V. Kinder-Zeit

Geburt

Jubel über Jubel im Hause! Die Mutter hat aus dem „Cuniberts-Pütz“ ein neues Brudermännche oder Schwestermädchen geholt, sich aber im Düsteren das Bein an den Pütz, den Brunnen, gestoßen, und muß krank das Bett hüten. Auch bei dem geringsten Bürger ist der Kindersegen ein Glück, jede Vermehrung desselben eine Freude, umsonst sagt der Kölner nicht:

„Vill Kinder, vill Schnedde Brud, evver och vill Vater unser“!

Der Verwandtschaft und Bekanntschaft wird die Ankunft des neuen Kölners förmlich durch die Wartefrau angesagt. In den ersten Tagen wird sich nach dem Befinden der Wöchnerin und des Kindes erkundigt. Dann fangen die Besuche an, und mit denselben das Bewundern des Kindes, wie schwer es ist, wie stark. Ist es ein Knabe, ist er dem Vater, ist es ein Mädchen, ist es der Mutter „we us den Augen gesehnedden“.

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Spenden des Ankömmlings

Der neue Weltbürger bringt immer den Geschwistern etwas mit: „Zuckerjods“, Biskuit, Speculatius und ähnliche Kinderseligkeiten. Bei der Niederkunft wohlhabender Frauen werden auch die Kinder der nächsten Nachbarschaft erfreut mit den Herrlichkeiten, welche der Ankömmling in den Windeln mitgebracht hat.

Zuckerjods, Zuckergut, Zuckerzeug.

Gevatter

Ein wichtiges Geschäft war die Wahl des Pathen und der Pathin, „Patt un Jot“. Selbst bei den besseren Classen das Ergebniß eines Familienrathes, blieb man hier auch gewöhnlich im Kreise der Familie. Die geringeren Classen betrachten die Pathenwahl als ein Speculations-Geschäft, sprachen reichere Bürger darum an, die Pathenstelle zu übernehmen. Der echte Kölner hielt es für eine Sünde, diese Bitte abzuschlagen, ließ man sich auch bei der Taufe durch einen Anderen, einen so genannten „Aaschjevatter“ vertreten, das Pathengeschenk fehlt aber nie, und erheischen es die Umstände, vergißt der Pathe nie seine Pflicht, der Eltern Stellvertreter zu sein. Der allgemeinen Ansicht nach, nahm das Kind den Charalter seines Pathen an: „Hae schlaech singem Patt“, oder „Idt singer Jot“, sind stehende Redensarten.

Schlaech, dritte Person Präs., gleicht, ähnlich sein in moralischer Beziehung. Das holl. slachten, Hptw. geslacht – Geschlecht derselben Art.

Taufe

Beim wohlhabenden Bürger wurde die Taufe im Hause vollzogen, bei den geringeren Classen nach herkömmlichem Ritus in der Kirche. Die ersteren halten viel auf eine lange Reihe von Namen, fünf, sechs an der Zahl, unter denen, nach den Pfarren, einer stereotyp, so in der Dompfarre „Hubert“ und „Hubertina“. Der kindliche Glaube ist der Ueberzeugung, daß derjenige, der diesen Namen führe, von keinem rasenden Hunde gebissen werden könne. Die ganze Sippe und die Frauen der Nachbarschaft waren zum Tauffeste gebeten, wo der Kaffee mit frischer „Raum“ nie fehlen durfte, und als Kaffeekuchen noch viel weniger der „türkische Bund“, der hausbacken, die Bretzeln und die Anisschnittchen.

Raum, kurz ausgesprochen, die Sahne, das holl. room, nordd. Rohm. – „Hae schept do Raum dervun“, sprüchwörtlicher Ausdruck: Er nimmt sich das Beste davon. Wird übrigens in allen romanischen und germanischen Sprachen in dieser Bedeutung gebraucht. Raum – abzuleiten von raeumen, abraumen, abschöpfen.

Die Frauen der Nachbarschaft sorgten auch aufs gewissenhafteste dafür, daß armen „Kromfrauen“ nichts abging und richteten bei ihnen auch die Taufe ein.

Wöchnerin, Kindbetterin, nordd. kramen, niederkommen, Krömfrau, holl. kromen, kraam, das Wochenbett.

Krohmkoche

Ein zweites Fest folgte dem ersten Ausgang der Wöchnerin, wenn sie sich nach sechs Wochen hatte in der Kirche ausweihen oder aussegnen lassen. Die sie zu Hause beglückwünschenden Nachbarn wurden tractirt, beim mittleren Bürger mit Anis-Branntwein, wobei natürlich der „Kromkochen“ nie fehlte, von dem auch Etwas für die Kinder abfiel.

Kinder Stillen

Die kölner Mütter setzten einen Stolz darin, selbst zu stillen, zu „schenken“, ein in dieser Bedeutung gar vielsagendes Wort.

