Von Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Albert. Eulenburg. Durch die vielbesprochenen Vorgänge, die sich in dem Kolleg eines angesehenen medizinischen Dozenten an der Beliner Universität vor kurzem abgespielt haben, und die daran in einigen Frauenvereinen geknüpfte Agitation ist die Frage der Zulassung der Frauen zu den akademischen Studien, die man nachgerade als zu einem gewissen Abschluß gelangt ansehn durfte, wieder zu „aktueller“ Bedeutung erhoben worden.
Bekanntlich hatte jener Dozent, dessen Auditorium mehrmals der Schauplatz tumultuarischer Auftritte von seiten einer durch die Zulassung einer Dame in ihren heiligsten Gefühlen gekränkten Hörerschaft geworden war, infolgedessen der Dame die früher erteilte Erlaubnis sich nach den in die Oeffentlichkeit gedrungenen übereinstimmenden Berichten in der bei dieser Gelegenheit an seine männliche Hörerschaft gehaltenen motivierenden Ansprache dahin geäußert haben, daß diese Scenen von neuem den Beweis erbracht hätten, wie richtig die schon früher von einem berühmten Hochschullehrer vertretene Ansicht sei, daß ein akademisches Frauenstudium nur bei getrennten Vorlesungen für beide Geschlechter als möglich erscheine.
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Gegen diese Stellungnahme und die daraus gezogenen praktischen Konsequenzen wendet sich hauptsächlich eine von dem Verein für Frauenstudium an den Senat der Berliner Universität gerichtete Petition, worin die in Aussicht genommene Einrichtung getrennter Vorlesungen als eine ernste Gefahr für das Frauenstudium beklagt wird, weil diesem unter solchen Umständen unvermeidlich „das Odium der Minderwertigkeit“ anhaften wird, für das dagegen der freie Wettbewerb in gemeinsamer Arbeit keine Grundlage liefert.
Wenn auch ein unmittelbarer Erfolg dieser Petition sowie eines aus gleichem Anlaß von dem Berliner Zweigverein der internationalen Föderation an den Senat gerichteten Schreibens schwerlich zu erwarten steht, weil nach Lage der Dinge bei uns die Zulassung oder Nichtzulassung von Hörerinnen einstweilen völlig in das Belieben jedes einzelnen Universitätsdozenten gestellt ist und bindende Rechtsnormen oder auch nur eine Art Gewohnheitsrecht dafür nicht existieren – so verlohnt es sich doch wohl der Mühe, die innere Berechtigung des in jener Frauenpetition geltend gemachten Standpunkts an der Hand des bereits vorliegenden, gesicherten Thatsachenmaterials etwas genauer zu prüfen.
Man muß dabei von dem den Ausgangspunkt dieser Erörterungen bildenden Einzelfall als solchem vollständig absehn. Es mag dahingestellt bleiben, ob in diesem Fall nicht der Sache ein anderer Ausgang hätte gegeben werden können – ob zu dem immerhin befremdenden und seltsamen (mir wenigstens aus einer langjährigen akademischen Thätigkeit nicht erinnerlichen) Auskunftsmittel des Widerufs einer schon gegebenen Erlaubnis zum Vorlesungsbesuch gegriffen werden mußte; es mag angenommen werden, daß der eine so mißliche Lage versetzte Dozent das Klügste und den Umständen Angemessenste gethan und den viel geliebten „Opportunitätsrücksichten“ nicht mehr als gebührlich Rechnung getragen hat. Darauf, wie gesagt, kommt hier nicht an; vielmehr nur auf das allgemeine Prinzip, die Berechtigung des akademischen Frauenstudiums einmal zugegeben (und diejenigen, die sie heutzutage noch leugnen, können füglich überhaupt außer Diskussion bleiben) sich eine Gemeinsamkeit oder Trennung des Studiums für beide Geschlechter als wünschenswert oder notwendig, im Interesse beider Teile oder des einen von ihnen vorzugsweise geboten herausstellt?
Diese Frage des gemeinschaftlichen oder getrennten Studiums ist nun keineswegs erst neuerdings aufgeworfen, sondern sie reicht ziemlich so weit hinauf wie die Anfänge eines Universitätsstudiums der Frauen überhaupt, d. h. mehr als drei Dezennien, und sie ist seit dieser Zeit nicht nur ein beliebter Gegenstand theoretischer Erörterung gewesen, sondern hat der praktischen Erfahrung an den verschiedensten Orten und unter den verschiedensten Umständen in ausgedehntem Maß untergelegen, so daß wir wohl in der Lage und befugt sind, uns auf Grund des bisherigen Thatsachenmaterials ein einigermaßen zutreffendes Urteil darüber gegenwärtig zu bilden. Der Zukunft mag es dabei immerhin überlassen bleiben, dieses Urteil zu bestätigen oder auch auf noch breiterer Erfahrungsgrundlage teilweise zu korrigieren.
