Gustav von Moser †

Lustspieldichter Gustav von Moser

Der alte Bühnengeneral ist tot! – Er ist von uns gegangen, ohne einen Feind auf dieser Welt zurückzulassen. Dies Geheimnis lag in der Persönlichkeit des seltenen Mannes. Ein ganz eigener Zauber umwob ihn. Seine fröhliche Laune, der nie versiegende Humor, die bestrickende Liebenswürdigkeit, das ritterliche Wesen, dabei freundlich gegen jedermann, hilfreich und gut. Man mußte ihn lieb haben, den alten prächtigen Herrn.

„Gut ist Reichtum, ist Ehr
Gut sein – ist doch noch mehr!“

Das war sein Wahlspruch. In unserm rücksichtslosen Ellbogenzeitalter ein gar beherzigenswerter Spruch!

Moser war einer der letzten Grandseigneurs jener fast ausgestorbenen Generation. Ein echter Edelmann aus der Rokokozeit. Alle seine großen Vorzüge und kleinen Schwächen entstammten daraus, und gerade letztere machten ihn so unendlich liebenswert.

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Obgleich Moser weit über hundert Stücke geschrieben hat, war er seiner Veranlagung nach nicht fleißig. Er schrieb nur, um den Erfolg seiner Arbeit schnell in Vergnügen umzusetzen. Ein Lebenskünstler, ein Löwe der Galanterie wurde er oft genannt. Doch dann blickte er ein Weilchen sinnig vor sich hin und sagte: „Das einzig treffende Wort, das je über mich geprägt ist, hat mein alter Freund Trotha ausgesprochen; Moser, Sie sind und bleiben der ewige Leutnant!“

Lustspieldichter Gustav von Moser
Lustspieldichter Gustav von Moser

Und das kam so. Wir waren vor Jahren von Görlitz zu einer Premiere nach Berlin gefahren. Morgens Generalprobe, dann beim braven Dressel ein Menü, nein, ein Gedicht höchster dramatischer Steigerung in der Speise- und Weinfolge. In rosigster Stimmung erschienen wir in der kleinen Direktionsloge. Je mehr das Publikum lachte, desto reichlicher flossen des Altmeisters Tränen. Das machte er immer so. Fünf Taschentücher waren bereits naß zum Auswinden, das sechste bedeutete den Erfolg. Halb getränkt war es bereits, als langsam letztmalig der Vorhang fiel. Dahinten links im Stehparkett ein Zischen. – Uns gerade gegenüber in einer Loge saßen zwei Herren – sie hatten am Morgen um Billette gebeten – als Quittung dafür schlugen ihre Hände lautlos aneinander, während ihren Lippen ein desto vernehmbareres Zischen entfuhr. – Ich habe den alten Moser oft lachen gehört, so herzhaft nie wieder – er hatte eben Sinn für humoristische Szenen.

Lange nach Mitternacht trennten wir uns von der Bowle und der charmanten Künstlerschar, schüttelten denen ganz besonders warm die Hände, die zum Durchfall unseres Schwanks durch Ueberspielen nach Kräften beigetragen hatten, und wandelten langsam die Linden entlang. Todmüde wollte ich in die Friedrichstraße einbiegen, um im Hotel einen langen Schlaf zu tun, doch der alte Löwe hatte Blut geleckt, winkte eine Droschke heran, und fort ging es in die Berliner Vergnügungen hinein. Damals sagte ich seufzend: „Moser, Sie sind und bleiben der ewige Leutnant!“

Und wie aus dem jungen Leutnant der alte Bühnengeneral geworden ist, das sei hier zum erstenmal erzählt.

Von seinen Ahnen imponierte Moser nur einer, sein Großvater. Der wohnte vor hundert Jahren am Gendarmenmarkt und muß ein gar lustiger Herr gewesen sein, denn in einer glühend heißen Sommernacht lud er das Offizierkorps des Regiments Gensd’armes zu einer Schlittenpartie ein.

