Zum Gutenberg-Jubiläum

In Leipzig, der Hauptstadt des deutschen Buchhandels, hat man bereits in der Cantatewoche den fünfhundertjährigen Geburtstag Johann Gutenbergs gefeiert; in Mainz, seinem Geburtsort, begeht man die Feier am 24. Juni. Das eine hat so viel Berechtigung wie das andere; denn der Erfinder der Buchdruckerkunst teilt mit vielen andern großen Männern vergangener Zeiten das Schicksal, daß die Nachwelt das genaue Datum seiner Geburt nicht kennt. Nicht einmal das Jahr steht fest, geschweige denn der Tag. Man weiß nicht mehr, als daß Gutenberg um die Wende des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts geboren wurde.

Ueberhaupt ist von seinem Leben nicht gerade genaue Kunde auf die Nachwelt gekommen. Er hat zwar nie etwas Böses gethan, aber mißliche finanzielle Verhältnisse haben es ihm lange Zeit rätlich erscheinen lassen, die Aufmerksamkeit nicht auf seine Person zu lenken. So konnte es geschehen, daß man ihm, wie auch manchem andern großen Erfinder und Entdecker, den Ruhm seiner Erfindung streitig machen wollte. Es liegt ja auf der Hand, daß die Buchdruckerkunst nicht eines schönen Tags aus dem Nichts entstand und gleich fertig war. Die Vervielfältigung von Liedern und Schriften durch den Druck war auch vor Gutenberg schon bekannt und stand namentlich in China in einer gewissen Blüte; auch heftete man wohl schon vor ihm mehrere Blätter zusammen, so daß sie eine Art Buch bildeten.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

Aber die Buchdruckerkunst im heutigen Sinn des Worts verdanken wir Gutenberg: er erfand die Schriftgießerei, er stellte die einzelnen Lettern aus Metall her, während vordem nur ganze Blätter und zwar von Holzplatten abgedruckt werden konnten. Das ist das Entscheidende; aber zur Herstellung von Druckwerken genügte es allein nicht, dazu war außerdem noch die Erfindung der Buchdruckerpresse nötig, die gleichfalls auf Gutenberg zurückzuführen ist. In ernsthaften Kreisen, die nicht glauben, einfach über die Ergebnisse geschichtlicher Forschung zur Tagesordnung übergehen zu dürfen, gilt er denn auch heute unbestritten als Erfinder der Buchdruckerkunst. Aber noch nicht allzulange ist es her, daß man selbst in seiner Vaterstadt zum mindesten neben ihm zwei andere Einwohner nannte, nämlich Johannes Fust und Peter Schöffer, und mit besonderer Hartnäckigkeit hielten die Holländer an der Legende fest, daß ein Bürger von Haarlem, Lorenz Janszoon mit dem Beinamen Coster (der Küster), der eigentliche Erfinder sei.

Fust und Schöffer sind zu ihrem unverdienten Ruf gekommen, weil sie an der Herstellung und dem Betrieb der ersten Gutenbergschen Druckerei beteiligt waren. Wann diese eingerichtet wurde, ist auch nicht zweifelsfrei festgestellt, ja nicht einmal darüber besteht absolute Sicherheit, ob die Erfindung in Mainz oder Straßburg i. E. gemacht wurde, wo sich Gutenberg bis zum Jahr 1444 aufgehalten hatte.

Geburtshaus Gutenbergs in der Emeransstrasse zu Mainz

Er hatte seine Wohnung nicht in der Stadt selbst, sondern in dem in der Nähe gelegenen Kloster St. Arbogast, das im Jahr 1531 abgebrochen wurde. Auf dem Platz, auf dem es gestanden, ließ der Stadtrat von Straßburg im Jahr 1894 einen Denkstein errichten mit der Inschrift: „Hier auf dem Grünenberge wurde die Buchdruckerkunst erfunden, und von hier aus wurde das Licht in die Welt verbreitet.“ Interessant ist, daß Gutenberg zur Verteidigung dieser Stätte, auf der er viele Jahre geweilt, auch einmal Kriegsdienste gethan hat. Als im Jahr 1444 die Armagnacs auf ihrem Raubzug durch das Elsaß zum zweitenmal nach Straßburg kamen und dabei auch das Kloster des heiligen Arbogast plünderten, stellte er sich dem Stadtregiment als Kämpfer zur Abwehr der Feinde zur Verfügung.

Vier Jahre später tauchte er wieder in seiner Vaterstadt auf, die sein Vater im Jahr 1420 nach einem Streit zwischen den Zünften und dem Patriziat hatte verlassen müssen.

