Weihnachtsfeier in Mexiko

Verkauf von Palmen und Weihnachtsbäumen

Plauderei von Clemetine. Das Weihnachtsfest, wie es heute in Mexiko begangen wird, ist das Produkt internationalen Zusammenwirkens. Die religiösen Zeremonien katholisch-spanischer Provenienz fügen sich den freien gastlichen Formen der heiteren mexikanischen Geselligkeit sympathisch an und lassen auch den angelsächsischen und germanischen Gebräuchen und Traditionen, die durch die große Fremdenkolonie aus dem alten Europa in die neue Heimat eingeführt sind, gern Platz und Spielraum.

Englische Christmascards werden in großen Mengen und in reizenden Exemplaren zum Verkauf ausgeboten; man kann, für sehr viel Geld allerdings, alle Zuthaten zu einem echten Plumpudding erhalten; auch stellen Garköche Prachtstücke des englischen Weihnachtskuchens neben blumengeschmückten gebratenen Hühnern und Puten mit vergoldeten Schnäbeln und Beinen aus, die wieder eine alte mexikanische Festliebhaberei sind; die Verkaufsbuden, „Puestos“, auf dem großen Platz vor der Kathedrale und begrenzt vom Anuntamiento (Rathaus) und dem Palacio Nacional, dem Hauptregierungsgebäude, auf dem „Zocalo“, in denen man schon seit Jahrzehnten die Krippenfiguren und die „Pinatas“ kauft, heimeln uns Deutsche ganz besonders an, da sie aus einem wahren Wald von Tannenbäumen hervorsehen.

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Die erwähnte „Pinata“, eigentlich Kochtopf, ist auch in der weihnachtlichen Umgestaltung nichts anderes; wir sehen auf dem Bild die Verkäuferin, die in ihren „Rebozo“, den langen, rechteckigen Chäle aus Baumwollengewebe, ihr unentbehrlichstes Garderobenstück, drapierte mexikanische Indierin sie hat ihre Weihnachtsattrappen – denn um solche handelt es sich – nach alter Weise aus dickbauchigen irdenen Kochtöpfen hergestellt und diese allen „Pinatas“ gemeinsame Grundform der ein Menschen oder Tierkopf aufgesetzt wird, mit Seidenpapierkostümen, mit Fellüberzügen, mit Bänder-, Schleifen- und Blumenausputz phantasievoll maskiert und in die verschiedensten Typen, in Bräute, Tänzer und Tänzerinnen, Harlekins und Kolumbinen oder in fratzenhafte Tiergestalten verwandelt. Auf der Abb. ist der irdene Topf innerhalb des vergoldeten, mit Seidenpapierstreifen geschmückten Leiergestells deutlich sichtbar.

Strassenverkäufer
Strassenverkäufer
Ein Kinderspiel - Das Zerschlagen der Puppe im offenen Hof
Ein Kinderspiel – Das Zerschlagen der Puppe im offenen Hof

Der Verkäufer, ein mexikanischer Typus mit Negerreminiszenzen, wie man sie in der alten Aztekenhauptstadt häufig sieht, in dem braunen Gesicht, begnügt sich mit der einfachsten Garderobe, mit Hemd und Beinkleid aus gelblicher Baumwolle und darüber eine Weste. Er hat aber, und darauf ist er stolz, einen breitrandigen, spitzen Filzhut mit pfundschwerer Silberstickerei aufgesetzt. Ein solcher Hut ist des Mexikaners höchste Sehnsucht; seine ersten Ersparnisse trägt er in eins der zahlreichen, vielfach in deutschem Besitz befindlichen Hutgeschäfte am Zocalo und ersteht für eine ganze Anzahl von Pesos (mexikanischer Dollar) die charakteristische, durch Jahrhunderte die gleiche gebliebene nationale Kopfbedeckung. Bis neun Tage vor Weihnachten muß der mexikanische Familienvater seinen Vorrat von Pinatas eingebracht haben, da diese zu den nun beginnenden allabendlichen „Posadas“ notwendig sind. „Posada“ heißt eigentlich Haus, Gebäude, auch Logier- und Gasthaus; in Mexiko zur Adventszeit aber sind die Posadas Abendfeste, die während der „Novena“, während der letzten neun Tage vor dem 25. Dezember stattfinden. Meist verabreden sich einige Familien, die Posadas abwechselnd zu geben; vielfach aber, und weil die Familien in Mexiko zahlreich und untereinander sehr eng verbunden sind, wird die Sache so gemacht, daß an jedem der neun Posadaabende ein anderes Familienmitglied den Amphytrion spielt und die übrigen sowie die weiteren geladenen Gäste bewirtet. Die Wohnung wird festlich hergerichtet und mit Moos und „Heno“ geschmückt. Heno ist das eigentümlich schlingpflanzenartig von den berühmten Riesenzedern des Parks von Chapultepee, der uralten Sommerresidenz mexikanischer Herrscher, herabhängende Pflanzenmittelding zwischen Heu und Moos, außerhalb Mexikos unbekannt, das auf unserm Krippenbildchen klar seine feinen, zackigen Zweiglein und Halme sehen läßt. Kein Fest in Mexiko ohne diese sehr dekorative Henozier über der Krippe, in der die heilige Familie ganz „nationalistisch“ auftritt; die Jungfrau drapiert in einem Rebo zo, Sankt Joseph in eine Serape (auch Poncho genannt, der viereckige, einem Schlitz zum Durchstecken des Kopfes versehene Mantel des Mexikaners) gehüllt, das Christuskind und die Engel durch an die Aztekenahnen mahnende Federkrönchen ausgezeichnet, und auf dem Altar sowie an den Wänden der Wohnung dominiert die mattgrüne altheilige Schmarotzerpflanze und schmückt die Bogengänge um den großen offenen Hof, den „Patio“, zwischen dessen Arkadien und Pfeilern nebst Lampions die „Pifatas“ aufgehängt sind. Nach dem Erscheinen der Gäste wurde in früheren Jahren zuerst der eigentliche Posadaumzug abgehalten und auf einer Tragbahre größere Figuren der heiligen Familie umhergetragen. Der jetzige Erzbischof von Mexiko hat aber dies Gemisch von weltlichen und heiligen Lustbarkeiten nicht gelitten und die religiösen Elemente der Posada auf die Aufstellung der Krippe beschränkt.