Eine Amme ist eine Seltenheit; man hat sogar eine gewisse Scheu davor, und entschließt sich dazu nur, wo es die dringendste Nothwendigkeit erheischt. Die Amme ist selbst bei den Vornehmen noch kein Modemöbel. Wie gesagt, stolz ist die Mutter auf die Ausübung ihrer seligsten Pflicht, ihr Kind mit ihrem Leben selbst zu nähren. Nicht ohne Wahrheit ist die allgemeine Meinung, daß sich der Kinder Charakter, Neigungen bilden nach der Muttermilch, die sie getrunken haben. Wie mancher mag sich nicht zum Lügner, Spitzbuben u.s.w. an fremder Brust getrunken haben? In wie viele Familien mögen die Ammen nicht das Herzeleid, das jene an ihren Kindern erlebt, gebracht haben?

Weckelditzche

Im ersten Jahre seines Erdendaseins wird der kölner Mensch nicht als ein nach Gottes Ebenbild geschaffenes Wesen behandelt. Das erste halbe Jahr, und nicht selten noch länger, hat er Tag und Nacht die Arme fest am Leibe eingewickelt, im zweiten gönnt man ihm wenigstens am Tage die freie Bewegung der Arme. Ein werdender junger Kölner in seiner Original-Verpackung hatte als „Weckelditzehe“ etwas Originelles, glich einer Reihe Semmel.

Vor Allem wurde der Säugling vor Luft und Wind gehütet, nur immer recht warm gehalten, besonders der Kopf, auf dem Tag und Nacht die eng anschließende Barchent- oder Cattun-Mütze, de „Ging“ nicht fehlte, über die am Tage noch ein Zierhäubchen getragen wird. Grind, böse Augen waren die Folgen dieses Verpackungs-Systems. Viel, viel bedeutender war auch die Sterblichkeit unter den Kindern, als jetzt.

Ging, eine enganschließende Kopfbekleidung der Frauen, später allein der Nonnen. Daher Beging – die Nonne, mit der Ging versehen. Das franz. béguin, das engl. biggin.

So lange das Kind noch von der Mutter gestillt wird, muß in den Intervallen das so genannte „Föppchen“ die Brust ersetzen, ein Mundvoll in Milch aufgeweichtes Weißbrod mit Zucker in ein Stück Leinwand geschlagen und zu einem Pfropf zusammen gebunden, welcher dem Kinde in den Mund gesteckt und zur Vorsorge wohl mit einem Bändel an der Wiege befestigt wird, auf daß der werdende Kölner nicht erstickte. So wie das Kind gespänt, fängt das Breipappen an, wobei man, was die Größe der Löffel angeht, eben nicht sehr wählig.

Föppjen, herzuleiten von foppen, südd. foeppeln, Jemanden zum Besten halten, in den April schicken. Die Kinder werden durch das Föppjen gleichsam zum Besten gehalten, indem es ihnen die Mutterbrust vertreten soll.

Die Wiege steht, so lange das Kind nicht schläft, nie still, geht Tag und Nacht. Wie reich sind wir an Wiegenliedern:

Heijo popaeche,
Koch dem Kind en Aeche,
Dun im oech jett Zuckerehen dren,
Kritt dat Kingehen en andre Sen.

Schlöf Kingche schlöf,
Di Vatter höt de Schöf,
Di Mutter höt de Laemelein,
Sechlöf Hetzens-Kind allein.

Bejofung

Gegen das Impfen der Schutzblattern haben viele Kölner noch ein Vorurtheil, weßhalb auch noch immer blatternarbige Gesichter, „usjestoche Bildcher“, aus jener Periode, von der wir reden, vorkommen. Bei gewöhnlichen Krankheiten müssen Hausmittel helfen, Simpeln, wie der Kölner sagt. Der geringere Bürger nimmt nur im äußersten Nothfalle seine Zuflucht zum Arzte und besonders bei Kindern. Bei Kinderkrämpfen, der „Bejofung“, sucht man sich wohl noch durch Ueberlesen, d. h. kirchliches Einsegnen der Kinder zu helfen.

Bejofung, Convulsionen der Kinder, in Aachen Begosgut, Bejohung.

  1. Hexen

Der Aberglaube war, trotz der Franzosen, noch lange nicht gebannt. Wie viel wurde uns vom Behexen der Kinder erzählt, wie sich die Federn in den Bettchen zu Kränzchen bildeten durch der Hexen Gewalt, was die Bejofung der Kinder zur Folge hatte. Wie streng wurde es uns Kindern anempfohlen, uns nur ja nicht von fremden Frauen berühren zu lassen, nichts von denselben anzunehmen, das Kreuz zu schlagen, wenn uns eine Alte anredete oder freundlich zulächelte.

Butzekop

Mit dem Augenblicke, wo der Kölner anfing, von den eigenen Füßen Gebrauch machen zu wollen, wurde er in den Laufkorb gesteckt, in das Gängelband geschnürt, und sein Kopf mit einem mächtigen, pfundschweren Fallhute, dem kölnischen, „Butzekop“ aus Sammt oder Plüsch bewaffnet, welcher in manchen Familien schon, wer weiß, wie vielen Generationen, zum Schutz und Schirm der Köpfe gedient hatte.

