Der Nicaragua-Kanal

1890, Dr. H. Polakowsky. Ueber den Nicaragua-Kanal, den einzig möglichen interoceanischen Kanal in Mittel-Amerika, ist bereits in den Nrn. 61, 65 u. 67 d. Jahrg. 1887 und Nr. 78 des Jahrg. 1889 dies. Zeitung berichtet worden.

Zu den i. J. 1887 publizirten Artikeln ist zu bemerken, dass das Kanal-Projekt aufgrund weiterer Untersuchungen mehrere Veränderungen erfahren hat. Ueber diese und die heutige Lage des ganzen wichtigen Unternehmens – bei dem stets wachsenden Weltverkehre – will ich in den folgenden Zeilen berichten. Zum Verständniss derselben empfiehlt sich ein Vergleich mit der Karte auf S. 361 des Jahrgs. 1887.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Die Arbeiten am Nicaragua-Kanal wurden am 22. Okt. 1889 offiziel begonnen. Amerikanische Zeitungen bringen ausführliche Schilderungen dieses feierlichen Aktes, der in Gegenwart des Chef-Ingenieur Menocal, eines Vertreters der Regierung von Nicaragua und der Vereinigten Staaten, Englands und Deutschlands stattfand. – Am 20. Febr. 1890 wurde die „Maritime Canal Company of Nicaragua“ von dem Kongresse der Vereinigten Staaten privilegirt; am 14. Mai wurde das Direktorium der Gesellschaft gebildet und am 25. Mai ging die erste Expedition zum Beginne der Vorarbeiten (Errichtung von Gebäuden) nach San Juan del Norte (Greytown) ab. Es folgten im Verlaufe des Sommers mehrere weitere Sendungen von Materialien, Ingenieuren und Arbeitern.

Der Beginn der Arbeiten verzögerte sich bis zum Oktober durch die kleinliche Eifersucht der Regierung von Nicaragua, Diese und der grösste Theil der Presse Nicaragua’s zürnten darüber, dass die Maritime Canal Comp. einen Vertrag mit Costa-Rica abgeschlossen hatte, der dem mit Nicaragua vereinbarten fast gleich war. Nicaragua wollte die Erlaubniss zum Beginne der Arbeiten nicht eher geben, bis die Kanal-Gesellschaft den Vertrag mit Costa-Rica gelöst und sich verpflichtet hatte, den Kanal auf alle Fälle ganz auf nicaraguenser Gebiete zu erbauen.

Einen derartigen Vertrag schloss die Gesellschaft, nachdem sie sich zuerst geweigert hatte, Anfang Oktb, 1889 ab, und nun begannen die Arbeiten. Costa-Rica hat also nur das Recht, Ersatz für die durch Aufstauung des San Juan-Stromes überflutheten Ländereien zu verlangen. Es ist unbestreitbar, dass für die Westseite und für das Scheitelbecken bis zum Damme von Schoa die durch nicaraguenser Gebiet gehende Linie, wie dieselbe heut endgiltig angenommen ist, als die beste zu bezeichnen ist.

Anders liegt die Sache aber für die ganze östlich vom Ochoa-Damme belegene Kanal-Strecke. Hier ist wahrscheinlich die mehr südlich, durch das Gebiet von Costa-Rica gehende, oder wenigstens in demselben endende Route als vortheilhafter zu bezeichnen, und könnte desshalb der Vertrag vom 8. Oktb. 1889 leicht verhängnissvoll für das ganze Unternehmen werden. Ich komme auf diese Frage später noch näher zurück.

Plan und Profil des Nicaragua-Schiffahrts-Kanal – Westl. Abtheilung

Nach den Angaben der Gesellschaft sind bereits einige Arbeiterhäuser, Magazine, ein Hospital und einige Gebäude für die Ingenieure nördlich von Greytown, am Endpunkte des Kanals, wo eine Stadt „Amerika“ begründet werden soll, erbaut. Ein Hospital ist 12 Meilen von Greytown, in der Nähe der Wasserscheide der Ost-Sektion erbaut. Zur Verbesserung des Hafens, zur Forträumung der denselben sperrenden Barre, sind zwei, bei Will. Simons & Co. in Glasgow erbaute Dampfbagger von je 800 Pferdekr. thätig. Die grösseren Bagger, zur Austiefung des Hafens und zur Aushebung der Kanalstrecke bis zur ersten Schleuse, werden in Nord-Amerika erbaut und sollen erst im Frühjahr 1890 in Greytown eintreffen und ihre Thätigkeit beginnen.

