Der Kosak und sein Pferd

Die 2. Sotnie (Eskadron) des Orenburger Kosakenregiments

Von Alfons Baron Engelhardt Schnellenstein. – Hierzu 8 photogr. Aufnahmen.
Unter den Nachrichten vom fernen Kriegsschauplatz begegnen uns in letzter Zeit wiederholt kleine Meldungen flüchtiger Gefechte und vereinzelter Zusammenstöße russischer Kavallerie mit feindlichen Truppenteilen: bald ist es die Ueberraschung und Gefangennahme japanischer Offiziere in Begleitung von Zivilisten und Gemeinen durch berittene russische Abteilungen, bald ist es ein Angriff auf koreanische Miliztruppen, um den es sich handelt – oder wir lesen auch bloß von einem unvermittelten Auftauchen russischer Reiter unmittelbar vor den Mauern Pjöngyangs, die alsbald das feindliche Feuer auf sich ziehen, worauf sie „unter Mitnahme zweier Verwundeter“ ebenso plötzlich verschwinden, wie sie gekommen waren.

Längst war man sich klar geworden, daß diesen Zusammenstößen keine größere Bedeutung zugrunde zu legen sei als allgemeinen Aufklärungsdiensten und bloßem Eindringen in den feindlichen Aufmarschraum zu dem Zweck, das Anrücken und die Konzentrierung gegnerischer Truppenkörper und Kriegsvorräte zu erschweren, wie überhaupt dem Feind im kleinen jede mögliche Schädigung zuzufügen und die Einsicht in die eigene Stellung zu verwehren.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Bei all diesen Vorstößen ins feindliche Territorium handelte es sich bisher stets um die Verwendung einer Truppengattung. Die hohe strategische Wichtigkeit der Aufgabe mit ihrer außerordentlichen Beschwerlichkeit und beständigen Gefahr, die klimatischen Unbilden und der wirtschaftliche Mangel, dazu ein völlig wildes Gebiet, von dem dem Generalstab gegenwärtig noch kein ausreichendes kartographisches Material zu Gebote steht alles dieses zusammen die höchsten Anforderungen an die moralische Zuverlässigkeit nicht minder, wie an die physische Leistungsfähigkeit der damit zu betrauenden Mannschaften: nicht auf „Menschenmaterial“ kommt es hier so vorwiegend an, wie auf „Individuen“! Und Rußland ist in der glücklichen Lage, in seiner Armee eine Truppe zu haben, die der geschilderten Aufgabe in so hervorragendem Grad gewachsen erscheint wie keine Kavallerie der Erde: die Kosaken.

Ein Bravourstück
Ein Bravourstück
Die 2. Sotnie (Eskadron) des Orenburger Kosakenregiments
Die 2. Sotnie (Eskadron) des Orenburger Kosakenregiments

Die ungemeine Härte und Genügsamkeit von Mann und Pferd, das seinem Herrn wie ein Hund folgt, die beispiellose Kühnheit und Waghalsigkeit des Kosaken, zu der sich noch eine hochentwickelte Schlauheit gesellt, befähigen ihn zu kaum glaublichen Leistungen. Hinzu kommt ein selten kameradschaftlicher Geist, der in allen Kosakenregimentern herrscht, und eine dienstliche Zuverlässigkeit, die den weiten Spielraum und eine gewisse individuelle Selbständigkeit, die wir ihnen bei kriegerischen Aufträgen oft eingeräumt sehen, nur vollauf rechtfertigt. Dieses alles verleiht der Truppe eine Beweglichkeit, wie wir sie bei andern Regimentern der leichten Kavallerie vergebens suchen würden: sie ermöglicht dem Kosaken im Feld mitunter die völlige Loslösung von allen rückwärtigen Verbindungslinien, um plötzlich in Flanken und Rücken des Feindes eine verheerende Tätigkeit zu entfalten. Eine vielseitige körperliche Ausbildung und ununterbrochenes Training in Friedenszeiten haben den Kosaken gewöhnt, auch als Fußsoldat zu kämpfen, was ihn aufs beste befähigt, strategisch wichtige Punkte oder taktisch wertvolle Positionen zu besetzen, zu befestigen und bis zum Eintreffen von Verstärkungen zu verteidigen. Mißlingt die Unternehmung, so sucht der Kosak auf flinkem Roß das Weite und verschwindet ebenso plötzlich, wie er gekommen war. Sein Pferdematerial, das fraglos den besten unter allen konstant gezüchteten Halbblutschlägen repräsentiert, mit dem sich in Schnelligkeit, Ausdauer und Entbehrungsfähigkeit kein anderes Halbblutpferd messen kann, unterstützt ihn dabei aufs wirksamste.

