Mehr als sonst bewegt zur Sommerzeit den Landmann nicht minder wie den erholungsbedürftigen Stadtflüchtling eine Frage, die täglich in zahllosen Varianten von hunderttausend Lippen klingt: wie wird das Wetter werden?
Da ist es wohl nicht unangebracht, einmal ein paar Worte über die Kunst unserer „Wettermacher“ zu sagen und über die Aussichten, die sich ihnen auf Lösung ihrer nicht eben dankbaren Aufgabe bieten. Gestehen wir im voraus, da es ja doch ein öffentliches Geheimnis ist: wir Kulturmenschen, die wir’s so herrlich weit gebracht haben, wissen trotz unserer tiefgründigen Kenntnis der verschiedenen Naturgesetze herzlich wenig von der künftigen Gestaltung des Wetters!
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Wie kommt das? Die Bahn der Gestirne können wir vorausbestimmen für die Jahrtausende, auf Bruchteile von Sekunden genau, und Wolken und Winde, die uns so viel näher sind, bleiben uns unberechenbar? Und dennoch hat diese Thatsache bei näherem Zusehen nichts Ueberraschendes an sich: die Gesetze, die den Himmelskörpern ihre Bahnen weisen, sind einfach und unwandelbar, sie lassen sich mathematisch formulieren und gelten für Zeit und Ewigkeit. Die Witterungsvorgänge aber sind vielgestaltig und unberechenbar wie die Gedanken und Triebe der Menschen. Hundertfach greifen die Faktoren ineinander, die das Wetter bedingen., und jeder Faktor ist dabei Ursache und Wirkung zugleich: die Strahlung der Sonne beeinflußt z. B. den Wind, der Wind seinerseits die Bewölkung und die Bewölkung wieder die Sonnenstrahlung. Und die einzelnen Beeinflussungen in diesem Kreislauf sind dabei wieder unendlich mannigfaltig und modulationsfähig und werden außerdem noch durch zahllose andere Faktoren modifiziert, die sie z. T. auch ihrerseits wieder beeinsfussen: Temperatur, Luftdruck, Niveauverschiedenheiten, Bodenbeschaffenheit, Tages- und Jahreszeit, geographische Lage u. s. w.
Auf dem theoretischem Wege, durch mathematische Formeln den Gang der Witterung vorherzubestimmen, dürfte für immer unmöglich bleiben. Alles, was die praktische Wettervorhersage zu erhoffen hat, kann sie lediglich von der empirischen Forschung erwarten. Nur auf der Erfahrung, auf der Statistik, auf festen Analogieschlüssen kann eine vernünftige Wetterprognose basieren – daher ist die Wissenschaft vom Wetter, die Meteorologie, ein so ungemein wichtiger Zweig am Baum der Naturforschung, denn sie vermittelt uns die Kenntnis von den Vorgängen, die zur Schaffung eines bestimmten Witterungstypus zusammenwirken und unter ähnlichen Vorbedingungen auch stets ähnliche Resultate zeitigen.
In beschränktem Umfang hat die Möglichkeit einer Wetterprognose seit den ältesten Zeiten bestanden und ist auch stets und überall nach Kräften ausgenützt worden. Gewisse „Vorzeichen“ der Witterung wußten die Menschen schon in grauester Vorzeit zu deuten: wie sich ein Sturm, ein Gewitter, ein Regen, ein Föhn anzukündigen pflegen, wie man an der abendlichen Färbung des Himmels, an der Klarheit der Luft die künftige Gestaltung der unmittelbar bevorstehenden Witterung mit großer Sicherheit erkennen kann – das gehört zu den ersten geistigen Errungenschaften, über die das Menschengeschlecht überhaupt verfügte. Erst als die mächtig aufstrebende naturwissenschaftliche Forschung zur Beobachtung die Theorie gesellte, konnten neue Wege für die Wetterprognose gefunden werden. Erst mußte Torricellis wichtige Entdeckung des Barometers (1643) uns das Wesen des Luftdrucks enthüllen, mussten die Gesetze erkannt werden, nach denen sich die Gebiete mit relativ höherem und relativ tieferem Luftdruck fortzubewegen pflegen, ehe man imstande war, die Prognose der Witterung auf eine breitere Basis zu stellen und mit größeren Mitteln zu ermöglichen. Hinzukommen mußte die staunenswerte Entwicklung aller Zweige der Technik im großen 19. Jahrhundert, um das, was man theoretisch neu gelernt. praktisch in die That umzusetzen. Erst mußte uns das Wunder der Telegraphie beschert werden, erst mußte das moderne Zeitungswesen zu seiner heutigen Blüte gelangen, damit die meteorologische Wissenschaft uns in greifbarer Gestalt Tag für Tag vor Augen führen konnte, welche früher unbekannten Mittel sie geschickt anzuwenden weiß, um aus dem heutigen Wetter Schlüsse auf das morgige zu ziehn. In der Wetterkarte, wie sie die großen Zeitungen Tag für Tag zu bringen pflegen, kondensiert sich alles Können und Wissen der meteorologischen Wissenschaft, soweit sie rein praktischen Zwecken dient. Was steckt in solcher oft so wenig beachteten Wetterkarte alles drin! Was gehört dazu, um am Nachmittag jedes Tages durch Wort und Illustration für jedermann zu veranschaulichen, welch Wetter um acht Uhr morgens am gleichen Tag über dem ganzen Kontinent geherrscht hat! Wie viel Köpfe und Bände mußten da pünktlich zur Stelle sein, um ein solches Resultat zu erzielen! Wetterbeobachter, Telegraphenbeamte, Gelehrte, Schreiber. Kartenzeichner, Clichéfertiger, Redakteure, Setzer, Drucker – sie alle sind Teile der großen Kulturmaschine, deren einzelne Räder so korrekt und sicher ineinandergreifen und uns im Lauf weniger Stunden tagtäglich ein Werk liefern, das wissenschastlich und praktisch von gleich hohem Wert ist, und an dem doch die große Menge meist achtlos und verständnislos vorübergeht wie an allen Wundern des Alltags.