Während der Monate Okt. 1889 bis März 1890 ist nur an der Säuberung der Kanalstrecke (bis Schleuse 1) vom Baumwuchse und an der Telegraphenleitung nach dem Dorfe Ochoa (die bis zum Nicaragua-See fortgeführt werden soll), gearbeitet worden, und zwar mit geringer Mannschaft. Es ist dies um so auffallender, als gerade diese Monate die relativ trockensten und also für derartige Arbeiten günstiger sind. Die zwei Millionen Dollar, über welche die Gesellschaft Mitte 1889 verfügen konnte, müssen bereits verbraucht sein und die Beschaffung neuer Gelder macht Schwierigkeiten. da sich die Grossfinanz der Union noch immer nicht für das Unternehmen interessirt. Die Gesellschaft hat sich bereits Ende 1889 wieder au den Kongress der Vereinigt. Staaten gewandt, von diesen, bezw. von der Regierung, weitere Privilegien (Uebernahme eines Theiles der Bausumme durch die Regierung) verlangt. Auch soll General-Direktor Kapit. Taylor, einer der eifrigsten Vertreter der Idee des Nicaragua-Kanales, seinen Austritt aus dem Direktorium der Marit. Can, Comp. angezeigt haben, da ihm die neue Politik derselben, die eine unbedingte Abhängigkeit von der Regierung von Nicaragua bedeutet, nicht gefällt.

Durch dieses Hoffen und Warten auf die Beschlüsse und event. Hilfe des Kongresses der Union erklärt sich auch die Unthätigkeit der Gesellschaft während des Winters 1889/90, über welche alle unabhängigen Berichte einig sind. Die Angelegenheit soll auch dem Kongresse aller Staaten Amerika’s, der seit Monaten in Washington tagt, vorgelegt werden.

Plan und Profil des Nicaragua-Schiffahrts-Kanal – Östl. Abtheilung

Was die aufgrund der 1888/89 ausgeführten Untersuchungs – Expedition beschlossenen Aenderungen der Trace betrifft, so hat man zunächst die auszuhebenden Erdmassen (und Kosten) dadurch zu verringern gesucht, dass man die vorhandenen Flüsse, welche die Trace durchschneidet, möglichst durch Aufstauen derselben in künstliche Seen (Becken) zu verwandeln sucht. So soll auf der West – Sektion durch Aufstauen des Rio Grande das Tola-Becken geschaffen werden, welches der Kanal auf eine Strecke von 8 km benutzen würde. Dieses Becken ist nach einem kleinen in den Rio Grande mündenden Fluss und einem in der Nähe belegenen Städtchen benannt worden. Es ist hier zu bemerken – und dasselbe gilt in noch höherem Maasse für die „Becken“ der Ost-Sektion – dass es entschieden irrig ist, anzunehmen, das Tola-Becken sei von der Natur vorgezeichnet, die vorhandenen Höhen schlössen dasselbe faktisch und ohne Lücken ein, der grosse, zur Aufstauung der R. Grande geplante Damm werde zur Anlage dieses Beckens genügen. Die beiden ersten Schleusen der West-Sekt. (vom Scheitelbecken aus gerechnet) Nummer 4 u. 5, sollen dicht westlich von diesem Damme angelegt werden, Schleuse 6 gleich hinter dem erweiterten Hafen-Eingange (Brito). Jede Schleuse hat, ein Gefälle von 11 m, Diese West-Sekt. des Kanales ist übrigens als die am besten untersuchte, mit endgültig festgestellter Trace versehene, zu bezeichnen. Der Hafen von Brito wird genügen; sollen die Schiffe doch nicht in demselben verweilen (um Kohlen, Wasser und Lebensmittel einzunehmen, Reparaturen vorzunehmen), sondern im See von Nicaragua, dem wahren Hafen des Kanales. Die als Entschädigung für die Ueberschwemmung (durch das Tola-Becken) zu zahlende Summe dürfte nicht gering sein.

