Die freie und Hansastadt Lübeck hat im letzten Jahrzehnt ausserordentlich reiche Mittel zur Durchführung der unumgänglich nothwendig gewordenen Schulhausbauten aufgewendet. In richtiger Würdigung der Thatsache, dass solide Bauten stets die billigsten sind, ist in Lübeck in erster Linie darauf gesehen worden, etwas zu schaffen, was den kommenden Geschlechtern möglichst geringe Ausbesserungs- und Unterhaltungskosten verursacht.
Das in Grundrissen und einer Ansicht veranschaulichte Gebäude ist ein Schulhaus dreitheiliger Art. Im Erdgeschoss, im Kellergeschoss und im ausgebauten Dachgeschoss sind die Haupträume für die zur Zeit von etwa 900 Schülern besuchte Gewerbeschule, welche unter der Leitung des Unterzeichneten steht, angeordnet. Im 1. und 2. Obergeschoss befindet sich auf der einen Seite eine Volks- und auf der anderen Seite eine Mittelschule. Von den Räumen dieser beiden Schulen nimmt am Abend die Gewerbeschule noch diejenigen Räume in Benutzung, welche mit entsprechend hohen Subsellien versehen sind. Die Zahl dieser beläuft sich auf etwa 7 Klassenräume. Auf diese Weise ist in Lübeck die Frage gelöst, eine Gewerbeschule mit einer genügend grossen Zahl von Räumen zu schaffen, ohne dass andererseits die Baukosten eine zu bedeutende Höhe erreichten.
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Das nach den Entwürfen und unter Leitung des Hrn. Bau-Direktors Schwiening ausgeführte Schulgebäude ist ein prächtiger durch Glasuren geschmückter Backsteinbau (mit Hohlschichten in den Umfassungswänden) in unmittelbarer Nähe des ehrwürdigen Domes. Die Strassenseite ist unverhältnissmässig reicher gehalten als die Hofseiten, welche dem Beschauer sehr einfach entgegentreten. Die Dächer sind mit deutschem Schiefer auf Lattung gedeckt.
Das Gebäude hat in den Erd- und den beiden Obergeschossen 4 m lichte Höhe. Treppen und Korridor sind massiv. Die Treppenflächen sind durch Trittbohlen abgedeckt. deren Vorderkante durch je eine eingelassene, gerippte Eisenschiene vor dem Abrunden geschützt wird. Das Hinunterrutschen auf den Treppenlehnen wird durch eine einfache Vorrichtung nebenstehend skizzirter Art verhindert, eine Anwendung, die sich hier sehr bewährt. Die Eisenstützen s aus 1 cm starken Rundflächen sind alle 70 cm an dem Handläufer festgeschraubt, die Stützen selbst tragen eine parallel zum Handläufer disponirte Eisenstange d.
Geheizt wird das Schulhaus in der Hauptsache durch eine Jungfer’sche Zentralheizung. Indessen konnten nicht alle Schulräume die Wohlthat einer solchen Beheizung geniessen, weil durch den nothwendigen Ausbau des Kellergeschosses für die Zwecke der Gewerbeschule die Anlage der Heizkammer beschränkt werden musste.
Im Kellergeschoss, von 3,5 m lichter Höhe, das mit der Sohle etwa 1,5 m unter Erdgleiche gelegt ist, befindet sich nach der Strasse die Schulwärter-Wohnung, aus Küche, 3 Zimmern und 1 Kammer bestehend. Ferner befinden sich im Kellergeschoss ein Saal von 56 qm, in welchem die Sammlungen für Chemie und Physik untergebracht sind, dann das Unterrichtszimmer für Physik, Chemie usw. in der Grösse von ebenfalls 56 qm, weiter ein gut beleuchteter Zeichen- und Vortrags-Saal von 50 qm, dann ein Modellirsaal für Konditoren, Töpfer, Bildhauer usw., von rd. 62 qm, und 1 Saal zum Holzschnitzen von 62 qm.
