George Fosbery Lyster † und die Entwicklung des Hafens von Liverpool

Abbildg. 1 - Lageplan

George Fosbery Lyster, der am 11. Mai d. J. infolge einer Lungenentzündung im Alter von 77 Jahren in London verstarb, ist ein Ingenieur dahin gegangen, dessen Name unzertrennlich verknüpft ist mit der Entwicklungs-Geschichte des Hafens von Liverpool, dessen Ausbau ihn in 36jähriger, unermüdlicher Thätgkeit beschäftigt hat.

Am 7. Sept. 1821 in Mount Talbot in Irland geboren, widmete er sich frühzeitig dem Ingenieurfache und wurde ein Schüler des damals auf der Höhe seiner Bedeutung stehenden Ingenieurs Rendel, unter dessen Leitung er eine Reihe von Jahren gearbeitet hat, z. Th. auch bei dem Bau von Eisenbahnen. Seine Hauptthätigkeit lag jedoch auf dem Gebiete des Wasser- und namentlich des Seehafen-Baues. So war er 6 ½ Jahre beim Bau des von der Regierung ausgeführten Hafens von Holyhead unter Rendel, sodann später auf Guernsey, zuletzt in leitender Stellung thätig. Seine Vorbildung befähigte ihn also ganz besonders zur Ausfüllung der Stelle eines leitenden Ingenieurs für den Hafen von Liverpool, in welche er unter 70 Bewerbern im Jahre 1861 von dem „Mersey Docks and Harbour Board“ berufen wurde. Gleich seinem Vorgänger Jesse Hartley hat er diesem Amte 36 Jahre bis 1897 vorgestanden. Sein Sohn, der schon länger unter ihm gearbeitet hatte, folgte ihm.

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Liverpool verdankt seine Entwicklung einerseits seiner günstigen geographischen Lage und andererseits dem industriereichen Hinterlande und der Nähe der Kohlen- und Erzbezirke von Nord-England und Wales, mit denen es in guter Eisenbahn- und Kanalverbindung steht. Im Jahre 1800 liefen im Hafen von Liverpool 4746 Fahrzeuge mit zus. 450 060 Reg.-Tonn. ein, 1861 beim Antritt Lyster’s 21 095 Schiffe mit zus. 5 Mill. Tonn. 1896 war dieser Tonnengehalt bei nur etwas grösserer Schiffszahl auf 11 Mill. gestiegen. Während jedoch noch 1861 Schiffe von 800-1000 t die Regel bildeten, können nunmehr Schiffe von 8-10 000 t in kürzester Frist in den Docks löschen, die mit allen Einrichtungen zur Beschleunigung der Ent- und Beladung ausgerüstet sind. Die jährlichen Einnahmen aus den Hafenanlagen von Liverpool beliefen sich 1800 auf noch nicht ½ Mill. M., 1889 auf fast 20 Mill., Ende 1896 auf etwa 28 Mill. M.

1708 wurde das erste Dock im Hafen von Liverpool hergestellt, jetzt bedecken die Dockanlagen allein auf dem rechten Mersey-Ufer eine Fläche, die sich in 213-670 m Breite auf etwa 10 km Länge am Flussufer hinzieht. In dem beigegebenen Lageplan ist nur die südliche, stromauf gelegene Hälfte dargestellt. Hierzu kommen noch die ausgedehnten Anlagen am linken Ufer in Birkenhead, die anfangs als Konkurrenz-Unternehmen gegründet, seit 1858 unter einer Verwaltung mit den Liverpool-Docks vereinigt sind. Als Lyster 1861 sein Amt antrat, bedeckten die gesammte Wasserfläche der Docks 138, bei seinem Abgang 210 ha, während die Gesammtfläche des zu den Dockanlagen gehörigen Geländes nicht weniger als 652 ha umfasste. Die Docks bieten eine Kailänge von über 56 km Länge dar, während die Bodenfläche der Speicher und Schuppen etwa 61 ha beitrug. Gegen 400 Mill. M. sind unter Lysters Leitung in den Hafenanlagen verbaut worden.

