Beim Prinzen Emil von Schoenaich-Carolath

Nicht weit von Ottensens lindenumrauschtem Dichtergrab liegt hinein ins Holsteiner Land ein alter Herrensitz: Haseldorf, das Heim des Dichters Prinz Emil von Schoenaich-Carolath. Aus Buchenwipfeln heraus grüßt das helle, schrägbedachte Herrenhaus mit seiner breiten, niedrigen Front und dem dicht über dem Erdgeschoß aufsteigenden Giebel. Der schlichte, charakteristische Stil des Gebäudes weist in eine vergangene Zeit, als noch die Menschen den Raum gering achten durften und sich mit ihren Heimstätten auf der eigenen Scholle behaglich ausdehnen konnten.

Von der bekiesten Anfahrt leitet die breite Freitreppe zu der durch zwei weiße Säulen begrenzten Hausthür empor. Im Erdgeschoß ein tiefes Gemach mit Waffen, Bücherschränken und Kunstblättern stellt des prinzlichen Dichters Arbeitstätte dar. Es atmet ganz seine Persönlichkeit und die Erinnerungen seines Lebens. Zwischen Ahnenbildern und der dunkelgetönten Fläche eines Lukas Cranach sieht man Jagdtrophäen: prächtige, von des Prinzen Büchse zur Frühlingszeit aus den Wipfeln der Tiroler Berge heruntergeholte Auerhähne und einige im heißen Afrika erlegte Adler, die in der kühleren Luft des norddeutschen Herrenhauses zu frösteln scheinen. Unwillkürlich wendet sich der Blick des Besuchers dem Schreibtisch zu: kein Riesenmöbel modernster Dichter in unförmigen Dimensionen, harmonisch fügt er sich mit Form und Größe zum Ganzen.

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Hier arbeitet, denkt Emil Carolath. Und Konrad Ferdinand Meyers ernste Züge schauen aus einer Photographie der letzten, die von ihm gefertigt wurde, den jüngeren Dichter an und mahnen ihn, von den trockenen Gutsakten hin und wieder zum Parnaß den Pfad zu finden, den er leider viel zu wenig jetzt beschreitet. Den genialen, Menschensatzungen verlachenden Dichter der „Sphinx“ wandelte das Leben zu einem Fanatiker der Pflicht, der, seit der Besitz und die Verwaltung des großen Güterkomplexes Haseldorf, Haselau und Hellingen ihm durch Erbschaft zufiel, in der geliebten Kunst nicht mehr den Zweck, sondern nur den Schmuck, in ihrer Ausübung die Feierstunden seines Lebens sieht. Und doch liegt in dieser hohen, über schlanken Gestalt, den durchgeistigten Zügen und den gedankenvoll schwärmerischen, blauen Augen so gar nichts vom nüchtern wägenden Landmann, so viel vom Künstler.

Emil Prinz von Schoenaich-Carolath im Kreise seiner Familie

Emil Prinz von Schoenaich – Carolath wurde am April 1852 zu Breslau als der Sohn des Prinzen Karl und dessen Gemahlin Prinzessin Emilie geb. von Oppen – Schilden geboren. Aus der Kindheit schimmert ihm hoch die Erinnerung an den greisen Holtei herüber, der viel in das prinzliche Haus kam. Dann gab seine hochbedeutende Mutter seinem jugendlichen Geist Richtung und Farbe. Sie wies den vom musikalischen und feinsinnigen Vater in die Schönheiten der Tonkunst frühzeitig eingeführten Knaben auf den Gleichklang und Rhythmus der Worte, den Wohllaut der Sprache hin und füllte die jugendliche Seele mit Begeisterung für alles Hohe und Schöne. Noch andere Einflüsse machten sich geltend. Gesundheitliche Rücksichten zwangen das prinzliche Elternpaar, das nur wenige Jahre später schon der Tod hinwegraffte, mehrere Winter im Süden zu verbringen. Venedigs zauberhafter Reiz, umwoben von dem sagenhaften Dämmerschein einer ruhmvollen Vergangenheit, wirkte stark auf das empfängliche Gemüt des Knaben. Später besuchte er das Gymnasium in Wiesbaden, hörte in Zürich die Vorlesungen bei Scherr und Kinkel und verkehrte in den dortigen litterarischen Kreisen. Dann trat er in ein im Elsaß garnisonierendes Dragonerregiment. Doch die enge Uniform, der strenggeregelte, trockene Soldatenberuf boten auf die Dauer dem genial veranlagten jungen Prinzen nicht das, was er im Leben suchte. Er ließ sich à la suite stellen und unternahm ausgedehnte Reisen nach Aegypten, Kleinasien und Tunis, deren Wiederschein man in „Fathüme“ und andern seiner Lieder spürt.

