Von deutschen Gewerbe-Ausstellungen des Jahres 1895

Gleichwie die allerorten in deutschen Landen abgehaltenen Gewerbe- und Industrie-Ausstellungen in vielen Fällen eine zunehmende industrielle Entfaltung der infrage kommenden Gebietstheile bekunden, so hat sich auch die Anordnung und architektonische Durchbildung der Bauten dieser Veranstaltungen darin gehoben, dass anstelle der früheren zufällıgen Gruppirung des Ausstellungsgutes und seiner Unterbringung in Baulichkeiten, welche nur selten einen Anspruch auf Beurtheilung vom Standpunkte einer von künstlerischen Gesichtspunkten getragenen, wenn auch bescheidenen architektonischen Durchführung erhoben, eine bewusste, nach bestimmten, mit eingehendem Vorbedacht gewählten Gesichtspunkten getroffene Anordnung trat, welche schon in der Wahl des Ausstellungs-Gebietes ihren Ausdruck fand.

Die bei der Wahl des Ausstellungs-Platzes und seiner landschaftlichen Anlage zur Geltung gebrachten Gesichtspunkte wurden in der Folge auch auf die Ausstellungs-Bauten selbst übertragen und diesen nunmehr eine Gestaltung gegeben, die, wenn man den bescheideneren Maasstab des Eintagscharakters an die Ausführungen legt, vielfach recht wohl eine architektonische Beurtheilung erfahren können. In einzelnen, erfreulicher Weise nicht mehr sehr seltenen Fällen aber zwingen die Ausstellungs-Bauten den Beurtheiler geradezu, den bescheideneren Maasstab aus der Hand zu legen und ihren künstlerischen Werth mit einem grösseren Maasstabe zu messen. Es ist dies vorwiegend in den grösseren Orten der Fall, an denen starke lokalhistorische Ueberlieferungen ihren Einfluss geltend machen oder neben der gewerblichen und kommerziellen Entwicklung eine künstlerische oder kunstindustrielle Entwicklung einhergeht. In letzteren Fällen verlieren oft selbst die grössten Ausstellungs-Gebäude ihren Magazincharakter und nehmen eine gruppirte Form an, die dem architektonischen Können weiten Spielraum bietet, Daneben finden sich dann sehr oft einzelne Baulichkeiten für bestimmte Sonderzwecke, für deren Errichtung diese Zwecke freilich manchmal nur der äussere Anlass waren, die aber im übrigen häufig bestrebt sind, ein Bild aus der künstlerischen Vergangenheit des Ausstellungsortes oder des für die Ausstellung infrage kommenden Gebietstheiles zu geben. Auf sie hat ein Künstler mitunter seine ganze Lust am Gestalten vereinigt und unter Zuhilfenahme geschichllicher Erinnerungen oder ethnographischer Eigenthümlichkeiten Werke geschaffen, welche den Laien wie den Kunstverständigen unter den Ausstellungs-Besuchern in gleicher Weise anziehen. Sie finden sich nicht selten selbst auf solchen Ausstellungen, bei denen die Mittel für die ganze Veranstaltung von Haus aus bescheidene waren und auf die Haupt-Ausstellungsgebäude ein nur kärglicher Theil derselben entfiel.

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Wenn demnach die einzelnen Ausstellungen schon in dieser Beziehung ein durchaus verschiedenes Bild zogen, so mag es gestattet sein, hieraus für uns die Berechtigung abzuleiten, eine architektonische Besprechung derselben nur auf die Theile zu erstrecken, die mehr als andere unter architektonischem Einfluss standen und ein künstlerisches Gepräge erhalten haben. Neben diesem in der Sache liegenden Grunde ist für eine Berichterstattung in der angedeuteten abgekürzteren Form auch der Umstand maassgebend, dass es mehre Ausstellungen sind, auf die sich die Besprechung auszudehnen haben wird und dass der Raum unseres Blattes leider ein so beschränkter ist, dass er in dieser Beschränkung oft unsere besten Absichten zu nichte macht. Wir beginnen mit der

I. Provinzial-Gewerbe-Ausstellung zu Posen.

Es muss überraschen, eine Provinz von so überwiegend agricoler Bedeutung eine Gewerbe-Ausstellung abhalten zu sehen. Die Industrie ist nur an wenigen Orten bedeutend und beschränkt sich auf die Tuch- und Maschinen-, Zucker- und Schnupftabak-Fabrikation, auf Werke zur Ausbeutung des Bodens an Mineralien, auf Bierbrauereien und Branntweinbrennereien usw. Wenn es dennoch gelang, eine Ausstellung von einer gewissen Bedeutung zu eröffnen, so ist dies dem Umstande zuzuschreiben, dass man den Kreis der Aussteller auch auf jene Industriellen und Gewerbetreibenden erstreckte, welche nicht in der Provinz Posen wohnen oder ihre Erzeugnisse dort herstellen, aber hier eine Vertretung unterhalten.