Die Wetterkarte ist das A und Z jeglicher Wetterprognose auf wissenschaftlich-exakter Grundlage; mag sie auch auf den ersten Blick den Laien etwas fremdartig und rätselhaft anmuten – das Verständnis für das Viele, das sie zu sagen hat, ist für einen halbwegs intelligenten Menschen leicht zu erwerben. Die Wetterkarte vermag uns erheblich mehr zu sagen, als die ihnen beigegebene textliche „Prognose“, über deren leider unvermeidliche Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit sich das Publikum mit Recht so oft beklagt und lustig macht.
Unvermeidlich ist allerdings diese Aehnlichkeit der textlichen Wetterprognose mit den berühmten delphischen Zukunftsweissagungen. weil die Prophezeiungen stets für ein größeres Ländergebiet gleichzeitig ausgegeben werden müssen. Und da nur recht selten der tägliche Verlauf der Witterung über einer größeren Landfläche der gleiche ist, da es selten überall völlig troken bleibt oder überall regnet, selten überall der gleiche Wind, die gleiche Bewölkung u. s. w. herrscht, so sind die einschränkenden Ausdrücke wie „veränderlich“, „keine oder unerhebliche Niederschläge“, „Neigung zu Niederschlägen oder Gewittern“, „umlaufende Winde“ u. s. w. thatsächlich unvermeidlich. Wer aber die Wetterkarte zu lesen versteht, der bedarf nicht erst solcher fürs Laienpublikum berechneten, in so überaus vorsichtiger Weise abgefaßten Prognosen, sondern liest aus den Linien und seltsamen Zeichen der Karte mit wenigen Blicken weit mehr heraus, als ihm der begleitende, kurze Text je sagen kann.
Es kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden auf alle die charakteristischen Kennzeichen typischer Wetterlagen. Nur einige wenige Andeutungen mögen noch gegeben werden. Daß im Gebiet hohen Luftdrucks stets ruhiges und meist heiteres Wetter herrscht, dürfte bekannt sein. Derartige Gebiete, barometrische Maxima genannt, weisen gern extreme Temperaturen auf, wie sie im Gefolge klaren Wetters oft auftreten; im Sommer Hitze, im Winter Frost, während die barometrischen Tiefdruckgebiete (Depressionen, Minima) in der Regel kühles Sommer. bezw. mildes Winterwetter, Niederschläge und stärkere Winde mit sich bringen. Diese Minima wandern im Gegensatz zu den Hochdruckgebieten die meist tagelang zuweilen wochenlang auf fast dem gleichen Fleck verharren, verhältnismäßig rasch vorwärts, im wesentlichen von West nach Ost oder doch mit einer stark östlichen Komponente, und haben außerdem die Neigung, die Hochdruckgebiete im Sinn des Uhrzeigers zu umkreisen. Sie verfolgen dabei, was für die Prognose besonders wichtig ist, mit Vorliebe gewisse Zugstraßen, wie van Bebber gezeigt hat.
Die am häufigsten benutzten Zugstraßen sind in der beifolgenden Zeichnung wiedergegeben.
Für Deutschland am wichtigsten und gefährlichsten sind darunter die Depressionen, die auf den als III a und V b bezeichneten, glücklicherweise nicht allzu häufig benutzten Zugstraßen einherziehen.
Erstere bringen uns fast alle unsere größeren Weststürme, letztere zumeist die großen Niederschläge und Ueberschwemmungen, von denen Oesterreich und das südöstliche Deutschland nicht selten zu leiden haben.
Die Aussichten einer einigermaßen sicheren Prognose auf längere Zeit (mehr als 24 oder höchstens 48 Stunden) sind leider sehr ungünstig. Nur in ganz vereinzelten Fällen ist sie möglich, im übrigen aber ist ein detailliertes Prophezeien auf längere Zeit hinaus aus den anfangs dargelegten Gründen so gut wie völlig unmöglich und dürfte vielleicht auch immer unmöglich bleiben. Es muß dies ausgesprochen werden – mag dieser wenig tröstliche Ausblick auch recht unbefriedigend sein! Die meteorologische Wissenschaft giebt offen zu, daß sie nicht imstande ist und wohl nie sein wird, für längere Zeit im voraus das Wetter mit genügender Sicherheit zu bestimmen. Infolgedessen finden die zahllosen meteorologischen Quacksalber so viel Zuspruch, von denen angeblich jeder das einzig sichere Rezept besitzt, die Witterung auf Monate und Jahre vorher zu bestimmen. Es geht leider in der Meteorologie wie in der Medizin: keine Behauptung ist so dumm, daß sie nicht ihre Anhänger findet. Hier sei nur ausdrücklich konstatiert, daß kein einziger von den unendlich zahlreichen Wetterpropheten, die allerorten ungebeten ihre Weisheit verzapfen und manchmal zu unverdienter Popularität gelangen, wissenschaftliche Beachtung verdient.
Begnügen wir uns zunächst mit dem Möglichen und jagen wir nicht lockenden Trugbildern nach! Auch mit dem heutigen wissenschaftlichen Prognosenwesen auf kurze Zeit läßt sich Großes erreichen und unendlich viel Segen stiften, besonders für die Landwirtschaft und noch viel mehr für die Schiffahrt, die sich sehr wohl bewußt ist, wie viel Dank sie der Meteorologie zu zollen hat.
Dieser Artikel erschien zuerst am 13.09.1902 in Die Woche.