Die heutigen Kosakentruppen sind hervorgegangen aus den Kosakenstämmen, die, in kleine patriarchalische Gemeinwesen gegliedert, Jahrhunderte hindurch als ein Grenzvolk gegen die Gebiete der Tatarenhorden, gegen das Reich des Sultans und wider das feindliche Polen in den weiten Steppendistrikten des Südens sich in freier Selbständigkeit entwickelten und dem Eindringen der Reichsfeinde in das Innere eine unübersteigbare Schranke entgegensetzten, die in der Folge das weite Sibirien eroberten und von den ihnen hier zugewiesenen Ansiedlungsstrichen aus dem Zepter des Zaren unterwarfen.

Gut pariert!
Gut pariert!
Kosak im Anschlag
Kosak im Anschlag

Seither längst bereits militärisch organisiert und der allgemeinen Heeresverwaltung als reguläre Truppen unterstellt, nehmen die Kosaken im Heerkörper gleichwohl eine durchaus gesonderte Stellung ein, haben ihren besonderen „Ustaw“, der ihnen einzelne Freiheiten und eine gewisse Selbständigkeit als bürgerliche Klasse garantiert, und vor allem ihre fest und eigens zugewiesenen Ansiedlungsgebiete, die sich entlang der gesamten südlichen Landgrenze des Zarenreichs erstrecken. In ein Kosakenregiment „eintreten“, kann kein Externer, er müßte denn erst im betreffenden Gebiet Land erworben haben und in jene Kosakengemeinde aufgenommen werden – mit andern Worten: Kosak geworden sein, was in Wirklichkeit nicht ganz so glatt und einfach geht, wie es sich lesen mag. Daß diese Maßnahmen wohl angetan sind, trotz den veränderten Zeitläuften ein gut Teil Eigenart dem Stamm zu wahren und zu erhalten, bedarf keines weiteren Nachdenkens, zumal wenn wir die Beschaffenheit der russisch-asiatischen Grenzlinie und ihrer Nachbarschaft im Auge haben – von den Kurden Kleinasiens und den kaukasischen Tscherkessen an bis zu den Turkmenenstämmen Transkaspiens und den Chunchusen der sibirisch-chinesischen Grenzgebiete. Vor allem springt die Weisheit der Maßregel in die Augen, daß es ausnahmslos die Grenzstriche gegen jene wild-räuberischen Kentaurenvölker sind, die den Kosaken, diesen geborenen Reitern, zugewiesen wurden: kein anderer als der Kosak mit seinem Pferd vermöchte jene geborenen Räuber dauernd in Schach zu halten!

Der Kosak erscheint uns physisch und moralisch mit seinem Roß verwachsen und sein Roß mit ihm. Jedes der beiden scheint ohne das andere nur ein Teil seiner selbst; erst aus der Vereinigung beider entsteht ein Ganzes – Jedes ergänzt dann das andere und befähigt es zu außergewöhnlichen Leistungen! Eine gleiche Vergangenheit hat bei beiden gleiche Charaktere erzeugt, das stete und innige Zusammenleben, das gegenseitige Angewiesensein aufeinander in einem harten und gefahrvollen Kampf ums Dasein haben eine gegenseitige Kenntnis und ein wechselseitiges Vertrauen gezeitigt.

