Von Julius Bierbaum. Wenn im bayerischen Gebirge zwei Bauern einander begegnen, der eine von unten hinauf, der andere von oben herunter kommend, so gebraucht der hinaufsteigende den gewöhnlichen Gruß: grüß Gott! der herabsteigende aber sagt als Gegengruß: laß dir Zeit!
Das ist fürs Bergesteigen ein Rat aus alter Erfahrung, und nur die jüngsten Edelweißrupfer versuchen’s anders und wollen die Berge hinaufrennen, bis auch sie, und bald, der alten Erfahrung sich bequemen und langsam steigen. Das ist aber auch das einzige Gebiet, auf dem die Devise: Immer langsam voran!“ noch Giltigkeit hat – auf den andern herrscht das Kommandotempo: marsch, marsch!
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Im Erwerbsleben, in allem, was unter Wettbewerb geschieht, wird sich das heutzutage wohl kaum mehr ändern. Nicht einmal die Dichter lassen sich und ihren Werken mehr Zeit, wenigstens soweit sie nach den Lorbern und Tantiemen der Bühne lüstern sind – es ist ein allgemeines Rennen nach dem Erfolg, und die antike Statue des Wettläufers ist für unsere Zeit ein Symbol von fast absoluter Giltigkeit.
Es fragt sich, ob dieses Tempo der Menschheit auf die Dauer gesund ist. Hervorragende Aerzte geben der allgemeinen Hast die Hauptschuld an der wachsenden „Nervosität“, und gewiß ist, daß alle die stürmischen Renner nach dem Erfolg, auf welchem Gebiet des Lebens ihre Rennbahn auch liegen mag, von Zeit zu Zeit das dringende Bedürfnis haben, „auszuspannen“.
Wenn sie es sich nicht selbst sagen, so sagt es ihnen der Arzt: „Verreisen sie!“ Und sie setzen sich in den Schnellzug und fahren möglichst schnell und möglichst weit weg von dem Bereich ihrer Rennbahn. Heute steigen sie in Berlin in den Eisenbahnwagen, und morgen sind sie bereits in Rom oder Neapel. Das ist eine erstaunliche Sache und in der That eine „Errungenschaft“, auf die sich unsere Zeit etwas einbilden darf. Was hätte Goethe darum gegeben, wenn er so schnell aus dem Norden weggekonnt hätte, als es ihn stürmisch nach dem Süden trieb! Er, der sich in seinem übermächtigen Drang nach südlichen Breiten so wenig Zeit ließ, daß er später schrieb, er sei über das tiroler Gebirge „gleichsam weggeflogen“, brauchte doch von Karlsbad bis nach Venedig fast einen Monat und von Venedig nach Rom einen halben, ohne daß er sich irgendwo längere Zeit aufgehalten hätte.
Das ist also nun gründlich anders geworden. Wer Eile hat, dem kann geholfen werden. Und es scheint: jeder hat Eile, selbst der zu seiner Erholung, zu seinem Vergnügen Reisende Die allgemeine Hast hat sich auch auf das Vergnügen übertragen. Aber das ist wohl ein Widersinn. Das Tempo des Vergnügens ist ein gehaltenes Adagio. Wer prestissimo „genießt“, gewinnt sich nicht Erholung, sondern Abspannung. Dies gilt besonders vom Reisen. Wer zu Geschäften reist, mag eilen, wer zu seinem Vergnügen auf Reisen geht, beherzige den oberbayerischen Gebirgsgruß: laß dir Zeit!
Die beste Form des Reisens ist noch immer das Wandern, und die eigentlichen Reisekünstler sind noch immer die wandernden Handwerksburschen, insoweit sie wirklich „walzen“. Ein halbwegs guter Ersatz für die Fußreise ist die Radelreise, wenn sie vernünftig betrieben wird. Aber nicht beide Arten des Reisens erfordern mehr körperliche Leistungsfähigkeit, als sie jedem zu Gebote steht, und sie eignen sich im allgemeinen nur zu Reisen im näheren Umkreis, denn nicht jeder kann es machen wie ein Wandergesell oder Johann Gottfried Seume, der von Leipzig nach Syrakus spazieren ging.