Wohl die gründlichsten und umfassendsten Beobachtungen über das gemeinsame Universitätsstudium beider Geschlechter sind an den schweizerischen Universitäten gemacht worden, die schon seit Mitte der sechziger Jahre der Zulassung von Frauen, insbesondere auch zu den medizinischen Studien, kein Hindernis in den Weg legten. Die Ergebnisse dieser Beobachtungen sprechen nun durchweg zu Gunsten eines solchen, nicht nur als möglich, sondern sogar als nützlich, als zu einem heilsamen Wetteifer anspornend erkannten gemeinsamen Studiums.
Ich selbst habe zufällig schon im Jahr 1867 bei einem damals in Zürich verbrachten halbjährigen Studienaufenthalt Gelegenheit gehabt, mich in Kliniken und Vorlesungen (auch in den so übel beleumundeten anatomischen Vorlesungen) mit den damals allerdings noch spärlichen Studentinnen der Medizin zusammenzubewegen, und es hat sich damals wie auch später aus diesem Zusammensein und der gemeinschaftlichen wissenschaftlichen Arbeit beider Geschlechter niemals der geringste Uebelstand ergeben. Von den bei unserer zartbesaiteten Berliner Studentenschaft anscheinend so stark ausgesprochenen moralischen Skrupeln habe ich bei den damaligen schweizerischen Kommilitonen so wenig wahrnehmen können wie von Zimperlichkeit und Prüderie auf Seiten der Kommilitoninnen; offenbar ließen der bei beiden Teilen vorhandene sachliche Eifer, die Gleichheit und Gemeinsamkeit regen wissenschaftlichen Strebens derartige Stimmungen und Vorstellungen überhaupt gar nicht aufkommen.
Auch später, bei allmählicher Zunahme der Studentinnen, namentlich in den medizinischen Fakultäten von Zürich und Bern, in geringerem Grade auch in Basel, Lausanne und Genf, ist es in dieser Beziehung nicht anders geworden.
Die kundgegebenen Meinungsäußerungen aller hervorragenden Lehrer der genannten Hochschulen sind darin durchweg übereinstimmend. Der verdienstvolle ehemalige Professor der Hygiene an der Universität Moskau, Erismann, der seit einigen Jahren wieder in seiner Heimatstadt Zürich lebt, hat sich die Mühe gegeben, diese Meinungsäußerungen zusammenzustellen; und es kann allen, die noch an der Durchführbarkeit und Nützlichkeit eines gemeinsamen akademischen Studiums für beide Geschlechter Zweifel hegen, nur dringend empfohlen werden, von dem Inhalt dieser Arbeit recht genaue Kenntnis zu nehmen. Während bei einer von dem schweizerischen Departement des Innern 1896 veranstalteten offiziellen Umfrage die medizinischen Fakultäten von Basel, Genf, Bern, Lausanne Kollektivgutachten über den fraglichen Gegenstand abgaben, die sich sämtlich über das gemeinsame Studium höchst günstig aussprachen, hat in Zürich eine Reihe hervorragender Universitätslehrer eingehend begründete Spezialgutachten erstattet, die ausnahmslos in demselben Ergebnis gipfeln. Ich kann es mir nicht versagen, aus dem von vorlieb nehmen, wenn man das unzweifelhaft Bessere, d. h. das gemeinsame Studium für beide Geschlechter, einstweilen nicht durchsetzen kann. Es ist das ja wesentlich nur eine Frage der zu Gebote stehenden, d. h. der von öffentlicher und privater Seite zur Verfügung gestellten Mittel. Ueberall, wo besondere Anstalten für akademisches Frauenstudium zur Zeit bestehen wie in Amerika, England und neuerdings in Rußland, da hat sie nicht der Staat als solcher angeregt und geschaffen, sondern sie sind vielmehr aus privater Initiative hervorgegangen und größtenteils oder ausschließlich mit privaten Mitteln in Scene gesetzt worden.
Es ist schwerlich anzunehmen, daß es bei uns anders sein aus dem allgemeinen Säckel den Frauen ein von ihnen selbst nicht einmal als erwünscht betrachtetes Geschenk mit Errichtung von besonderen Frauenuniversitäten, klinischen und sonstigen Lehrinstituten u.s.w. zu machen. Von der organisatorischen und schöpferischen Privatthätigkeit aber ist auf diesem Gebiet aus naheliegenden Gründen vor der Hand noch weniger bei uns zu erwarten. Wer also ein akademisches Studium der Frauen als berechtigt anerkennt und seine Verwirklichung binnen absehbarer Zeit ernstlich erstrebt, der kann sich unter den bei uns gegebenen Verhältnissen nicht für ein getrenntes, sondern nur für ein beiden Geschlechtern gemeinsames Studium entscheiden, wie es sich überdies nach den schweizerischen Erfahrungen seit mehr als dreißig Jahre als durchführbar erwiesen und praktisch erprobt hat.
Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.