In hohem Grad anziehend – und nicht allein für den Fachmann, den Reiter und Militär – ist ein Einblick in die heutige Ausbildung des Kosaken und seines Pferdes, wo ein künstliches Training bestrebt sein muß, für die veränderten Lebensbedingungen Ersatz zu schaffen, soll anders nicht eine von Kampf und Kriegsleben in exponierten Grenzgebieten erzeugte Rasse in ihrer spezifischen Leistungsfähigkeit, ihren Eigentümlichkeiten zurückgehen und allmählich wieder verschwinden. Im Vordergrund des allgemeinen Interesses stehen die equestrischen Uebungen der Truppe, die überall, wo sie stationiert erscheint, die nämlichen sind und in den gelegentlichen öffentlichen Schaustellungen der Kosaken- „Dschiggitowka“ („Phantasia“ der Araber) das Staunen des Laien und die Bewunderung des Kenners wachrufen.

Fechtunterricht der Kosaken
Fechtunterricht der Kosaken
Exerzieren an kleinen Feldgeschützen
Exerzieren an kleinen Feldgeschützen

Ob auf den weiten Grasflächen der Orenburger Steppe oder in der einsamen „Staniza“ am Fuß des kaukasischen Hochgebirges, ob auf dem niedergetretenen Rasen des Gatschinaschen Exerzierfeldes oder im Sand der Michaelmanege in Petersburg, deren verschwenderische Flächenverhältnisse den Pferden freiesten Spielraum für eine unbehinderliche Entfaltung der ausgiebigsten Pace bieten – die Dschiggitowka bleibt sich im wesentlichen stets und überall gleich. –

Betreten wir eine beliebige Loge inmitten einer der an beiden Langseiten der genannten Reitschule errichteten Tribünen. Weithin zur Linken erblickt man an der Schmalseite der Bahn die Ausgangspforte, die zu den Hofräumen und Stallungen führt; ihr gegenüber, eben soweit zur Rechten, befindet sich am andern Ende der Eingang für die Zuschauer, während unmittelbar vis-a-vis, an der entgegengesetzten Langseite der Bahn, die portierengeschmückte, mit rotem Tuch ausgeschlagene Hofloge genau im Mittelpunkt der jenseitigen Tribünenreihe in die Augen fällt. Zahlreiche elektrische Bogenlampen verbreiten hellstes Licht über den weiten Raum; das Publikum scheint die Plätze bis auf den letzten besetzt zu haben, auch mehrere Glieder des Kaiserhauses betreten soeben die Hofloge, und erwartungsvoll sehen wir dem Beginn des Spiels entgegen.

Da erschließt sich die Pforte zur Linken, und a tempo stürmt in feurigster Karriere ein Trupp von etlichen zwanzig Reitern herein – buchstäblich „mit verhängten Zügeln“. Sie befinden sich nämlich samt und sonders „hoch zu Roß“, in des Wortes verwegenster Bedeutung; aufrecht in den Sätteln stehend, die Flinte am kurzen Riemen über dem Rücken, die Hände durch die schräg – auf nach vorwärts gerichtete Pile engagiert, und, „verhängt“ flattern die Zügel zu beiden Seiten des Pferdehalses.