Prinz Schoenaich-Carolath auf Jagt

Und als er sonnengebräunt, ein gereifter Mann, heimkehrte, da fühlte er, daß er nun und nimmer mit dem durch das Studium fremder Welten geweiteten Blick noch in den engen Rahmen des blinden Gehorsam fordernden Offizierstandes passe. Die Liebe zum Reisen, zur Natur und den Wundern der Fremde kam mit hinzu. Er sagte dem Soldatenberuf endgiltig Valet und lebte für Jahre im Süden. Dort lernte er auch seine Gemahlin, Prinzessin Katharina, geb. von Knorring, kennen und lieben, mit der er seit 1878 in glücklicher Ehe lebt. Sechs Kinder sind ihr entsprossen. Ihre trippelnden Füßchen füllen das alte Herrenhaus wie den weiten Part mit fröhlichem Leben.

Ein tiefes Gemach im oberen Stock hat sich Prinzessin Katharina zum Wohnraum gewählt. Wenn man diese schlanke, jugendliche Frauengestalt mit den zarten Zügen und der anmutig elastischen Haltung sieht, wagt man sie kaum für die Mutter der stattlichen Kinderschar zu halten.

Prinz Emil Carolath hat jetzt, seit etwa zwei Jahren, seinen Wohnsitz endgiltig auf dem schönen Haseldorf aufgeschlagen. Hier lebt der Dichter in ländlich idyllischer Einsamkeit, nur seiner Familie und den vielseitigen Pflichten des Gutsherrn. Oft freilich unterbricht der Besuch eines Freundes oder Bekannten aus früherer Zeit die Stille. Wieviel fruchtbare Anregung nimmt jeder von dem Aufenthalt im Dichterhaus mit sich heim! Es ist erstaunlich, wie nahe Prinz Carolath in seinem weltfernen Erdenwinkel allen bedeutenden Ereignissen der Neuzeit steht. Auf jedem Gebiet, ob es künstlerischer, wissenschaftlicher, sozialer oder politischer Art ist, zeigt er sich daheim. Er weiß neben der reichen Arbeitslast, die sein Besitz auf seine Schultern häuft, sich trotzdem Zeit für das Studium der Gegenwart zu schaffen.

Emil Prinz von Schoenaich-Carolath im Kreise seiner Familie

Vor mehr als zwanzig Jahren sandte Emil Carolath seine ersten Poesien „Lieder an eine Verlorene“ in die Welt. Ihnen folgte 1881 die melancholische Novelle „Tauwasser“, die den Dichter auch als meisterhaften Beherrscher formenschöner Prosa zeigt, dann 1883 die wohl weltberühmten „Dichtungen“. Nachdem der Dichter 1884 noch eine Novellensammlung: „Geschichten aus Moll“ hatte erscheinen lassen, ruhte seine Feder fast neun Jahre hindurch. Im Jahr 1895 gab er dann die vermehrte Folge seiner „Dichtungen“ heraus, die von gereiftem Können und vertiefter Kunst zeugen. Unter den neuhinzugefügten Stücken heben sich „Don Juans Tod“ und „Judas in Gethsemane“ hervor: eigenartig geschaute, mit Kraft und Schönheit ausgestaltete, genial gelöste Probleme. Von einer Anzahl Novellen, deren einige 1896 zu einem Band vereinigt herauskamen, seien der „Heiland der Tiere“ und „Adeliger Tod“ genannt.

Eine wundervoll persönliche Note schwingt in Emil Carolaths dichterischem Schaffen, die kein künstlerisch empfindsamer Mensch vergessen kann, wenn er sie einmal vernahm. Aus jeder Zeile und Wendung atmet eine Persönlichkeit, die einzig und in sich festgeschlossen dasteht. Der eigene, unvergleichliche Zauber, der schon durch seine Jugendlieder zitterte und die litterarischen Kreise damals sofort auf dies große Talent aufmerksam machte, gewann immer mehr an Intensität und rinnt als die Essenz seines Ichs in allen seinen Werken.

Seit 1896 dringen leider nur noch vereinzelt Lieder von dem Dichter an die Oeffentlichkeit, doch trägt er sich mit dem Gedanken, eine neue poetische Sammlung in einiger Zeit er scheinen zu lassen. Emil Carolath war nie ein Vielschreiber und jetzt mehr als je kargt er mit den Blüten seiner einzigen Kunst.

Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche, er war mit “Hosch” gekennzeichnet.