Das Bulgarien des Ostens

Zum vierzigjährigen Regierungsjubiläum des Kaisers von Korea. Wenn es nach dem Rechten ginge, hätte die ganze Welt am 18. Oktober eine Festesstimmung gezeigt, wie etwa am 9. August, dem Krönungstag des Königs von England; denn ein Kaiser hatte alle Nationen aufgerufen, mit ihm das vierzigjährige Jubiläum seiner Regierung glänzend zu begehen. Dieser Kaiser ist der Beherrscher Koreas, der trotz eines vollen Schwabenalters von Regierungsjahren erst im 52. Lebensjahr steht.

Große Vorbereitungen sind getroffen worden, um dieses Fest in Söul (spr. Ssaul), der Hauptstadt Koreas, würdig zu begehen. An alle Höfe sind Einladungen ergangen, Vertreter zu entsenden; Häuser im europäischen Stil sind gebaut worden, um die Gäste bequem unterzubringen; ein neuer koreanischer Orden soll den Abgesandten zum Andenken mitgegeben werden; nicht weniger als sieben Millionen Mark läßt sich der koreanische Kaiser diese Festlichkeit kosten. Wenn man bedenkt, daß das ganze koreanische Staatsbudget mit neunzehn Millionen Mark balanciert, so ist das gewiß eine hohe Summe für ein Hoffest. Auch eine militärische Reform soll bei dieser Gelegenheit durchgeführt werden. Die Offiziere und Mannschaften der regulären Armee sollen den zum Knoten gewundenen Zopf, den sie von der nationalen Tracht noch beibehalten, abschneiden, damit ihnen von jetzt an der zur Uniform gehörige Stürmer wirklich die Stirn umwindet. Eine Schwadron Ulanen ist besonders geschaffen worden, damit auch Kavallerie an der Jubiläumsfeier teilnimmt.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Während sich aber schon gegen diese Umgestaltungen in, der Beamtenwelt eine Opposition regte, die zu Dienstentlassungen und Verhaftungen führte, haben die Freunde des Kaisers noch eine andere Feier für diese Gelegenheit in Aussicht genommen. Die Freundin des Kaisers, Madame Won, die sich bis jetzt von der hohen Politik ferngehalten hat, soll zur Kaiserin erhoben werden und bei Hof den Platz ausfüllen, der seit der Ermordung der Königin durch die Japaner (am 8. Oktober 1895) leer geblieben ist. Damit würden die den Japanern sehr unangenehmen Wallfahrten des Hofs zum Grab der königlichen Märtyrerin von selbst ein Ende nehmen.

Eingang zum kaiserlichen Palast in Söul

Wer Sinn für etwas Eigenartiges hat, würde wohl seine Rechnung dabei finden, wenn er die Reise nach Söul unternommen hätte. Die herrliche Lage der Stadt in einem von bi arren Berggipfeln umgebenen Kessel, die altertümlichen Mauern und Thore, die malerische weiße Kleidung der Bewohner, die Mannigfaltigkeit der Volkstypen versetzen den Fremden auf einmal in eine ganz entfernte, mittelalterlich-phantastische Welt. Und dann wieder diese Kontraste der niedrigen, strohgedeckten Hütten, die, von oben gesehen, sich wie Negerkrals ausnehmen, und der elektrischen Straßenbahn und Beleuchtung – es ist beim ersten Anblick ganz sinnverwirrend.

Palastdamen am koreanischen Hof
Umzug des Kaisers
Vornehme junge Koreanerinnen

Auch hat die neuste Geschmacksentwicklung dafür gesorgt, daß man seinen Freunden bereits sehr willkommene „echt koreanische“ Geschenke mitbringen kann: Truhen und Schränke aus gutem, festem Holz mit schönen Beschlägen, stattliche Tauschierarbeiten in Eisen und Silber, die sehr dekorativ wirken, auch eigenartige Silberarbeiten, die sich neben den indischen, chinesischen und japanischen sehen lassen können. Man braucht noch keineswegs zu den seltsamen Hüten, Tabakspfeifen, Waffen und Haushaltungsgegenständen seine Zuflucht nehmen, die mehr ein rein ethnologisches Interesse haben.

Strasse in der Hauptstadt Söul auf Korea

Aber trotz aller dieser Anziehungspunkte des unvergleichlichen Söul ist der sehnliche Wunsch des koreanischen Kaisers unerfüllt geblieben. Die fremden Fürstlichkeiten sind seinem Jubiläum ferngeblieben. Eigenhändige Gratulationsschreiben, von den ständigen diplomatischen und konsularischen Vertretern überreicht, müssen als Ersatz gelten. Für Deutschland wäre jetzt aber wohl die Zeit gekommen, in dem Bulgarien des Ostens statt des Konsulats eine Ministerresidenz einzurichten, wie es andere Großmächte bereits gethan haben. Es handelt sich, da wir das von einer deutschen Firma gebaute, stattliche und wohlgelegene Konsulatsgebäude doch wohl erwerben werden, nur um eine Rangerhöhung und die sonst unabweisbare Schaffung eines vizekonsularischen Postens.

Dieser Artikel erschien zuerst am 08.11.1902 in Die Woche, er war gekennzeichnet mit „Ludwig Rieß.“.