Die Höhe der Holzschnitztische beträgt 90 cm, ihre Breite 84 cm, Für jeden Schüler, der das Holzschnitzen erlernt, ist ein Satz Schnitzeisen vorhanden. Dieselben befinden sich unmittelbar am Arbeitsplatz und sind in durch die Tischplatte gebohrte Löcher gesteckt. Die Holzständer O, auf welche das zu schnitzende Ornament mittels Pauspapier zu übertragen ist, wird auf ein rechteckiges Holzstück b von 114 cm Länge, 18 cm Breite und 2 cm Dicke geleimt, um dann mit dem letzteren mittels Keile auf dem Holzschnitztisch befestigt zu werden; zu diesem Zwecke sind für jeden Arbeitsplatz 2 Stückes auf die Tischplatte geschraubt: zwischen diesen wird das Stück d mittels Keile festgestellt.
Durch diese Anordnug wird es möglich, denselben Arbeitsplatz an den verschiedenen Tagen der Woche verschiedenen Schülern anzuweisen, weil jeder am Schlusse das Unterrichtsbrett b mit dem aufgeleimten Werkstück abnimmt und fortstellt. Zum Modelliren in Thon, Gips usw. dienen ebenfalls wagerechte Tischplatten, auf welche dann die nahezu senkrechten, also stark zur Horizontalen geneigten Staffeleien zur Aufnahme der Modellirplatten gestellt werden.
Zum bequemen Aufhängen der Vorlagen und fertigen Modelle usw. sind in allen Räumen der Gewerbeschule an den Wänden herum laufende Leisten solide befestigt. Hierdurch wird das Einschlagen von Nägeln, Haken usw. in die fertigen Wände vermieden, was ja so leicht das Ausbrechen des Putzes zur Folge hat.
Die durchgeführte lokale Beheizung der Räume im Kellergeschoss hat sich als überflüssig erwiesen, weil durch die Wände der beiden Heizkammern hindurch der grossen Mehrzahl der Räume völlig genügende Wärme zugeführt wird. In demjenigen Saal, welcher die sehr werthvolle physikalische und chemische Sammlung enthält, ist ein Born’scher Ofen aufgestellt, der thunlichst während des ersten Winters Tag und Nacht in Betrieb gehalten wurde. Ob diese intensive Beheizung auch für die Folgezeit nothwendig wird, muss die Erfahrung lehren. Die Einrichtung des Experimentir-Saales bietet nichts Bemerkenswerthes.
In allen Räumen des Kellergeschosses befinden sich Ausgüsse, um schmutziges Wasser usw. den Sielröhren auf bequeme Weise zuzuführen. Da Lübeck kanalisirt ist, so wäre es rathsam, die Lehrer-Aborte als Wasser-Klosets anzulegen. Angeordnet sind die Aborte unter den Treppenarmen, welche vom Eingang unmittelbar nach dem Kellergeschoss führen. Alle Schüler-Aborte liegen ausserhalb des Schulgebäudes.
Im Erdgeschoss befinden sich zunächst 4 grosse Zeichensäle von je 116, 104, 116 u. 104 qm Fläche, Die Säle sind in der Absicht so gross gewählt, um 2 Lehrer in jedem Zeichensaal zu gleicher Zeit zu haben, damit immer noch ein Lehrer anwesend ist, wenn der andere vielleicht den Saal zum Zwecke des Herbeiholens von Vorlagen, Modellen usw. zeitweilig verlassen musste. Ausserdem empfiehlt sich die Anordnung so grosser Zeichensäle in den beiden Flügeln. aus dem Grunde, weil andererseits durch eine Anordnung zweier kleiner Zeichensäle sehr viel Raum für den Gang, welcher zum hinteren Zeichensaal führen würde, verloren ginge.
Das Erdgeschoss enthält ausserdem noch einen kleinen Zeichensaal von 5l qm, ein Lehrerzimmer von 33 qm und ein Direktorzimmer von 20 qm Grundfläche.
Der 3,5 m breite Korridor ist in allen Stockwerken durch Betonkappen unter Zuhilfenahme von Walzeisen überwölbt. Alle übrigen Räume sind durch Balkenlagen überdeckt. Im Korridor sind alle Gipsmodelle (nach Stufen geordnet) zum Schulgebrauche aufgehängt; auf diese Weise kann jeder Lehrer das vorhandene Unterichts-Material besser übersehen und sachgemässer ausnutzen.