Butzekop, der Fallhut. Von buzen, mit dumpfem Laut stoßen oder fallen und kop der Kopf.

Und nun der Mutter Seligkeit, wagte das Kind „Alleine, leine Baeumche“ die ersten Schritte, Schutz in den Armen, im Schooße der Mutter suchend! „Wie gross es et Kind? – Su gross“! Welche Seelenfreuden, wenn der Sprößling dann die Aermchen über den Kopf hob!

Kinder-Leiche

Starb ein Kind, wurde es, das Köpfchen mit dem Todtenkränzlein geschmückt, das Todtenhemdchen mit bunten Papier- und Klappergold-Schnitzeln bestreut, den Kleinen zur Schau ausgestellt. Ein Fest für die Kinder der Nachbarschaft, denn bei einer solchen Todtenschau fehlte nie das Stück Lebkuchen oder das Zuckerherzchen, uns Kindern noch wahre Leckerbissen. War die Leiche abgeholt, wurde Palm, d. h. die Blätter des Sinngrün, vor die Thür gestreut, wie dies auch noch geschieht, wird eine Jungfrau, ein Jüngling, ein Priester begraben, und, in symbolischer Bedeutung, ebenfalls, heirathet ein Paar, von dem weder Braut noch Bräutigam im Witwenstande lebte.

Auch die Leichen von vornehmen Personen, besonders von den Pfarrgeistlichen, wurden ein paar Tage auf dem Paradebett ausgestellt, ein vielbesuchtes Schauspiel für Jung und Alt, dabei eine reiche Aernte für die Bettler.

Gebetchen

Das Erste, welches ein Kind gelehrt wurde, konnte es einige Worte lallen, war das Kreuz machen. Dann folgte das Vater unser, das Glaubensbekenntniß und die gemüthvollen Kindergebete, wie:

„Lev Haer, dis Gebet schenk‘ ich der,
Mach ae frumm Kind us mer,
Sollt‘ ieh dat uit waehden,
Holl mich vun diser bedrövten Aehden. Amen!“

„Heilige Schötzengel mein
Loss mich der anbefohle sein,
Driv mich an zo Goddes Ehr,
Wend ab vu mer all böse Lehr!“

Hieher gehören auch die allbeliebten Kinderreime und Kindersprüchlein, mit welchen man die Kinder unterhielt und beschwichtigte, wie:

„Kenne, Kenne Wengehe,
Mungche Brüd,
Backelecher rüt,
Naesche pif,
Aeugelcher sif
Stenche platt,
Hoercher zipzap!“

„Do haes d’nen Daler,
Jang op der Maht,
Kauf der eKöhche,
E Kaelvche dozö,
E Stöckelche vum Schwaenzche,
Dilen, dilen Daenzche.“

Bei jedem Vers wird dem Kinde in die Hand geschlagen.

Dann beim Bezeichnen der Finger:
„Dae haeut Holz,
Dae hölt bei,
Dae koch Brei,
Dae schepp üs,
Un klei stubben Ditzehe is alles üs!“

Kinder-Kleider

Wurde auch in dem Kleinkinderzeug, das sich übrigens mehrere Geschlechter hindurch forterbte, in den reicheren Classen ein gewisser däftiger Luxus getrieben, so aber nicht in der Kinderkleidung der ersten Jahre. Die gewöhnliche Tracht für Knaben und Mädchen war bis zum fünften, sechsten Jahre der so genannte wollen gestrickte „Jussep“, der auch wohl jedes Jahr um ein Stück länger gestrickt ward. Im Hause trugen wir Kinder den „Pungl“, der, da er vor Schlafengehen angezogen wurde, uns gar oft ein wahrer Gräuel war, denn selbst im Sommer mußten wir mit den Hühnern schlafen gehen.

Jussep, Unterrock, Wamms von Jupe, Juppe, ital. giubba, span. jubon, adjuba, vom arabischen alhjubbah, baumwollenes Unterkleid.

Punjel, der Schlafrock, auch wohl Japung, Japungel, holl. Japong. Die Holländer ahmten, der Bequemlichkeit wegen, die langen Röcke der Japaneser als Hauskleid nach, und daher der Name.

Und auf diese Gesetze wurde mit exemtorischer Strenge geachtet. Unbeschreiblich ist die Freude, durfte man bei festlichen Gelegenheiten länger aufbleiben, auch wohl eine Belohnung für gute Führung. Eine solche Ausnahme wird mit einem gewissen Stolze den Cameraden erzählt, erregt nicht selten Neid und Mißgunst unter den Gespielen.

Die erste Hose

Ein wichtiger Lebensmoment war für den Knaben die erste Hose, kölnisch ,Boz“.

Boz, Hose, holl. bokse, bokzen. Im Kölnischen heißt Hoß, Hosse Strumpf, Strümpfe.

