Plauderei von Dr. O. Heinroth. Hierzu 8 photographische Aufnahmen. Fast für einen Aprilscherz möchte man die merkwürdige Zusammenstellung auf unsern Tierbildern halten: Katze und Kücken, Hahn und Hund, Känguruh und Meute muten uns in dieser friedlichen Vereinigung ganz eigentümlich an. Doch der photographischen Platte müssen wir schon glauben, und der Tierkenner zweifelt auch ohne die Beweise der Kamera keinen Augenblick an der Wahrheit der heterogensten Tierfreundschaften; sind die Gründe für die Sympathien unter den Tieren doch in vielen Fällen leicht zu durchschauen.
In den meisten Menschen, namentlich weiblichen Geschlechts, liegt die Neigung, sich kleiner, hilfloser, verwaister Wesen anzunehmen. Sehr viele nicht kultivierte Völker sind darin genau so wie der Europäer: die Indianer sammeln sich durch die Aufzucht kleiner Säugetiere oft einen ansehnlichen Tierbestand zusammen, und ihre Frauen verschmähen es nicht, selbst Ammendienste bei den Pflegebefohlenen zu übernehmen.
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Sicher liegt diesem Trieb das durch die Aufzucht der eigenen Nachkommenschaft bedingte Bemutterungsgefühl zu Grunde, und damit wird es erklärlich, daß wir die Neigung, fremde Junge zu pflegen, auch bei den höheren Tieren wiederfinden. Ein großer Teil der Tierfreundschaften erklärt sich auf diese Weise, und namentlich die Katze spielt in diesem Fall eine große Rolle. Von Haus aus meist schon eine gute Mutter, schleppt sie sich bisweilen noch zur eigenen Kinderschar fremde Kinder: selbst junge Ratten werden liebreich gepflegt. Greift nun vollends, was so häufig geschieht, der grausame Mensch durch Wegnahme der für ihn unnützen Katzenkinder mit rauher Faust störend in das Mutterglück, dann sucht sich die Betrogene Ersatz in ellem möglichen; selbst junge Hühnchen und Entenkücken werden dann von ihr geführt und gewärmt.
Oft wird diese Neigung zur Adoption praktisch ausgenutzt: zur Aufzucht junger Eichhörnchen und Kaninchen, kleiner verlassener Hündchen u.s.w. eignet sich die Katzenmutter. Auch später hält das zarte Verhältnis: die aneinander gewöhnten Tiere halten meist zeitlebens zusammen. Zärtlich hat sich auf unserm Bild Mama Mieze der mutterlosen Kaninchen angenommen, sie gewärmt und behütet (vgl. obenst. Abb.). Eine andere konnte es nicht unthätig mit ansehen, wie die verwaisten Hühnchen, die, um ihnen Schutz zu gewähren, in die warme Küche gebracht waren, mutterlos umherirrten. Nach wenigen Tagen waren Katze und Kücken einig (vgl. nebenst. Abb.), und stolz führte sie ihre Schutzbefohlenen umher.
Merkwürdig ist das umgekehrte Verhältnis von Gluckhenne und Kätzchen (Abb.). Das brütende Huhn hatte die Eier vorzeitig verlassen und ließ seine verfrühte Neigung, Junge zu führen, an vier jungen Miezen aus, nachdem es ihre rechtmäßige Mutter vertrieben hatte – man sieht, die Mutterliebe kann bisweilen recht bedenkliche Formen annehmen!
Während in den erwähnten Fällen die Stiefmutter der aktive Teil bei der Adoption war, sehen wir das Umgekehrte auf den Bildern „Eselin und Lamm“ (Abb.) sowie „Kuh und Ferkel“ (vgl. obenst. Abb.). Geschickt haben die hungrigen Milchschweinchen mit ihrem überall tastenden und schnuppernden Rüssel das milchspendende Euter einer gutmütigen Kuh ausfindig gemacht, und noch gewohnt, an allem zu saugen, haben sie bald den nahrhaften Quell erschlossen.
Nunmehr lassen sie die prächige Amme nicht mehr aus den Augen, und auch diese faßt allmählich Zuneigung zu der quiekenden Gesellschaft. Ganz ebenso ergeht s der biederen Eselin: ein verwaistes Lamm entschädigt sich bei ihr für die fehlende mütterliche Nahrung, und sie läßt es geduldig zu, ist doch das eigene füllen kräftig und schon recht selbständig, so aß ihm deshalb wohl nichts abgehen wird.