Faktisch auszuheben sind nach den neuesten Modifikationen von der ganzen Route nur 44,5 km. Auf die verschiedenen künstlichen Becken kommen 33,5 auf den Nicaragua-See und den San Juan-Strom 195 km. Die auszuhebenden Erd- und Felsmassen werden auf 42 558 600 cbm berechnet. Durch die „Becken“ wird eine Strecke von 29 km des Kanales vollständig hergestellt (mit mindestens 0,92 m Tiefe), welche weder Baggerung noch sonstige Arbeit erfordern. Der See und der San Juan sollen zusammen 120 km des fertigen Kanales liefern. Für die rd. 70 km, welche hierbei auf den San Juan kommen, habe ich einige Bedenken. Ich meine, dass den zahlreichen und starken Krümmungen des Stromes manche hervor springende Uferecke ganz oder z. Th. fortzuräumen sein wird, soll die Mittellinie des Kanales (Segellinie) nicht allzu starke Kurven machen.

Wie die „Engeneering News“ (Heft 87 Bd. XXII vom 14. Septb. 1889) in einem sehr werthvollen, mit kleinen Karten und sehr schönen Profilen ausgestatteten Artikel behaupten, sind die zu durchstechenden Felsen derartig, dass sie die Herstellung ziemlich steiler Wände bei ihrer Durchstechung erlauben, ohne dass ein Nachrutschen derselben zu befürchten wäre. So hätten sich die Ingenieure und die Unternehmer, welche die Felsen untersuchten. ausgesprochen. Ob diese Annahme richtig ist, wird sich erst bei den Arbeiten selbst herausstellen. Wie ungenügend die bisherige Untersuchung der Felsen (im Massiv der Wasserscheide der Ost-Sektion) ist, ergiebt sich aus der Betrachtung der in die Profile der „Eng. News“ eingezeichneten Bohrlöcher.

Ich schiebe hier einen kleinen Auszug aus dem Berichte des Regierungs- und Baurathes Pescheck (deutsche Gesandtschaft in Paris) v. 19. Septbr. 1889, gerichtet an den Kgl. Staats- Minister v.

Maybach, ein. – P. schreibt über die Thalsperre des Tola-Beckens, welche 640 m lang und 25 m hoch sein soll: „Solcher Bau ist meist eine schwierige und bedenkliche Sache. Die anderen Thalsperren sollen, wie auch das ausgestellte (im Nicaragua-Pavillon der Pariser Welt-Ausstellung von 1889 nämlich) Modell andeutet, dagegen unbedeutend sein.“

„Der grosse Gebirgseinschnitt auf der atlantischen Seite des Kanales ist auf der Zeichnung auf etwa 2 1/2 Seeml. oder 4.6 km von beträchtlicher Höhe, welche nach dem Modell fast, durchweg rd. 80 m in der Mittellinie beträgt und mit der südlichen Seitenböschung bis etwa 100 m Höhe in das weiter ansteigende Gebirge hinauf reicht. Dies erinnert an den Gebirgseinschnitt, an welchem das Panama-Kanal-Unternehmen zu Grunde gegangen ist, und welcher in der Mittellinie bis 101 m ansteigt, während er mit der einen Böschung bis 160 m Höhe in das Gebirge hinaufragt. Die Bohrungen haben hier die Ausführungs-Schwierigkeiten nicht voraus sehen lassen.“

„Grossartige Gebirgs-Einschnitte für Seekanäle an Stellen, wo man bei Eisenbahnen Tunnels bohren würde, haben erst in neuester Zeit unternommen werden können, und liegen daher hierin noch keine anderen Erfahrungen vor, als die von Panama und Corinth, die auch noch nicht einmal abgeschlossen sind. Bisher hat sich immer nur gezeigt, dass solch Einschnitt unerwartet grosse Störungen des Gleichgewichtes in den Gebirgsmassen herbeiführt, denen mit entsprechend höher zu veranschlagenden Geldmitteln entgegen getreten werden muss.“

Wegen des grossen Staudammes bei Ochoa und der tiefen Einschnitte in der Ost-Sektion beurtheilt Hr. Pescheck das ganze Projekt etwas pessimistisch: „Nach allem gewinnt es den Anschein, als ob der Nicaragua-Plan dem Publikum mit Unterschätzung der Kosten und Ueberschätzung der Ertragsfähigkeit vorgeführt wird. – So weit Hr. Pescheck.