Im Dachgeschoss befinden sich zunächst 2 Malersäle für die Tagesklassen der Malerfachschule. Dieselben haben einen zementirten Fussboden erhalten, um beim Leimkochen usw. kein feuergefährliches Moment im ganzen zu bilden. Jeder dieser Malersäle enthält einen gemauerten Ofen. Beleuchtet wird jeder der 4 m hohen Malersäle bei Tage durch ein grosses Oberlicht. Alle Zwischenwände im Dachgeschoss sind Rabitzwände. Neben den Malersälen befinden sich Räume zum Aufbewahren der Staffeleien usw. Ausserdem befinden sich im Dachgeschoss in jeder Hälfte, nämlich im Flügel, je ein grosser Zeichensaal für den Abendunterricht der Maler. Diese Säle sind, obwohl sie nur durch Dachfenster beleuchtet werden, indessen noch so stark erhellt, dass am Sonntag Vormittag sehr wohl in ihnen gezeichnet werden kann. – Ferner enthält das Dachgeschoss noch einen ziemlich grossen Arbeitsraum für eine Barbier- und Friseur-Fachschule und einen kleinen Saal zum Zeichnen und Unterrichten.
Das Gebäude umfasst 17 466 cbm umbauten Raum und kostet insgesammt 224 000 M. so dass jedes Kubikmeter einen Aufwand von nicht ganz 13 M. veranlasst hat.
Für die auf dem Hofe angeordneten Abortgebäude sind 12 000 M. ausgeworfen, während für Einebnung und Einfriedigung der Schulhöfe eine Summe von 4000 M. vorgesehen ist. Die Ausführung der in diesen beiden Posten veranschlagten Arbeiten geschieht erst jetzt, und zwar in unmittelbarer Verbindung mit der Ausführung der Zentral-Turnhalle, welche die Schulhöfe in Zukunft begrenzen soll.
Die Einrichtung der Zeichensäle.
Die Zeichensäle werden Abends durch Reflektoren beleuchtet. Dieselben sind an der Decke so vertheilt, wie es der Zeichensaal im linken Flügel des Erdgeschosses darthut. Die Reflektoren – von der Firma Bosch & Haag in Köln a. Rh. zum Preise von 25 M. bezogen – liegen etwa 180 cm über Oberkante der Tischplatten. Diese Art der Beleuchtung empfiehlt sich sehr, einmal weil hierdurch die Beleuchtung von links nach rechts ermöglicht ist, und dann, weil mit 9 Flammen ein Zeichensaal für 54-55 Schüler sehr gut beleuchtet wird. Das Licht ist ein sehr gleichmässiges, ohne jede Flacker-Bewegung.
Die in beistehender Skizze dargestellten Zeichentische sind nach der Angabe des Unterzeichneten gefertigt. Frühere Erfahrungen lagen den Angaben zugrunde.
Die Tischplatten sind in Scharnieren drehbar, und zwar liegt die Drehaxe nach der Seite, wo der Schüler sitzt. Die Platten haben zum Hinlegen des Bleistifts eine Rille erhalten. Mit Hilfe einer Latte e, die in die Einschnitte der Stücke k gelegt wird, lassen sich die Tischplatten innerhalb gewisser Grenzen schräg stellen. Durch Einlegen der Leiste e in den linksseitigen Einschnitt wird die bedeutendste Schrägstellung erzielt. Eine kleine Kette sichert die Tischplatte beim Oeffnen gegen ein Ueberschlagen. Man thut am besten, wenn man die Haken zur Verbindung der Kettchen mit der beweglichen Tischplatte in die Leisten x einschlägt und nicht in die Tischplatte unmittelbar, weil der Haken in letzterem Falle zu leicht wieder ausreisst.