Nicht immer sind es nur weibliche Tiere, die Pflegemutterdienste leisten; unter manchen Tiergruppen eignen sich die Männchen in noch höherem Grad zur Führung verwaister Kinder. Es ist dabei charakteristisch, daß es sich in diesem Fall fast immer um Vögel hantelt, die in Einehe leben; hier beteiligt sich der Vater ebenfalls an der Aufzucht der Nachkommenschaft, hier wohnt ihm also ebenso wie der Mutter die Neigung inne, sich junger hilfloser Wesen anzunehmen. Vielfach ist dies beim Bevölkern eines eines Reviers mit Rebhühnern benutzt worden. Läßt man nämlich gesammelte Eier künstlich oder durch eine Haushenne ausbrüten und würde man die Neugeborenen einem gefangenen weiblichen Rebhuhn anvertrauen, so wären sie in kurzem durch den alten Vogel umgebracht. Sperrt man jedoch die piepende Gesellschaft abends in einen Kasten zu einem Rebhahn, so kann man sie getrost den nächsten Tag ins Feld hinaus lassen; er führt sie getreulich und warnt und schützt sie nach Kräften vor Gefahren.
Dies Verhalten begründet sich wohl sicher darauf, daß bei der Rebhenne erst durch längeres Bebrüten der Eier der Bemutterungstrieb erzeugt wird, was beim Hahn nicht erst nötig ist.
Doch nicht alle Tierfreundschaften gründen sich auf Mutter und Kindesliebe; auch praktische Vorteile können die verschiedensten Geschöpfe zusammenführen. So sehen wir einen japanischen Zwerghahn auf zwei Bildern als Gefährten von Hund und Katzen (Abb. Nebenstehend). Er sitzt gern warm und weich, und der Stöberhund ist ein guter Kerl und Allerweltsfreund, sein Rücken eignet sich trefflich zum natürlichen Sofa für den gespornten Ritter. Auch eine Mieze hat er aus gleichem Grund zur Freundin, auch sie mag es ihrerseits behaglich finden, die Wärme der molligen Federbrust ihres Genossen zu empfangen.
Auch in der freien Natur giebt es viele solche auf gegenseitige Nützlichkeit gegründete Verhältnisse. Eifrig sind in Afrika und Indien kleine, weiße Reiher bemüht, ihre in Insekten und Würmern bestehende Nahrung von dem Rücken und den Seiten der großen und größten Huftiere abzusuchen, und diese haben allen Grund, den prächtigen Vögeln dafür dankbar zu sein. Nicht nur das blutsaugende Ungeziefer lesen die gefiederten Freunde ihren riesigen Wohn- und Nährtieren ab, sondern durch ihr scharfes Auge und ihre Aufmerksamkeit werden sie ihnen auch noch häufig zum rechtzeitigen Warner vor nahender Gefahr. Auch bei niederen Tieren sind solche Verhältnisse gegenseitiger Nützlichkeit häufig und werden von den Zoologen meist als Symbiose bezeichnet.
Zum Schluß wollen wir die sich aus längerer Gewöhnung herausbildenden Zuneigungen oft recht verschiedenartiger Tiere erwähnen. Jeder Tierzüchter weiß es sehr wohl, wie schwierig und oft gefährlich es ist, einem vorhandenen zusammenlebenden Tierbestand ein neues Stück einzuverleiben. Von allen Seiten wird das frischbeschaffte Huhn, die neue Kuh zunächst von den Genossen beschaut und schließlich angegriffen, bis sie sich ihren Platz erkämpft und die andern sich an ihren Anblick gewöhnt haben. Dann aber fühlen sie sich auch eins mit den andern und schließen sich so leicht keiner fremden Herde, keinem andern Hühnervolk an. Traulich sitzt das Känguruh mitten unter den ihm bekannten Hunden (Abb.), und diese sind viel zu sehr an seine Gegenwart gewöhnt, als daß sie ihm auch nur die geringste Beachtung schenken. Aber selbst unter dem Freundschaftsband „zusammengehüteter“ Herden können engere Beziehungen sich entwickeln. Dann sind es häufig einzelne Stücke verschiedener Arten, die, des standesgemäßen „Anschlusses“ entbehrend, sich besonders zusammenthun. So geschah es bei einem leidenschaftlichen Tierzüchter in Südrußland, der Strauße und Antilopen, Emus und Zebras, Bisons und Hirsche auf der Steppe weiden läßt, daß zwei unbeweibte Emus sich innig je an eine einzelne Bisonkuh und eine Zebrastute anschlossen, so daß sie sofort zu fressen aufhörten, wenn man die Freundepaare trennte! Diese Verhältnisse sind es, die man wohl als die idealsten und eigentlichsten Tierfreundschaften auffassen muß; denn hier handelt es sich nicht um eine Bemutterungssucht oder ein auf gegenseitigen Vorteil begründetes Verhältnis, sondern um eine innige uneigennützig.
Dieser Artikel erschien zuerst 1900 in Die Woche.