Unsere Diplomaten im Ausland – 6. Die deutsche Gesandtschaft in Bogota (Kolumbien)

Einen der interessantesten Posten in der diplomatischen Vertretung des Deutschen Reiches im Auslande bekleidet ohne Zweifel Freiherr Edwin von Seckendorff, der Gesandte Deutschlands in Bogota, der Hauptstadt des südamerikanischen Freistaates Kolumbia.

Seiner Tatkraft und seinem diplomatischen Geschick ist es vorbehalten, deutschem Unternehmungsgeist und deutschem Kapital, das schon heute mit mehr als hundert Millionen an der wirtschaftlichen Erschließung dieses reichen Landes beteiligt ist, eine Stätte zur Betätigung zu bereiten. Die Vereinigten Staaten von Kolumbien, wie der Freistaat offiziell heißt, haben infolge der Jahrzehnte dauernden Bürgerkriege wiederholt die Aufmerksamkeit der europäischen Oeffentlichkeit auf sich gezogen, und auch die Regierung der nordamerikanischen Union sah sich erst vor wenigen Jahren veranlaßt, dort mit bewaffneter Hand einzuschreiten. Das war zur Zeit, als der Staat Panama vom kolumbischen Staatenbund abfiel, weil letzterer nicht in den Verkauf der Konzession für den Bau des Panamakanals an die Union einwilligen wollte.

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Die Zerfahrenheit aller politischen Verhältnisse und die aus Anlaß der Loslösung Panamas geführten nutzlosen Kämpfe und Verhandlungen haben das Land an den Abgrund des wirtschaftlichen Ruins geführt, der in der vollkommenen Entwertung des kolumbischen Geldes und in der Deroute aller seiner Werte beredten Ausdruck findet.

Freiherr von Seckendorff
Freifrau von Seckendorff

Seit dem Regierungsantritt des 1904 gewählten neuen Präsidenten General Rafael Reyes vollzieht sich aber eine Wandlung zum Besseren. Reyes ist ein energischer, gebildeter und ehrlicher Mann, dessen Wahlspruch: „Bessere Verwaltung und weniger Politik“ dem Lande nur zum Segen gereichen kann. Wie energisch er vorgeht, kann man daraus ersehen, daß er, als der Bundeskongreß sich, um ihm Verlegenheiten zu bereiten, um Weihnachten vorigen Jahres vertagte, ohne das Budget zu erledigen, im Januar eine Notablenversammlung einberief und ihr mitteilte, er werde dem Lande eine neue Verfassung aufzwingen und vorläufig ohne Kongreß regieren. Diesen seinen Entschluß hat er ausgeführt, und alles deutet darauf hin, daß vorläufig wenigstens Ruhe und Frieden im Lande herrschen werden.

Freiherr von Seckendorff in seinem Arbeitszimmer

Kolumbien täte ein Porfirio Diaz not. Was hat dieser energische Mann während seiner langen Präsidentschaft aus Mexiko gemacht! Und Kolumbien, das an Größe Deutschland und Frankreich zusammengenonmmen gleichkommt, ist infolge seiner Ausdehnung, seiner großen natürlichen Reichtümer, die zum größten Teil noch der Erschließung harren, seiner Fruchtbarkeit und seiner intelligenten Bevölkerung zweifellos berufen, ein würdiges Glied in der Reihe der Kulturstaaten zu werden.

Gebäude d. deutschen Gesandtschaft

In Kolumbien sind alle Klimate der Erde vertreten, von tropischer Gluthitze bis zur Polarkälte. In der terra caliente, dem Küstengebiet, entfaltet sich die ganze Ueppigkeit tropischer Vegetation. Eine Stufe höher die terra templada, die das Klima Italiens hat, das Land der Orchideen und des Chinarindenbaumes. Noch höher hinauf erreichen wir die terra fria, das klassische Land der Kartoffel, von wo diese nützliche Frucht zu uns gekommen ist, ein Land mit frischem, gesundem Klima. Darüber hinaus ist die Region des ewigen Eises, beherrscht von den Bergriesen der Anden.

Empfangsräume in der Gesandtschaft

In der terra fria nun, inmitten einer flachen, wohlkultivierten Hochebene, liegt die Hauptstadt Bogota. Trotzdem sie über 100 000 Einwohner zählt, ist sie noch nicht mit dem Dampfroß zu erreichen. Nachdem man 1000 Kilometer den Magdalenenstrom mit dem Dampfer bis Honda hinaufgefahren, macht man noch heute wie vor Jahrhunderten auf dem Rücken des Maultiers jenen Weg, der seinen alten stolzen Namen des Königsweges mit recht wenig Befugnis trägt, aber von den drei Straßen, die von Honda nach Bogota führen, noch der beste ist. Die Jämmerlichkeit der Verkehrsverhältnisse ist einer der Hauptgründe, weshalb das Land, das wahrhaft ein Dorado werden könnte, nicht vorwärts kommt. Diesen beschwerlichen Weg haben auch Herr von Seckendorff und seine Gemahlin zurücklegen müsssen, als sie in die interessante Hauptstadt dieses merkwürdigen Landes einzogen. Sie fanden dort aber, von der Außenwelt fast abgeschlossen, einen geistig regen Ort mit vollständiger Universität und andern wissenschaftlichen Anstalten, mit einer eleganten und intelligenten Bevölkerung und einem zahlreichen diplomatischen Korps. Das Gesandtschaftspalais ist ein echt spanisches Gebäude, wie man sie überall in den ehemaligen spanischen Kolonien trifft, nach der Straße zu unansehnlich, im Innern geräumig und kühl und mit einem prächtigen Garten, wie die Abbildung zeigt. Und dieses Bild wie auch jenes des Herrn von Seckendorff im Gespräch mit dem amerikanischen Gesandten Russell, ist zugleich ein Zeugnis für den geselligen Verkehr und das gute Einvernehmen, das unter den diplomatischen Vertretern in Bogota herrscht.

Freiherr von Seckendorff und W. L. Kussell

Welch ein merkwürdiges Land, in dessen Herzen eine rege und interessante Hauptstadt, der Außenwelt entrückt, eine Stätte geistiger Kultur bildet, während des Landes unendliche Reichtümer von den Menschen noch kaum in Angriff genommen sind und unendliche Strecken fruchtbarsten Bodens in öder Einsamkeit daliegen!

Dieser Artikel erschien zuerst 1905 in Die Woche.