Wen es in die Ferne treibt, der muß sich also nach einem Fuhrwerk umsehn. Die alten Postwagen giebt’s nur noch in einigen Gegenden, und ihr Tempo ist selbst für den Freund behaglichen Reisens zu sehr adagio; mit eigenem Gespann zu reisen, ist, da es keine Relaisstationen mehr giebt, selbst für den unmöglich. der es sich leisten könnte; mit der Eisenbahn kann man aber eine Reise im eigentlichen Sinn überhaupt nicht unternehmen.
Mit der Eisenbahn kann man sich wohl befördern lassen, aber nicht reisen. Denn zum Reisen gehört, daß man frei ist, daß man nicht bloß einen Endpunkt der Fahrt bestimmen, sondern auch, je nach Lust und Willen, die Schnelligkeit ändern, nach freiem Ermessen die Art und Dauer eines Zwischenaufenthalts feststellen, seine Reisegesellschaft wählen, kurz, alles das kann, was auf der Eisenbahn nicht möglich ist. Wer mit der Eisenbahn reist, begiebt sich in ein Abhängigkeitsverhältnis. Sein Gesetz ist der Fahrplan, seine Gesellschaft bestimmt der Zufall, mit eisernen Schienen ist unabänderlich festgelegt, wie er seinen Weg zu nehmen hat. Zum eigentlichen Wesen des Reisens gehört die freie Bewegung in der Natur; das ist sein eigentlicher Reiz, daß er die Seßhaftigkeit für eine Weile anstrebt, aus dem Stubenmenschen einen Menschen der Landstraße macht, ihn von manchen zweifelhaften Segnungen der städtischen Ueberkultur befreit und so der Natur näher bringt. Wenn ich aber mit der Eisenbahn reise, so ist es eigentlich nichts anderes, als daß ich mir ein Zimmer miete, das auf Rädern läuft und sich im übrigen von meiner gewöhnlichen Wohnung zu seinem Ungunsten dadurch unterscheidet, daß es sehr klein ist und daß ich es mit jedem teilen muß, der es auf eine gewisse Strecke mitgemietet hat. In diesem Zimmerchen werde ich sehr schnell von Ort zu Ort spediert, und wenn zwischen den Orten eine schöne Landschaft liegt, so ist es mir erlaubt, falls nicht gerade der Eisenbahndamm die Aussicht hindert, einen schnellen Blick darauf zu werfen. Aber so schnellen Blicken schenkt keine Landschaft ihren Reiz; die Guckkästen des Kaiserpanoramas verraten mehr davon. Von den Leuten, die die Landschaft bewohnen, und von denen mir das Reisehandbuch viel Interessantes zu erzählen weiß, lerne ich nur die Bahnhofskellner kennen, die, je nach der Gegend, warme Würstchen oder frische Feigen anbieten, im übrigen aber sich überall so ähnlich sehen, wie ein schwarzer Frack dem andern. Außerdem habe ich nur noch Gelegenheit, meine Menschenkenntnis zu erweitern, indem ich, wenn ich es nicht schon weiß, es erfahren lerne, daß es höfliche und grobe Menschen giebt. Ferner lerne ich kennen, mit welcher Sicherheit der Ruß selbst in geschlossene Eisenbahnwagen eindringt, welcher Disharmonie schlecht schließende Kupeefenster fähig sind, und was für eine Art Duft entsteht, wenn infolge der Empfindlichkeit eines Mitreisenden der Fahrkäfig stundenlang verschlossen gehalten werden muß.
Wenn ich aber eine Reise thue, so will ich, wie Herr Urian, mir selbst und andern nachher etwas davon erzählen können, und zwar etwas anderes als dies. Darum beschloß ich, es einmal mit einem andern Vehikel zu versuchen, mit dem modernsten von allen, dem Automobil. Der Verlag der „Woche“ hat die Liebenswürdigkeit gehabt, mich in den Stand zu setzen, die Probe auf das Exempel zu machen, ob es sich im Automobil wirklich reisen läßt, so reisen, wie es unsere Großväter verstanden haben, nur noch vollkommener, nämlich noch freier, d. h. unabhängig von den allerhand Unzulänglichkeiten, unter denen sie zu leiden hatten, weil ihnen als Fortbewegungskraft nur das Pferd zur Verfügung stand.