Man fragt sich bei diesem Anblick, ob denn das Kosakenpferd keiner Zügelführung, auch keiner „Anlehnung“ bedarf ? In der Tat braucht es sie, lautet die Antwort, bei seiner eigenartigen Ausbildung im Grunde genommen nicht häufiger als eigentlich bloß von „Fall zu Fall“; nur selten im praktischen Gebrauch wird es „versammelt“, steht oft „unangelehnt“, „hinter dem Zügel“ und reagiert im übrigen auf leiseste Winke und Worte seines Herrn. In erster Reihe muß es sich selbst zu helfen wissen, zusehen, wie es sich auf eigene Hand im „Gleichgewicht“ erhält; wie es das ausführt, auf welche Weise es den Willen seines Herrn erfüllt, ist dabei seine Sache darin ist sein Reiter nicht rigoros und fragt nicht nach den Regeln einer verfeinerten europäischen Reitkunst, die ihm wohl auch ein böhmisches Dorf sein mag; er hat auf ganz etwas anderes zu sinnen: in erster Reihe ist er Krieger. Kann er daran denken, die „Vorhand“ seines Pferdes durch den Zügel zu unterstützen, wann er auf wilder Flucht vor dem Feind sich aus dem Sattel wirft, um sich, am Bauch seines Rosses hängend, durch dessen Leib vor den Kugeln der Verfolger zu maskieren ? …. Auf Besseres richtet er sein Augenmerk und trachtet, den Moment zu erspähen, wann er am günstigsten aus seiner unbequemen Stellung den Karabiner in Anschlag bringt, um einen der Verfolger dahinten aus dem Sattel zu befördern! – Was fragt er viel, ob er bei anderer Behandlungsweise sein Pferdematerial zwei oder drei Jahre länger konservieren kann ? …. Ihm kommt es auf den Augenblick und dessen intensivste Ausnutzung an. Ist sein Pferd „verdorben“, so wird es eben ausrangiert – kurz und bündig, und er fängt sich im „Tabun“ ein frisches ein. –

En pleine carriére, einer erfolgreichen Windsbraut vergleichbar, saust das geschlossene Pikett auf gerader Linie unserer Loge vorüber, ohne daß wir zu erkennen vermöchten, wer den Tieren Gangart und Richtung weist, um am entgegengesetzten Bahnende – gleichfalls ohne jedwede wahrnehmbare äußere „Hilfe“ der Reiter – inmitten des rasenden Tempos auf einmal wie eingewurzelt zu halten. Im selben Moment springen die Reiter, ihre Lanzen in einer Hand senkrecht erhoben, frei und sicher von den hoch gebauten Sätteln und fassen neben ihren Tieren Posio.

Augenblicks erschließen sich aufs neue die gegenüberliegenden Pforten, und ein neuer Trupp in gleicher Zahl und Attitüde, bloß ohne Piken, kommt wie ein Sturmwind hereingejagt. Wenige Längen vor der großfürstlichen Loge ziehen sie die Gewehrriemen über Brust und Köpfe, schlagen an – und während sie an uns vorbeistürmen, entladet sich die Salve donnernd in die Lüfte. Die rauchenden Flinten in Händen springen sie beim Stoppen der Tiere gleich ihren Kameraden ab, zu denen sie sich gesellen.

Und nun beginnt das eigentliche „Dschiggileren“: eine Voltige von einer Verwegenheit, einer wilden Kraft und Gewandtheit – dazu mit einer persönlichen Bravour und ungestümen Leidenschaft vorgetragen, die sie zu einer Reiterleistung ersten Ranges stempeln.

