Die Pflege des Wetterdienstes

1905, von Professor Dr. W. J. van Bebber. Auf die außerordentliche Bedeutung der Witterungskunde für das praktische Leben ist von verschiedenen Seiten schon öfters hingewiesen und betont worden, daß diese Wissenschaft berufen sei, das Gemeingut der ganzen Nation zu werden.

Mehr als jede andere Wissenschaft ist sie auf das große Publikum angewiesen. Schon die Beschaffung des für ihre Zwecke notwendigen Beobachtungsmaterials erfordert die Mitwirkung einer großen Anzahl Mitarbeiter. Dabei hängt der Erfolg der praktischen Verwertung ihrer Ergebnisse fast ausschließlich davon ab, daß die allgemeinen Grundlagen der Witterungskunde bei allen Schichten des nur einigermaßen gebildeten Publikums Eingang finden und die alten Vorurteile, die meist in längst vergangenen Zeiten ihren Ursprung haben, mit der Wurzel beseitigt sind. Die zahlreichen von den meteorologischen Instituten und andern Anstalten täglich herausgegebenen Wetterberichte, Wetterkarten und Wetterprognosen haben gar keinen oder doch nur einen sehr bedingten Wert, wenn sie vom Publikum nicht verstanden und nicht gedeutet werden können. Dieses liegt hauptsächlich daran, daß es unsere Fachgelehrten vielfach versäumt haben, die Grundlehren vom Wind und Wetter in gemeinfaßlicher Weise allseitig zu verbreiten, wenn auch in letzterer Zeit hauptsächlich durch Anregung seitens der landwirtschaftlichen Kreise von sachkundiger Seite sehr viel geschehen ist.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Ein schlimmer Umstand, der der Nutzbarmachung der Wettervorhersage bisher so außerordentlich schädlich im Wege stand und noch steht, ist die weitverbreitete Urteilslosigkeit bezüglich der Wettervorhersage. Das große Publikum sieht die Wettervorhersage noch immer als Prophezeiung, als Orakelspruch an, und unfähig, die leider unvermeidbaren Mißerfolge, die naturgemäß gerade nicht selten sind, mit gerechtem Maßstab zu beurteilen, oder die gegebenen Wettervorhersagen nach den jeweiligen Aenderungen des atmosphärischen Zustandes, insbesondere nach örtlichen Beobachtungen abzuändern, kommt es nicht selten zu der Ansicht, daß die von den Instituten oder sonstigen Anstalten herausgegebenen Wettervorhersagen entweder gar keinen oder doch nur einen bedingten Wert haben, und daß man vor allem seine Berufsgeschäfte nicht nach ihnen richten könne. Hiermit im Zusammenhang steht die jedenfalls sehr bedauerliche Tatsache, daß Wettervorhersagen, die jeder Grundlage entbehren, und deren Haltlosigkeit von verschiedenen Seiten sowohl theoretisch als empirisch zweifellos nachgewiesen wurde, eine solche massenhafte Verbreitung finden konnten.

Zu einer erheblichen Verbesserung des Wetterdienstes dürften drei Hilfsmittel in Frage kommen, nämlich:

1. möglichste Beschleunigung des wettertelegraphischen Materials;

2. möglichst rasche und allseitige Verbreitung von einfachen, aber recht übersichtlichen Wetterkarten, sei es durch besondere Anstalten oder Zeitungen;

3. möglichst allgemeines Verständnis der Grundzüge der praktischen Witterungskunde, verbunden mit fortgesetzter Uebung in der Deutung und Anwendung der Wetterkarten.

Schon seit dem Jahr 1897 war ich ununterbrochen tätig, ein wettertelegraphisches System für Europa zu veranlassen, durch das es ermöglicht wurde, das Depeschenmaterial sofort nach der Beobachtung allseitig zu verbreiten. Zwar war die Durchführung dieses Systems mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verknüpft, zumal noch die Einführung der Simultanzeit (insbesondere für Westeuropa) unbedingt gefordert werden mußte; allein nach und nach gelang es, die einzelnen Länder für das System zu gewinnen, so daß gegenwärtig die Beschleunigung des wettertelegraphischen Materials so gut wie nichts zu wünschen übrig läßt. Dazu kam noch das freundliche Entgegenkommen der Telegraphenverwaltungen, namentlich der deutschen, ohne das die Neueinrichtung wohl kaum zustande gekommen wäre.