Zuerst ein paar Worte über den Wagen selbst, dem ich mich mit meiner Frau und meinem ganzen Reisegut seit dem 10. April anvertraut habe und der uns nun unter der ausgezeichneten Führung des vortrefflichen Monteurs Louis Riegel von den Adlerfahrradwerken in Frankfurt am Main über Dresden, Prag, Wien, Salzburg, München, Mittenwald, Innsbruck, Bozen, Trient, Bassano, Mestre-Venedig, Padua, Ferrara, Ravenna, Rimini, San Marino, Faenza, Florenz, Siena, Cortona, Perugia, Foligno, Terni-Marmore, Rom, Frascati, Terracina, Neapel nach Sorrent gebracht hat, wo ich nun im ehemaligen Jesuitenkloster Cocumella auf einer Terrasse inmitten der üppigsten Orangengärten sitze, den Blick aufs Tyrrhenische Meer, ein bißchen müde zwar von der Ueberfülle des Genusses und mir gern eine kleine Pause gönnend, aber doch aufs höchste befriedigt von dieser Laufwagenreise, die mir alles das erfüllt hat, was ich mir von ihr versprochen habe.
Es ist ein Adlermotorwagen, dem ich dies verdanke, hergestellt in den Adlerfahrradwerken vormals Heinrich Kleyer, Frankfurt am Main, und ausgestattet mit einem einzylindrigen Motor von acht Pferdekräften. Kenner des Automobilwesens werden sich wundern, daß eine so große Reise mit einem verhältnismäßig so schwachen Motor und nur einem Zylinder unternommen wurde, und ihr Erstaunen wird noch zunehmen, wenn sie erfahren, was alles diese kleine Maschine über so große Strecken (bei staubigen und schwierigen Gebirgsüberschreitungen) fortzubewegen hatte. Der Wagen allein, in Phaëtonform und sehr niedrig, aber lang (fast vier Meter) gehend, wiegt mit dem Motor elf Zentner; dazu kommen drei Personen mit ihrem gesamten Reisegepäck worunter sich ein hinten aufgeschnallter großer und sehr schwerer Koffer befindet. Wir sind mit allem versehen, was Leute von einigen Ansprüchen innerhalb einer Reise von drei Monaten Dauer brauchen, und haben noch niemals die Eisenbahn zur Gepäckbeförderung benutzt.
Um dies zu ermöglichen, war es nötig, den Sitz neben dem Führer zur Gepäckaufnahme mit herzurichten. Ein Kasten zur Aufnahme des Führergepäcks wurde dort vor dem Sitz eingebaut, wodurch gleichzeitig eine gerade und feste Unterlage für diejenigen unserer Gepäckstücke geschaffen wurde, die nicht hinten untergebracht werden konnten: ein großer Handkoffer, ein Hutkoffer, sowie das mit zwei Glasscheiben versehene Schutzleder, das bestimmt ist, bei starkem Regen vor der Wagenplane angebracht zu werden. (Wir haben es nur einmal gebraucht, aber dabei hat es sich vollkommen bewährt.) Die Reserveteile und das Handwerkszeug, soweit es sich nicht unter dem Sitz des Führers befindet, sowie die Benzin- und Oelkannen und unser Vorrat an Photographieplatten sind in dem Kasten unter unserm Sitz verstaut. An der Wagenwand vor uns haben wir eine große, die Wand völlig einnehmende Ledertasche angebracht, in der sich noch eine Extratasche für Bücher befindet und die einen Toilettenkoffer, einen Speisekorb, sowie unsere Mäntel aufnimmt. Auf dem großen Koffer hinten sind noch der Wäschesack, das Stock· und Schirmfutteral und drei dicke Reisedecken aufgeschnallt. Ich erwähne dies alles so ausführlich, weil meines Wissens noch niemals eine größere Reise im Automobil mit Gepäck unternommen worden ist. Auch uns wurde es lebhaft widerraten, indem man mir vorstellte, daß ich durch diesen Ballast an Koffern daran gehindert werden würde, dem Motor seine volle Schnelligkeit abzugewinnen.
Es sei also besser, das Gepäck mit der Bahn zu senden.
Da mir nicht daran lag, mit der Eisenbahn, die unsere Koffer beförderte, um die Wette zu fahren, da mir überhaupt weniger an Schnelligkeit, als an Unabhängigkeit gelegen war, bin ich diesem Ratschlag nicht gefolgt, und ich habe heute Ursache, mich dessen zu freuen.
