Wer jemals bei trübem Wetter, bei Sturm und Nebel sich an Bord eines Schiffes befand, das sich vergeblich bemühte, eine schwierige Einfahrt zu finden oder eine gefährliche Stelle zu passieren, der wird niemals das Gefühl der Erleichterung vergessen, das jeden überkommt, wenn es heißt: “Der Lotse ist an Bord”. Der wetterharte Mann übernimmt dann das Kommando über das Schiff mit jener Gelassenheit, die nur die Ueberzeugung vollkommener Sicherheit verleiht.
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Bei allen seefahrenden Nationen wird außerordentliches Gewicht darauf gelegt, einen Stamm zuverlässiger und gut ausgebildeter Lotsen zu besitzen, die in engen, gefährlichen Gewässern an den Küsten, in Strömen und in Häfen das Ein- und Auslaufen der Schiffe leiten.
Nicht selten hält der Laie die Anwesenheit eines Lotsen für überflüssig, namentlich wenn er glaubt, selbst das Fahrwasser übersehen zu können. Der Schiffer selbst aber ist mit Recht anderer Meinung, denn der Lotse übernimmt mit dem Kommando auch sofort jede Verantwortung für die richtige Führung des Schiffes und für seine Sicherheit. Auch der Schiffsführer hat seinen Anordnungen Folge zu leisten, nur die Kommandanten von Kriegsschiffen unterstehen den Befehlen der Lotsen nicht. Wie unbeschränkt die Machtbefugnisse der Lotsen sind, geht wohl am deutlichsten aus der gesetzlichen Bestimmung hervor, daß, wenn bei einem Seeunfall ein Lotse an Bord gewesen ist, bei der Untersuchung festgestellt wird, ob sich der Lotse eine Nachlässigkeit hat zuschulden kommen lassen. Kann eine solche nachgewiesen werden, so kann der Reeder für den Unfall nicht verantwortlich gemacht werden.
Die Lotsen haben die verschiedenartigsten Funktionen, die aus der Natur ihrer Verwendung hervorgehen. Man unterscheidet Seelotsen, Binnen-, Revier- oder Flußlotsen und Hafenlotsen.
Die Seelotsen kreuzen in größeren Lotsenkuttern vor ihren Stationen in See.
Man sieht diese widerstandsfähigen Fahrzeuge oft viele Meilen von der Küste auf hoher See; sie erwarten hier Schiffe, die eines Lotsen bedürfen, und setzen einen solchen dann an Bord.
Die Uebernahme eines Lotsen ist bei stürmischem Wetter häufig mit großen Gefahren verbunden, denn es liegt immer die Möglichkeit vor, daß ein Boot beim Anprall an ein größeres Schiff zerschellen kann. Gerade die Seelotsen müssen ein äußerst hartes Leben führen, die Daseinsbedingungen an Bord eines Lotsenkutters sind keineswegs die angenehmsten; schließlich aber wird dieses Leben den wackeren Leuten auch zur zweiten Natur, sie fühlen sich wohl in der Ausübung ihrer schweren Pflichten. Schon im englischen Kanal oder auf der Doggerbank sieht man die Kutter der Seelotsen, die die Elbe, die Weser und die Ems befahren. Hier draußen versehen sie die Schiffe, die diese Flußeinfahrten gewinnen wollen, mit Lotsen. Die Passagiere merken, wenn die Aufnahme der Lotsen während der Nachtstunden erfolgt, von dem Vorgang gewöhnlich nichts mir am nächsten Morgen sehen sie auf der Kommandobrücke einen fremden Mann, und auf ihre neugierige Frage wird ihnen dann die Auskunft zuteil, daß dieser Mann der Lotse ist.
Ein Passagier raunt dem andern das wichtige Geheimnis zu, und sehr bald ist der Lotse auch der Gegenstand des eingehendsten Interesses, jede seiner Bewegungen wird beobachtet, jede feiner Anordnungen mit scheuer Ehrfurcht verfolgt.