Von den auszuhebenden 15 600 000 cbm Yards Felsen kommen 14 Millionen auf die beiden Wasserscheiden. Hier glaubt man 10 000 Arbeiter beschäftigen zu müssen. Die Dämme sollen nicht, wie zuerst geplant, aus Betonwerk, sondern einfach aus den Felstrümmern errichtet werden. Die Anzahl dieser Dämme beträgt nach den Karten in den „Engin. News“ (a.a.O. S. 249) im San Francisco-Becken 14; im Deseado-Becken ist nur 1 Damm nothwendig. Zwischen beiden liegt die rd. 6,5 km lange Wasserscheide (s. Karte). Man rechnet darauf rd. 15 000 Jamaika-Neger anwerben zu können und schätzt den Tagelohn derselben (wenn keine Epidemien unter den Arbeitern ausbrechen) auf 1 Doll., was entschieden zu niedrig ist. Epidemien werden nicht befürchtet; die Gesundheit des Klimas auf der West-Sektion, wo rd. 1/3 der ganzen Arbeit auszuführen ist. wird in den „Engin. News“ gebührend hervor gehoben. Zur Verbesserung der gesundheitlichen Verhältnisse an der Küste von Greytown dürfte auch die geplante Wasserleitung viel beitragen, welche Trinkwasser von den Gebirgen nach der Küste führen soll.

Auf der Ost-Sektion geht der Kanal 18 km weit durch das San Francisco-Becken. Auch der den Rio San Francisco aufstauende Damm ist, wie der von Ochoa, als Ueberfallwehr konstruirt. Was den Umfang dieses „Beckens“ betrifft, so ist derselbe gegen N. auf keiner der bisher veröffentlichten Karten angegeben. Um Ueberschwemmung weiter Flächen (die hier allerdings unbewohnt und mit Urwald bedeckt sind), oder die Bildung eines neuen Abflusses nach den Tiefebenen der Ostküste zu vermeiden, werden auch hier noch einige grosse Dämme anzulegen sein, die nicht in den Kostenanschlag aufgenommen sind. Dem Deseado-Becken folgt der Kanal 6,5 km. Bis an den O.-Rand desselben reicht das Scheitelbecken. Die Lage der Schleusen und die Ableitung des unteren Laufes des R. Deseado und des Rio Juanillo ist aus der Karte ersichtlich. Die Konstruktion der geplanten Riesenschleuse (aufgrund der Untersuchungen von 1885-86) ist also vermieden. Jede Schleuse hat das gleiche Gefälle von 11 m,

Die schon oben erwähnten Profile der „Engin. News“ geben, aufgrund der bisherigen Bohr-Versuche, Aufschluss über die Natur der zu durchstechenden oder fortzuräumenden Erd- und Felsmassen. Beginnen wir in Brito, so ist zunächst Sand und Kies fortzuräumen; bei Schleuse 6 beginnt der sandige Lehm mit weißem Untergrunde. Von Schleuse 4 bis zum Tola-Becken sind nur Felsen auszuheben. An der Ost-Seite ist dieses Becken durch Aushebung von Lehm, Thon und Sand zu vertiefen. Vom R. Grande bis zum Nicaragua-See ist fast nur Fels, der von Sand, schwarzem Lehm und weissem und rothem Thon bedeckt ist, auszuheben. Am W.-Ufer des Nicaragua-Sees sind auf eine kurze Strecke Felsen und Sand, am O.-Ufer auf 6,5-8,0 km schwarzer Lehm auszubaggern. Beim Fort San Carlos ist zunächst blauer und rother Thon, mit Kies wechselnd, auszubaggern; dann sind mehr und mehr Felsen fortzusprengen. Der Grund des San Juan bleibt weiter östlich, wo der Strom durch das Aufstauen die erforderliche Tiefe von 9 m erlangt hat, felsig. Der Damm von Ochoa steht auf gelbem Sande. Vom Damme von Ochoa bis zur Wasserscheide der Ost-Sektion sind fast nur verschieden gefärbte Thone und nur an einer Stelle (rd. 38 km von Greytown) eine geringe Menge Fels fortzuräumen. Die Wasserscheide besteht fast nur aus Fels, nur eine schwache Schicht von rothem und weissem Thon bedeckt denselben. Schleuse 3 u. 2 sind im Fels angelegt. Dahinter sind Thone (mit Sand im Untergrunde) bis zur Schleuse 1.

