weise schützen müssen. Selbst bei der Selterwasserfabrikation entsteht Gefahr durch das Zerspringen der Flaschen beim Füllen der Gefäße mit kohlensäurehaltigem Wasser.

Den Wolken nahe

Auch die Gasthausbediensteten und die Bäcker haben im Durchschnitt ein verhältnismäßig niedriges Lebensalter aufzuweisen. Beim Gasthausbediensteten ist es vor allem der mangelnde Schlaf, der im Lauf der Jahre zu Krankheiten, meist chronischen, führen kann.

Auf hohem Gerüst

Die außerordentliche Steigerung der industriellen Tätigkeit und der Intensität aller Betriebe bringt es aber mit sich, daß heutzutage Gewerbe und Berufe sehr gefährlich geworden sind, die in früheren Zeiten keinerlei Gefahr mit sich brachten. Die beigegebenen Bilder zeigen uns Handwerker und Arbeiter in äußerst gefährlichen Situationen. Wie die Fliegen hängen zum Beispiel die Maler an den Spanntrossen der großen Hängebrücke zwischen Neuyork und Brooklyn. Diese Spanntrossen, die aus Stahl hergestellt sind, müssen in gewissen Zwischenräumen mit Oelfarbe gestrichen werden, um das Rosten möglichst zu verhindern. Hunderte von Fuß über dem Wasserspiegel hängen die Arbeiter an diesen Trossen, und jedes Versehen kann einen tödlichen Absturz herbeiführen.

Arbeiten an der Telegraphenleitung

Höchst gefährlich sieht auch die Situation des Mannes auf der Fahnenstange aus, die auf den First eines himmelhohen amerikanischen Hauses steht. Auch der Dachdecker, der auf Kirchtürmen zu tun hat, muß in schwindelnder Höhe arbeiten, wie es zum Beispiel das Bild des Mannes beweist, der neben dem Wetterhahn des Kirchturms auf der höchsten Spitze sitzt.

In den Spanntrossen der Hängebrücke zwischen Neuyork und Brooklyn

Das Fensterputzen ist gewiß keine an und für sich gefährliche Beschäftigung. Aber wenn auf unserm Bild der Fensterputzer auf dem schmalen Sims in der zwölften oder fünften Etage eines amerikanischen Wolkenkratzers steht kann selbst dem Beschauer des Bildes ein wenig schwindlig werden.

Auf der City Hall in Philadelphia

Für die Zimmerleute und Eisenarbeiter ergeben sich ganz außerordentlich gefährliche Momente bei dem Bau der großen amerikanischen Wolkenkratzer, der Riesengebäude, die bis zu dreißig und mehr Etagen haben. Zuerst wird die gesamte Eisenkonstruktion eines solchen Wolkenkratzers errichtet, und ihr Aufbau bietet mancherlei Fährlichleiten, wie dies unsere beiden Bilder zeigen.

Arbeiten am Rauchfang

Die Arbeiter suchen auch etwas darin, sich auf den exponiertesten Stellen frei zu bewegen und absichtlich Orte aufzusuchen, wo die Gefahr recht groß ist.

Das Gefährlichste an diesen Berufen, besonders bei dem der Bauleute, ist ja nicht der Umstand, daß die Leute verunglücken können, sondern daß sich infolge der Gewohnheit eine Gleichgültigkeit gegen die Gefahr bei ihnen herausbildet, die sie schließlich selbst die notwendigste Vorsicht in gewissen Augenblicken vergessen läßt. Kommt dazu noch die Sucht zu renommieren und sich vor den Kameraden ein wenig auszuzeichnen, so muß man sich eigentlich wundern, daß die Zahl der Unglücksfälle, besonders der in der Industrie, trotz der fort währenden Steigerung der Betriebe und der Zunahme der industriellen Tätigkeit sich beständig verringert. Preußen hatte zum Beispiel auf 10 000 Lebende (nach der neusten Statistik) im Jahr 1902 nur 3,95, im Jahr 1905 sogar nur 3,75 Verunglückungen.