Am 1. Mai 1900 kam das neue System zur Durchführung und arbeitete schon von den ersten Tagen des Beginns an zur vollen Zufriedenheit, so daß man sehr bald daran denken konnte, aus dem neuen System praktischen Nutzen, namentlich für die Landwirtschaft, zu ziehen und seinen weiteren Ausbau in Angriff zu nehmen.

Gegenwärtig werden den Zeitungen und Interessenten folgende vier täglichen Wettertelegramme zu einem niedrigen Abonnementspreis zur Verfügung gestellt; erstens eine tabellarische Depesche, enthaltend die Angaben von 50 Stationen über Luftdruck, Temperatur, Wind und Wellen (chiffriert nach dem Schema BBB WW SHTTT) von folgenden Stationen:

BorkumStornowayStagen
KeitumMarlin HeadVestervig
HamburgValenciaKopenhagen
SwinemündeScillyKarlsbad
RügenwaldermündeAberdenStockholm
NeufahrwasserShieldsWisby
MentelHolyheadHernöland
AachenIle d’ AirRiga
HanoverSt. MathienWilna
BerlinGrisnezPinsk
DresdenParis
BreslauVillingenSt. Petersburg
BrombergHelderWien
Metz
Prag
Frankfurt (Main)BodöRom
KarlruheChristiansundFlorenz
MünchenSkudensCagliari

Dabei werden noch von den ausländischen Stationen (außer von den britischen) die Regenmengen (RR) und von den deutschen Stationen der Gang der Witterung in den letzten 24 Stunden mitgeteilt (V) (Abonnementspreis 20 Mk. monatlich). Diese Depesche verläßt Hamburg um etwa 9 Uhr 10 Minuten vormittags.

Ein zweites Telegramm, enthaltend eine kurze Uebersicht der Witterung im Telegraphenstil sowie eine ganz allgemeine Wettervorhersage, kommt kurz nachher zur Versendung (etwa 9 1/2 Uhr morgens) (Abonnementspreis 10 Mark monatlich).

Ein weiteres Telegramm (“Extratetegramm”, Abonnementspreis 8 Mark monatlich) enthält die im 1. Abonnement noch fehlenden Angaben und außerdem nur die Beobachtungen von 18 Stationen nach dem Schema BBB WW SHITTT RR und wird kurz nach der Absendung der 2. Abonnementsdepesche befördert.

Am Mittag wird noch ein weiteres Telegramm, die “Ergänzungsdepesche” (Abonnementspreis 5 Mark monatlich) ausgegeben, das die in dem vorhergehenden Telegramm noch fehlenden Angaben sowie die Beobachtungen von Warschau und Portland-Bill enthält.

Die Hafentelegramme, im Interesse der Küstenschiffahrt, gelangen an ihren Bestimmungsorten um durchschnittlich etwa vier Stunden früher an als vorher. Hiermit im Einklang steht auch die Beschleunigung der Sturmwarnungen, wenn auf Grundlage des früher einlaufenden Materials die Küste am Morgen gewarnt wird.

Das gegenwärtige wettertelegraphische Material entspricht in bezug sowohl auf den Umfang als auch auf das rechtzeitige Eintreffen allen berechtigten Wünschen der Landwirtschaft; die Hauptsache ist erreicht, indem eine Grundlage geschaffen ist, auf der sich der Wetterdienst im Interesse der Landwirtschaft erfolgreich aufbauen kann.