Hose und Wamms an einem Stück, von hinten zugeknöpft, dabei Schuhe mit Riemen auf dem Fuße zusammengebunden oder festgeknöpft. Da Taschentücher bei den Knaben ein seltener Luxusartikel, war der rechte Aermel des Wamms gewöhnlich lackirt, weil er die Stelle des Taschentuches vertrat. Wurde ein Taschentuch gegeben, nähte es die vorsichtige Mutter fest an die Tasche, oder es wurde an dieselbe festgeknüpft. An der Hose des Knaben fehlt nie das Hubertus-Riemchen, welches der Volksglaube als Schutzmittel gegen wüthende Hunde betrachtet. Amulette als Scapuliere, unter dem Namen „Teufelsgeistcher“, kamen auch noch vor, besonders wenn eine Nonne in der Familie oder in der Freundschaft.

Schulbesuch

Schulzwang kannte man nicht. Bei den geringeren Bürgerclassen war von Schulbesuch keine Rede; der Mittelstand schickte seine Kinder zur Schule. Der Schreck der Kinder. Die meisten Elementar-Schullocale waren düstere, dumpfe Höhlen, in die nicht Sonne noch Mond schienen. Die älteste Domschule z. B. war an der Nordwestseite des Domes zwischen die Pfeiler des Baues eingezwängt.

Schulstrafen

Die Schulen durfte man als wahre Folterkammern der Jugend bezeichnen, in denen vom Morgen bis zum Abende die Haselruthe, das Lineal, das Engkge Tau’s, der Ochsenziemer regiert, oder im Schulzimmer herumfliegt, um die Lässigen und Plauderer zu mahnen oder aufzufordern, herauszutreten, um sich systematisch durchbläuen zu lassen. Und wie erfinderisch waren manche der Schultyrannen in ihren Strafen, so unter den zahllosen Strafweisen, das Schlagen auf die Fingerspitzen, „Pütjer halden“, oder auf die flache Hand, das „auf Erbsen knieen“ und ähnliche pädagogische Erfindungen, wie Eselsohren, rothe Zungen u.s.w. Das spärliche Wissen wurde regelrecht eingebläut. Nichts natürlicher, als daß die Kinder mit Schreck und Graus an die Schule denken, besonders die Knaben jede Gelegenheit wahrnehmen, an der Schule vorbei, „blänke“ zu gehen.

Selten geht ein Morgen vorbei, ohne daß ihr in den zu den Schulen führenden Straßen nicht auf aus Leibeskräften brüllende Knaben stoßt, welche von einem Dienstboten oder selbst vom Vater oder der Mutter mit Gewalt nach der Schule spedirt werden, auch wohl mit umgehängten Betttuche, wenn dem Kleinen in der Nacht ein Unglück widerfahren war.

Täfelchen und Fibel

Des Wissens erste Quelle ist das „Täfelchen“, auf welches das große und kleine A B C gedruckt aufgeklebt, und das der hoffnungsvolle Kölner an einer Kordel am Halse trägt. Hat er es in Jahresfrist dahin gebracht, die Buchstaben zu kennen und „Ba, be, bi, bo, bu“ buchstabiren zu können, bekommt er die Fibel. Welch‘ ein Stolz, war dieselbe in recht buntes, oder gar golden Papier gebunden. Die einzelnen Buchstaben sind durch Bildchen und Knittelreime dargestellt und den Schluß macht ein Holzschnitt, den ich oft bewundert, das Jesukindlein mit einem Kreuz, auf einem großen Hahne reitend, hinter welchen ein Nest mit Eiern zu schauen, und der im Munde die Legende führt: „Lernt fleißig!“ Wie weit die Naivetät jener Zeit, ihre Unschuld ging, mag man daraus ersehen, daß bei dem Buchstaben X zu lesen:

„Xantippe war ’ne arge Hur,
X mal X maecht hundert nur.“

Unterhaltungen in der Schule

Mit ihrem ganzen Gewicht lastete die Langeweile in der Schule auf uns; es war ein Herzensgaudium, wenn wir unisono unsere Lungenkraft classenweise am Buchstabiren üben können. Sonst sucht man sich zu zerstreuen durch plastische Arbeiten aus Papier, das zu Hähnchen, Schiffchen, Salzfässern und Aehnlichem geformt wurde.

Schulbücher

In der Blumenzeit sind die Fibeln oder sonstigen Schulbücher mit Tulpenblättern und dergleichen ausgestattet, auch wohl mit Lotterie-Bildchen, nach denen um eine Nadel oder ein Stück Griffel gestochen wird. Zu den größten Seltenheiten gehört ein Buch, das nicht die Farbspuren einer solchen Benutzung trägt. Hat man es bis zum „Lei“, der Schiefertafel, gebracht, dann wurde auf Mord „Nüllchen“ gespielt, oder „Kis, Bodter, Brüd, schleit alle Heide, Türken düd“. Wie oft bin ich durch das mir um den Kopf sausende Seil des Magisters oder Präceptors, wie wir die Lehrer nannten, auch wohl „Domminus“, aus solchen Augenblicken des seligen Vergessens aufgeschreckt worden. „Paar oder Unpaar“ um Schüsser, die kölnischen „Oemmer“, und wenn’s anders nicht ging, um Aprikosenkerne und dergleichen, war eine gewöhnliche Unterhaltung, selbst in der Kirche.