Johannes Gutenberg entstammte dem alten Mainzer Patriziergeschlecht der Gensfleisch, sein Vater heiratete Elsa von Gutenberg, die letzte Trägerin dieses Namens, den er dann, um ihn nicht aussterben zu lassen, mit dem seinigen vereinigte. Daher hieß der Sohn ursprünglich Henne Gensfleisch zum Gutenberg, führte aber später selbst nur noch den Namen der mütterlichen Familie. Im Jahr 1448 kehrte er also in die Heimat zurück aber es gelang ihm nicht, auf einen grünen Zweig zu kommen, er war fortwährend in Geldverlegenheiten, da er gleich nach seiner Ankunft ein Darlehen von 150 Gulden zu 8 1/2 Prozent Zinsen aufnehmen mußte. Folgenschwer aber wurde eine Geschäftsverbindung, die er zwei Jahr später mit Johann Fust abschloß. Dieser lieh ihm zur Errichtung einer Buchdruckerei 800 Gulden gegen einen jährlichen Zins von 6 Prozent und gegen Verpfändung des Handwerkszeugs, das mit dem Geld beschafft wurde; da die Summe offenbar nicht reichte, gab er später noch einmal 800 Gulden her. Als sich herausstellte, daß Gutenberg das Darlehen nicht zurückzahlen konnte, klagte es Fust nach fünf Jahren ein, und Gutenberg wurde verurteilt, an Kapital und Sinsen 2026 Gulden zu zahlen. Mangels der nötigen Barmittel mußte er nun Fust die Buchdruckerei überlassen, der sie mit seinem späteren Schwiegersohn Peter Schöffer weiter betrieb, einem ehemaligen Schreiber geistlichen Standes, den Gutenberg zum Gehilfen genommen und in alle Geheimnisse eingeweiht hatte.

Das Gutenbergdenkmal in Mainz

Zwar gelang es dem Erfinder, später eine neue Druckerei einzurichten, aber er blieb lange Zeit doch in dauernder Bedrängnis. Auf den Büchern, die aus seiner Werkstatt kamen, durfte er seinen Namen nicht nennen, da er sonst Gefahr gelaufen hätte, seinen noch unbefriedigten Gläubigern auch seine zweite Einrichtung überlassen zu müssen. Da Fust und Schöffer solche Rücksichten nicht zu nehmen brauchten, wurden zunächst ihre Namen bekannt, so daß es nicht wunderbar erscheint, wenn man im Volk zunächst sie für die Erfinder der neuen Kunst hielt. Ein Umschwung zu Gunsten Gutenbergs trat erst ein, als 1461 Graf Adolf von Nassau von Pius II zum Mainzer Erzbischof ernannt wurde, und ihm seinen besonderen Schutz angedeihen ließ. In welcher Form es geschah, darüber existiert eine Urkunde, der wir das Folgende entnehmen:

„Wir Adolf u. s. w. betonen und thun mit diesem Brief öffentlich kund, daß wir in Anbetracht der Dienste, die unser lieber, getreuer Johann Gutenberg uns und unserm Stift geleistet hat und in Zukunft noch leisten wird, aus besonderer Gnade ihn zu unserm Diener und Hofgesinde angenommen haben.

Wir wollen ihm auch solchen Dienst, solange er lebt, nicht kündigen, und damit er ihn desto besser versehen möge, wollen wir ihn alljährlich gleich unsern Edlen kleiden und ihm unsere Hofkleidung geben lassen und alljährlich zwanzig Malter Korn und zwei Fuder Wein zum Gebrauch seines Hauses, doch unter dem Beding, daß er sie weder verkaufe noch aus schenke, frei ohne An-, Lager- und Wegegeld in unsere Stadt Mainz eingehen lassen, ihm auch, solange er lebt und unser Diener ist und bleibt, von allen Wach- und Folgediensten, Schatzungen u.s.w., die wir unsern andern Bürgern und Einwohnern unserer Stadt Mainz aufgelegt haben oder nachmals auflegen werden, gnädigst erlassen.“

Neben diesen direkten Zuwendungen gewann Gutenberg aus der Stellung eines Hofdienstmanns aber noch den Vorteil, daß er seinen Gerichtsstand allein vor dem Kurfürsten hatte. Mit andern Worten: seine Gläubiger konnten ihn wegen ihrer alten Forderungen nicht mehr belangen. So erfreute sich der Mann, ohne dessen Erfindung wir uns unsere heutige Entwicklung gar nicht vorstellen können, wenigstens eines von Sorgen ungetrübten Lebensabends.

Dieser Text erschien zuerst 1900 in Die Woche.