Wenn wir vom Landwirt gefragt werden, ob er mit Erfolg seine Arbeiten nach den ihm zugehenden Wettervorhersagen einrichten könne, so kommen wir wegen der Beantwortung doch in einige Verlegenheit. Unsere Wettervorhersagen stehen immer noch auf schwachen Füßen, noch immer haben wir noch sehr viele Mißerfolge aufzuweisen trotz aller unserer eifrigsten Bemühungen, so daß der Gedanke nahe liegt, daß wir an der Grenze unserer Leistungsfähigkeit angelangt sind. Einigen Fortschritt können wir nur dann feststellen, wenn wir den jetzigen Stand mit jenem vor mehreren Dezennien vergleichen, und wir können uns nur mit dem Gedanken trösten, daß dieser geringe Fortschritt im Vergleich mit dem schleppenden Fortschritt der Witterungskunde in früheren Zeiten immerhin ein recht bedeutender ist. Wir können also dem Landwirt nur antworten, daß die ihm nur Anhaltspunkte für die Beurteilung des Wetterverlaufs geben sollen, und daß er selbst die Wetterveränderungen an seinem Orte aufmerksam beobachten und sich danach richten solle, ohne den Wettervorhersagen blindlings zu trauen. Um aber ein solches Urteil sich zu verschaffen, ist es nötig, daß er mit den Grundzügen der praktischen Witterungskunde vertraut sei und dann sich in der Lage befinde, die jeweiligen atmosphärischen Vorgänge, die sich in weiterem Umkreis vollziehen, zu kennen, um hieran die Beobachtungen, die er am Ort selbst anstellt, anzulehnen. Diesen Anforderungen zu entsprechen ist nicht so schwer, als es auf den ersten Blick erscheinen dürfte.

Die der Wettervorhersage zugrunde liegenden Gesetze sind, wie ich schon des öfteren hervorgehoben habe, so einfach und so gemeinfaßlich, daß sie selbst von elementar Gebildeten leicht verstanden und angewandt werden können, so daß es unerklärlich erscheint, daß das Verständnis noch nicht zum allgemeinen Durchbruch gekommen ist.

[Diesem Zweck soll meine kleine Broschüre „Anleitung zur Aufstellung von Wettervorhersagen” dienen, die in gemeinverständlicher Form alles Wissenswerte aber diesen Gegenstand enthält.]

Das allerwichtigste Mittel, die jeweilige Wetterlage und die sich daran knüpfen den großen atmosphärischen Bewegungen rasch und klar zu übersehen, sind die Wetterkarten, aus deren Vergleichung sich sofort der Verlauf der Witterung sowohl auf größeren Gebieten als auch am Ort selbst ergeben. Die Konstruktion der Wetterkarten ist so einfach, daß wir darauf wohl nicht weiter darauf einzugehen brauchen, auch das Einzeichnen der Isobaren und auch der Isothermen bildet durchaus keine Schwierigkeiten.

Es ist bekannt, und es gilt als Grundsatz, daß die Witterungserscheinungen in unsern Gegenden abhängig sind von der Luftdruckverteilung. Diese bedingt in erster Linie die Winde, ihre Richtung und Stärke; die Winde wehen so, daß sie den höheren Luftdruck zur rechten, den niedrigen zur linken liegen lassen, und zwar um so stärker, je größer die Luftdrucksunterschiede sind. Die Winde bringen je nach ihrem Ursprung Wärme und Wolken von der einen in die andere Gegend, so daß die Witterungsvorgänge mit ihnen in innigster Beziehung stehen. Nun hat aber die Luftdruckverteilung eine ausgesprochene jährliche Periode, die namentlich unsern Jahreszeiten einen ganz bestimmten Charakter aufdrückt. Es wird sich daher lohnen, den jährlichen Gang der Luftdruckverteilung hier kurz zu betrachten.

In den Wintermonaten ist der Luftdruck entschieden am niedrigsten über dem nordwestlichen Europa, insbesondere in der Gegend von Island, dagegen am höchsten über dem europäisch-asiatischen Kontinent. Die Luftdruckunterschiede zwischen dem Nordwesten und dem Süden und Südosten unseres Erdteils sind ganz bedeutend und daher das entschiedene Vorherrschen lebhafter ozeanischer Winde, die in breitem, lebhaftem Strom mit feuchter, milder Witterung unsere Gegend überfluten. Das ist der Grund, daß in Deutschland die Winter meistens so gelinde sind. Die Depressionen ziehen zur Winterzeit in der Regel nördlich an uns vorüber, nicht selten von stürmischen Winden und erheblichen Witterungsänderungen begleitet.