Oemmer (Oemmerjöhnche), die Schüsser, die bekanntlich auf Mühlen gemahlen werden.

Aber wehe den Frevlern, wenn der Lehrer sie erwischte, denn die gehörige Tracht Prügel fehlte nie, aber das Schlimmste, die Schätze an Oemmern wurden schonungslos confiscirt, wie auch Obst und ähnliche Lecerbissen, die wir „mitkriegten“, ertappte uns der Lehrer, daß sie in der Schule verzehrt wurden.

Schulfeste

Die äußerst selten gespendeten „Fuss“ und „Fettmaennchen“ fanden ihren Weg oft, besonders bei den Mädchen, zum Zuckerbäcker für „Geschraeppels“ und „Zucker Papeer“, dies die Namen der Brosamen der Zuckerbäckereien und des Löschpapiers, auf denen Macronen und Biscuitchen gebacken.

Mit welcher Wollust wird es gekaut, ein Leckerbissen! Wie genügsam war die Kindheit. Selbst der Abfall der Hostienbäcker, das so genannte „Schrot“, war eine Delicatesse. Zuweilen wird auch Süßholz beim Materialisten geholt zum Kauen, oder Lakritze, „Kuletsch“, um in den heißen Tagen „Kuletsch-Wasser“ zu machen; welch ein kostbares Labsal!

Studien

Hochgelehrt ist man, zerbricht man sich den Kopf am Einmaleins, dem kleinen und dem großen, hat man den kleinen Katechismus und die biblische Geschichte in der Mache und, wenn man zum ersten Male zur Beicht gegangen, gar in der Kinderlehr ein Hauptstück aufgesagt, das aus gegenseitigen Fragen und Antworten aus dem Katechismus bestand, welche in der Kirche ganz mechanisch auswendig hergeleiert wurden. Dann führt man schon, gleich einem orientalischen Schriftgelehrten, neben der Schiefertafel den „Unkkocher“ mit der „Federscheide“, nach uralter, echt mittelalterlicher Form mit einander durch Schnüre in Verbindung gebracht, auch bei vorgerückteren Studien am Schulsacke hängend.

Unkkocher, Dintenfaß. Engl. ink, holl. inkt, köln. Unk, die Dinte. Kocher, Köcher.

Der große Katechismus kam dann an die Reihe, in dem man dem Kaiser Napoleon I. den Vorrang vor dem lieben Gotte gegeben hatte. Sogar die Schulbücher tragen den kaiserlichen Stempel, den auf Blitzen drohenden Adler.

Man erzählte uns Kindern, ein Secretär der Municipalität, Faber, sei bei der ersten Anwesenheit Napoleon’s als Consul in Köln, auf den Gedanken gekommen, die Fahnen der damals errichteten Ehrengarde mit dem römischen Legions-Adler zu schmücken.

Dies habe den ersten Consul so angesprochen, daß er diesen Adler zum Wappenzeichen seines neugeschaffenen Kaiserreiches gewählt, wie er seinen Purpur mit den goldenen Bienen, der Amtszierde der ersten fränkischen Könige, schmückte.

In den Schulen ging es den gemüthlichsten Schlendrian, weder Lehrer noch Schüler überarbeiteten sich, wie auch weder der Eine noch der Andere an häusliche Arbeiten dachten. Von außerordentlichster Wechselwirkung zwischen den Lehrern und den Eleven war das „Neujöhrchen“ und der „Bindband“ zum Namenstage, welche fein säuberlich in ein Papier gewickelt mit heiliger Scheu überreicht wurden; es feierten an solchen wichtigen Tagen auch Ossepisel und Engkge Tau’s ihren Sabbath. Am Namenstage gab es sogar „e Köpje“ Kaffee mit einer Bretzel oder ein Gläschen Wein.

Köppje, Tasse, der Kopf. Engl. eup, coop, holl. Kop, kopje, das Trinkgefäß, die Tasse, daher kölnisch Bannerkop, der Pocal eines Bannerherrn. Franz. la coupe, latein. cupa, kommt in der Bedeutung von Gefäß in allen germanischen Sprachen vor.

Auch wurde dem Lehrer wohl ein förmlicher Thron gebaut, und Sprüche „Spröch“ hergesagt und mit Schlüsselbüchsen kanonirt. Am Namenstage der Eltern mußte auch eine „Spröch“ zum Hersagen auswendig gelernt werden – eine Hercules-Arbeit! Wir wußten stets genau, wer am liberalsten in seinen Spenden gewesen, denn darüber stellten unsere Rücken und Posteriora oft ganz eigenthümliche Betrachtungen an.