Man erkennt die Lotsenkutter bei uns übrigens daran, daß sie außer der Lotsenflagge in ihrem Großsegel die Bezeichnung “Elbe”, “Weser” usw. führen. Die Kutter kehren erst auf ihre Stationen zurück, wenn sie alle Lotsen an Schiffe abgegeben haben. Sie stechen dann mit den Lotsen sofort wieder in See. Die Binnenlotsen sind an den Einfahrten der Binnengewässer nach See zu stationiert. In den meisten Flußmündungen und Flüssen in Deutschland sowie in England und in den anderen Staaten besteht der sogenannte Lotsenzwang, das heißt, jeder Schiffer ist verpflichtet, einen durch Lotsenschild beglaubigten Lotsen für die Fahrt in oder aus dem Hafen oder bis außerhalb der Flußmündung zu nehmen. Die Tätigkeit der Lotsen wird mit dem Lotsengeld bezahlt. Oft ist der Reeder zur Zahlung von Lotsengeld auch dann verpflichtet, wenn das Schiff die Dienste eines Lotsen gar nicht in Anspruch genommen hat.
Die Tätigkeit der Lotsen ist schwer und verantwortungsreich, und es ist daher leicht zu begreifen, daß man ihrer Ausbildung. und Zuverlässigkeit die größte Aufmerksamkeit zuwendet. Natürlich muß der Lotse sein Fahrwasser ganz genau kennen, sie müssen im Besitz eines Befähigungszeugnisses sein, das sie nach Ablegung einer Prüfung in allgemein nautischen und in besonderen Kenntnissen der Fahrwasser ihres Bezirks erhalten.
Das Lotsenwesen steht in Preußen unter dem Handelsministerium, mit Ausnahme der Jadelotsen, die dem Marinestationskommando der Nordsee unterstellt sind.
Sonst ist die Organisation der Lotsenstationen bei uns noch keine einheitliche; teilweise sind es Aktiengesellschaften, die Lotsen unterhalten, teilweise haben Hafenstädte und Staaten Lotsen als Beamte angestellt. Gewöhnlich steht an der Spitze einer oder mehrerer Lotsenstationen ein Lotsenkommandeur, ein inaktiver Seeoffizier oder Schiffsführer der Handelsmarine, der den Dienstbetrieb der Lotsen zu beaufsichtigen hat und auch die Aufsicht über die Seezeichen seines Bezirks führt; auf kleineren Stationen versieht ein Oberlotse diesen Dienst.
Unter diesen stehen die Lotsen und Lotsenaspiranten, meist hervorragend tüchtige Steuerleute der Handelsmarine.
Von ganz besonderer Wichtigkeit ist die Tätigkeit der Lotsen auf den künstlichen Schiffahrtstraßen. So zum Beispiel im Kaiser-Wilhelm-Kanal und im Suezkanal. In beiden Kanälen besteht natürlich Lotsenzwang, und es ist eine ganz erhebliche Abgabe, die die Schiffe für Benutzung dieser Wasserstraßen zu entrichten haben. Abgesehen davon, daß sich derartige Weltunternehmen – seien sie staatlicher oder privater Natur auch rentieren müssen, ist es keineswegs leicht, namentlich für große Schiffe, die Fahrrinne immer inne zu halten. Deswegen ist hier der Lotse unumgänglich notwendig, weil sonst leicht die Fahrstraße versperrt werden könnte. Natürlich ist es Schiffern sowohl wie Reedern im allgemeinen nicht sehr angenehm, die immerhin bedeutenden Kosten für die Lotsen auszugeben. Wenn man indessen bedenkt, daß durch ungeschickte Führung eines Schiffes Fahrstraßen von der Bedeutung des Kaiser-Wilhelm-Kanals oder des Suezkanals auf längere Zeit hinaus gesperrt werden können, so er scheint eine derartige Maßregel tatsächlich geboten. Häufig sind Lotsen auch auf Fenerschiffen untergebracht, die dann auf Ruderbooten auf die Schiffe übergehen, die ihrer bedürfen.
Es ist immer ein interessantes Schauspiel, ein solches Manöver namentlich bei stürmischem Wetter zu beobachten. Man sieht dann die winzige Nußschale hoch oben auf dem Wellenkamm tanzen, sie verschwindet in der Abgrundtiefe, aber sie nähert sich mit unfehlbarer Sicherheit, bis die Insassen endlich die ihnen hingeworfene Leine ergreifen.
Auch vom Land aus finden fortgesetzte Beobachtungen des Meeres statt, ob Schiffe in Sicht sind, die einen Lotsen an Bord nehmen wollen oder müssen; solche Schiffe haben das durch Signalflaggen anzuzeigen.
Dieser Artikel erschien erstmals 1904 in Die Woche.