Die grösste Musikinstrumentensammlung

Die Berliner Königliche Sammlung alter Musikinstrumente, die unter der thatkräftigen Leitung ihres Begründers und langjährigen Vorstehers, des Universitätsprofessors Dr. Oskar Fleischer, eine immer sich steigernde Beachtung gewann, hat unlängst durch den Ankauf der Snoeckschen Musikinstrumentensammlung in Gent einen imponierenden Zuwachs erhalten der insofern entscheidend für ihre Bedeutung ist, als er sie mit einem Schlag an die Spitze selbst der hervorragendsten aller ähnlichen staatlichen und privaten Sammlungen stellt.

Wir verdanken diesen in wissenschaftlicher, künstlerischer, wie kunstgewerblicher Hinsicht gleich wichtigen Erwerb aus schließlich der weitsichtigen Liberalität unseres Kaisers, der die Mittel dazu im Betrag von zweimal-hunderttausend Mark, nachdem das preußische Finanzministerium jahrelang gezaudert und sich zweimal geradezu ablehnend verhalten hatte großmütig aus dem kaiserlichen Dispositionsfonds bewilligte.

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Es kann hier selbstverständlich der hohe Wert dieser anerkannt berühmtesten Privatinstrumentensammlung der Welt, die sich aus mehr als zwölfhundert Nummern zusammensetzt, nicht einmal andeutungsweise erschöpfend gewürdigt werden. Wir müssen uns vielmehr darauf beschränken, dem Leser aus der Fülle der vorhandenen Raritäten, Kuriosa und Unika aufs Geratewohl einige wenige illustrativ und beschreibend vorzuführen, um ihn dadurch zum späteren Besuch der königlichen Sammlung anzuregen, die freilich erst im kommenden Herbst in den eigens für sie bestimmten Riesensälen des neuen Charlottenburger Heims unserer Königlichen Hochschule für Musik dem Publikum zugänglich sein wird. Auf Abb. 3 erkennt man unschwer in dem aufrechtstehenden Flügel des ehemaligen Wiener Instrumentenbauers J. Wachtl einen Vorgänger unseres heutigen Pianinos. Der Resonanzboden des aus dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts stammenden Instruments ist aufwärtsgerichtet; durch diese senkrechte Lage der Saiten zur Taste wird der Hammermechanismus natürlich gleichfalls verändert: der Hammer schlägt die Saite nicht von unten, sondern seitlich an.

Offenbar hat der Erbauer bei einer derartigen technischen Spezialität in erster Linie auf die damals in Bürgerhäusern üblichen kleinen Stuben Bedacht genommen; denn der Vorteil den der Flügel gewährt, besteht fast lediglich in der starken Raumersparnis beim Aufstellen, während der Nachteil darin zu suchen ist, daß die aufwärts strebende rechtwinklige Dreiecksform sich nicht jedem Zimmerinterieur wohlgefällig einordnet.

Abb. 1 – Sechsfaches Spinet aus dem 16. Jahrhundert
Abb. 2 – Kleineres und grösseres italienisches Tympanon

Diesen ästhetisch fühlbaren Mißstand hat der Künstler durch eine geschmackvoll angebrachte Draperie und durch allerlei Figurenwerk, besonders durch eine wundervoll aus Holz geschnitzte Apollofigur mit vergoldeter Lyra, erfolgreich wettzumachen versucht. Auch in allen übrigen Einzelteilen verrät der Flügel die Sorgfalt eines Meisters, der mit seiner Schöpfung individuell verschmilzt.

Ein aufgeklapptes zum spielen fertiges Bibelregal bietet uns Abb. 5. Das Bibelregal ist eine Erfindung des Nürnberger Instrumentenbauers Roll der im sechzehnten Jahrhundert auf die Idee kam, als Ersatz für die Orgel ein kleineres Instrument zu erbauen, das nicht wie diese einen umfangreichen Apparat an Pfeifen und Bretterwerk brauchte und doch einen hinreichend starken Klang von sich gab, um beim Gottesdienst den Gesang der Gemeinde zu unterstützen.

Abb. 3 – Flügel aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts
Abb. 6 – Vier verschiedene Formen der Laute

Er erzielte diesen Klang durch die Anwendung sogenannter Schnarrpfeifen, bestehend aus kleinen Metallkapseln mit abgestimmten Zungen, die durch den Wind eines Blasebalgs in Vibration gebracht wurden und beim Spiel der Finger auf den Tasten erklangen. Gewissermaßen ist so das Bibelregal der Ahn unseres heutigen Harmoniums, das freilich im Lauf einer dreihundertjährigen Entwicklung, und namentlich im letzten Jahrzehnt, an Klangschönheit unendlich gewonnen hat, dafür aber auch immer größer und komplizierter geworden ist. Von dem lächerlich primitiven Vorfahr konnte man naturgemäß keine Himmelsharmonien erwarten.

Der Ton ist schnarrend, knarrend, quietschend, so daß seine oft unfreiwillig komische Wirkung noch heut in dem Ausdruck „Schnurrpfeiferei“ sprichwörtlich weiterlebt. In der damaligen religiöseren Zeit durfte zwar dieser allzu irdische Klang des Bibelregals, das in seine einzelnen Teile zerlegt und vom Organisten bequem unterm Arm getragen werden konnte, wie vom Pastor die Bibel, die frommen Kirchgänger kaum in ihrer Andacht gestört haben. Von den sehr wenigen auf uns gekommenen Exemplaren des Instruments gilt das in der Snoeckschen Sammlung als das schönste; es ist aus Buchsbaum gefertigt, kunstvoll in Einlegearbeit ausgeführt und trägt auf dem Sammetbezug das seidengestickte Wappen des Kardinals de Granvelle.