Gar häufig wurden Nachmittags, nach dem Schulschlusse, die Bücher hinter einen Stein versteckt, um nicht am Spielen zu hindern, auch wohl auf dem Eise als Schlitten benutzt. Keine Seltenheit war es, junge Leute erst mit dem siebenzehnten oder achtzehnten Jahre die Elementarschule verlassen zu sehen, wenn sie ausstudirt, das Titelbuch oder gar die Zeitung lesen konnten. Eine rühmliche Ausnahme von diesem Treiben machte die evangelische Elementarschule unter der Leitung des würdigen Lehrers Almenräder.

Firmbengel

Welche Noth und Angst die erste Beichte. Aber welche Freude, wurde in Deutz gefirmt. Mit welchem Stolze habe ich meinen „Firmbengel“ getragen, ein buntes, handbreites Seidenband, das man an dem Tage der Firmung, wie ein Diadem, um die Stirn trug, und welches in langen Schleifen über den Rücken fiel. Die Kinder aus den Bauerbänken und vom Lande trugen halbe Fuß hohe Stirnbinden, die schreiend bunt mit Glasperlen, Papierblumen und Klappergold gestickt waren.

Namenstage

Am Namenstage band man uns wohl das Bild unseres Patronen, selbst in Begleitung von ein paar Bretzeln um den rechten Arm, ein Brauch, der aber schon in der mittleren Bürgerclasse in Abnahme gekommen war. Also aufgeputzt, einen Apfel in der Hand, zog der Knabe zuerst zu Pathe und Pathin, zu Verwandten und Bekannten, und Jeder steckte als Angebinde einen Stüber, ein Fettmännchen oder Fuß in den Apfel. Der Kaiser des weiland heiligen römischen Reichs konnte sich mit dem Reichsapfel nicht reicher wähnen, als der Knabe mit seinem Apfel.

Genügsamkeit war noch die Zierde, der Grund des Lebensglücks bei Alt und Jung. O schwere Zeit der schweren Noth, mußten die Kinder „in die Lehr“, das heißt, in die Vorbereitung zur ersten heiligen Communion. Die zwei Tage nach dem Confirmationstage waren unvergeßliche Festtage, die nicht selten den Apotheker in Nahrung setzten.

Spazirgänge

Rothe Tage im Lebenskalender der Kinder waren im Sommer die Ausflüge nach den Kappesbauern-Gärten, um sich krank an Weck und Milch zu essen, oder, wurde sonst ein Spazirgang mit den Eltern gemacht, wir gar nach Melaten, Kalk oder Wendelinus mitgenommen, wo uns der „Böreplatz“ ein wahres Manna in der einförmigen Wüste des Schullebens.

Sanct Nikolas

Und welche Freude voller Poesie des Kindes Herzen, der „Zinter Klohs!“.

Zinter Klohs, heiliger Nicolaus, holl. Sinterklaas, holl. sint, heilig; so heißt in Köln Zint Albohn, Sanct Alban, Zinter Vring, Sanct Severin, Zimmergen, Sanct Maria. In Aachen sagt man statt zint, sint zent, zentor.

Bescheerung

Ein wirkliches Kinderfest. Mit welcher Innigkeit beteten wir um die Bescheerung, welche der „heilig Mann“ brachte, in dessen Geleit der „Hans Muff“, der unartigen Kinder Schreck.

Hans Muff, Knecht Ruprecht. Muffen bezeichnet im Südd. knurren, brummen, keifen, und daher Muffer und Muff. Die Holländer geben den Westphalen und Deutschen den Ehrentitel: Mof.

Hoch klopfend vor Angst war jedes Kinderherz, besuchte am Vorabende des verhängnißvollen Tages der Bescheerung, des 6. Decembers, der heilige Mann, in Begleitung seiner Magd, der heiligen Barbara, und des Hans Muff die Häuser mit seinen Spenden und ernsten Mahnungen, oder wurden von unsichtbarer Hand die Aepfel, Nüsse und ähnliche Kostbarkeiten unter die knieend betende Kinderschaar geworfen. Wie andächtig aus tiefstem Herzen klangen die Vater unser der Kleinen, tönte von der Straße oder auf der Diele die Klingel.

Was war es für einen Familien-Jubel, stellten wir am Tage vorher, unsere Schüssel und auch wohl unsere Schuhe auf, wie es noch in Frankreich geschieht! Die Eltern wurden selbst mit uns wieder Kinder! Wie oft habe ich die Haferkiste bestohlen um die Thürschwelle mit Hafer zu bestreuen, damit der heilige Mann mit seinem Schimmel nur ja nicht vorbeiritt; wie oft bin ich im Dome mit Halsgefahr an den Beichtstühlen in der südlichen Vorhalle hinaufgeklettert, um dem heiligen Bischof Nicolaus, dort, eine ehrwürdige Figur, aufgestellt, meine Bitten schriftlich in den neben ihm stehenden Kübel mit den Kindern zu legen!