Diese muss auf Sand fundirt werden. Von hier bis rd. 6,5 km von Greytown ist nur Thon mit wenig schwarzem Lehme auszuheben. Der Rest der O.-Sekt. bis Greytown (und darüber hinaus in den Atlant. Ocean) besteht aus Sand, der mit einer dünnen Lehmschicht bedeckt ist. Der Fels besteht meist, so z. B. die ganze östliche Wasserscheide, aus einem sehr harten, umgeschichteten, vulkanischen Gesteine (Trachyt), oder aus dem weniger harten „Talpetate“ oder „Tepetate“, welche Gesteinsart aus zusammengepresster Asche und Modder entstanden ist.

Der im April 1889 gemachte Versuch, den grössten Theil des Baukapitales durch Aktienzeichnung zu beschaffen, ist gescheitert. Die Mar. Can. Comp. of Nicaragua versucht jetzt die Zinsgewähr der Regierung der Vereinigt. Staaten für das Baukapital zu erlangen, indem sie annimmt, dass dann nur 4% für Zinsen und Amortisation zu zahlen sein werden. Sucht dagegen die Gesellschaft selbst das Baugeld, so muss sie wohl 6-8% zahlen. Bei Panama wurden bekanntlich zuletzt (für die Obligat. nouvelles) gegen 10% bezahlt. Bleiben die Verhandlungen mit der Regierung bezw. mit dem Kongresse der Ver. Staat. ergebnisslos, so will die Gesellschaft im April oder Mai 1890 nochmals die Listen zur Aktienzeichnung auslegen (und zwar auch in Europa).

Das Hauptbedenken gegen das ganze Projekt lässt sich in der Frage ausdrücken: Ist die angenommene Richtung für die O.-Sektion als die unbedingt beste zu bezeichnen, kann dieselbe als endgiltig angenommen betrachtet und bezeichnet werden? Ich verneine diese Frage aufgrund eines eingehenden Studiums des Karten-Materiales, welches über den unteren Lauf des San Juan-Stromes und die angrenzenden Gebiete veröffentlicht ist. Wäre es nicht richtiger, billiger und für den Bau und den Betrieb des Kanales sicherer, die Kanallinie dem Thalwege, dem Strome folgen zu lassen, statt sich einen Weg für dieselbe durch die Gebirge zu bahnen? Die grossen Kosten für den Durchbruch der östlichen Wasserscheide (mindestens 35 % der Kosten des ganzen Baues) und die noch unberechenbaren Gefahren desselben (da „Rutschpartien“ zu befürchten sind) würden so vermieden werden. Die Linie des Projekts von 1872-73 folgte dem Nord-Ufer des Stromes bis zur Stelle, wo die Deltabildung beginnt, wo sich der Rio Juanillo abzweigt, und es sollte der Kanal von diesem Punkte aus geradezu gegen N. nach Greytown geführt werden. Dass der San Juan selbst weiter östlich vom Damme von Ochoa, nach Aufnahme der Ströme San Carlos und Sarapiqui bis zu der Stelle, wo sich der mittlere Arm des Deltas, der eigentliche San Juan, von dem südlichen Arme, dem Rio Colorado, trennt, nicht als Kanal benutzt werden kann, ist als sicher zu betrachten. Die Erdmassen und die Anzahl der Baumstämme, welche diese Ströme in der Regenzeit mit sich führen, sind zu gewaltig und erschweren eine Reinhaltung des Kanales sowie die Sicherung der freien Schiffahrt auf demselben ungemein.

Dieser aus Costa Rica kommenden Ströme wegen kann auch der Kanal nicht auf dem südlichen Ufer des Stromes angelegt werden. An passenden Stellen (mit: Felsgrund) zur Anlage der Schleusen fehlt es dicht am Nord-Ufer des Stromes nicht. Diese Stellen sind bereits durch die Expedition der Amerikaner von 1872-73 gefunden und auf Taf. 4 des betreffenden Berichts bezeichnet.