Der Umstand, daß wir alle unsere Reisehabseligkeiten stets mit uns führten, hat es uns ermöglicht, auch an solchen Orten Station zu machen, die nicht an der Eisenbahn liegen (ich habe vorhin nur die hauptsächlichsten unserer Haltepunkte genannt), und ihm verdanken wir es auch, daß wir, außer in Mestre, auf unserer ganzen Reise keinen Bahnhof betreten haben. Es ist wahr, daß wir mit unsern Schnelligkeiten nicht renommieren können, aber das war ja auch nicht der Zweck der Uebung. Daß man mit dem Automobil rasen kann, beweisen die großen Wettfahrten; ich wollte beweisen, daß man damit reisen kann, und für Reisezwecke genügt eine Schnelligkeit von 25 Kilometer in der Stunde durchaus. Wir haben selbst diese nur selten benutzt, sei es, daß uns eine Landschaft weniger reizte, sei es daß wir aus irgend einem Grund ein bestimmtes ferneres Ziel erreichen wollten. Im allgemeinen haben wir überhaupt nur kurze Tagesstrecken gemacht, ein paarmal nur 30-40 Kilometer, und mehr als 160 Kilometer haben wir überhaupt nicht an einem Tag zurückgelegt.
Wozu auch ? Wir wollten die Landschaften, die wir durchfuhren, ja sehen, und dies ist nur möglich, wenn man in einem mäßigen Tempo dahinfährt. Auch war uns daran gelegen, das Automobilfahren nicht in Mißkredit zu bringen, wie das leider die thun, die auf der Landstraße dahinsausen, als gehörte sie ihnen allein und nicht auch den Leuten, die sonst noch darauf mit heiler Haut und ganzen Knochen gehen oder fahren wollen. Die Wettfahrten, die ihren guten Zweck haben und unter der Geltung von besonderen Maßregeln vor sich gehen, will ich nicht angreifen, aber der einzelne Fahrer, der die Landstraßen durch ein Gewalttempo unsicher macht, handelt rücksichtslos und verdient, auch um der Automobilsache willen, schärfsten Tadel, denn er ist es, der die Bevölkerung gegen das Automobilfahren aufbringt, selbst wenn er bloß unnötigen Schrecken erregt und nicht direkt Schädigungen oder Unglücksfälle hervorruft. Diese, die sich bei einem vernünftigen Fahrtempo durchaus vermeiden lassen, müssen sicher eintreten, wenn auf belebten Straßen rasend dahinkilometert wird.
Daß wir nichts auf dem Gewissen haben, gereicht mir zur besonderen Genugthuung, und ich muß auch in dieser Hinsicht unsern trefflichen Monteur loben, der, wie auf seinen Wagen, so auch auf alles Lebendige die äußerste Rücksicht nimmt und selbst den nichtsnutzigsten kleinen Hunden gegenüber, die manchmal wie besessen vor dem Wagen hertanzen und es darauf anzulegen scheinen, überfahren zu werden, nicht die Geduld verliert.
Es wird sich vielleicht später die Gelegenheit bieten etwas eingehender von den allerhand Begegnungen mit Menschen und Tieren zu sprechen, die zum täglichen Programm einer Automobilfahrt auf der Landstraße gehören. Für diesmal sei nur gesagt, daß sich bisher keine der schlimmen Prophezeiungen an uns bewahrheitet hat, mit denen man uns, nicht sehr tröstlich, auf die Reise schickte. Wie wir niemandem etwas Böses an gethan haben, so hat auch uns niemand etwas schlimmes zugefügt. In Oberösterreich haben die Bauern fürchterlich geflucht, wenn unser Herannahen ihre feisten Gäule in einige Aufregung versetzte, aber das war für den Freund bäuerlicher Umgangssprache nur interessant, und ich habe genaue Aufzeichnungen darüber gemacht, in welchen Gegenden dabei mehr der Teufel und in welchen mehr das Sakrament angerufen wurde. Auch eine schöne lange Kollektivverwünschung, bei der sowohl der Verlag der „Woche“, wie die Adlerfahrradwerke ihren Teil mitabkriegten, haben wir zu verzeichnen. Es war unfern Arezzo, wo uns eine alte Bauernfrau, die genau wie ihre Verwünschung aussah, also apostrophierte, während wir ganz gemächlich an ihr vorüberrollten: „Verflucht sollt ihr sein mit samt eurem Wagen, verflucht, wer ihn euch gegeben, verflucht, wer ihn, mit Hilfe des Teufels, gemacht hat!“ Dabei machte die Alte eine Handbewegung, die man sonst nur zur Abwendung des bösen Blickes anzuwenden pflegt. Ich hätte die Dame gern in dieser Pose photographiert, aber es stand gerade, ganz passend, ein dickes, schwarzes Gewitter am Himmel, das sich auch prompt entlud, ohne uns indessen irgendwelchen Schaden zuzufügen.