Auch das sechssaitige Spinett aus dem sechzehnten Jahrhundert, das Abb. 1 zeigt, würde mit seinem näselnden Ton einem Paderewski oder d’Albert schwerlich genügen. Bemerkenswert an diesem Instrument ist das allerliebste, mit Emblemen aus der Welt der Tiere und Narren geschmückte Gemälde auf der Innenseite des hochgeklappten Deckels, das in der Hauptsache die so.

genannte Katzenorgel König Philipps des Zweiten von Spanien bildlich vor Augen führt. Die Katzenorgel war die grausame Erfindung eines in Ungnade gefallenen Höflings, der Katzen verschiedener Größe und verschiedenen Alters dergestalt in eine leere Orgel sperrte, daß die Pfoten der gequälten Tierchen die Tasten und ihre Schwänze die Blasebalgzüge bildeten; durch Drücken der Pfoten und Ziehen der Schwänze kam eine Katzenmusik im wahrsten Sinn des Wortes zu stande, deren klägliche Töne die Ohren des bigotten Königs wie seiner höfischen Schmeichler mit höchstem Entzücken erfüllten und dem schlauen Erfinder die Gunst des Monarchen im Flug zurückgewannen. Heutzutage würde man gegen eine so raffinierte Brutalität vermutlich schleunigs die Polizei und den Tierschutzverein mobil machen.

Abb. 4 – Dr. César Snoeck, bisher Besitzer der Genter Musikinstumentensammlung
Abb. 5 – Bibelregal in aufgeklapptem Zustand
Abb. 7 – Zwei Minnesängerharfen, eine Flügenharfe und zwei kleine Mandolinen

Auf Abb. 2 erblicken wir oben ein kleineres, unten ein größeres italienisches Tympanon, gebräuchlicher Zimbel genannt, beide Vorfahren des späteren Spinetts, dessen Name Klavizimbel an den noch heute üblichen Namen dieses Instruments erinnert. Wer jemals, etwa in einem der vornehmen, aristokratischen Restaurants im Wiener Prater, echte Zigeuner mit unverfälschter orientalischer Verve und Virtuosität das Zimbel spielen hörte, der wird es den Damen des achtzehnten Jahrhunderts gewiß nicht verdenken, daß sie das damalige Tympanon zu ihrem Lieblingsinstrument erkoren. Zu den eifrigsten Liebhabern des heutigen Zigeunerzimbels gehörte der verstorbene Johannes Brahms, der gern und häufig seinen perlenden Klängen zu lauschen pflegte.

Auch die Laute, von der Abb. 6 vier verschiedene Formen aufweist, war einmal, vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, das bevorzugte Instrument der feinen Gesellschaft, und sie spielt noch heute in den Herzensergüssen schmachtender Poeten eine Rolle, obwohl nicht viele von ihnen ein leibhaftiges Exemplar dieser Gattung je gesehen haben dürften. Unter den vier auf dem Bild vereinten größeren und kleineren Lautenvarietäten ist die linksseitige, größte eine französische Baßlaute, der man den wunderlichen, noch nicht erklärten Namen Theorbe gegeben hat. Ihre untere französische Kollegin zeichnet sich durch besonders reizvolle künstlerische Zier aus: auf dem hellgoldenen Lack sind farbig schön abgestimmte Guirlanden sichtbar, und das Wirbelbrett wird von dem prächtig geschnitzten Kopf einer gepanzerten und behelmten Frau, einer Art Walküre, gekrönt. Die obere Laute ist englische, die rechtsseitige italienische Arbeit.

Zwei Lauten kleinster Form aus dem achtzehnten Jahrhundert, wie sie noch heute in den italienischen Mandolinen sich lebendig erhalten haben, finden wir links und rechts unten auf Abb. 7. Das Mittelstück unmittelbar darüber stellt eine Flügelharfe aus dem siebzehnten Jahrhundert dar, deren durchgehender Resonanzboden beiderseitig, vorn und hinten, mit dünnen Metallsaiten bezogen ist und die man, vor sich auf den Tisch gestellt, mit beiden Händen spielt. Zu den Perlen der Sammlung zählen die links und rechts der Flügelharfe abgebildeten zwei Minnesängerharfen aus dem fünfzehnten Jahrhundert, deren wehmütige Betrachtung eine ganze Reihe lyrischer Empfindungen auszulösen vermag wenn auch die Saiten dieser Harfen zerrissen sind und ihr silberner Klang längst für immer verhallt ist.

Den findigen Entdecker und unermüdlichen Käufer all der seltenen Kostbarkeiten, die die Sammlung enthält, lernen wir auf Abb. 4 kennen: sie zeigt uns den 1898 verstorbenen Genter Advokaten und Großkaufmann Charles César Snoeck (sprich Snuck) als jungen Mann, umgeben von seinen Lieblingsinstrumenten, deren eins, die Baßlaute, wir schon oben erwähnt haben. Unter den übrigen Instrumenten fällt neben Geigen, Klarinetten Mandolinen und Schalmeien ein Serpente genanntes Schlangeninstrument besonders auf; auch an einem schottischen Dudelsack fehlt es nicht.

Dieser Artikel von Max Stempel erschien zuerst am 16.08.1902 in Die Woche.