Automobilfahrt Paris-Berlin

Von Heinrich v. Poschinger. Wenige Tage trennen uns noch von einer imposanten automobilistischen internationalen Kundgebung. deren Glanzpunkt sich am 29. Juni in Berlin abspielen wird. Wir meinen die Renn- und Tourenfahrt von Paris nach Berlin, die einen Massenbesuch von Franzosen und Angehörigen anderer Nationen nach der Reichshauptstadt führt.

Die Tourenfahrt, die sich als Vergnügungsreise charakterisiert, beginnt in Paris am 22. Juni und führt über Luxemburg, Koblenz, Frankfurt a. M. Eisenach, Leipzig, Potsdam nach Berlin. Die Rennfahrt dagegen beginnt am 27. Juni in Paris und legt ihren Weg in nur drei Etappen zurück, und zwar am 27. Juni die Strecke Paris-Aachen. am 28. Juni Aachen-Hannover und am 29. Juni Hannover-Berlin, woselbst die Rennfahrer gemeinschaftlich mit den inzwischen auch daselbst eingetroffenen Vergnügungsfahrern vom deutschen Automobilklub feierlich empfangen werden. Geplant ist, daß die Automobilen um 3 Uhr im geschlossenen Zuge von der Trabrennbahn über Charlottenburg durch das Brandenburgerthor nach der permanenten Automobilausstellung in der Georgenstraße fahren, woselbst sie in den folgenden Tagen von dem Publikum besichtigt werden können.

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Die Anregung zu diesem sportlichen Ereignis allerersten Ranges ging von dem Grafen Talleyrand-Périgord aus, der sich im vergangenen Jahr nach Paris begab, um mit dem Präsidenten des Automobilklubs von Frankreich die jetzige Veranstaltung zu vereinbaren. Niemand war wohl mehr berufen, das Werk zu stande zu bringen, als der in den Berliner Sportkreisen wohl; bekannte und hochgeschätzte Graf, dessen Bild wir nebenstehend bringen. Er ist der zweite Sohn des Herzogs von Dino, der Enkel der Herzogin Dorothée von Talleyrand und Sagan, der Neffe des Grafen Talleyrand, der von 1862-1864 den Kaiser Napoleon III. als Botschafter am Berliner Hof vertrat und der Schwiegersohn des Vicomte de Contant-Biron, des ersten französischen Botschafters in Berlin nach 1870/71. Geboren im Jahr 1845, trat er 1863 in die preußische Armee ein, der er heut noch als Oberstleutnant a la suite angehört. Graf Talleyrand hat die großen Beziehungen, die er als geborener Franzose in Frankreich sowohl als in Deutschland besitzt, stets für die Idee zu verwerten gesucht, durch eine möglichst enge Verbindung der beiden Nachbarreiche den Grundstein zu einem dauernden Frieden zu legen. Gewöhnt sich Frankreich erst wieder daran, auf dem industriellen und sportlichen Gebiet freundschaftlich mit uns zu rivalisieren, so ist es unzweifelhaft, daß Verbindungen entstehn, die den Keim zu einer weiteren Ausbildung des guten Verhältnisses diesseits und jenseits des Rheins enthalten.

Graf von Tallyrand-Périgord, Vorsitzender der Finanz- und Empfangskommission für die Automobilfahrt Paris-Berlin

Das bevorstehende großartige sportliche Schauspiel erhält noch seine besondere Weihe und Bedeutung dadurch, daß der Deutsche Kaiser, der Präsident der französischen Republik, der König der Belgier und der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin sehr bedeutende Ehrenpreise für den Akt gestiftet haben. Die Gäste aber, die schon in Bälde die deutschen Grenzpfähle passieren, mögen versichert sein, daß ihnen bei uns überall herzliche Sympathien entgegengebracht werden.