Als die Gäste kamen, fanden sie den Markt drei Zoll hoch mit schneeweißem Salz bestreut. Unter Peitschenknall, Fackelschein und Schellengeläut rasten zum Gaudium der Berliner die Schlitten auf dem Markt herum. Ein echter Moserstreich, aber nicht ausgedacht, sondern historisch.

Unser Moser trat mit achtzehn Jahren als Leutnant ins Gardeschützenbataillon und zog 1864 gegen die Dänen zu Felde. Von den großen Gefechten war ihm im Lauf der Zeit fast alles entfallen, nur von einer kleinen Plänkelei fabulierte er gar zu gern. Vor Düppel lag er bei einer jungen Wittib im Quartier. Die schöne Dänin aber wollte von dem verhaßten Feind durchaus nichts wissen, doch der tapfere Gardeschütze „forcht sich nit“, sondern legte Mine nach Mine und lief so lange Sturm, bis ihr Herz kapitulierte. Das war Gustavs erster Sieg auf dem an Erfolgen so überreichen Schlachtfeld der Liebe.

In Görlitz lernte der flotte 5. Jägeroffizier Mathilde von Reibnitz kennen, heiratete und quittierte den Dienst, um voll das eheliche Glück genießen zu können und nebenbei das seiner Gattin gehörige Gut Holzkirch zu bewirtschaften.

Moser war der Mann der kecken Einfälle, ein drolliger Improvisator, ein Lebemann allererster Klasse, aber zum Flachlandbewohner hatte er gar kein Talent. Sich dauernd am häuslichen Feuer zu erwärmen, dazu war er zu vielseitig angelegt. Sich auf Lebenszeit für eine Frau, selbst für die eigene, zu begeistern, das war bei seinem lebhaften Temperament einfach ein Ding der Unmöglichkeit. Die Flitterwochen verrauschten, der Schloßherr gähnte und sehnte sich mit glühender Seele hinaus aus der reinen Landluft ins Brodeln der Großstadt.

Doch Frau von Moser war eine kluge Dame und kannte ihren Gustav. Urlaub gab’s nicht, wenigstens nicht ohne gewichtige Gründe. Bald zogen bei ihr selbst die durch Eilboten bestellten Depeschen nicht mehr, die den Gatten ans Sterbebett eines fidelen, in die Geheimnisse der Ehe eingeweihten Kameraden riefen. Es war eben einfach nichts zu machen.

Tief bekümmert klagte Gustav der Treue einem Nachbar sein Leid. Der Herr züchtete Fetthammel, um zur Ausstellungszeit einige lustige Tage fern von den Seinen zu verleben. Fetthammel, das wäre Plagiat gewesen. Moser versuchte es also mit Mastochsen, wurde auch mehrfach prämiiert, jeder Preis kostete aber enormes Geld, und vor allem, wie lange dauerte es, bis so ein Ochse sich kugelrund gefressen hatte.

Um Holzkirch herum tobte Krieg im Frieden. Ein einstiger Kadettenkamerad, ein echter Veilchenfresser, kam zu Moser ins Quartier. Ihm schüttete er sein Herz aus. Der junge Stratege dachte einen Moment nach: „Du hast ja im Korps bereits gedichtet, schreibe doch!“ Und Gustav kaufte das Papier zentnerweise und schrieb, schrieb immer lustig drauf los, mochten seine Stücke gefallen oder durchfallen, Proben und Aufführungen waren die Hauptsache. Im lieben Görlitz zur Winterzeit, im idyllischen Warmbrunn zur Hochsaison, da wurden die Lustspiele erprobt und dabei sich tüchtig ausgetobt, dann eine kurze Erholung in Holzkirch, und es ging heidi nach Berlin.