Und nun am frühen Morgen des Tages selbst das Suchen nach den Bescheerungen! Wer kann die Erwartung, wer den Kinder-Jubel schildern bei jedem Funde, jeder Entdeckung? Und mit so Wenigem war das reiche Kinderherz überglücklich, hatte der heilige Mann nur etwas mitgebracht von den Wundern, die wir auf dem St. Nicolaus-Markte, und hier besonders in der Bude des „Vingt-einq sous“ bestaunt – der Inhaber rief nämlich alle seine Herrlichkeiten für fünfundzwanzig Stüber das Stück aus. Wer könnte je die plastischen Kunstwerke unserer Stammbäcker vergessen, die Männer, Frauen, Reiter und Thiere aus Weißbrodteig in einer, jeder Phantasie spottenden Weise geformt und mit Wachholderkörner oder Korinthen, statt der Augen, versehen? Welche Freude, wenn diese Unaussprechlichen die Schaufenster unserer Mehlteig-Phidias schmückten, um später unseren „Heljemanns-Schotteln“ zur Zierde zu dienen. Der Hauptreichthum bestand jedoch herkömmlich aus Speculatius, Aepfeln und Nüssen.

Es war ein wahres Kinderfest, reich an der Poesie des Glaubens. Und wie lange, lange suchte man den Schein von sich zu halten, daß man wisse, wer der heilige Mann sei, weil dann die Bescheerungen aufhörten. Und in diesen Kinder-Bescheerungen machte sich noch keine Ostentation geltend. Ein Bild, oder gar ein bunter nürnberger Bilderbogen, welche Freude!

Wurde auch das Eine oder Andere der Spielsachen, besonders die Puppen der Schwestern, aus forschender Neugierde untersucht und zerstört, die Hauptsachen schloß die Mutter aber sorgsam fort und beglückte uns nur damit an hohen Tagen; – immer neu blieben die Spielsachen und erbten in den reicheren Familien auch wohl von Geschlecht zu Geschlecht. Das Haushalten in allen Dingen verstanden unsere Väter, unsere Mütter.

Merkwürdig, daß sich das uralte Kinderfest des heiligen Mannes noch über dem Meere in den Vereinigten Staaten erhalten hat, denn dort feiert die Kindheit noch den „Sint Clos“, wie ihn die ersten holländischen Ansiedler dort eingeführt haben.

Krippchen in den Kirchen

Um die Weihnachtszeit wurden in verschiedenen Kirchen, zur Freude von Jung und Alt, die „Krippchen“ gebaut. Der Stall mit dem Oechslein und dem Eselein, das Christkind in der Krippe mit Maria und Joseph, die Hirten auf dem Felde, denen der Engel die Geburt des Heilandes verkündet, dann die drei Weisen aus Morgenland mit dem Stern, und wie die Hauptmomente aus der Geburtsgeschichte des Heilandes heißen, die in figurenreichen Gruppen dargestellt waren. Noch hat ja Rom und jede Stadt Italiens ihren „Bambino“, zu dem Stadt- und Landvolk wallfahrtet. In unseren reicheren Familien baute man selbst in den Häusern solche Krippchen, und zwar mitunter, in Bezug auf die Figuren und Ausstattung, reich und kürnstlerisch schön, der Kinderwelt wahre Wunderschöpfungen. Aus Speculation wurden aber auch wohl in einzelnen Nachbarschaften solche Krippchen errichtet und für Geld gezeigt. Hierin der Anfang des Marionettenspiels, Verkleinerungswort von Maria, kölnisch noch Krippchen genannt, wie man daher sprüchwörtlich eine unordentliche tolle Wirthschaft „ae raech Kreppje“ nennt.

Fahrt der Glocken nach Rom

Wenn am grünen Donnerstage die Glocken nach Rom zogen, um dort „Weck und Milch zu essen“, und wir Knaben mit den Schnarren, „Raspeln“ und Klappern durch die Straßen ras’ten, um die Glocken für den Charfreitag zu ersetzen, war der Abend des Freitags voll der Erwartung. Wir Kinder lagen Stunden lang auf den Grasplätzen und schauten sehnsuchtsvoll in den Himmel, um die Glocken heimkehren zu sehen, denn, wie wir meinten, brachten sie uns etwas von Rom mit, und selbst die Täuschungen, die wir jahrelang erlebten, knickten nicht des Kindes Hoffnungen – darin blüht der Glückes-Frühling der Kindheit, sie hat Glauben und Vertrauen.

Elementar-Studien der Mädchen

Die Elementarstudien der Mädchen wurden in den katholischen Schulen nicht so weit getrieben. In den mittleren Bürgerclassen ist es eine Seltenheit, wenn eine Schöne „in der Feder erfahren“, das heißt etwas mehr, als ihren Namen schreiben und geläufig lesen kann. Die „Jungfern“, der ehrwürdige Name der Lehrerinnen, sahen mehr auf praktische Bildung für die Häuslichkeit.