Vielleicht interessiert es hier den Leser, etwas über die „pannes“ zu erfahren, von denen nach der allgemeinen Meinung jede größere Automobilfahrt begleitet zu sein pflegt. Man versteht darunter, deutsch gesprochen, alle größeren Mucken, die der Motor während der Fahrt kriegen kann, und von denen die fatalste sicher die ist, wenn er einfach nicht mehr mitspielen will. Gepriesen unser Wagen, gepriesen der, der ihn uns gegeben, gepriesen der, der ihn, mit Hilfe aller guten Geister, gebaut hat -: wir haben keine solche bösen Mucken erlebt. Daß alle irdischen Dinge unvollkommen sind, lernten auch wir am Automobil kennen, aber es waren immer nur Unvollkommenheiten, die sich leicht und schnell beheben ließen, und es ist uns nie widerfahren, daß wir, höchste Blamage für den Dampfwagenreisenden, Ochsenvorspann brauchten, weil wir aus eigenen Kräften nicht von der stelle gekonnt hätten. Am häufigsten ließ uns die Zündung im Stich, das ist die Erzeugung der die Bewegung hervorrufenden Benzinexplosionen, die bei uns auf elektrischem Wege geschieht. Meist war Verrußung der Zündkerze daran Schuld, und immer war der Zwischenfall in ein paar Minuten behoben. Derlei kann nur unangenehm werden, wenn es durch die bekannte Tücke des Objekts an einem besonders unpassenden Ort geschieht. Ich möchte es zum Beispiel nicht gern erleben, daß die Zündung in einer Vorstadt von Neapel versagte inmitten einer mehr temperamentvollen als sympathischen Straßenbevölkerung.
Wir haben es immer gut getroffen, und die kleinen Volksversammlungen, die wir dabei hervorriefen, haben uns nur erwünschte Gelegenheit geboten, das herbeigeeilte Publikum genauer zu betrachten. Immerhin wäre es angenehm, eine Zündungsvorrichtung zu haben, die sicherer funktionierte, und ich habe mir von Kennern sagen lassen, daß es bereits eine solche giebt, nämlich die magnetische. Ich für meinen Teil würde es jedenfalls einmal mit ihr versuchen, obwohl ich die Anstände, die wir infolge der elektrischen Zündung gehabt haben, nicht weiter schlimm ansehe. Eine Pause von ein, zwei Minuten läßt sich wohl mit hinnehmen, wenn der Motor im übrigen stundenlang seinen schönen glatten Viertakt sicher einhält. Etwas langwieriger sind schon die Zwischenfälle, die durch Beschädigungen des Radmantels oder des Luftschlauches eintreten, aber auch sie ertragen sich, wenn sie nicht gerade zu besonders ungelegener Zeit, an besonders fatalem Ort eintreten, in Wirklichkeit viel leichter, als man wohl glaubt. Wir verdanken dem ersten dieser Zufälle unsere erste Bekanntschaft mit dem Adriatischen Meer. Es war zwischen Ravenna und Rimini, in dem kleinen Ort Cesena, als wir bemerkten, daß das rechte Hinterrad hart aufstieß, weil der Luftschlauch verletzt war. Getreu dem sehr vernünftigen Prinzip, beim Eintreten eines solchen Zufalls die Hauptstraße zu verlassen und zur „Abmantelung“ in den nächsten Nebenweg einzubiegen, lenkte unser Fahrer den Wagen nach links und fuhr einen Feldweg entlang, bis er außer Gesichtsweite der Bürger von Cesena war, und siehe: wir hatten das Adriatische Meer vor uns. Nie ist in großartigerer Umgebung „abgemantelt“ worden, und wir benutzten gern die Gelegenheit zu einem kleinen Strandspaziergang, während unser ebenso geschickter wie unermüdlicher Begleiter den Mantel ausbesserte und unser Fahrzeug wieder flott machte.