Verkauf von Palmen und Weihnachtsbäumen
Verkauf von Palmen und Weihnachtsbäumen

Die Posada beginnt jetzt mit der Verteilung von kleinen Geschenken, die in eleganten Kartons, von denen in den „Puestos“ zahllose Varietäten zu haben sind, überreicht werden. Dann geht es an das eigentliche „Pinata“vergnügen. Die Puppen, von denen viele in ihrem Aufputz Anspielungen auf epochemachende Erfindungen, soziale Ereignisse und sonstige (nur keine politischen) Anspielungen auf die Ereignisse des verflossenen Jahres, in diesem Jahr beispielsweise auf Santos-Dumont zum Ausdruck bringen, hängen also, wie erwähnt, unter den Bogengängen um und auf dem offenen Hof, dem „Patio“, der zu jedem mexikanischen Haus gehört. Das milde Klima selbst im Dezember gestattet, hierher die größeren geselligen Zusammenkünfte und einen Teil des Lebens überhaupt zu verlegen. Den Gästen, besonders den Kindern, die in einem so kinderreichen und kinderlieben Land wie Mexiko am Weihnachtsfest natürlich dazu gehören, werden die Augen verbunden. Nebenst. Abb. zeigt ein so geblendetes kleines Mädchen, das nach längerem Hin- und Herführen (wie bei unserm Topfschlagen) versuchen muß, die „Pinata“ zu zerbrechen und den in ihr verborgenen Bonbonregen herabströmen zu lassen. Nach beendeter Zerstörung sämtlicher „Pinatas“ werden an gut besetzten Büffetts Erfrischungen eingenommen, und ein Tanz schließt das Fest.

Kleiner Hausaltar mit Krippe
Kleiner Hausaltar mit Krippe
Weihnachtsmarkt in Mexiko
Weihnachtsmarkt in Mexiko

Der Gastgeber, der die erste „Posada“ der Serie giebt, ist stillschweigend verpflichtet, auch die letzte am 25. Dezember, d. h. in der Weihnachtsnacht vom 24. zum 25., zu übernehmen und an diesem Tag um Mitternacht ein leckeres „sitzendes“ Souper auftragen zu lassen. Die deutsche Kolonie ist nicht nur durch ihre Anzahl, durch die Größe und den Anfang ihres Geschäftsbetriebs in Mexiko eine der einflußreichsten unter den Fremden; sie ist den Einwohnern auch durch ihre unbestrittene größte Anpassungsfähigkeit sympathisch und nimmt an den „Posadas“ vielfach teil. Als Aequivalent haben die Deutschen dann wieder den Weihnachtsbaum, den wir nun einmal als unveräußerliches Gepäckstück in alle Gegenden, von den Polen bis zum Aequator und wieder darüber hinaus mit uns schleppen und akklimatisieren, in die mexikanischen Häuser und besonders in die Kinderherzen gepflanzt; der Handel mit den durch die Indier vom „Monte“ herbeigeschleppten Tannen ist wochenlang vor dem Fest sehr lebhaft; man verkauft auch neben dem echten Christbaum, der Tanne, Lebensbäume und dichte Büschel von einer Art Schilfpalme, die zur weihnachtlichen Dekoration verwendet wird (Abb. oben). Die Frauen sind wieder im „Rebozo“, die Männer, meist „cargadores“ (Lastträger), in baumwollenem Hemd und Beinkleidern, auf dem Kopf einen Hut aus grobem Strohgepflecht. Der „arbol de la noche buena“, Baum der guten Nacht, ist in jeder Beziehung zu einem strahlend-freundlichen Symbol geworden, das über die Kinderherzen hinüber zwischen unsern Landsleuten und ihren Gastfreunden im alten Aztekenland auch neben den rein materiellen Beziehungen ein festes Band bedeutet.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Wochen 51/1902.