Tabakernte im Elsass

Im Tabakfeld in Ebersmünster

Der Reisende, der zur Hochsommerzeit die schöne Rheinebene von Straßburg aus talaufwärts in der Richtung nach der Schweiz durchfährt, wird erstaunt sein, bald nach dem Verlassen der elsässischen Hauptstadt rechts und links vom Bahndamm ausgedehnte Kulturen einer sattgrünen Blattpflanze anzutreffen, deren „Nam und Art“ dem Nichteingeweihten einiges Kopfzerbrechen zu verursachen pflegt, aber der kundige Thebaner wird in den meterhohen Stauden, von denen einzelne – die Samenpflanzen – noch von anmutigen rosaroten Blütendolden überragt werden, ohne Schwierigkeit unser beliebtes Rauchkraut, den Tabak, erkennen.

Gegen die Städtchen Erstein und Benfeld zu werden diese Anpflanzungen immer zahlreicher und dichter. In letztgenanntem Ort befinden sich von der früheren französischen Tabakregieverwaltung errichtete ausgedehnte Magazingebäude, die jetzt nur zum Teil als Amts- und Fermentationslager auswärtiger Tabakfabrikanten verwendet werden. Benfeld ist zugleich als der Mittelpunkt des Tabakbaudistrikts der elsässischen Rheinebene anzusehen. In den nun folgenden Gemeinden Sermersheim, Kogenheim und Ebersheim, die zusammen jährlich etwa 250 Hektar Bodenfläche und somit etwa den fünften Teil des gesamten im Reichsland in Ertrag stehenden Tabaklandes diesem Kulturzweig widmen, erreicht die Dichtigkeit der Tabakpflanzungen ihren Höhepunkt. Soweit das Auge blickt, schließt sich hier oft auf weite Strecken ein Tabakstück in unmittelbarer Reihenfolge an das andere an, so daß die Landschaft hierdurch ein nahezu tropisches Gepräge erhält. Gegen Schlettstadt zu nehmen die Tabakfelder dann wieder ab, weil hier, wie fast in dem ganzen Bezirk Oberelsaß, der Weinbau den vorherrschenden Kulturzweig bildet und die Rebstöcke selbst bis in die Niederungen der Rheinebene hinab den übrigen Spezialkulturen den Raum streitig machen. Auch nördlich von Straßburg im Kreis Hagenau befindet sich ein größerer Tabakbaubezirk mit den Hauptgemeinden Brumath, Geudertheim, Weyersheim, Hördt und andern. In den übrigen Gegenden des Elsaß, wie auch im Bezirk Lothringen, kommt der Tabakbau mehr vereinzelt vor und erlangt keine besondere Bedeutung.

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Ueberhaupt ist das Reichsland gegenwärtig bei weitem nicht mehr das Tabakland par excellence wie früher, wie noch zur Zeit seiner Wiedervereinigung mit dem deutschen Vaterland. In jener Zeit umfaßten die Tabakpflanzungen hierzulande gegen 12 000 Hektar Bodenfläche, gegenwärtig wird aber nur noch etwa der zehnte Teil dieser Fläche bebaut. In bezug auf die Tabakproduktion wird unser Ländchen zurzeit vom Großherzogtum Baden sowie von Preußen und der Rheinpfalz zum Teil sehr erheblich übertroffen.

Wenn daher, hauptsächlich infolge des Fortfalls des früher im Land bestandenen Tabakmonopols und der überseeischen Konkurrenz, der Tabakbau in Elsaß-Lothringen zurzeit gegen früher bedeutend abgenommen hat, so wird diese Kultur im Reichsland doch auf die rationellste und erfolgreichste Art betrieben. Dieses erfreuliche Ergebnis verdankt das Land in erster Linie seinen günstigen Boden- und klimatischen Verhältnissen, den langjährigen Traditionen und Erfahrungen auf diesem Gebiet, dem Fleiß, der Anstelligkeit und Rechtlichkeit des reichsländischen Tabakbauers, dann aber auch der verständnisvollen Anleitung der Bevölkerung durch Belehrung sowie durch Veranstaltung von Düngungs- und Kulturversuchen seitens der hierzu berufenen Organe der Landesregierung, insbesondere der Leiter der Kaiserlichen Tabakmanufaktur zu Straßburg und der in äußerst sachgemäßer und gewissenhafter Weise ausgeübten Steuerkontrolle, die einerseits bemüht ist, bei Eintritt besonderer Verhältnisse, wie Mißwachs, Wetterschaden und dergleichen, alle Härten, zu denen der Besteuerungsmodus etwa Veranlassung geben könnte, auszugleichen, anderseits aber auch dafür Sorge trägt, daß Verheimlichungen und Verzettlungen des gewonnenen Tabaks ausgeschlossen bleiben.

