Wie eine Zigarre entsteht

Der Brauch, zusammengerollte Tabakblätter zu rauchen, stammt von den Indianern und wurde von Spaniern, die mit Kolumbus den Seeweg nach Ostindien suchten, bei den Eingeborenen der Insel Guanahani zuerst wahrgenommen.

Die Wilden nannten diese Krautrolle, „Tabaco“, die Bezeichnung wurde von den Spaniern übernommen. Geraume Zeit verging, bis sich das Zigarrenrauchen in Deutschland einbürgerte. Der Hamburger Tabakfabrikant Schlottmann war der erste, der im Jahr 1788 eine Zigarrenfabrik ins Leben rief, so daß 113 Jahre seit der Begründung der deutschen Zigarrenfabrikation verflossen sind. Gegenwärtig leben gegen 200 000 Arbeiter und Arbeiterinnen in Deutschland von der Zigarren- und Tabakfabrikation, die dem Staat das hübsche Sümmchen von etwa 60 Millionen Mark einträgt. Die Entstehung einer Zigarre zu beobachten, ist gewiß für alle Raucher und – Raucherinnen von großem Interesse.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

In geräumigen Kellern erblicken wir zunächst in unabsehbaren Reihen in hohen Stapeln, Ballen und Kisten das zum Handbedarf aus den Speichern übergeführte köstliche Kraut im Rohzustand. Gar mannigfaltig ist die Art und Weise der Verpackung; fast jedes Produktionsland hat seine eigene Manier: Kuba· und Havannatabake sind in riesigen Palmblättern verpackt und die Ballen, Seronen genannt, mit Leinwand umhüllt. Die einzelnen Pflanzen sind in zierliche Bündel gefaßt, die man Malotten nennt. Sumatra verwendet Binsenmatten, Brasilien Leinenballen, Mexiko zieht Bastmatten vor, während die Seedleaftabake in großen Holzkisten in Versand gelangen. Die aus den kolumbischen Staaten kommenden Carmentabake sin sogar in Büffelhaut verpackt – ein Beweis, daß Büffelhaut dort niedriger im Preis steht als Packleinwand.

Eine Tabakschneidemaschine

Um die spröden Blätter zur Bearbeitung geschmeidig machen, ist eine Anfeuchtung notwendig. Diese geschieht im Feuchtraum, wo die einzelnen Bündel mit klarem Wasser behandelt werden. Nach der Anfeuchtung, die 24 bis 36 Stunden beansprucht, nehmen große Zinkkasten die Blätter zum „Durchliegen“ auf. Die Zinkkasten tragen die Namen der einzelnen Marken. Die Krone aller Tabake ist der Havanna- und Kubatabak. Der deutsche Zigarrenfabrikant gebraucht aber je nach Zweck seines Fabrikats die Produkte fast aller tabakbauenden Länder, z. B. Mexiko, Nord- und Südamerika, Ost· und Westindien, wie auch unsere vaterländischen Gewächse. Zum Teil werden auch australische (Neu-Guinea) und deutschafrikanische Tabake verarbeitet.

In der Tabakfeuchterei

Die Zigarre besteht aus drei Bestandteilen: Einlage, Umblatt und Deckblatt. Die größeren und gutfarbigen Blätter finden als Deckblatt, die größeren, aber nicht gutfarbigen als Umblatt und die kleineren als Einlage Verwendung. Mit peinlichster Vorsicht und nur von geübten Arbeiterinnen wird das am höchsten bewertete Deckblatt entrippt, und sorgfältig giebt man darauf acht, daß ja keins von den Blättern beschädigt und somit zum Umblatt degradiert wird. Die durch Entrippen entstehenden beiden Hälften des Deckblattes werden aufeinandergeschichtet und leicht gepreßt, worauf sie zu den Zigarrenmacherimen wandern. Die Ansicht ist allgemein verbreitet, daß der schwere oder leichte Charakter einer Zigarre von der dunkleren oder helleren Farbe des Deckblatts abhängt. Aber diese Ansicht ist irrig Denn der Wickel (d. h. Einlage und Umblatt) bedingt die Schwere der Zigarre, und nicht das Deckblatt, dass nur den Zweck hat, den Wickel zu umhüllen, und das die verschiedensten Farbennuancen aufweist.

In der Tabakfabrik – Wie der Tabak gesponnen wird

Viel schneller geht die Zurichtung des Umblatts und das Entrippen der Einlage vor sich. Damit es der späteren Zigarre nicht an der nötigen Luft fehlt, ist es erforderlich, die Einlage abzutrocknen. Dieses Geschäft wird von Einlagetrockenapparaten besorgt, die mit Exhaustoren versehen sind und durch einen elektrischen Motor in Thätigkeit gesetzt werden.

Deckblattzurichter, Sortierer, Wickel- und Zigarrenmacher sind in zahlreichen, hohen, nach Norden gerichteten, mit Oberlicht versehenen Sälen untergebracht. Einen überwältigenden Eindruck gewähren diese Säle namentlich des Abends, wenn sie vom elektrischen Licht durchflutet sind. Gegen zweitausend Arbeiterinnen regen auf unserm Bild unter Aufsicht von Meistern und Meisterinnen ihre fleißigen Hände. Die Tracht der Arbeiterin ist überaus kleidsam und zugleich praktisch eine weiße und durchweg saubere Latzschürze, auf dem Kopf ein zierliches schneeweißes Häubchen, das bei den jugendlichen Arbeiterinnen unter 16 Jahren rote, bei den verheirateten Frauen schwarze Streifen aufweist. Vier verschiedene Arten von Verarbeitung des Tabaks kommen hier zur Anwendung. Von diesen gilt als die vornehmste, zu der auch, dem Wert der Fabrikate entsprechend, nur die edelsten Blätter verwendet werden, die Havanneser Handarbeit.