Ein Pferd wird von seinem Kosaken wenige Schritte vorgeführt; kaum hat seine Hand den Zügel freigegeben, so sehen wir das Tier bereits in einer Karriere begriffen, als wäre es von einer plötzlichen Kugel gestreift und suchte nun in wilder Flucht seine Rettung. Doch momentan setzt sich auch der Kosak in Bewegung, und noch mag das Tier nicht mehr als drei oder vier Galoppsprünge zurückgelegt haben, als er es – in weitem Satz – weit vorgestreckten Armes bereits am Schweif erfaßt; ein Griff mit der andern Faust, ein Sprung nach vorn, wobei wir den Kopf des Mannes auf dem Schweifansatz seines Rosses gewahren und seinen Körper – die Füße in der Luft, eine Hand vorgegriffen im Riemenwerk des Gepäcks – sich überschlagen sehen, um, im selben Moment fast, auch schon auf der Kruppe des Pferdes, fest und leger zugleich, zu sitzen. Doch aufs neue beugt er sich vor, und aufs neue sehen wir seinen Körper in tollkühnem „Rad“ vorwärtsrollen, wobei er sich im gewöhnlichen Reitersitz auf dem Widerrist seines Tiers entwickelt. Nachdem er hierauf durch eine Figur ähnlicher Art im Sattel selbst anlangt, schwingt er sich heraus – ein fester Auftritt mit beiden, dicht geschlossenen Füßen auf die Erde, zur Linken seines Pferdes, indessen die Hände in das Riemenwerk des Sattelzeugs an beiden Seiten eingeklammert bleiben – und sein Körper fliegt über den seines Rosses hinweg nach der andern Seite zu; der gleiche feste Auftritt zur Rechten des Tiers und hoch durch die Luft schwingt der Körper sich abermals zurück nach links. Fünfmal, sechsmal wiederholt sich das Spiel, herüber und hinüber, worauf die Gestalt des Kosaken auf einmal wieder im Sattel erscheint. Die Gangart des Pferdes hat sich währenddessen für keine Sekunde verlangsamt, und am andern Ende der Bahn angelangt, verläßt der Mann den Sattel.

Ein Kosak nach dem andern tritt aus der Schar, und einer nach dem andern wiederholt die gleichen Uebungen; der eine gibt dem Dschiggitieren auf fester Erde den Vorzug, neben und hinter dem Pferd oder über jenes hinweg, während der andere das gleiche vielleicht auf dem Rücken des Tiers – vor, hinter und in dem Sattel – vorzugsweise exerziert, je nach körperlicher Veranlagung und individueller Liebhaberei.

Nachdem ein bedeutender Teil der Schar solche Einzelübungen zu unserer stets wachsenden Befriedigung ausgeführt, beginnt ein kombiniertes Spiel, in dem zwei oder mehr Reiter, sei es ein halsbrecherisches „Schuster-zu-Hause“ auf ihren Tieren mit unfehlbarer Sicherheit vorführen, sei es sich zu einer gemeinsamen Produktion ernsteren Charakters zusammentun. Drei Kosaken steigen in die Sättel, rangieren sich hart nebeneinander – und in Karriere geht es davon; alsbald reißt einer der Zurückgebliebenen den Karabiner an die Backe und drückt los. Als wäre er von der Kugel getroffen, „zeichnet“ der Mittelreiter, schwankt im Sattel und stürzt seitwärts nach links über den Hals seines Pferdes. Doch im gleichen Augenblick ergreift ihn sein Kamerad zur Linken; den rechten Arm um seinen Oberkörper schlingend, hebt er den Fallenden und richtet ihn auf, während er mit der Linken sein Bein erfaßt und das Knie des Verwundeten fest auf den eigenen Oberschenkel stemmt; gleichzeitig rück auch der rechtsseitige Reiter dicht an das Mittelpferd heran und ergreift das rechte Bein des Kameraden, es mit dem Knie gegen seinen linken Oberschenkel fest anstützend, indes er seinen eigenen linken Arm mit dem rechten des andern zu einer Rückenstütze für den Getroffenen verschlingt. In wenigen Sekunden hat sich alles vollzogen, und sobald das Mittelpferd die Entlastung seines Rückens fühlt, verkürzt es „von selbst“ sein Tempo und scheidet aus der Reihe aus, worauf die beiden äußeren Pferde bei „verhängt“ flatternden Zügeln dicht zusammenschließen und, hart gefolgt von dem ledigen Tier, in sich gleichbleibender Schnelligkeit der Gangart – wie eine wundersame Kentaurengruppe anzuschauen! – dem andern Bahnende selbständig zusteuern. Das Ganze hat sich vor unsern Augen auf wenigen „Pferdelängen“ abgespielt, ohne daß die Flucht dadurch um eine Sekunde Verzögerung erlitten hätte!

