Wie Tiere elektrisiert werden

Von Dr. Paul Töpper, Oberroßarzt des Königlichen Marstalls. Die Behandlung von Menschen und Tieren durch Elektrizität ist jüngeren Datums.

Obwohl es nach Entdeckung der Elektrizität nicht an empirischen Versuchen fehlte, die Elektrizität zu Heilzwecken zu benutzen, wurde deren wissenschaftlichere Verwendung erst nach Entdeckung der Induktionselektrizität durch Faraday im Jahr 1831 von Duchenne (1847) eingeführt. Man nannte diese Methode nach ihrem Entdecker Faraday „Faradisation“. Zahlreiche Forscher und Aerzte der beiden letzten Jahrzehnte, besonders Remak und Ziemssen, haben sich um die weitere Ausbildung der Elektrizität als Heilmittel in der Humanmedizin verdient gemacht.

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In der Tierheilkunde wurde früher die Elektrotherapie nur vereinzelt und meist nur an klinischen Lehranstalten verwendet. Durch die bessere Konstruktion der elektrischen Apparate einerseits, andrerseits dadurch, daß in jedem kleinen Städtchen solche vorhanden sind, ist es dem praktischen Tierarzt jetzt leicht geworden, auch die Elektrizität als Heilmittel zu verwerten. Dennoch wird sie wohl nie den Umfang erreichen wie in der Menschenheilkunde. Die Gründe hierfür sind verschiedener Art.

Apparat für die elektrische Bahandlung von Tieren
Der Patient während der elektrischen Behandlung unter der Decke

Die rein nervösen Leiden, die in das Gebiet der Elektrotherapie gehören, treten bei unsern Tieren viel seltener auf und sind schwieriger zu diagnostizieren als beim Menschen. Außerdem treten der häufigeren Benutzung die kostspielige Anschaffung der notwendigen Apparate bei relativ seltener Benutzung, die Schwerbeweglichkeit der elektrischen Apparate, namentlich derjenigen für den konstanten Strom, sowie die Widerspenstigkeit unserer Tiere sehr hemmend entgegen.

Der elektrische Strom findet zunächst meist zum Zweck der Untersuchung und Feststellung der vorhandenen Leiden, dann weiterhin zum Zweck der Behandlung Anwendung. Zur Untersuchung benutzt man sowohl den faradischen wie den galvanischen Strom. Der erstere dient hauptsächlich zur Ermittlung der Empfindlichkeit der Haut und Muskeln, sowie der Zusammenziehung der Muskeln oder des Erregbarkeitszustandes der Bewegungsnerven. Zur Reizung der Haut verwendet man trockene Elektroden oder den elektrischen Pinsel. Für Erregung von Muskeln und Nerven dagegen Elektroden, die mit feuchten Leitern umgeben sind und auf die vorher angefeuchtete Haut fest aufgedrückt werden. Bei Anwendung des galvanischen Stroms setzt man die eine gut angefeuchtete Elektrode auf einen indifferenten Punkt, die andere auf den zu untersuchenden Muskel oder Nerv und prüft anfänglich mit schwachen, dann mit steigenden Strömen und mittels Stromwechsel, ob die Zuckungen in normaler Weise vor sich gehn.

Therapeutisch wird der faradische Strom, besonders seiner erregenden Wirkung bei Lähmungszuständen peripherer Nerven und Muskeln wegen, verwendet, der galvanische Strom meist zur Erregung der nervösen Zentralorgane. Auch bei krankhaften Ausscheidungen des Körpers regt der galvanische Strom eine Aufsaugung dieser Stoffe an und wirkt dadurch heilend.

Bei der praktischen Anwendung der Elektrizität in der Tierheilkunde kann man mit Sicherheit feststellen, daß deren Einwirkung bei Tieren bedeutend größer und intensiver als beim Menschen ist. Ströme, die beim Menschen kaum eine Wirkung ausüben, erzeugen beim Pferd hochgradige Muskelkontraktionen. Dabei müssen sie bei Pferden mit unangenehmen Empfindungen für die Tiere verbunden sein. Die Empfindlichkeit der Pferde für den elektrischen Strom ist außerordentlich verschieden. So konnte ich Pferde ohne alle Zwangsmaßregeln acht bis zehn Tage hindurch täglich ein- bis zweimal elektrisieren, ohne daß sie auch nur den geringsten Widerstand entgegensetzten. Dagegen sind andere Pferde wiederum gegen den elektrischen Strom so außerordentlich empfindlich, daß es oft selbst bei Anwendung von Zwangsmaßregeln nicht öfter als einmal gelingt, das Pferd hierzu zu veranlassen. Diese Pferde sind weder durch gutes Zureden noch durch Strafen bis in die Nähe des Apparats zu bringen. Wenn es trotzdem doch einmal gelingt, so gebärden sich die Pferde fast wie unsinnig, wenn sie das Schnurren und das Geräusch des Apparats wahrnehmen. Thatsächlich ist bei Lähmungen von Nerven die Wirkung des elektrischen Stroms in einzelnen Fällen bei Pferden ausgezeichnet, so daß dessen Anwendung wohl eine viel häufigere wäre, fürchtete man nicht die Widerspenstigkeit der Pferde. Der Operateur muß sich daher besonders vor dem Gebrauch der natürlichen Waffen der Tiere, vor Bissen, Schlagen, Treten hüten und in gehöriger Entfernung operieren.

