Rudolf Virchow in seiner Arbeitstätte

Unser Bild führt in die Arbeitstätte Prof. Rudolf Virchows. Das Pathologische Institut, ein einfaches, schmuckloses, fast düstres Gebäude, in dem Virchow seit mehr als 43 Jahren mit unermüdlicher Kraft als Lehrer und Forscher wirkt, ist für die Wissenschaft geweihter Boden.

Es befindet sich auf dem Gelände der alten Charité, in seiner Nähe stehen zwei andre Institute, die gleich dem Virchowschen als Pflanzstätten medizinischer Bildung weltberühmt sind: das bakteriologische Institut Robert Kochs und die Klinik Ernst von Leydens.

Ein Schüler der Pepiniere hat Virchow im Alter von 27 Jahren unter dem unmittelbaren Einfluß des genialen Johannes Müller seine akademische Thätigkeit in der Sturmperiode von 1848 an der Charité begonnen. Die Wissenschaft Rudolf Virchows ist die Pathologie, jener Zweig der Medizin, der sich mit der Erforschung der Veränderungen beschäftigt, wie sie durch Krankheitsprozesse in den einzelnen Organen des menschlichen Körpers hervorgerufen werden. Die Pathologie bildet eine wichtige Grundlage für das gesamte ärztliche Handeln, denn ohne Kenntnis der Veränderungen, die bei den einzelnen Krankheiten in den Organen des menschlichen Körpers entstehen, kann der Arzt das Wesen der Krankheit nicht bestimmen, ohne richtige Diagnose wiederum kann er nicht heilen.

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Das unvergängliche Verdienst Rudolf Virchows ist es, zuerst in die pathologische Forschung die naturwissenschaftliche Methode eingeführt zu haben. Früher glaubte man das Wesen der Krankheiten durch die schlechte Mischung der Körpersäfte erklären zu können. Virchow dagegen lehrte, daß in der Zelle, als dem letzten Formelement der Gewebe, Sitz und Wesen der Krankheit zu suchen seien. Seine gesamte Lehre fußt auf der Thatsache, daß das Leben an die Zelle gebunden ist; demnach läßt sich das Wesen der Krankheiten nur durch die anatomische Untersuchung und Vergleichung der Zellen erkrankter und gesunder Organe erforschen.

Rudolf Virchow im pathologischen Institut zu Berlin

Der einfache Satz: „Leben ist Zellenthätigkeit,“ ist das große Erkenntnisprinzip, durch das Rudolf Virchow auf das gesamte medizinische Denken den nachhaltigsten Einfluß ausgeübt hat; das Werk, das den Ausbau seiner Lehre enthält ist die berühmte Cellularpathologie. Nach der von ihm gefundenen Methode hat Virchow auf fast sämtlichen Gebieten der Medizin eine Fülle klassischer Untersuchungen angestellt, die ihm für alle Zeiten einen Ehrenplatz unter den intellektuellen Wohlthätern der Menschheit sichern.

Allein die Bedeutung Virchows reicht über seine eigenen Werke hinaus: er ist der Begründer einer sehr weltverzweigten Schule, und erst neuerdings sind nach dem Vorbild des Berliner Instituts in Philadelphia und Yokohama Musterschulen errichtet worden. Was indes seine Schule so groß gemacht hat, ist nicht die Zahl der Schüler, sondern vielmehr die Heranbildung der Schüler zu eigener selbstthätiger Arbeit, wodurch sie befähigt sind, selbständig im Geist der unabhängigen freien Forschung mitzuwirken an der weiteren Entwicklung und Fortbildung der Wissenschaft.

Universell wie alle Genies hat Virchow seine Thätigkeit nicht auf das Lehren und Erforschen der medizinischen Wissenschaft beschränkt; außerordentliche Verdienste hat er sich um die öffentliche Gesundheitspflege unsres Vaterlandes erworben; auf dem Gebiet der Anthropologie, der Ethnographie sowie der Altertumskunde gilt er in gleicher Weise wie auf dem Gebiet der Pathologie als erste Autorität.

Reiche Anerkennung ist ihm zu teil geworden, ganz besonders hat auch das Ausland an seinen ruhmreichen Erfolgen den lebhaftesten Anteil genommen.

Den schönsten Lohn seiner Thätigkeit erblickt Rudolf Virchow selbst in dem pathologischen Museum, das ihm der Staat zur Aufnahme seiner reichen wissenschaftlichen Sammlungen vor kurzem errichtet bat.

Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.