Reiterkünste der Kosaken
Reiterkünste der Kosaken
Die 3. Sotnie des Kubanschen Kosakenregiments
Die 3. Sotnie des Kubanschen Kosakenregiments

Nach einer Reihe ähnlicher Produktionen erfolgt als Schlußnummer der Empfang einer von der persönlichen Munifizenz eines anwesenden Großfürsten gestifteten Belohnung: ein paar hundert Rubel sind es, die, zu je einem Goldstück von fünf Rubel auf den Kopf der Dschiggitierenden, in kleinen Leinwandhüllen im Sand der Manege vor der kaiserlichen Loge verteilt werden und nun von den Reitern im vorüberjagen aufgenommen werden sollen. In der kalten Jahreszeit ist es, und der von den Pferden ausströmende Dampf hat die Luft dermaßen erfüllt und durchzogen, daß die elektrischen Lampen nachgerade nicht mehr ausreichen, um den Raum genügend zu erhellen; der tiefe Sand und die winzigen Dimensionen tun noch das ihre, und so kann es nicht wundernehmen, wenn das Kunststück heute nur den wenigsten der Beteiligten gelingt. Jeder erhält ohnehin nach der Vorstellung sein zu gewiesenes Teil.

Ein halbes Dutzend oder mehr mögen schon auf Sturmesfittichen durch die Bahn gefegt sein, als plötzlich ein neuer Reiter, im Sattel stehend, herangejagt kommt, vom erhöhten Standpunkt einen weiteren Ueberblick erhoffend; die Steigbügel sind in ihren Riemen hoch hinaufgezogen und jedenfalls verfestigt, denn als der Reiter in unsere Nähe kommt, erkennen wir, daß seine Füße nicht auf dem Sattel ruhen, sondern in den Stahlbügeln stecken. Und wie ein Raubvogel, der noch eben auf einem Punkt, hoch in freier Luft, „gerüttelt“, bei Gewahren einer Beute am Boden plötzlich wie ein Blitz mit angezogenen Schwingen zur Erde stößt, so sehen wir den Reiter in mitten des jähesten Rosseslaufs von seinem erhöhten Standpunkt urplötzlich gestreckten Körpers, Kopf und Hände voran, zur Erde schießen; im Sturz greift seine Rechte in das Riemenwerk am Sattel, die Linke tut einen Griff in den Sand, und im nächsten, nein noch im selben Augenblick ragt seine Gestalt wieder hoch und aufrecht auf dem Rücken des braven Tieres, das in der tollkühnen Evolution seines Reiters gar keinen Anlaß zur mindesten Verkürzung seiner Aktionen fand.

Nach diesen flüchtigen Schilderungen mag jeder selbst ermessen, was eine derart ausgebildete Truppe beim strategischen Aufklärungsdienst auf einem asiatischen Feindesterritorium zu bedeuten hat. Zu keinem Dienst, der unentwegten Mut und treue Zuverlässigkeit in erster Stelle von dem Ausführenden erheischt, wird – wo tunlich – eine andere Truppe herangezogen als die Kosaken: in kritischen Zeiten oder unsicheren Gebieten, die eine Bedeckung, eine begleitende Sicherheitswache erfordern, wird solche ein für allemal nur aus Kosaken gebildet – sei es zum Schutz des Zarenpaars oder hoher Verwaltungsbeamter auf dem Holzpflaster der Residenz, sei es für reisende Militärs und deren Familien in den Hohltälern des Kaukasus und auf der grusinischen Heerstraße. Wie bekannt, besteht jene Elite der russischen Truppen, die seit Jahrzehnten die persönliche Leibwache des Kaisers liefert, aus ein paar Kosakenregimentern!

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 17/1904.