Beginn der Tabakernte
Beginn der Tabakernte
Das Magazingebäude der Tabakmanufakrur in Benfeld
Das Magazingebäude der Tabakmanufakrur in Benfeld
Im Tabakfeld in Ebersmünster
Im Tabakfeld in Ebersmünster

Was nun die Kultur des Tabaks selbst anlangt, so werden im Elsaß hauptsächlich die einheimische Sorte früher Gundi- jetzt Elsaßtabak genannt, dann Ammerforter und Habanatabak, in neuerer Zeit hin und wieder auch Maryland und Konnektikuttabak angepflanzt. Ende Mai und Anfang Juni werden die jungen Pflanzen aus den Saatbeeten ins freie Feld versetzt. Später werden die Pflanzungen behackt (gerührt) und – meist mit dem Häufelpflug – angehöht. Wenn sich dann die einzelnen Pflanzen gehörig entwickelt haben, werden sie, soweit sie nicht zur Samengewinnung dienen sollen, geköpft und entgeizt. Mitte August stehen die Felder meist in voller Entwicklung, und nun wird zunächst mit der Ernte der Bodenblätter, des hier sogenannten „Rebüt“, begonnen, nachdem zuvor seitens der Steuerbehörde eine für die Inhaber der einzelnen Grundstücke verbindliche Feststellung der Blätterzahl oder der Gewichtsmenge vorgenommen worden ist, die mindestens zur Verwiegung gestellt und versteuert werden muß.

Nachdem während der Einschätzungszeit bereits der größte Teil der Sand- und Bodenblätter der Tabakstauden abgenommen worden ist, beginnt in der Regel unmittelbar auch die Ernte des Obergutes. Die Blätter werden vorsichtig von dem Stamm der Staude abgestreift, mit Hanfschnüren zu Bündeln zusammengebunden und, sobald eine Wagenladung beisammen ist, nach dem Gehöft des Pflanzers übergeführt. Hier beginnt nun ein lustiges Treiben. Sowohl in den Höfen selbst wie in den sogenannten Hängen, luftigen, zum Aufhängen und Trocknen des Tabaks besonders hergerichteten Holzschuppen zum Teil von sehr ansehnlicher Ausdehnung, harren Frauen und Kinder des geernteten Gutes. Sie nehmen die Blätterbündel in Empfang, lösen die zusammenhaltenden Stränge und reihen mittels großer Eisennadeln die einzelnen Blätter an den Stielenden auf lange Schnüre. Die hierdurch gebildeten Blätterketten werden sodann in den Hängen aufgeknüpft und bleiben hier bis zum völligen Trocknen der Ware aufbewahrt.

Eine Tabakhänge in Kogenheim - Die Blätter der Tabakpflanzen werden getrocknet
Eine Tabakhänge in Kogenheim – Die Blätter der Tabakpflanzen werden getrocknet

Am Schluß der Ernte stellen sich in der Regel auch die Einkäufer der Händler und Fabrikanten ein, und bereits jetzt werden die Preise festgesetzt und die Käufe abgeschlossen. Der Preis für den Doppelzentner getrockneter, aber noch nicht fermentierter und fabrikationsreicher Tabakblätter schwankt für Sandblätter und Obergut je nach Qualität und Konjunktur zwischen 30 und 66 Mark. In der Zeit zwischen Neujahr und Ostern erscheinen dann abermals Steuerbeamte in den wichtigeren Tabakgemeinden, um die Verwiegung des nun völlig getrockneten Tabaks und die Feststellung des Steuersolls vorzunehmen. Bei dieser Gelegenheit geht der Tabak in der Regel in die Hände des Käufers über, der auch die Verpflichtung zur Steuerentrichtung übernimmt. In den Lagern der Fabrikanten werden alsdann die trockenen Tabakblätter noch einer Behandlung mit Salz und Beizen, einem als „Fermentation“ bezeichneten Gärungsprozeß unterworfen und hierdurch völlig fabrikationsreif gemacht.

Dieser Artikel von J. H. Mertens erschien zuerst in Die Woche 41/1903.