Im Tischkasten bewahrt der Schüler seine sämmtlichen Zeichenbretter, Reisschienen, Dreiecke usw. auf. Eine kleine Schublade, die mittels eines Stifts p von innen aus verschlossen wird, steht dem Schüler zum Aufbewahren des Reifszeuges, der Bleistifte zur Verfügung. Der Verschluss des Deckels geschieht mittels eines sogen. Buchstabenschlosses (Bezugsquelle: Emil Herminghaus in Velbert bei Elberfeld), das durch die beiden Oesen v1 und v gestellt wird. Dem Schüler wird das Stichwort mitgetheilt; Vergessen und Verlieren der Schlüssel fällt damit fort.
Beim Freihandzeichnen, namentlich beim Körper- und Gipszeichnen wird mittels einer Hülse f, die dann durch y an y1 des Zeichentisches gehängt wird, die Möglichkeit geschaffen den Modellständer (vgl. die Abb.) fest aufzustellen. Mittels eines Stiftes lässt sich dieser Ständer beliebig hoch und niedrig anordnen. Der Haken h auf der Vorderseite ermöglicht das Aufhängen des Gipsmodells, während die wagrechte Platte zum Aufstellen der Stuhlmann’schen Holzkörper usw. dient. Ein zweisitziger Zeichentisch dieser Art kostet 24 M. ein dreisitziger aber nur 30 M. Die Höhe der Tische ist = 80 cm, ihre Tiefe = 70 cm und ihre Länge (für 1 Schüler) = 90 cm.
Die Konstruktion dieser Zeichentische hat sich bis jetzt sehr gut bewährt. (Bei der Abbildung sind alle diejenigen Durchsichtslinien fortgelassen, welche nicht unmittelbar zum Verständniss erforderlich sind.)
Die Schemel haben eine quadratische Sitzfläche von 30 cm Seitenlänge, ihre Höhe ist =54 cm; sie werden durch 4 Beine unterstützt, um nicht so leicht umgeworfen zu werden.
Die Wandtafeln sind drehbar, so dass sie auf beiden Seiten benutzt werden können.
Die Tintenfässer, welche in jedem Zeichensaal nothwendig, sind in Holzklötze von abgestumpfter Pyramidenform gesetzt, um so möglichst vor dem Umfallen gesichert zu sein.
Die Malersäle.
Die Malersäle für die Tagesschule der Malerfachschule haben, wie bereits bemerkt, Oberlicht.
Die Konstruktion der Staffeleien, welche bei uns eingeführt sind, veranschaulicht die beigefügte Skizze. Die Zeichenebene auf dem Brette S steht senkrecht, weil die Arbeiten der Maler ausser an der wagrechten Decke, meistens an einer senkrechten Wandfläche vorgenommen werden. Jede Staffelei kostet einschl. Anstrich 12 M. Die Höhe des Ständers beträgt 210 cm. Das Brett B welches zum Auflegen der Pinsel usw. dient, ist, 70 cm über Fussboden angeordnet. Das Zeichenbrett S ist verschiebbar. Die Feststellung desselben geschieht oben durch eine Schraube d und unten durch ein um den Ständer gelegtes Band, das auf der Vorderseite von beiden Seiten in je einen Haken h endigt. Eine eingelegte Eisenschiene e schützt den Ständer vor Verletzungen durch das Festschrauben.
Die Einrichtung der Volks- und Mittelschule.
Die Klassenzimmer sind mit Bänken des Systems Hippauf ( der viersitzige Tisch kostete 29 M.), versehen, Dieselben haben sehr gut bewährt.
Schlussbemerkung.
Die Signale zum Beginn und zum Schlusse des Unterrichts werden mit Hilfe einer elektrischen Klingel gegeben: jede Schule hat ihr eigenes System, so dass alle Anstalten von einander unabhängig sind. Um den Kindern die Bezeichnung „Kellergeschoss“, „Erdgeschoss“, „1. Obergeschoss“ usw. klar zu machen, hat die Bauleitung entsprechende grosse und deutliche Inschriften anbringen lassen.
Lübeck, im Oktober 1890, Direktor Walther Lange.
Dieser Artikel erschien zuerst 1891 in der Deutsche Bauzeitung.