Abbildg. 1 - Lageplan
Abbildg. 1 – Lageplan

Seine Thätigkeit erstreckte sich auf den Ausbau und die Umgestaltung der vorhandenen Anlagen sowohl auf dem rechten, wie auf dem linken Ufer, die bessere Ausrüstung derselben, Schaffung tieferer Einfahrten, namentlich aber auf die Neuanlagen am stromab gelegenen Nordende des Hafengeländes, unter denen das Alexander Dock mit seinen ausgedehnten Getreidespeichern die erste Stelle einnimmt, und diejenigen des Herculaneum-Docks mit seinen Nebenanlagen am Südende stromauf gelegen. (Vgl. Lageplan.) Letzteres ist namentlich durch die eigenartige Anlage zweigeschossiger Schuppen bekannt geworden, deren Krahne auf dem Schuppendach laufen, die Kaifläche also gar nicht berühren. Wesentlich waren auch die Arbeiten auf dem linken Ufer in Birkenhead. Der ursprüngliche Plan zu diesen Hafenanlagen rührte von Rendel her, hatte aber schon durch John Hartley, den Sohn von Lyster’s Vorgänger in Liverpool, erhebliche Abänderungen erfahren. Lyster lag der Ausbau der unvollendet gebliebenen Anlagen ob, die er ausserdem durch Schliessung des anfangs als offenes Becken hergestellten Wallasey-Docks wesentlich umgestaltete. Ganz besondere Aufmerksamkeit wendete Lyster auch der Ausrüstung der Hafenanlagen zu, die er mit Schuppen und Lagerhäusern aller Art, sinnreich konstruirten Krähnen und Entladevorrichtungen für Kohle und Getreide, Petroleum-Tanks, Trockendocks und ausgedehnten Viehhöfen ausstattete, welch’ letztere etwa 9 ha inanspruch nehmen und 8000 Stück Rinder und ½ Mill. Schafe beherbergen können.

Eine besondere Schwierigkeit erwuchs den Dockanlagen, namentlich als man zur Schaffung tiefer Einfahrten schritt, deren Schwellen unter Niedrigwasser liegen, daraus, dass der Mersey grosse Massen feinen Sandes mitführt, die sich im stillen Wasser niederschlagen und sich namentlich in dem Vorbecken, welches die Einfahrt zu dem Canada-, Langton-, Alexander- und Hornby-Dock am Nordende des Hafens bildet, sich regelmässig in grossen Mengen ansammeln. Lyster hat hier ein umfangreiches System von Spülkanälen angelegt, welche mit Ueffnungen sowohl seitlich aus den Kaimauern der Einfahrt und des Vorbeckens, wie auch von unten aus der mit einer Betondecke versehenen Sohle der letzteren austreten und bei Niedrigwasser in Thätigkeit gesetzt werden, wobei sie das Spülwasser aus den dahinter gelegenen Docks entnehmen.

Es ist mit diesen Spülkanälen, deren Kosten allerdings sehr erhebliche sein müssen, gelungen die Einfahrt stets frei zu halten. Die Meinungen der maassgebenden englischen Ingeniereure über den Werth dieser Anlage, namentlich mit Berücksichtigung der hohen Kosten sind übrigens sehr getheilt und gehen z. Th. dahin, dass sich das gleiche Ergebniss auf billigere Weise durch Baggerung würde haben erzielen lassen.

Eine ähnliche Spülanlage, die ebenfalls die gewünschte Wirkung erzielt hat, ist hinter der grossen Landebrücke angebracht, die vor dem Princes- und Georges-Dock liegt. Diese auf Pontons ruhende Brücke, die sowohl dem Fährdienste auf dem Flusse, wie dem Anlegen der grossen, transatlantischen Personendampfer dient, hat eine Länge von nicht weniger als 750 m bei etwa 25 m Breite und ist durch eine Reihe von Fussgängerbrücken, sowie auch eine Fahrbrücke mit dem Ufer verbunden.