Der Bau eines Wolkenkratzers

Der Beruf des Maurers ist ja auch in früheren Seiten etwas gefährlich gewesen; durch die hochgeführten Bauten der Neuzeit aber hat sich seine Gefährlichkeit noch erheblich gesteigert. Welchen Gefahren ist zum Beispiel nicht ein Maurer ausgesetzt, der an einem Riesenschornstein arbeitet! Hat man doch in Deutschland Fabrikschornsteine errichtet, die die Höhe von 135 Meter nicht nur erreichten, sondern sogar überschritten. Der Bau dieser Schornsteine erfordert oft Menschenleben, und die Zahl der Opfer mehrt sich mit der zunehmenden Höhe jedes riesenhaften Bauwerks.

Noch gefährlicher aber sind die Reparaturarbeiten, die an großen Schornsteinen unvermeidlich sind, da besonders in den oberen Partien durch die Hitze das Mauerwerk springt und infolgedessen ausgebessert werden muß.

Der Fensterputzer

Man bringt jetzt schon bei Errichtung der Schornsteine entweder innerhalb des Schornsteins oder außen Steigeisen an, damit man bis zur Spitze hinaufklettern kann. Bei Schornsteinen älterer Konstruktion aber konnte die Besteigung zu Reparaturzwecken nur mit Hilfe von Tauen bewerkstelligt werden, und die englischen und amerikanischen „Steeplejacks“ haben sich eine gewisse Berühmtheit durch die halsbrecherischen Kunststücke erworben, die sie bei den Reparaturarbeiten von hohen Fabrikschornsteinen und Kirchtürmen auszuführen hatten.

Unsere Bilder beweisen uns ferner, daß sich selbst der Arbeiter, der mit dem Legen von Leitungsdrähten für Telegraphie oder Kraftverbrauch beschäftigt ist, in höchst gefährlicher Höhe bewegen muß, und daß sich auch der Arbeiter an einem Kran hin und wieder einmal in schwindelnder Höhe zu tummeln hat, wenn es gilt, irgendeinen Teil des gewaltigen Hebezeugs in Ordnung zu bringen oder sorgfältig zu untersuchen.

Daß der Lokomotivführer einen schweren Beruf hat, weiß man, und die Gefahr droht ihm nicht nur durch Katastrophen, durch Entgleisungen, Zusammenstöße und Kesselexplosionen, sondern auch durch Erschütterungen seiner Gesundheit. Zeigt sich doch bei manchen Lokomotivführern mit zunehmenden Aller ein eigentümliches Leiden, das durch das unsichere Stehen auf der sogenannten Tenderbrücke hervorgerufen werden soll.

Auf der Turmspitze der St. Paulskirche in Neuyork

Selbst die Bierbrauerei birgt dadurch, daß sie die Nächstbeteiligten, wie Brauer, Bierfahrer, Wirte, Kellermeister usw., zu starkem Biergenuß verleitet, gewisse Gefahren in sich, die hier und da durch Herzerkrankungen zum Ausdruck kommen.

Noch einmal aber sei betont, daß das größte Uebel bei den Berufen, die mit gewissen Fährlichkeiten verknüpft sind, immer wieder das Vertrautsein mit der Gefahr und das Vergessen der notwendigsten Vorsichtsmahßregeln bildet.

Ein eklatantes Beispiel dafür liefern die Rangierarbeiter auf den Bahnhöfen, die, wenn sie tödlich verunglücken, in den weitaus meisten Fällen sich dies selbst zuzuschreiben haben, weil sie infolge der laugen Gewohnheit immer wagehasiger werden und schließlich selbst jene Vorsichtsmaßregeln außer acht lassen, die ihnen bei schwerer Strafe vorgeschrieben sind.

Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche.