Ueber neuere Bibliotheken II – Die Carnegie Free Library in Alleghany, Pa.

Arch.: Smithmever & Pelz in Washington. Ein mächtiger Zug der Zeit drängt darauf hin, unseren Stadtbibliotheken eine Anlage zu geben, welche deren Schätze bequem erschliesst und voll nutzbar werden lässt. Verschiedene gute Beispiele derartiger Ausführungen sollen demnächst veröffentlicht werden.

Als dringlich dagegen wird der Mangel an guten Vorbildern für die Errichtung von Volks-Bibliotheken empfunden, wie sie in England und Nord-Amerika weder in irgend einer Kleinstadt, noch in den volkreichen Arbeitervierteln der Grosstädte, noch auch in deren Villenvorstädten fehlen. Manche dieser Bibliotheken (Public oder Free Libraries genannt) erreichen oder übersteigen den Umfang unserer grössten Staats-Bibliotheken, die kleineren werden grösstentheils (namentlich in Amerika) mit Museen zusammengebaut und fast in der Regel mit Vortragssälen ausgestattet; sehr häufig werden sie mit einem grösseren Konzertsaale zusammengebaut, jedoch durchweg unter Trennung durch Brandmauern und strenger Scheidung der Eingänge und der Bedachung. Zu bemerken ist dabei, dass die Bezeichnung „Free Library“ hier nicht allein die Bedeutung der „Unentgeltlichkeit“hat, sondern auch die der „Unabhängigkeit“, denn es vermögen sich gemäss ihrer Konstitution, selbst wenn sie vom Einzelstaate oder der Gemeinde errichtet oder ganz oder theilweise unterhalten werden müssen, darin weder politische, soziale oder gar kirchliche Einflüsse und einseitige wissenschaftliche Richtungen zur Geltung oder gar zur Herrschaft zu bringen: in dem von orthodox-puritanischem Kastengeiste beherrschten Boston steht die Venus von Milo frei inmitten des Zeitungs-Lesesaales der Volks-Bibliothek! Der Zusammenbau der anderen Institute giebt diesen gleichfalls den Schutz strengster Unpartheilichkeit in der Verwaltung. Einziges Ziel ist: Volksbildung auf freiester Grundlage!

Schnitt a-b
Obergeschoss
Erdgeschoss

Das ist auch in unserem Beispiele der Fall, zu welchem uns die von Hrn. Pelz mitgetheilten Ausführungs-Zeichnungen als Unterlage dienen. Da das Museum und der Vortragssaal hier im Obergeschoss und unter sich streng getrennt liegen, so kann der Erdgeschoss-Grundriss als ein selbständiges und unter sachgemässer Aenderung übertragbares Vorbild für Volks-Bibliotheken wohl angesehen werden.

Der 1887-88 in hellgrauem Granit ausgeführte Bau, welcher die Summe von 1 400 000 M. gekostet hat, ist von einem Hrn. Carnegie, dessen Namen er trägt, der Stadt Alleghany geschenkt worden. Zur Erlangung der Baupläne, für welche der Baustil vorgeschrieben wurde, war der Weg der Preisausschreibung gewählt worden. Smithmeyer & Pelz blieben Sieger, ihr Entwurf trug den I. Preis davon. Der mit dem II. Preise ausgezeichnete Entwurf war inbezug auf die architektonische Gestaltung dem vorliegenden wohl ebenbürtig, in der inneren Ausgestaltung wies er bemerkenswerthe Schönheiten auf, aber die Plangestaltung war als Volks-Bibliothek untauglich – gleichwie die der meisten von Richardson in derselben, nach ihm vielfach auch Romanesque benannten Stilrichtung geschaffenen Bibliotheken.

Die Bibliothek hat in ihrem durch eine Zwischendecke in zwei Bücherstöcke getrennten Magazin sehr enge Stände, rd. 1,50 m von Mitte zu Mitte; die Gerüste sind im vorderen Saale rd. 5 m, im hinteren 6 m lang und fassen insgesammt rd. 151 200 Bände, bei einer Berechnung von 100 Bänden auf 1 qm Ansichtsfläche. Die Zeitungen werden in dem auch die Heizung, sowie die Wärterwohnung usw. enthaltenden, durch Lichtschachte wohlerhellten und durchaus trocknen Untergeschoss mnagazinirt. Der unmittelbar an das Magazin anschliessende Saal ist als Arbeitssaal sowohl für die Bibliothekare wie für Studienzwecke eingerichtet und hat Arbeitsplätze für 25 Personen. Ein anschliessender Raum dient als Erfrischungszimmer für die in der Bibliothek beschäftigten Personen.

Der grosse Lesesaal, welcher rings mit Gerüsten für die Zeitschriften und Handbücher umzogen ist, gewährt 110 Lesern bequemen Platz; natürlich ist hier auf die reichlich angeordnete Abendbeleuchtung gerechnet, da der grössere Besuch wesentlich in die Abendstunden fällt. Der Raum im Thurme dient nur dem Verwaltungsrathe (Trustees) des Instituts und nicht dem eigentlichen Bibliothekbetriebe.

Carnegie Free Library

Die Hauptvorbedingungen für eine Volksbibliothek sind hier in ausserordentlich günstiger Weise erfüllt, namentlich die wesentlichste: die Uebersichtlichkeit und vollständige Ueberwachbarkeit von der Ausleihe (gleichzeitig Bücherausgabe) bezw. dem Katalogsaale aus, welcher von dem grossen Lesesaale nur durch Glaswände und Glasthüren geschieden ist. Die Anordnung des Arbeitssaales – ohne Abtrennung vom Magazin – erleichtert die Benutzung vom Stand aus und gewährleistet eine fortwährende Aufsicht auch dabei. Die Kleiderablage liegt – erwärmt – in der Haupttreppe, was ebenfalls von Bedeutung ist. Der Vortragssaal im Obergeschoss gewährt 308 gute Sitzplätze, der grosse Konzertsaal enthält deren 676 im Parket und 188 auf der Gallerie.

Dieser Artikel erschien zuerst am 08.06.1898 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „C. Jk.“.

Dieser Artikel ist Teil einer Serie:

1. Teil, Beschreibung der Universitäts-Bibliothek in Basel, als Teil einer Serie, die Ende des 19. Jahrhunderts erschien: Ueber neuere Bibliotheken I – Die neue Universitäts-Bibliothek in Basel.

2. Teil, als Teil der Serie über moderne Bibliotheken beschreibt dieser Artikel 1898 die Carnegie Free Library in den USA: Ueber neuere Bibliotheken – II. Die Carnegie Free Library in Alleghany, Pa.

3. Teil, 1898 wurde in diesem Text die Stadtbibliothek in Bremen beschrieben, welche 1894-96 neu entstanden ist: Ueber neuere Bibliotheken III – Die Stadtbibliothek in Bremen.

4. Teil, in diesem Teil der Serie über enuere Bibliotheken wird die Kongress-Bibliothek in Washington vorgestellt: Ueber neuere Bibliotheken IV – Die Kongress-Bibliothek in Washington, D. C.

5. Teil, zum 3. mal innerhalb von 30 Jahren musste 1894-98 in Köln ein neues Bibliotheksgebäude gebaut werden. Dieser Artikel erschien damals dazu: Ueber neuere Bibliotheken V – Das neue Bibliothek- und Archiv-Gebäude der Stadt Köln a. Rh.