Winterhüte 1903/04

4. Torque aus Sammet. Maison Virot. - Phot. Reutlinger

Das französische Toilettenwort: „Pour étre bien habillé, il saut étre bien ganté, bien chaussé et bien coiffé“ ist gerade in den letzten Jahren durch die Richtung, die die Frauenmoden einschlagen, wieder ganz zu seinem alten, manchmal, etwas vernachlässigt erscheinenden Recht gekommen.

Es gab Damen, und zwar Damen, die Anspruch darauf erhoben, zu den „Eleganten“ gezählt zu werden, die da meinten, um sich gut anzuziehen, brauche man zuerst und nochmals und abermals ein modernes, dabei möglichst kostbares Kleid; die Zutaten, zu denen Handschuhe, Fußbekleidung und Hüte in erster Linie gehören, fänden sich dann schon von selbst.

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Das Jahr der „großen Ausstellung 1900“ brachte, wie überhaupt in der Pariser Ankleidekunst, so auf diesem Spezialgebiet einen merklichen Umschwung; der einen Fortschritt oder eigentlich ein Zurückgreifen auf die Gepflogenheiten früherer Jahre bedeutete. Als die Kaiserin Eugenie toilettenbegabten Angedenkens noch ihr geschmackvolles Zepter über der Hauptstadt des „Chiffon“ schwang, hielt sich die Pracht der Kleider, auch der für Bälle und Gesellschaften bestimmten, in bescheidenen Grenzen. War somit das eigentliche Hauptstück der Toilette, das die jugendschönen Hofdamen in Gesellschaften und Bällen schmückte, im Gegensatz zu der „Komplikation“, d. h. zu der Anhäufung von verschiedenen Stoffen, von Garnierungen, von Behängen usw. der späteren Epoche und namentlich der Neuzeit, einfach gehalten, so nahm man eine ausgiebige Revanche, indem man die Zutaten nicht nur in luxuriösester Weise ausstattete, sondern sie in gewissen Sinn zur Hauptsache der Toilette machte. Es wurde mit dem, was man hier „acces-soires“ nennt, ein wahrer Kultus getrieben. Da die Ausstellung durch ihre eigentümliche Veranlagung ein halbes Jahr lang und länger von der Damenwelt eine unversiegliche Phantasie in der Schöpfung von immer neuen, immer schöneren und immer eleganteren Toiletten verlangte, kamen die Toilettenzutaten und vor allen Dingen die Mäntelhüllen sowie die Unterröcke und alles das, was man hier unter dem Ausdruck „dessous“ zusammenfaßt, und endlich die Hüte zu neuem ungeahntem Aufsschwung. Handschuhe dagegen trug man überhaupt nicht; eine gleichzeitig hereinbrechende Mode bestimmte, das Ausstellungsterrain als eine Art großen Salon anzusehen und ihn als solchen mit möglichst viel Schmuck behängt zu betreten; man trug vor allen Dingen nun möglichst viele Ringe, wollte diese zeigen und führte die Sitte des „unbehandschuhten“ Straßenkostüms ein; wirtlich elegant war diese Gepflogenheit nur in den allerersten Tagen ihres Entstehens; heute sind ihre mißverstandenen Nachwirkungen vulgär, und der gutsitzende schwedische Handschuh gehört zur Vervollständigung jedes Anzugs, der Anspruch auf die Benennung „Toilette“ erhebt.

1. Hut aus steifer Goldspitze. Maison Nouvelle. - Phot. Reutlinger
1. Hut aus steifer Goldspitze. Maison Nouvelle. – Phot. Reutlinger
2. Hut aus Seidenmusselindraperie. Maison Nouvelle. - Phot. Reutlinger
2. Hut aus Seidenmusselindraperie. Maison Nouvelle. – Phot. Reutlinger

Alle übrigen, sehr fälschlich, „Nebensachen “ benannten Zutaten, Promenadenhüllen (Boas, Tour de cou, Stolen und Krawatten), Gürtel mit Metallgehänge, Schnallen, Schmuck in den vielfältigsten Gestaltungen, Muffen, Schuhe und Strümpfe werden jetzt mit der größten Aufmerksamkeit behandelt und bilden ein wichiges und umfangreiches Kapitel. Heute soll hier ausschließlich von der Krönung der Toilette, von der „Coiffure“, speziell von den Hüten die Rede sein. Es gibt natürlich auch einfache Hüte, glatte Matrosen und ähnliche Fassons, deren einfarbige Filzform anspruchslos mit einer glatten Feder, einer Borte oder einem Foulard garniert ist; solche Hüte tragen auch elegante Damen zu sportlichen Uebungen und zu morgendlichen Ausgängen; es sind zu solchen Gelegenheiten sogar die einzig passenden. Die Kunst aber des heutigen Kopfschmucks besteht darin, zu jeder Toilette, zu jedem Zweck einen eigenen, für diese Toilette und für diesen Zweck passenden Hut zu besitzen und mit Takt anzulegen. Vergrößert wird die Sphäre des Huts durch die moderne, den hier vielfach tonangebenden Engländerinnen und Amerikanerinnen abgelauschte und ins „pariserische“ übertragene Gewohnheit, die Geselligkeit mehr und mehr aus dem Haus in die Oeffentlichkeit zu verlegen; man frühstückt mittags allenfalls noch bei sich, nimmt aber den Tee fast ausnahmslos, das Diner vielfach, besonders vor dem Theaterbesuch, ebenso das Souper nach der Vorstellung außerhalb ein, und diese außerhäusichen Mahlzeiten haben in der Mode Veränderungen und Neuheiten geschaffen, die früher unbekannt waren, weil die Gelegenheit, sie zu benutzen, fehlte.