In neuerer Zeit haben einige englische Tierärzte Vorrichtungen konstruiert, in denen es möglich ist, Pferde zu elektrisieren, ohne daß einerseits die hierbei beteiligten Personen Gefahr laufen, von den oft wild werdenden Pferden verletzt zu werden, andrerseits ohne daß die Pferde sich selbst beschädigen können. Der Apparat hat Aehnlichkeit mit einem für bösartige Pferde konstruierten Zwangs- oder Notstall. Er besteht aus vier Holzwãnden, deren Innenteil durch Anbringung von Matratzen und Polsterung so weich ist, daß Verletzungen nicht stattfinden können. Das in diesen Stand gebrachte Pferd wird dann fast vollständig bedeckt und der elektrische Apparat in Funktion gesetzt, wobei man mit den Elektroden die vorher feucht gemachten Stellen des Körpers berührt.

Gepolsteter Stand für die elektrische Behandlung eines Pferdes
Das Pferd wird zur elektrischen Bahandlung in den Stand geführt
Elektrische Behandlung eines Pferdes im gedeckten Stand

Der elektrische Strom der Induktionsapparate ist meist gegen Nervenkrankheiten benutzt worden. In erster Linie kommen hier die Lähmungen und zwar bei Tieren die Kreuzlähmung in Betracht. Ströme, die nicht zu stark wirken und solche mit geringeren Zuckungen, sind hier vorzuziehen. Einzelne Lähmungen verschwinden nach Anwendung der Elektrizität ziemlich schnell, besonders wenn die Erkrankung nicht zu frisch entstanden ist. Die Heilung einer Lähmung ist aber nur dann möglich, wenn der physiologische Strom noch in den Nerven vorhanden, also nur vermindert ist.

Fehlt dieser physiologische Strom, wie es vorkommt, wenn die Verbindung der Nerven mit dem Gehirn oder Rückenmark fehlt, so ist an eine Heilung nicht zu denken. Nach den Lähmungen sind es die rheumatischen Leiden, die am meisten mit Elektrizität behandelt werden. Die Folgen waren aber sehr verschieden. Es sind Fälle bekannt, wo das Uebel noch ärger wurde; dies geschah besonders dann, wenn das Leiden etwas akut war, was bei Hunden häufig beobachtet wurde.

Die Schulterlähmung der Pferde ist häufig mit Erfolg, besonders von französischen Thierärzten, behandelt worden. Die Behandlung mußte in solchen Fällen mehrere Wochen hindurch nur mit wenigstens zwei Anwendungen der Elektrizität am Tage fortgesetzt werden. Aber auch Krampfzustände, wie der Kaumuskelkrampf und sogar Starrkrampf, sollen mit anhaltendem elektrischem Strom geheilt sein.

Auch Rinder sind mit Vorteil elektrisiert worden. Da gerade Lähmungszustände beim Rind nicht zu den Seltenheiten gehören und die Tiere dann entweder gar nicht oder nur schwer und langsam aufstehen können, macht die Anwendung des elektrischen Apparats weniger Schwierigkeit, da die Abwehrmaß regeln wegen der Bewegungsbehinderung naturgemäß nur sehr schwer ausgeführt werden können.

Befestigung eines Haushundes für die elektrische Behandlung
Verhalten des Haushundes bei Anwendung des galvanischem Stroms

Den größten Wert hat die Anwendung der Elektrizität jedoch bei unsern kleinen Haustieren, den Hunden und Katzen. Hier kann sie nicht allein gegen Lähmungen gebraucht werden, sondern auch Erkrankungen des Magens und Darms können mit Erfolg durch Elektrizität behandelt werden. So erwies sich bei eurem Hund, der an katarrhalischer Gelbsucht litt, die Faradisation als sehr wirksam. Zu dem Versuch wurde ein mit heftigem Magendarmkatarrh in die Klinik der Tierärztlichen Hochschule zu Dresden eingelieferter Mops verwendet. Bei diesem stellte sich am dritten Tag eine hochgradige, schnell steigende Gelbsucht, allgemeiner Kräfteverfall und Sinken der Körpertemperatur ein. Eingeben von Gerbsäure und Rotwein blieb ohne Erfolg. Unter großem Widerstreben des Patienten wurde täglich zweimal je zehn Minuten lang der kräftige, sekundäre Induktionsstrom eines Stöhrerschen Apparats angewendet. Schon nach der dritten Anwendung trat Besserung ein. Nach der sechsten Anwendung wurde die elektrische Behandlung ausgesetzt, und dann erfolgte sehr schnell die vollständige Heilung.

Eine Katze auf dem Operationstisch
Das Verhalten der Katze während der elektrischen Behandlung

Endlich behandelt man bei Hunden mit Erfolg alle infolge der Staupe entstandenen Lähmungen und Nervenerkrankungen. Schon manchem Liebling der Damen, der sich infolge Lähmung nur mit Mühe bewegen konnte, ist durch Anwendung der Elektrizität seine volle Bewegungsfähigkeit wieder hergestellt worden.

Dieser Artikel erschien zuerst am 27.05.1901 in Die Woche.