Das sind unsere Zwischenfälle. Im übrigen ging es immer glatt und schön voran, selbst auf nicht tadellosen Wegen und bei gewaltigen Steigungen. Die Berge hinauf freilich langsam, aber immerhin schneller als mit Drei- und Vierspänner. Das Fahren selbst ist ein Genuß, der mit keiner andern Fortbewegungsart verglichen werden kann. Es ist auf guten Straßen, wie in Ober- und Mittelitalien, ein wahres Dahinschweben, und man darf ja nicht denken, daß der Laufwagenreisende „gebeutelt“ wird.
Das Rütteln, das man am stehenden Automobilwagen bemerkt, wenn der Motor arbeitet, fällt, je schneller der Wagen läuft, um so mehr weg, und was übrigbleibt, ist eine sich dem ganzen Körper mitteilende, sehr angenehme Bewegung von ganz kurzen Intervallen, bei den man ungefähr das gleiche Gefühl hat wie bei den von dem Schweden Zander zu Heilzwecken erfundenen Erschütterungsmaschinen. Ich erblicke darin geradezu einen Vorzug, des Automobils und möchte diese wohlthuende und höchst gesunde Massage keineswegs missen.
Ueberdenke ich die Fahrten, die wir bis jetzt hinter uns haben, so muß ich sagen, es war ein ideales Reisen, und ich wünsche mir, daß ich immer nur im Automobil fahren könnte. Dieses Reisen ist an sich ein körperliches Vergnügen, ganz abgesehn von all dem schönen, das man dabei unmittelbar und intim kennen lernt.
Dieses sichere Dahingetragenwerden, bei dem einem das Gefühl erspart bleibt, daß es nur durch die schwere Mühe anderer lebender Wesen ermöglicht wird, dieser schöne Rhythmus einer Bewegung, die kein Stoßen, Zerren, Zucken kennt, dieser leichte Lauf auf Luftpolstern hat etwas Unvergleichliches. Das Reisen mit der Eisenbahn ist eine Tortur dagegen.
Man könnte vielleicht meinen (und auch ich habe so gedacht), daß der Mangel an aktiver Bewegung auf die Dauer unangenehm fühlbar werden müßte, aber es scheint, daß die aktive Bewegung durch jene leise Erschütterung ersetzt wird. Thatsächlich stellt sich nach einer Fahrt von drei, vier Stunden eine angenehme Ermüdung ein, und man hat kaum mehr das Bedürfnis, sich noch anderweit Be-wegung zu verschaffen. Ich glaube, daß auch der beständige Luftzug eine gesunde Wirkung ausübt. Auf alle Fälle hat er den großen Vorzug, daß es ein Leiden unter der großen Hitze nicht giebt. Wir sind Mitte Juni durch die pontinischen Sümpfe gefahren und haben keinen Augenblick über Hitze zu klagen gehabt. Es ist eine Art Bad in frischbewegter Luft, auch wenn sonst vollkommene Windstille bei sehr tiefem Wärmegrad herrscht. Selbst um die Mittagsstunden, während deren sich hier sogar die Landleute nicht ins Freie trauen, sind wir, ohne im geringsten unter der Hitze zu leiden, gefahren, doch haben wir dann die sehr geschickt gemachte Vorrichtung benutzt, die es uns erlaubt, aus unserm aufklappbaren Regendach ein Sonnendach zu machen.
Aber auch gelegentliches Fahren im Regen ist durchaus nicht unangenehm, wenn der Laufwagen, wie der unsere, Einrichtungen hat, die das Durchnäßtwerden verhüten. Ich erinnere mich mit besonderem Vergnügen an die abendliche Fahrt nach Arezzo im Gewittersturm, während der die Wasser des Himmels nur so herunterfluteten, indes wir hinter unserm Leder mit den Guckfenstern saßen und voller Bewunderung das Schauspiel der zuckenden Blitze genossen. Unser Wagenführer mußte allerdings ein Vollbad über sich ergehen lassen.
Ich schließe mit dem Ausdruck der Ueberzeugung, daß die Reise im Laufwagen – wie ich das Auutomobil gern nenne – sehr bald schon in allgemeinere Aufnahme kommen wird. Unser Adlerwagen hat es mir bewiesen, daß die Automobilwagentechnik auf einer Höhe ist, die dies gestattet, und daß er seinen Insassen neue, ganz überraschende Ausblicke und Empfindungen gewährt.
Dieser Artikel erschien zuerst am 26.07.1902 in Die Woche.