Zusammenlegung und Neuauftheilung einer Ortschaft

Am 10. Juli 1895 wurde der Marktflecken Brotterode am Inselsberg im Kreise Schmalkalden durch Feuer zerstört. Im Verlaufe weniger Stunden war das grosse, langgestreckte Dorf bis auf den Eingang und einen etwas abgesonderten Theil, „die Höhe“, niedergebrannt.

Ein ausserordentlich starker Wind fuhr in den Herd des wahrscheinlich beim Kinderspiel entstandenen Feuers und trug die Flammen im Umsehen fort. Brennende Gegenstände: Schindeln, Strohfindern, Speckseiten und Dachziegel wirbelten nur so herum und bevor man noch recht zur Besinnung gekommen, war auch das Spritzenhaus mit seinem Inhalte in ein Feuermeer eingehüllt. Kirche und Post brannten nieder, bevor Sturm geläutet oder um Hilfe nach auswärts telegraphirt werden konnte. Die Akten des Amtsgerichts, unter ihnen Testamente und Generalwährschaftsbücher, der Inhalt der Dorfrepositur, alles Mobiliar, alle Waarenvorräthe, viel Hausthiere waren im Umsehen vernichtet. Zum Glück war es Tag, als sich das Unglück ereignete und diesem Umstande dürfte es zuzuschreiben sein, dass nur zwei Menschenleben zu beklagen sind.

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Die Gebäude mit Ausschluss des Fundament-Mauerwerks waren bei der Landesbrandkasse in Kassel versichert; im übrigen war die Versicherung mangelhaft, aber überall griff die Nächstenhilfe ein.

Bevor der Frage des Wiederaufbaues näher getreten werden konnte, musste zunächst der Schutt von der Brandstätte entfernt werden, welche Arbeit eine Berliner Unternehmerfirma bewirkte. Inzwischen wurde es zur Gewissheit, dass das Absatzgebiet des Industrieortes (Kleineisen-Industrie) grösstentheils verloren war und selbst jahrelange Anstrengung nicht geeignet ist, dasselbe bei den heutigen Verhältnissen des Konkurrenzmarktes wieder zu gewinnen. Viele Hausarbeiter können kaum die Gebäude wieder aufbauen und gar nicht daran denken, die nothwendigsten Hilfsgeräthe und Werkzeuge neu zu beschaffen. Bei dieser Sachlage ist man zu dem Entschlusse gelangt, beim Neubau die Entstehung eines Luftkurortes, wie deren ja in Thüringen eine grössere Anzahl vorhanden ist, ins Auge zu fassen und hat zu diesem Zweck einen vollständig veränderten Bebauungsplan aufgestellt, auch eine Neueintheilung des Grundbesitzes geplant.

Bebauungsplan Botterrode

Nach erfolgter förmlicher Festsetzung des Bebauungsplanes ist, um diese Neuauftheilung zu ermöglichen, eine königliche Verordnung „betreffend die Förderung eines veränderten Bebauungsplanes des durch den Brand zerstörten Fleckens Brotterode“ aufgrund des Art. 63 der Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar 1850 erschienen, in welcher der bekannte Adickes’sche Gesetzentwurf eine durchführbare Gestalt annimmt.

§ 63 der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850: „Wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Nothstandes es dringend erfordert, so können, insofern die Kammern nicht zusammen sind, unter Verantwortlichkeit des gesammten Staatsministeriums Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erlassen werden. Dieselben sind den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vorzulegen.“

Diese vom 30. Oktober 1895 datirte (mittlerweile vom Lande gebilligte) Verordnung enthält 17 Paragraphen, deren wesentlicher Inhalt folgender ist:

§ 1. Die Grundstücke des Marktfleckens Brotterode, einschl. der öffentlichen Strassen, Plätze und Wasserläufe, werden, soweit es zur Durchführung des für diesen Ort aufgrund des Gesetzes vom 2. Juli 1875 in Aussicht genommenen Bebauungsplans zweckmässig erscheint, behufs einer dem Bebauungsplan entsprechenden anderweiten Vertheilung zu einer Gemeinschaft verbunden. Wenn der Zweck es erfordert, können in die Gemeinschaft auch Grundgerechtigkeiten zur anderweiten Feststellung oder Ablösung einbezogen werden, die auf Grundstücken der Gemeinschaft für Grundstücke ausserhalb derselben haften.

Bis zur endgiltigen Festsetzung des Vertheilungsplans darf die Gemeinschaft durch nachträgliche Aufnahme ursprünglich nicht einbezogener, wie durch Ausscheidung zunächst aufgenommener Grundstücke und Grundgerechtigkeiten geändert werden.

§ 2 enthält Vorschriften über die Vertheilung, den Einwurf alter Strassen und Plätze in die Masse und das Ausscheiden der Flächen des neuen Wegesystems vor der Vertheilung. Grösserer Werth des ausgewiesenen Grundstücks gegen das eingeworfene verpflichtet den Empfänger, das Mehr in Geld an die Gemeinde zu zahlen.

In § 3 tritt die Gemeinde als Unternehmerin auf. Sie hat die in Baar zu begleichenden Abfindungen zu leisten, empfängt die Geldbeträge für erhaltene Mehrüberweisungen und wenn hierdurch ihr Aufwand nicht gedeckt wird, so wird der Fehlbetrag von den Eigenthümern der Masse nach Verhältniss der eingeworfenen Antheile erhoben. –

In § 4 wird für die Führung der Geschäfte der Gemeinschaft eine Kommission eingesetzt, der die Eigenschaft einer öffentlichen Behörde und die Bezeichnung: „Königliche Kommission für Brotterode“ beigelegt wird. –

Die übrigen Bestimmungen beziehen sich auf die Werthermittelungen, die Uebertragung der Versicherungsgelder auf die neue Baustelle, den Beschluss über die Feststellung des Vertheilungsplanes, welcher keinem Rechtsmittel unterliegt und die Einweisung in den neuen Besitz. Die Auflösung der Kommission nach erfolgter Durchführung bestimmt der Minister des Innern.

Der hier mitgetheilte Bebauungsplan wird das Bild des alten Brotterode vollständig verändern. Nach der „Niveaukarte des Generalstabs“ zu urtheilen giebt es einige neue Strassen mit Gefälle 1:8, auch werden zwei Bäche regulirt. Eine Trinkwasserleitung ist nicht vorgesehen. Vier Längsstrassen mit mässigen Steigungsverhältnissen und eine Anzahl von Querstrassen, nahezu rechtwinklig auf dieselben gerichtet, ergeben etwa 30 Baufelder, deren Grenzen meist parallel mit den Haupthimmelsrichtungen verlaufen.

Offenbar haben sich erst im Verlaufe des Fluchtlinien-Feststellungs-Verfahrens Schwierigkeiten inbezug auf die Anweisung der Bauplätze ergeben, denen nunmehr durch die kgl. Verordnung abgeholfen wird. Vielleicht würde es einfacher und zeitersparender gewesen sein, das Fluchtlinien-Festsetzungs-Verfahren ebenfalls in die Verordnung einzubeziehen, d. h. dasselbe ganz wegzulassen, da es sich alsdann lediglich um die Auftheilung eines gemeinschaftlichen Bezirks handelte.

Dieser Artikel erschien zuerst am 01.04.1896 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „A.“