Winter im Spreewald

1905, von A. Pitcairn-Knowles. In unserm reiselustigen Zeitalter ist es Mode geworden, Hunderte, ja Tausende von Kilometer zurückzulegen, um die Sehenswürdigkeiten der Welt kennen zu lernen. „Willst du immer weiter schweifend? Sieh, das Gute liegt so nah“, möchte man dem modernen Wanderer zurufen, wenn man sieht, wie er ungeduldig den in nächster Nähe liegenden reizvollen Gegenden den Rücken dreht, um in den entlegensten Erdvierteln neue Wunder, neue Schöpfungen der Natur, neue Fortschritte der Kultur anzustaunen. Wäre die eigene Heimat dem Paradies gleich, ihre Reize könnten ihn nicht davon zurückhalten, in weiter Ferne seine Schönheitsideale zu suchen.

Den Bewohnern der deutschen Metropole geht es nicht anders.

Auf dem Eise – Eine Anfängerin im Schlittschuhlaufen

Gibt es wohl viele europäische Großstädte, deren Umgebung, was Naturschönheit anbelangt, mit der Berlins wetteifern kann ? Die waldumrandeten Havelseen und der idyllische Spreewald mit seinem hundertfach verzweigten Wassernetz üben stets von neuem ihre Reize aus. Wer den Spreewald kennen gelernt hat, dieses bezaubernde Land mit seinen eigentümlichen Sitten und Gebräuchen aus vergangenen Jahrhunderten und seinen pittoresken Trachten, wer die unvergeßliche Wasserreise durch das „deutsche Venedig“ unternommen oder auf flinkem Stahlschuh das prächtige Winterpanorama durcheilt hat, wird gewiß darüber staunen, daß dieses lebende Bilderbuch das Ziel so weniger bildet. Wenn es im Führer gedruckt steht, daß nur fünfzigtausend Menschen jährlich dorthin pilgern, so darf man es wohl glauben. Man kann es aber kaum fassen, daß diese köstliche Sehenswürdigkeit nicht ein größere Anziehungskraft auf den Reisenden ausübt Wie viele aber von diesen fünfzigtausend Deutschen mögen den Spreewald in seiner kleidsamen Wintertracht gesehen und das Leben und Treiben der interessanten Menschenschlags jener Gegend während der eis- und schneereichen Wintermonate beobachtet haben ? Ist der Besuch für den Naturfreund im Winter lohnend, so ist er es in weit höherem Maß für den Schlittschuhläufer, dem die Reise über die glatte Eisfläche einen noch größeren Genuß gewährt als das „dolce far niente“ einer sommerlichen Nachenfahrt.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Welch herrliches Gefühl, die weit und breit mit Eis bedeckten Felder auf flinken „Holländern“ zu durchfliegen!

Beim Fischfang – Das Netz wird unter das Eis gelegt

Die entzückende Winterlandschaft mit den schmucken, unter ihrer weißen Schneedecke freundlich hervorschauenden Gehöften, die eigentümlichen kegelförmigen, des Hochwassers wegen auf Gerüsten aufgerichteten Heuschober und die typischen Gestalten, die im Sommer in der Fortbewegung ihres plumpen Kahns mittels des Stoßruders eine so erstaunliche Geschicklichkeit an den Tag legen und sich nun als ebenso gewandte Schlittschuhläufer entpuppen – dies alles zusammen bietet ein Bild, das zeitlebens in der Erinnerung bleibt. Wie anders als auf den künstlichen Eisbahnen der Residenz ist es hier in der ländlichen Stille eines Märchenreichs, wo man noch an alten Sitten und abergläubischen Vorstellungen haftet trotz des unhaltbaren Vordringens der modernen Kultur, wo es noch Leute gibt, die aus selbstgebautem Flachs und der Wolle ihrer paar Schafe ihre eigene Kleidung spinnen und wirken, wo man oft mit der Sprache der kaum zwei Stunden entfernten Reichshauptstadt nichts auszurichten vermag. Ein Wunder wahrlich, daß aller modernen Reform zum Trotz dieses inmitten der Zivilisation liegende Stück aus vergangenen Zeiten seine alten Eigentümlichkeiten, sein ursprüngliches Gepräge in diesem Maß beibehalten konnte.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Uns interessiert hier vor allem der Spreewald im Winter wahrend der Eis- und Schneeperiode, wenn diese fast endlose Wasserfläche sich mit einer starken Eiskruste bedeckt. Kahn und Ruder sind beiseite geschafft worden, und an ihre Stelle trete Schlittschuhe und Eisstuhl. Jung und alt bedienen sich dieser Fortbewegungsmittel mit eine Geschicklichkeit, die ihnen angeboren zu sein scheint.

Der Schlitten wird aufs Boot getragen

Hier trifft man den Postboten bei der Ausübung seiner Berufspflichten auf dem Stahlschuh, dort gleitet der Geistlich auf „Holländern“ auf dem Weg Kirche hin, führt der Bauer seine Erzeugnisse zu Markt, bringen der Milchhändler, der Metzger und der Bäcker ihre Ware den Kunden ins Haus und auf Schlittschuhen eilt die schmucke Bauerstochter in ihrer kleidsamen Tracht den Freuden eines Kaffeeklatsches entgegen.

Ankunft der Post

Nur die ganz Alten, die ganz Kleinen und die armen Kranken müssen zu den Schlitten Zuflucht nehmen, die, von kräftiger Hand geschoben, in schneller Fahrt über die glatte Eisfläche dahinsausen. Geht die Reise weit, so bildet der für diese Gegend äußerst charakteristische Eisstachel, auf den sich der Läufer stützt, ein praktisches Beförderungshilfsmittel. Aber auch das Boot spielt zuweilen im Winter eine Rolle, und zwar dann, wenn einzelne Wasserläufe noch keine genügend feste Eisdecke aufweisen. Man schleppt den Kahn mittels eines Schlittengestells so weit wie nötig mit und befördert auf ihm die Teilnehmer der Schlittschuhpartie über die lästigen Wasserhindernisse.

Ein beliebtes Sonntagsvergnügen

Die Schlittschuhkunst dient natürlich zumeist dem Verkehr; nur des Sonntags, wenn auf den von Dorf zu Dorf führenden Eisstraßen ein reges Leben herrscht, läuft der Spreewälder und vor allem die Spreewälderin des Vergnügens halber.

Eine Spreewaldtour im Winter – Am Wasser angelangt

Einst bildete der Fischfang dieses wasserreichen Landstrichs eine Haupteinnahmequelle für die Bewohner, aber übermäßige Ausbeutung und verheerende Hochwasser haben dieser blühenden Industrie viel von ihrer Lebenskraft genommen. Die Gurkenzucht, eine Spezialität des Spreewalds, mag sich heute wohl besser lohnen als die Fischerei, aber noch jetzt fällt einem manche malerische Fischerhütte ins Auge, deren Wände die zum Trocknen aufgehängten Netze schmücken. Sogar im Winter ist der Spreewälder Fischer nicht müßig, und mag sich eine noch so dicke Eisschicht schützend über die Schlupfwinkel der die Winterruhe genießenden Fische ausbreiten, ihr Verfolger findet immer Mittel und Wege, um seiner Beute habhaft zu werden.

Dieser Text erschien zuerst 1905 in Die Woche.