Zeichenstahl und Stoppstahl

Besonders gepflegt wird die Strickkunst. In der „Planche“, dem Schulkasten der Mädchen, fehlt neben der „Hòs“, so nennt der Kölner altdeutsch den Strumpf, nie der Zeichenstahle (17), ein Stück Wirktuch, auf dem mit bunter Baumwolle Buchstaben, Ziffern und als bewunderte Kunstwerke der Name Jesus, Blumentöpfe, Monstranzen und dergl. gestickt werden, und eben so wenig der Stopfstahle.

Stahl, Zeugstreifen, daher auch Muster von Tuch oder sonstigen Zeugen; Stählchenbuch, Musterkarte.

Unsere Mütter hielten viel, sehr viel aufs Stopfen. Fing die Leinwand an irgend einer Stelle an, dünn zu werden, sofort mußte gestopft werden, in echt kölnischen Familien, und zwar wohlhabenden, stopfte man sogar den Schüsselwisch, den kölnischen „Spölsplagge“. Die Mädchen erhielten gewöhnlich eine häusliche Arbeit, einen „Feier“, das hieß so oder viele Näthchen zu stricken, und daß diese Feier sorgfältig gemacht wurde, darauf achteten die strengen Mütter. Für die höhere Bildung der Mädchen sorgten einige so genannte französische Schulen.

Kölnische Sprache

Wir Kinder sprachen natürlich nur kölnisch, denn mit einem gewissen Stolze bewahren die echt kölnischen Familien die kölnische Mundart, die man von Arm und Reich in ihren verschiedenen Nüancen nach den verschiedenen Stadtvierteln reden hört.

Heißt es im Herzen der Stadt z. B. „Vatter“, „Mutter“, so hört man nach den Gränzen der Altstadt schon „Vader“ und „Moder“ und unter den Kappesbauern „Va“ und „Mo“. In Umbildungen und Contractionen der Vornamen überbietet der Kölner selbst den Engländer, doch geschieht dies auch in den einzelnen Stadtvierteln in verschiedener Weise. Heißt Theodor auf dem Altenmarkt „Dores“, Peter Joseph „Pitter Jusep“, Heinrich „Hen“, so am Nord- oder Südende der Stadt „Dei“, „Pitt-Jupp“ und „Drickes“, und „Kölschen Drickes“ ist der allbekannte Spitzname des Kölners, der damals noch stolz auf sein Driekesthum.

In den vornehmen Familien ist das „Mafrau“, „Mijuffer“ und das „Masöhr“, „Mungfraehr“ gäng und gebe. Eltern und Geschwister, deren Söhne und Brüder geistlich geworden, sprechen von denselben nie anders, als von dem „Hähr Son“, dem „Hähr Broder“. Es gab übrigens wenige kölnische Familien der höheren Stände und besonders der däftigen Mittelclasse, in denen kein geistlicher Hähr Uehm, keine geistliche Juffer Tant, überhaupt nicht irgend ein Geistlicher zu finden war. Die Pfründen wurden den Kindern schon in der Wiege gegeben, und so kannte ich Canonici, welche den Titel führten, auch die Pensionen bezogen, aber nie die Priesterweihe empfangen hatten.

Noch schämte sich Keiner der kölnischen Mundart, Niemand verbastardete dieselbe durch Einschmuggeln des Hochdeutschen. Die Sprache war der Spiegel des kölnischen Lebens, der Ausdruck naiver inniger Gemüthlichkeit. Ich habe noch in kölnischer Mundart predigen, selbst vor Gericht plaidiren hören, und hier gerieth auch wohl noch später bei einigen Advocaten das Kölnische zuweilen mit dem Schriftdeutschen in Conflict. Selbst der Präsident der von den Franzosen errichteten Handelskammer und des Handels-Tribunals, einer unserer ehrenwerthesten Bürger, schlecht und recht, dessen Herz warm fürs Gute und fürs Schöne schlug, der Banquier und Kaufherr Abraham Schaaffhausen, sprach gewöhnlich nur Kölnisch. Der Dialect des Kölners trug das Gepräge seines Charakters; ernst gemüthlich, weich, herzlich, die niederdeutsche Ruhe und Behäbigkeit erhält einen klar hervortretenden Anstrich rheinischer Lebendigkeit. Witz und Humor hatte der Kölner von seinen Vätern geerbt, und dem paßte seine Sprache sich oft recht drastisch an, doch hat derselbe, wie schlagend derb er auch sein mag, nie etwas Kaustisches, Zersetzendes, ihm fehlt nie das – Gemüth.

Hörten wir Knaben einen unserer Spielgenossen, die Söhne aus dem Bergischen eingewanderter Familien gutes Deutsch reden, dann hieß es: „Dae welt sich jett mache, – dat es ene Calviner!“

Dies ist ein Auschnitt aus dem Buch Köln 1812, mehr Infos dazu hier. Das Inhaltsverzeichnis zum Buch, in dem die online verfügbaren Abschnitte verlinkt sind, ist hier zu finden.