3. Visitenhut aus silbergrauem Filz. Maison Virot. - Phot. Reutlinger
3. Visitenhut aus silbergrauem Filz. Maison Virot. – Phot. Reutlinger
5. Torque aus Pelz und Sammet. Mason Nouvelle. - Phot. Reutlinger
5. Torque aus Pelz und Sammet. Mason Nouvelle. – Phot. Reutlinger
6. Beigefarbener geschweifter Filzhut. Maison Nouvelle. - Phot. Reutlinger
6. Beigefarbener geschweifter Filzhut. Maison Nouvelle. – Phot. Reutlinger

Die Abbildungen 1 und 2 zeigen hochelegante Exemplare von solchen Zeremonienhüten: Abbildung 2 weist noch die flache, weit über die Stirn hinausgehende, dabei aber doch nach rückwärts befestigte Form auf; das Gestell aus schwarzem Tüll über Draht ist unterhalb und oberhalb dicht mit weißen Seidenmusselindraperien und einem schwarzen Sammtbügel garniert; links unterhalb des Randes liegt ein Kamelienbukett, und aus der oberen Seidenmusselindraperie steigt eine volls weiße Aigrette empor. Abbildung 1, ein ebenfalls der schöpferisch sehr tätigen „Maison Nouvelle“ entnommenes Modell, ist die seht hühsche Verkörperung der neuen glitzernden Metallmode; die Hutform groß und anmutig geschweift, aus steifer Goldspitze ist mit Rosen und, um den Kopf herum, mit einem breiten, schwarzen Sammetband garniert. Als passend für den Besuch der kleinen Theater, der Cafékonzert und ähnlicher Etablissements, die die heutige Gesellschaft ganz und gar in ihren Vergnügungskreis hineinzieht, gilt der beigefarbene, geschweifte Filzhut (Abb. 6) mit hohem Kopf, dessen Garnierung aus dunkelbraunem Sammetband und aus in braun und beige abschattierten (degradierten) Straußenfedern besteht. Eine entzückende Auferstehung aus der Kaiserzeit feiern die mäßig großen, runden Hüte, die mit ihrem vollen Federnkranz das schmale Gesicht der schönen Spanierin so wirkungsvoll beschatten, wie uns Abbildung 3 an einem Visitenhut aus silbergrauem Filz mit buntschillernden Federn zeigt.

4. Torque aus Sammet. Maison Virot. - Phot. Reutlinger
4. Torque aus Sammet. Maison Virot. – Phot. Reutlinger

Ebenfalls zu Visiten, aber auch zu einfacherer Straßentoilette passend ist die Toque (Abbildung 4) aus Sammet, von einer Tüllblättergirlande umrahmt, die ein aus schwarzen Federn und Metallflittern bestehender Vogel überragt. Die beiden letztbeschriebenen Visitenhüte werden, im Gegensatz zur allgemeinen Mode, ziemlich tief in die Stirn gesetzt und verlangen sorgfältig geordnetes und gewelltes Haar. Etwas aus dem Gesicht gerückt, erscheint die aus und Sammetdrapierungen (Chinchilla und graue Panne) geformte Toque, Abbildung 5, die man häufig im Theater und zu Gesellschaftsanzügen sieht, die aber den eigentlichen richtigen Winterstraßenhut in seinen nettesten, gefälligsten Ausdruck der diesjährigen Mode darstellt. Kapotten sind nach den sechs vorgeführten Bildern, die den neusten Huttypus in seinen verschiedenen Manifestationen ziemlich ausgiebig zur Anschauung bringen, wenig oder gar nicht in dem diesjährigen Modebild vorhanden; es heißt zwar immer, sie seien zu Zeremonialvisiten, zu Trauungen und abends im Theater absolut notwendig, sie werden aber nicht angeferigt, oder, wenn das geschieht, bleiben sie liegen. Der große Gesellschaftshut (Genre Abbild. 1 und 2) hat sich an Stelle der Kapotte für Theater, die Toque und der Hut „Kaiserin Eugenie“ haben sich, ebenfalls die Kapotte ersetzend, für Visiten unangreifbar eingebürgert.

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 50/1903, er war gekennzeichnet mit „Clementine“.