[Reports of Explorations and Surveys for the location of a Ship-Cana through Nicaragua, 1872-73. Under the direct. of the Hon. George M. Roheson, Secretary of the Navg. Washington 1874]

Die Erdmassen und Baumstämme lagern sich meist auf der Strecke zwischen der Mündung des San Carlos und dem Delta ab oder werden durch den San Juan-Arm desselben dem Ocean zugeführt. Der südliche Arm, der Rio Colorado, ist breit und tief, zeigt eine starke Strömung und ist fast frei von Baumstämmen. So sprechen sich mehre Berichte, die durchaus Vertrauen verdienen, aus. Dieser Arm könnte also mit geringen Kosten zum Kanale umgewandelt werden. Die Mündung des Colorado ist allerdings kein Hafen; derselbe müsste erst geschaffen werden. Nicht viel besser liegen die Verhältnisse aber bei Greytown. Es bliebe nur noch die Schwierigkeit, die Strecke, wo der Kanal den San Juan (im Delta) schneidet, rein zu halten. Hier müsste derselbe erweitert werden und eine Anzahl Bagger ständig thätig sein.

Die Mehrzahl der 1887-89 an der endgiltigen Untersuchung und Festlegung und Vermessung der Ost-Sektion thätigen Ingenieure hat sich, nach durchaus zuverlässiger, uns zugegangener Nachricht, für die Richtung im Thalwege nach der Mündung des Colorado ausgesprochen. Die Kanal-Gesellschaft hat sich nur infolge eines starken Druckes, den die Regierung von Nicaragua auf dieselbe ausübte, für die heut als endgiltig angenommen zu betrachende Route entschieden. Die Regierung war entschlossen, die ganze Konzession zurück zu ziehen, wenn sich die Gesellschaft nicht verpflichtete, den ganzen Kanal auf dem Gebiete von Nicaragua zu erbauen. Die Eifersüchteleien zwischen den beiden „Bruder-Nationen“ Nicaragua und Costa-Rica haben also einen Einfluss ausgeübt, der leicht für das ganze Werk verhängnissvoll werden kann. Hier liegt auch einer der Gründe, weshalb es bisher nicht möglich war, das Baugeld in Nord-Amerika aufzutreiben. Costa-Rica und Nicaragua haben hierzu kein Geld. Bei dem Versuche vom April 1889 ist nicht eine Aktie der Kanal-Gesellschaft in diesen Ländern gezeichnet worden. Und die Kapitalisten der grossen seefahrenden Nationen, die ihr Geld für den Kanal hergeben sollen, können und werden verlangen, dass die denkbar beste Richtung für denselben ausgewählt werde. Auf die kindischen Eifersüchteleien zwischen den beiden Grenzstaaten darf keinerlei Rücksicht genommen werden.

Nun noch einige Worte über die voraussichtlichen Kosten des Baues. Legt man die von Menocal 1885 angenommenen Preise zugrunde, so erhält man für die reinen Baukosten (einschl.

Beleuchtung der Strecke) die Summe von 55 Mill. Doll. Menocal erhielt für die Linie von 1885 nach seiner Berechnung 51 228 958 Doll. Hierzu rechnete er 25% für Reisen, Hospitäler, Werkstätten, Verwaltung und zufällige Ereignisse. Diese Annahme ist entschieden nicht zu hoch. Schätzt man die Zinsen während der Bauzeit (6 Jahre) mit den Banquier-Gebühren auf 50 % der Arbeitskosten – was auch eine sehr günstige Annahme ist – so erhält man bereits 96 1/4 Mill. Doll. als Gesammtkosten des Baues. Hierbei sind aber noch nicht die an Costa-Rica zu zahlende Entschädigung und die an Private in Nicaragua zu zahlenden Expropriationen (für Ueberschwemmung ihrer Grundstücke) in Rechnung gesetzt. – Die Gesammtkosten werden sich bei der thatsächlichen Ausführung des Baues voraussichtlich auf 150-180 Mill. Doll. stellen. Aber auch diese Summe ist nicht zu hoch, Der Kanal wird selbst bei 200 Mill. Doll. Kosten im J.1896 bei einem Zolle von 2 Doll. Für 1 t ertragsfähig sein, wenn man auf einen Verkehr von 6 Mill. t rechnet und 6 % für Zinsen und Amortisation des Baukapitales ansetzt. Nach den sorgfältigsten Berechnungen der amerikanischen und französischen Statistiker ist auf einen solchen Verkehr schon im Jahre der Eröffnung zu rechnen.

Dieser Artikel erschien zuerst 1890 in der Deutschen Bauzeitung.