Gegen die Frühlingsmonate hin werden die Unterschiede im Luftdruck zwischen Nordwest- und Südosteuropa immer mehr abgeschwächt, in dem Maß, als das asiatische Hochdruckgebiet an Höhe abnimmt. Schon im April sind die oben angegebenen Luftdruckunterschiede mehr oder weniger verschwunden, so daß jetzt eine sehr gleichmäßige mittlere Luftdruckverteilung eintritt. Es ist eine Eigentümlichkeit unseres Klimas, daß zu dieser Zeit auf den britischen Inseln oder in deren Bereich häufig Hochdruckgebiete auftreten, die nicht selten eine große Beständigkeit aufweisen, und die, Winde aus nördlichen Richtungen bedingend, in unsern Gegenden unbeständiges, kühles und böiges Wetter hervorrufen, wobei zuweilen Spätfröste auftreten, die an bestimmte Tage nicht gebunden sind.

Im Sommer liegen die Verhältnisse ganz anders als im Winter: das europäisch-asiatische Hochdruckgebiet ist verschwunden und an seine Stelle eine umfangreiche Depression getreten, wogegen jetzt ein Hochdruckgebiet den nordatlantischen Ozean und die angrenzenden europäischen Küsten überdeckt. Die Häufigkeit der barometrischen Maxima im Westen erreicht jetzt naturgemäß ihr Maximum und daher in unsern Gegenden das häufige Auftreten der Winde aus nördlicher Richtung in Verbindung mit feuchtkühler Witterung, die nicht selten wochen-, ja monatelang fortdauert. Abweichungen von dieser Witterung kommen allerdings häufig vor, namentlich dann, wenn ein Hochdruckgebiet über Nord- Ost oder Mitteleuropa sich befindet, wenn also Landwinde in Deutschland vorherrschend geworden sind.

Im Herbst wachsen wieder die Luftdruckunterschiede zwischen Nordwest ; und Südosteuropa, so daß die Luftdruckverteilung und damit auch die Witterungsvorgänge jetzt nach und nach wieder einen winterlichen Charakter annehmen,

So groß nun auch die Mannigfaltigkeit der Wetterlagen in den täglichen Wetterkarten erscheinen mag, so können sie doch fast alle auf eine beschränkte Anzahl von Wetterlagen zurückgeführt werden, die häufig wiederkehren, die eine ziemlich große Beständigkeit zeigen, und deren jede von ganz eigenartigen Witterungserscheinungen begleitet ist, die je nach der Jahreszeit verschieden sind (Wettertypen). Diese Wettertypen oder Hauptwettervorlagen habe ich schon in dieser Zeitschrift (Jahrg. 1903, Nr. 28 S. 1245 ff.) besprochen, so daß ich hierauf nur verweisen kann.

Man sieht also hieraus, daß eine allseitige Verbreitung von Wetterkarten ein dringendes Erfordernis ist, um den Wetterdienst wirksam und nutzbar zu machen. Deswegen sollten die Wetterkarten dem Publikum zu einem minimalen Preis zugängig gemacht werden (etwa höchstens 50 Pf. für den Monat). Ferner erscheint eine möglichst rasche Verbreitung der Wetterkarten durchaus notwendig. Schon vor Mittag sollten die Karten in den Händen der Interessenten sein, wobei die Einrichtung einiger Hauptverbreitungszentren von Wichtigkeit wäre, etwa 2 Zentren im Westen, 2 im Osten und eine im zentralen Deutschland würden genügen, wenn wir zunächst Süddeutschland außer Betracht lassen wollen. Die Kosten würden verhältnismäßig nicht bedeutend sein (etwa 60 000 Mark im ganzen würden wohl genügen).

Vielleicht werden wir auf diesen Gegenstand nochmals zurückkommen.

Dieser Artikel erschien zuerst 1904 in Die Woche. Der Originalartikel war nicht bebildert, das Bild ist ein Beispielbild von StockSnap auf Pixabay.