Anfangs gab Frau von Moser nur zögernd ihre Einwilligung zu solchen Kraftproben, als jedoch der reiche Goldregen sich über ihr Haus ergoß, war der Bann gebrochen. In wenigen Jahren gelang es Moser, sich das Ehrenbürgerrecht an sämtlichen Bühnen der Reichshauptstadt zu erwerben. Der flotte Leutnant a. D. war schnell zum berühmten Bühnengeneral avanciert. –

1893 weilten wir wie alljährlich in Karlsbad. Der Spätnachmittag war hereingebrochen, wir wanderten langsam den Vieruhrweg hinauf. Die Vögel sangen so laut, als wollten sie Glinkas Lied „Ich liebe dich“ übertönen. Durch die Bäume und Büsche zog der Abendwind wie ein leises, großes Rauschen; Flieder und Rosen dufteten gar lieblich; fernab lagen alle kleinlichen Erdensorgen. Plötzlich hielt Moser in seinem nachdenklichen Wandern inne und sagte: „Ich werde kein Jubiläum mehr erleben, eigentlich schade!“

Sein fünfundzwanzigjähriges Dichterjubiläum hatte er hinter sich, ich konnte ihm nicht helfen. Da fiel mir plötzlich ein, daß seit seinem Eintritt als Leutnant in die Armee am 15. September 1893 genau ein halbes Jahrhundert verflossen war. Ich arrangierte also sein fünfzigjähriges Leutnantsjubiläum.

Caprivi, der damals Kanzler und zufällig mit uns im „Goldenen Löwen“ abgestiegen war, versprach mir, dem Jubilar eine militärische Auszeichnung an Alllerhöchster Stelle zu erwirken. Doch als der Tag gekommen, war der General nicht mehr der Erbe des großen Bismarck. Mein lieber alter Freund mußte weiter der ewige Leutnant bleiben. Unter Kameraden ist das egal, da von oben nichts geschah, mußte etwas von unten geschehen. Beim Festessen war der Jubilar soeben „Jubelgreis“ tituliert worden, ein fürchterliches Wort, bei dem er jedesmal erschauerte. Ich erhob mich also, klopfte ans Glas, protestierte energisch gegen eine solche Verhöhnung des vielgeliebten Meisters und schlug vor, Moser in Anbetracht seiner exzellenten Leistungen und verdienste „um dies und das und noch etwas“ Exellenzchen zu titulieren.

Und „mein Exellenzchen“ ist er geblieben – bis zuletzt.
Wo weilt er jetzt?

Er glaubte fest an die Seelenwanderung, schwor darauf, unter anderm bereits einmal als englischer Lord auf der Welt gewesen zu sein, beschrieb genau die Stelle, wo er im Tower einer Liebschaft mit einer Königin wegen enthauptet worden ist. Ohne ein Liebchen ging’s bei ihm eben nicht. Darum hatte er auch den glühenden Wunsch, nach seinem Tod an der Brust einer schlanken, jugendschönen Mutter ein neues Leben beginnen zu dürfen.

Möge sein Wunsch in Erfüllung gehen, oder wenn nicht, ihm wenigstens auf einem Liebesstern ein Weiterleben beschieden sein, wo er in ewiger Jugendfrische dichten und minnen kann.

Und nun zum Schluß mag er selbst noch einmal zu Worte kommen. Seine letzten Zeilen an mich lauten:

„Nicht böse sein, lieber Capitano, es geht nicht mehr mit der Schreiberei. Mein kleiner Sekretär hat die schönsten Beine der Erde, aber auch dafür habe ich ein Gefühl völliger Wurschtigkeit, nun werden Sie mir doch glauben. Es ist eben aus, ganz aus. Ich kann nichts essen, die Ischias hindert mich am Gehen, und so sehe ich meinem Ende in aller Ruhe entgegen. Leben Sie wohl, Capitano, und gedenken Sie, auch wenn ich nicht mehr bin Ihres alten G. v. Moser.“

Ich hatt’ einen Kameraden, einen bessern find ich nicht –

Dieser Artikel von Thilo von Trotha erschien zuerst in Die Woche 44/1903.