Victor Johann Gottlieb Schröter †.

Stadttheater in Tiflis. Architekt Prof. V. Schröter in St. Petersburg

Mit dem, wie wir bereits kurz meldeten, am 29. April d. J. in St. Petersburg verschiedenen Architekten kais. russ. Wirklichen Staatsrath Prof. Victor Johann Gottlieb Schröter, Excellenz, ist einer der hervorragendsten und vielseitigsten deutsch-russischen Architekten dahingeangen, welcher die deutsche Baukunst, die er durch den Gang seiner Studien vertrat, gegenüber den französischen Einflüssen in Russland zu hohen Ehren brachte.

Schröter war am 27. April 1839 in St. Petersburg geboren, wo er auch seine erste Ausbildung genoss, bis er dann im 18. Jahre, 1856, in die kaiserliche Akademie der Künste in St. Petersburg eintrat, um sich dem Studium der Baukunst zu widmen, Seine deutschen Beziehungen veranlassten ihn, dieses Studium in dem Atelier des Professors Ludwig Bohnstedts in Gotha, welcher zu jener Zeit eine ausgebreitete Thätigkeit entfaltete, fortzusetzen, und im Eerfolg seiner Wirksamkeit hier, beeinflusst durch die hellenistischen Bestrebungen Bohnstedts, wählte Schröter die damalige kgl. Bauakademie in Berlin, um seine Studien zum Abschluss zu bringen. Im Jahre 1858 wurde er in den Berliner Architekten-Verein aufgenommen, welchem er bis zu seinem Tode angehörte. Nach Russland zurückgekehrt, entfaltete der Verstorbene hier eine Thätigkeit, die sich in gleichem Maasse durch Umfang wie durch Vielseitigkeit auszeichnete und in welcher er besonders bestrebt war, der Natürlichkeit im Wesen und Material der Baukunst zum Rechte zu verhelfen, wozu seine Lehrthätigkeit, die er im kais. St. Petersburger Institut der Zivil-Ingenieure aufgenommen hatte, sowie seine Eigenschaft als Herausgeber einer russischen architektonischen Zeitschrift ihm eine hervorragende Gelegenheit darboten. Schröter war einer der ersten Architekten, die versuchten, in Russland die Architektur der Ersatzmittel durch Anwendung echter Materialien, wie Ziegel, Sandstein, Marmor, Hartgesteine usw. zu bekämpfen.

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Die vielseitige praktische Thätigkeit Schröters erstreckte sich zunächst auf Kirchenbauten; wir nennen hier unter anderen die am 5. Dez. 1896 eingeweihte reformirte Kirche in Odessa, eine eingebaute, im Stile der Frühgothik gehaltene, in Werkstein und Ziegelfugenbau errichtete Anlage; wir nennen ferner die eigenartige, im Jahre 1873 als Holzbau errichtete deutsch-lutherische Marienkirche in St. Petersburg, bei deren Anlage schon in so früher Zeit die praktischen Ansprüche des Protestantismus an das Kirchengebäude zu einem unbefangenen realistischen Ausdruck kamen. Es wären im Anschlusse hieran eine Reihe anderer kirchlicher Bauwerke zu nennen. Seine Thätigkeit auf diesem Gebiete wird aber übertroffen durch die von ihm errichteten Profanbauten. Es sind hier zu erwähnen das Gebäude der Russischen Bank in St. Petersburg, Bahnhofsbauten usw., vor allem aber seine zahlreichen Theater.

Grundriss des für St. Petersburg geplanten kais. Theaters
Grundriss des für St. Petersburg geplanten kais. Theaters
Grundriss des Stadttheaters in Tiflis. Architekt Prof. V. Schröter in St. Petersburg
Grundriss des Stadttheaters in Tiflis. Architekt Prof. V. Schröter in St. Petersburg
Grundriss für ein Volkstheater in Charkoff. Mit dem II. Preise ausgezeichneter Wettbewerbsentwurf von Prof. Victor Schröter
Grundriss für ein Volkstheater in Charkoff. Mit dem II. Preise ausgezeichneter Wettbewerbsentwurf von Prof. Victor Schröter

Vielleicht war der Theaterbau das Hauptarbeitsgebiet des Verstorbenen, auf welchem er seine bedeutendsten Erfolge errang. Es sei zur Begründung hierfür in erster Linie hingewiesen auf seinen grossgedachten Entwurf für ein kaiserliches Theater in St, Petersburg, welcher aber leider bis heute nicht zur Ausführung gekommen ist, wenn es nunmehr, nach dem Tode des Meisters, überhaupt noch dazu kommt, Wie die Abbildungen zeigen, ist der Entwurf so grossartig gedacht, dass das nach ihm ausgeführte Gebäude wohl hätte der Grossen Oper in Paris an die Seite gestellt werden können. Es gelang jedoch bis heute nicht, die Mittel für den Bau flüssig zu machen. Im Grundgedanken des Entwurfes geht Schröter auf Semper’sche Anordnungen zurück, die er, unbeeinflusst durch die Beschränkung in den Mitteln, in grossartigster Weise entwickelt. Man beachte die geräumigen Foyeranlagen, die stattliche Entwicklung der Nebensäle, die Anordnung der Hinterbühne mit den Kulissenmagazinen, die Anlage von Bibliothek und Theater-Museum, endlich die Anordnung eines Amphitheaters für Paraden, und man wird erkennen, dass es sich um einen Repräsentationsbau ersten Ranges handelt. –

