Durch das Mikroskop ist dem Auge des Menschen eine neue, weitere Welt er öffnet worden. Er fand Tausende und Abertausende von Lebewesen, von deren Dasein er bis dahin kaum eine Ahnung hatte, und noch heute werden fortwährend neue Entdeckungen gemacht.
Aber nicht nur neue Tiere lernte der Mensch kennen, er lernte auch die bereits bekannten besser kennen. Mit dem Mikroskop konnte er selbst die dem Auge kaum sichtbaren Organe unterscheiden, und auch hier entdeckte er wahre Kunstwerke der Natur, wo er früher nichts weiter als ein paar einfache Häkchen und Borsten vermutet hatte.
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Allein nur wenigen ist es vergönnt, diese Wunder selbst zu sehen; die Handhabung des Mikroskops ist nicht jedermanns Sache, und wirklich gute Mikroskope sind auch äußerst kostspielig. Erst in letzter Zeit macht sich hier eine Aenderung zum Bessern bemerkbar, indem Photographie und Mikroskop sich gegenseitig unterstützen. Die Vergrößerungen werden auf der photographischen Platte festgehalten und so weiteren Kreisen zugänglich gemacht.
Einer solchen Verbindung danken ihre Entstehung auch die hier wiedergegebenen Photographien, die um so interessanter sind, weil sie allgemein bekannte Tiere und Gegenstände darstellen. Das erste Bild zeigt den Teil eines Tieres, der in der dargestellten Größe wie die Tatze eines Löwen erscheint, und doch ist es nur der Fuß einer Kreuzspinne. Diese Spinne gehört zu unsern besten Webespinnen, und wohl jeder hat schon staunend vor ihrem kunstvollen Gewebe gestanden und darüber nachgedacht, wie das Tier ein solches Kunstwerk wohl zu stande bringt. In der That ist die Kreuzspinne von der Natur wahrhaft bewunderungswürdig ausgerüstet; sie besitzt an jedem Fuß einen vollständigen Webeapparat, mit dem sie die den Spinndrüsen entquellenden Fäden verarbeitet. Dieser Apparat besteht aus zwei kammartig gezähnten Einschlagsklauen, einer mittleren, nach unten gerichteten Trittklaue und zahlreichen Webeborsten. Es ist ein wirkliches Meisterwerk der Natur, das hier in wohl noch kaum erreichter Deutlichkeit vor Augen geführt wird. Die Spinne hatte kurz vorher gehäutet; daher sind alle Spitzen scharf und nicht im geringsten verletzt oder abgenutzt.
Abb. 6 zeigt ebenfalls einen Körperteil der Kreuzspinne, und zwar einen Teil der großen Freß- oder Giftzangen, durch die beim Biß das Spinnengift in die Wunde der Beute einfließt und diese lähmt und wehrlos macht. Für den Menschen und für alle größeren Tiere hat aber dieses Gift keine schlimmen Folgen weiter.
Abb. 2 zeigt den Stachel unserer Honigbiene (Apis mellitica), jedenfalls eine der interessantesten Aufnahmen. Es ist allgemein bekannt, daß der Bienenstachel beim Stechen in den allermeisten Fällen abbricht und in der Wunde stecken bleibt. Ebenso bekannt ist es, daß dies die Folge eines Widerhakens ist, der meist aber ganz falsch erklärt wird. Wie unsere Aufnahme zeigt, gleicht der Bienenstachel vollständig einer Säge, und zwar einer gewaltigen weitgestellten Holzsäge. Eine ganze Reihe von Widerhaken schließt sich aneinander, so daß ein Herausziehen nur in den seltensten Fällen möglich sein wird.
Abb. 3 giebt den sonderbar gestalteten Hinterteil eines bösen Schädlings wieder, der dem Blasenfuß (Thrips physapus), einem kleinen Geradflügler gehört. Er hält sich in den Kornähren auf. Eine verwandte Art ist besonders schädlich und von den Gärtnern als „schwarze Fliege“ sehr gefürchtet und gehaßt. Mit dem Hinterteil können die Tiere springende Bewegungen machen. Den Namen Blasenfuß haben sie von ihren Füßen, die eben in Blasen endigen, die sich nach Bedarf vergrößern und verkleinern. Hiermit vermögen sie auf den glattesten Blütenblättern, ja selbst auf dem Honig des Blütenbodens umherzulaufen.
Abb. 4 vereinigt eine Anzahl von Farbenschuppen eines Schmetterlings, und zwar solche von einem unserer zierlichsten Abendschmetterlinge, dem Wolfsmilchschwärmer (Sphinx euphorbiae). Diese Farbschuppen erscheinen dem unbewaffneten Auge als ganz feiner Staub, der bei einer unvorsichtigen Berührung eines Schmetterlings an unsern Fingern kleben bleibt. In Wirklichkeit sind es gekielte Schuppen, die in den verschiedensten Anordnungen dachziegelartig übereinander liegen und so die herrlichen Zeichnungen des Schmetterlingsflügels hervorzaubern. Diese Schuppen sind je nach der Stelle, wo sie entnommen werden, bei ein und demselben Schmetterling sehr verschieden in Form und Größe, wie auf dem Bild leicht zu erkennen.
Als merkwürdige Gebilde erscheinen die Haare der Fledermaus (Abb. 5). Sie zeigen unter dem Mikroskop teilweise das Gepräge der Dunenstrahlen, andere gleichen täuschend Bambusstöcken, alle aber erscheinen wie aus kleinen Trichterchen zusammengestellt, deren an einem Haar gegen 1000 gezählt wurden. Unser Bild zeigt Haare der Riesenfledermaus, der größten ein heimischen Art, die eine Flugweite von 38 Zentimeter hat.
Die Herstellung derartiger Bilder ist mit außerordentlichen Schwierigkeiten verknüpft, und selbst ein sehr geschickter Photograph muß eine ganze Anzahl von Aufnahmen machen, ehe er eine brauchbare Platte erzielt.
Dieser Artikel von M. Dankier erschien zuerst am 05.07.1902 in Die Woche.