Im grossen Galeriesaal einer Zigarrenfabrik – Handarbeiterinnen beim Zurichten, Sortieren und Wickeln der Zigarre

Die mit dieser betrauten Arbeiterinnen, die ganz besonders geschickt sein müssen, verfertigen aus zusammengerollten breiten Blättern den „Wickel“, der sofort nach der Fertigstellung mit dem entsprechend geschnittenen Deckblatt überrollt wird. Bei der zweiten Art der Handarbeit arbeiten sich die gegenübersitzenden Mädchen in die Hände. Der ebenso wie bei der ersten Manier hergestellte Wickel wird vor der Ueberrollung des Deckblattes in ziemlich steifes Wickelpapier geschlagen und kann, dadurch bis zum Einrollen zusammengehalten, nunmehr von der zweiten Arbeiterin überrollt werden. Die dritte neuere Art ist die sogenannte imitierte Handarbeit, wo der Wickel in eine eigenartig konstruierte Form fassoniert wird. Die vierte Art schließlich ist die Herstellung mit Hilfe hölzerner Wickelformen. Die Spitzen der Zigarren werden mit Gummitragant zugeklebt. In allen vier Methoden, die man bei Verarbeitung des Tabaks anwendet, werden weit über 100 Fassons gefertigt. Wie jedem Raucher bekannt ist werden die Zigarren zu 25, 50, 100, 200 oder 500 in Kistchen verpackt. Bevor man jedoch zur Verpackung schreitet, ist es notwendig, die verschiedenen Marken nach Farben zu sortieren.

In der Tabakfabrik – Wie der Tabak gerollt wird

Das Sortieren geschieht zunächst nach fünf Hauptfarben: ) claro (ganz hell), 2) colorado clato (weniger hell), 3) colorado (mittel), 4) colorado maduro (dunkel), 5) maduro (sehr dunkel). Um aber ein Kistchen mit 100 völlig gleichfarbigen Zigarren zu füllen, ist eine Auswahl von 15-20 000 Stück notwendig, da vom hellen Gelb bis zum tiefen Schwarz ungefähr 150 Farbennuancen innerhalb der fünf Hauptfarben vorhanden sind Die Zigarren werden mit den bekannten Seidenbändern gebündelt und gewisse feinere Sorten mit dem beliebten Zigarrenring versehen.

Alsdann werden die Bunde in einzelne kleine Kisten verpackt, die so viel niedriger angefertigt sind, daß die Zigarren etwas über den Rand der Kiste hinausragen, um dann langsam und mit aller Vorsicht, damit das zarte Deckblatt auf keine Weise beschädigt wird, von oben nach unten gepreßt zu werden.

Verarbeitung des Tabaks – Austeilen und Aufmachen des Zigarrendeckblatts

Wenn sie mehrere Tage unter der Presse gestanden haben, erhalten die Zigarren dadurch die allgemein beliebte kantige Form.

In weiteren Räumen sind die Tischlerei, Druckerei, Lithographie, Schlosserei und Schleiferei untergebracht. Werfen wir nun einen Blick auf die Fabrikation der kleinen Zigarrenkisten, die ebenfalls hier betrieben wird.

Verarbeitung des Tabaks – Herstellung des sogenannten Wickels und Ueberrollen des Deckblattes

Das bei der Herstellung der Kisten zur Verwendung kommende Holz ist sehr verschieden. Für die besseren Sorten nimmt man gewöhnlich kubanisches Zedern-, für die minderwertigen Elsen- oder russisches Erlenholz. Mit erstaunlicher Schnelligkeit sehen wir die zierlichen Kisten vor unsern Augen entstehen. Sehr sinnreich konstruierte und von Männern bediente Maschinen besorgen mit großer Genauigkeit das Heften und Nageln der Fourniere, sowie das Aufdrücken der Marke auf die Kistendeckel.

Die fertige Zigarre – Das Leimen und Bekleben der Zigarrenkisten zum Versand

Geschäftige Arbeiterinnen übernehmen alsdann die so weit hergestellten Kisten, um deren Ränder mit Papierstreifen zu bekleben, den Deckel mit Leim und Schirtingstreifen zu befestigen, das Deckelbild auf der inneren Seite anzubringen, kurz, die kleinen Zigarrenkisten so weit herzustellen, wie sie allgemein bekannt sind und wie sie sich jedermann beim Verkauf darstellen.

Einen besonderen Betrieb innerhalb der Tabakfabrikation bildet die Herstellung des Kautabaks (vgl. die Abbildungen ). Durch besondere Schneidemaschinen werden die Tabakblätter zerschnitten, um dann in den Spinnraum zu wandern, wo sie von flinken Händen gesponnen werden. In großen Rollen, die einzeln zusammengebunden werden, kommt der Kautabak dann zum Versand.

Oskar Meyer-Elbing.

Dieser Artikel erschien zuerst am 15.04.1901 in Die Woche.