Bei dem Stadttheater in Tiflis hat Schröter den Versuch gemacht, das Segment des Bayreuther Wagner-Theaters für ein Rangtheater zu verwerthen, ohne aber, dass es ihm gelungen wäre, die für diese Anordnung sehr ungünstigen Seitenlogen zu beseitigen. Im Aufbau ist der interessante Versuch unternommen, das abendländische Theater den morgenländischen Lokalforderungen anzupassen. Der Versuch ist durch Anwendung einer Art monumentaler Polychromie durch Verwendung verschiedenfarbigen Steinmaterials für das Aeussere wohl gelungen. –

Stadttheater in Tiflis. Architekt Prof. V. Schröter in St. Petersburg
Stadttheater in Tiflis. Architekt Prof. V. Schröter in St. Petersburg
Schnitt des kaiserlichen Theaters für St. Petersburg. Architekt Prof. Victor Schröter in St. Petersburg
Schnitt des kaiserlichen Theaters für St. Petersburg. Architekt Prof. Victor Schröter in St. Petersburg

Für die kaiserl, Theater in St. Petersburg führte Schröter noch ein Magazingebäude mit Malersaal aus, welches als ein treffliches Beispiel für den praktischen Sınn des Verstorbenen betrachtet werden darf. Das interessante Gebäude ist S. 118 und 119 des zweiten Bandes unserer „Baukunde des Architekten“, welchem auch die Abbildungen für die Theater in Tiflis und St. Petersburg entnommen sind, abgebildet.

Weitere Theatergebäude führte Schröter in Irkutsk in Sibirien, in Nishni-Nowgorod und in Kiew aus. Das letztere Theater dürfte noch im Bau sein. Ein Umbau des kaiserl, Marien-Theaters in St. Petersburg wurde ihm im Jahre 1885 übertragen. Interessant ist noch das Nemetti-Theater Schröters in St. Petersburg als Sommertheater, mit einem massiven kleinen Bühnenhause, alles übrige als Holzbau ausgeführt.

In einer Beziehung ist Russland dem westlichen Europa nicht unwesentlich voran, das ist die Verwerthung des Theaters als wirkliche Volksanstalt mit annähernd der sozialen Bedeutung, welche das Theater im Alterthum hatte. Mit einem solchen Theater pflegen Lesesäle, Säle für Theeausschank, Gemäldegallerien, kurz alle Einrichtungen verbunden zu sein, welche das Volkswohl fördern.

Stadttheater in Tiflis. Architekt Prof. V. Schröter in St. Petersburg
Stadttheater in Tiflis. Architekt Prof. V. Schröter in St. Petersburg
Hauptansicht des kaiserlichen Theaters für St. Petersburg. Architekt Prof. Victor Schröter in St. Petersburg
Hauptansicht des kaiserlichen Theaters für St. Petersburg. Architekt Prof. Victor Schröter in St. Petersburg

An einem öffentlichen Wettbewerbe für ein solches Volkstheater für Charkoff betheiligte sich der Verstorbene erfolgreich mit einem übersichtlichen Entwurfe, welcher den II. Preis errang und welcher im Grundriss dargestellt ist. Inzwischen sind auch in St. Petersburg ähnliche Anlagen, von anderer Hand errichtet, eröffnet worden, Die soziale Bedeutung dieser Art von Theaterbauten wird uns veranlassen, gelegentlich auf sie zurückzukommen, da sie ein wirkliches Ergebniss der sozialen Bewegung der Neuzeit sind.

Aus dem hier angeführten Konkurrenz-Entwurf möge erkannt werden, dass Schröter bis in seine letzte Zeit eine Thätigkeit ausübte, welche mit künstlerischer Befähigung in hervorragendem Maasse kritische Begabung für die nüchterne Erfassung der praktischen Interessen einer Bauaufgabe verband. Mit diesen hervorragenden Eigenschaften stand er den meisten zeitgenössischen russischen Architekten voran, unter welchen er eine führende Stellung einnahm. Seine fachliche Bedeutung ist über die Grenzen seines engeren Vaterlandes im Westen Europas voll anerkannt worden. Verschiedene Architekten-Gesellschaften, wie die Londoner und andere, haben sich beeilt, ihn zu ihrem Mitgliede zu wählen. Für die von uns herausgegebenen Verlagswerke war er ein stets bereiter Mitarbeiter, der bei uns in hoher Werthschätzung stand. Das Deutschthum im Auslande und die deutsche Kunst haben mit seinem Hingange einen schweren Verlust erlitten. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 11.05.1901 in der Deutsche Bauzeitung.