Wovon man spricht – Automobilfahrt Paris-Berlin

Karte zur Automobilfahrt Paris-Berlin

Vor wenigen Wochen noch kümmerte sich außer den Nächstbeteiligten fast niemand um die große Automobilfahrt Paris-Berlin, und heute ist sie in aller Mund. Alle Welt interessiert sich dafür, alle Welt spricht davon, ja man kann behaupten, daß augenblicklich keine Angelegenheit die öffentliche Meinung, wenigstens in Frankreich und Deutschland, so intensiv beschäftigt, wie dieses sportliche Ereignis. Unsere Leser finden außer andern Abbildungen auf Seite 1134 und 1135 hier unten eine Karte, auf der sie den Weg, den die Automobilisten zurücklegen, genau verfolgen können.

Zur Automobilfahrt Paris-Berlin – Die Ehrenpreise der Staatsoberhäupter

Daß man sich in den höheren Gesellschaftsschichten, bis zu den Thronen hinauf, für den Automobilsport in hervorragendem Maß interessiert, ist bekannt. Die Ehrengeschenke, die unser Kaiser, der Präsident der französischen Republik, der König der Belgier und der Großherzog von Luxemburg für die Fernfahrt gestiftet haben, legen dafür Zeugnis ab. Allein nicht nur in den bessersituierten Kreisen ist die Neigung für den neuen Sport vorhanden, nein, wie sich gerade bei dieser großen Tourenfahrt zwischen der französischen und der deutschen Hauptstadt erwiesen hat, zeigt auch die große Masse der Bevölkerung dafür ein unerwartet reges Interesse. Ueberall werden den Automobilisten warme Ovationen dar gebracht, und überall, wo sie Rast halten, wird ihnen von den Behörden ein festlicher Empfang bereitet. Besonders hoch ging es in Frankfurt a. M. her, wo ihnen zu Ehren ein glänzendes Fest im Palmengarten veranstaltet wurde.

Von der Automobilfahrt Paris-Berlin

Angesichts aller Begleitumstände kann man wahrhaftig glauben, daß der Oberbürgermeister Adickes recht hatte, wenn er in seiner Begrüßungsrede den Automobilsport als den Sport der Zukunft bezeichnete. Er könnte ein neues Bindeglied im Verkehr der Völker miteinander werden, wie es außer Handel und Wissenschaft in neuerer Zeit mehr und mehr auch die Kunst geworden ist. Wir Deutsche können als friedliebendes Volk, ohne uns einer Täuschung darüber hinzugeben, daß wir noch längst nicht über den Berg sind, die Automobilfahrt auch deshalb nur mit Genugthuung begrüßen, weil sie immerhin einen neuen Baustein zu der Brücke liefern mag, die uns über die zwischen den beiden Nachbarstaaten offene Kluft hilft. Es ist doch ein bemerkenswerter Vorgang, daß in dem deutschen Ort Wasserbillig, dem ersten, den die Automobilisten diesseits der Grenze berührten, den französischen Gästen Ehrenpforten, geschmückt mit der Trikolore, errichtet und daß bei dem Frankfurter Fest ihnen zu Ehren die Marseillaise gespielt werden konnte, daß schließlich ebendort der Präsident des französischen Automobilklubs, Baron de Zuylen, ein Hoch auf unsern Kaiser ausbrachte, das Oberbürgermeister Adickes mit einem Toast auf den Präsidenten Loubet erwiderte. Wie in den übrigen deutschen Städten wird den Automobilisten auch in Berlin ein herzlicher Empfang bereitet werden. Sie verdienen ihn, denn auch sie sind in ihrer Art Pioniere des Fortschritts. die für ihren Sport in hohem Maß Ausdauer, Kraft, Geschicklichkeit und Herrschaft über Muskeln und Nerven bedürfen. Heute treffen die Fernfahrer in Berlin n auch wir rufen ihnen ein herzliches „Willkommen“ zu.

Diese beiden Artikel erschienen zuerst am 22. und am 29.06.1901 in Die Woche.