Wie der Lageplan, Abbildg. 1, zeigt, liegt oberhalb dieser Landebrücke am Ufer eine ausgedehnte Sandbank, die wohl hauptsächlich infolge der Ablenkung des Ebbestroms nach dem linken Ufer durch die Felsspitze Dingle Point dicht oberhalb Liverpool entstanden ist und sich ziemlich unverändert erhält, während im übrigen der sich gegenüber dem Zentrum Liverpools bis auf etwa 914 m verengende Flusschlauch des Mersey durch den Ebbestrom, der bei Springtiden mit einer Geschwindigkeit von 6-7 Knoten in der Stunde ausläuft, stets in ausreichender Tiefe erhalten wird, die dicht oberhalb Liverpools bei Niedrigwasser Spring Tide 12,19 m, an der Mündung bei New Brighton 21,34 m beträgt. Diese starke Wirkung des Ebbestroms verdankt Liverpool der eigenthümlichen Gestalt des Mersey, der sich unmittelbar oberhalb Liverpools zu einem 3-5 km breiten, flachen Becken verbreitert, das bei Fluth ungeheure Wassermengen aufnimmt, also wie ein grosses Spülbecken wirkt.

Die schon erwähnte Sandbank – Pluckington Bank – genannt, schob sich nun von 1878 an mit ihrem Nordende so unter die Landebrücke, dass diese z. Th. bei N.W. auf das Trockne gesetzt und unbrauchbar wurde. Da eine Verlegung ausgeschlossen war, griff Lyster auch hier zu einem Spülkanalsystem, das in Abbildg. 2 und 3 dargestellt ist. Die gute Wirkung dieser Anlage ist in dem Querprofil, Abbildg. 2, deutlich ersichtlich.

Abbildg. 3 - Schnitt durch das Haupt eines Spül-Kanals
Abbildg. 3 – Schnitt durch das Haupt eines Spül-Kanals
Abbildg. 2 - Querschnitt durch die Lande-Brücke und die Spül-Kanäle
Abbildg. 2 – Querschnitt durch die Lande-Brücke und die Spül-Kanäle

Einen weit gefährlicheren Feind als diese Sandbank, die zwar einen Theil der alten Dockanlagen bei niedrigen Wasserständen für grössere Schiffe verschloss, wobei jedoch nach Schaffung der neuen südlichen Docks ausserhalb des Bereiches dieser Bank wenn auch auf Umwegen jedes dieser alten Docks stets zugänglich blieb, besass aber Liverpool in der grossen Barre vor der Mündung des Mersey, die bei den niedrigsten Wasserständen bei Springtiden nur 3 m Wassertiefe aufwies, sodass also tiefergehende Schiffe nur bei höheren Wasserständen ein- und auslaufen konnten. Die Beseitigung dieses Uebelstandes war bei den stetig gesteigerten Ansprüchen an die Schnelligkeit unserer überseeischen Dampfer für die Bedeutung Liverpools als Seehafen eine Lebensfrage. Trotzdem ist man erst nach 1890 an die Beseitigung der Barre durch Baggerung ernstlich herangegangen, nachdem zunächst durch Versuchsbaggerungen die Möglichkeit erwiesen war, eine offene Rinne zu halten. Es wurde ein kolossaler Saugebagger konstruirt und in Thätigkeit gesetzt, der in ¾ Stunden 3000 t Sand beseitigt. Die Kosten für 1 t betragen dabei nur 12 ½ Pfg. Es ist jetzt auf der Barre ein Kanal von 457 m Breite und 7,3-8,5 m Mindesttiefe bei N.W. geschaffen.

Lyster hat seine Thätigkeit fast ausschliesslich dem Hafen von Liverpool gewidmet und ist, wie die Mehrzahl der bedeutenden englischen Ingenieure auch als Fachschriftsteller nicht hervorgetreten. Seine einzige Schrift ist die Wiedergabe eines in der Institution of Civil Engineers, deren Mitglied er seit 1858 war, über die Hafenanlagen in Liverpool von ihm gehaltenen Vortrages, der in den „Minutes of Proceedings of the Institution of Civil Engineers“ 1890 veröffentlicht ist. Diese Veröffentlichung bietet grosses Interesse, da sich fast alle namhaften englischen Wasserbauingenieure an der anschliessenden Besprechung betheiligten und namentlich die verschiedenen Ansichten über die künstliche Spülung, Wirkung von N.W.-Leitdämmen oder Baggerung zum Ausdruck kommen.

Dieser Artikel erschien zuerst am 07.06.1899 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „Fr. E.“.