Das Ausstellungsgebiet befindet sich auf einem Gelände zwischen dem Königs- und Berliner Thor auf einem Theile des Festungsglacis, und wird einerseits von dem tiefgelegenen Bahnkörper, andererseits vom Festungsgraben begrenzt. Zwei Eingangsthore gewähren Zutritt zu ihm; das eine stellt eine aus bemalter Sackleinwand errichtete Burg mit Zugbrücke und Wartthurm dar, das andere, ein mittelalterliches Städtethor nachahmend, ist ehrlicher in der Erscheinung und verwendet trotz seines ephemeren Daseins dauerhaftes Material in sichtbarer Weise. Das einen Flächenraum von etwas über 7000 qm überdeckende Haupt-Ausstellungsgebäude giebt trotz der ersichtlich auf dasselbe verwendeten Mittel zu einer besonderen Hervorhebung keinen Anlass; eine Maschinenhalle bedeckt einen Flächenraum von etwas über 3000 qm; ausserdem sind errichtet eine Kunsthalle, zwei Restaurants und eine Reihe von Einzelgebäuden durch einzelne Aussteller, unter ihnen als eines der gefälligsten ein kleines, villenartiges Gebäude, von Klose in Posen, im Erdgeschoss aus Kunststein, im Obergeschoss aus Fachwerk gebildet. Von den beiden Restaurants ist das eine von Arch. Klimm in Breslau, das andere, als Blockhaus-Restaurant bezeichnet, von den Arch. Binder & Meyer in Posen entworfen und ausgeführt. Letzteres ist in den umstehenden Abbildungen zur Darstellung gebracht.

I. Blockhaus-Restaurant der Provinzial-Gewerbeausstellung in Posen. Arch. Binder u. Meyer in Posen
I. Blockhaus-Restaurant der Provinzial-Gewerbeausstellung in Posen. Grundriss u. Schnitt

Der an den tiefsten Stellen wohl 10 m tiefe Wallgraben, der neben dem Ausstellungsgelände hinzieht, bildet einen spitzen Winkel, dessen Scheitel ungefähr in der Mitte zwischen beiden genannten Stadtthoren liegt und den höchsten Punkt des ganzen vor dem Graben liegenden Ausstellungsgebietes bildet, seinerseits aber noch überragt wird durch die Erddecke eines im Graben stehenden Blockhauses, dessen Längsaxe mit der Halbierungslinie des Grabenwinkels zusammenfällt. Das Blockhaus ist ein 17 m langes und 7,6 m breites Bauwerk, nach dem Glacis zu halbrund geschlossen, mit starken Mauern, granitenem Gesims und erdbedecktem Gewölbe. Es erhebt sich wie eine Insel aus dem Graben, ist nach allen Seiten frei, der höchste Punkt des Ausstellungsplatzes und doch noch im Schatten der dicht den Grabenrand herantretenden Bäume belegen. Der Gedanke diesen hervorragend günstigen Platz für einen Ausstellungsbau zu benützen, war vielversprechend. Die Genehmigung de: Fortifikationsbehörde war verhältnissmässig schnell erreicht.

Für die Architekten war die dreifache Aufgabe gestellt, einmal den eigenartigen Platz mit einem angemessenen Bauwerk zu schmücken, das alle Vorzüge des ersteren zur Geltung kommen liess, sodann, den räumlich beschränkten Unterbau, den das Blockhaus bot, thunlichst zu erweitern, damit eine möglichst grosse Anzahl von Sitzplätzen die Ertragsfähigkeit des Restaurants gewährleistete, und endlich die Substanz des Unterbaues durch den Aufbau unversehrt zu lassen.

Inwieweit die Lösung dieser Aufgabe gelungen ist, zeigen die Abbildungen. Der Grundriss schliesst sich dem des Blockhauses möglichst genau an. Konzentrisch mit dem halbrunden Abschlusse desselben erhebt sich ein runder, in Steinarchitektur ausgebildeter Thurm, der den Schankraum enthält. Auch das Langhaus, in das 2 nach aussen offene Kojen eingebaut sind, folgt den Umrisslinien des Blockhauses, auf dessen Rückseite ein viereckiger Fachwerkthurm den Abschluss bildet. Rings um diesen Aufbau läuft eine Gallerie, die nur zumtheil überdeckt, noch zahlreiche Sitzplätze darbietet. Die Verbindung mit dem Glacis wird durch eine Zugbrücke hergestellt, die auf einen Brückenkopf ausläuft, dessen Unterbau für Eiskeller, Aborte und einen zweiten Ausschank nutzbar gemacht ist, während der obere von 2 Pylonen flankirte Aufbau ebenfalls Sitzplätze bietet.

Die Konstruktion ist aus dem Querschnitt ersichtlich. Ein abgebundener Schwellenkranz liegt auf dem Mauerwerk auf und trägt die Stiele, auf welche die Koptbänder von allen Seiten her den Druck des Aufbaues übertragen und die durch Zangen mit einander verbunden sind. Die über die Pfetten gestreckten Balken ergeben das Unterlager für einen 26,5 : 11,5 m grossen Fussboden; die Stiele sind verschaalt, so dass die Erddecke des Blockhauses nicht sichtbar bleibt.

Die Wandflächen sind, soweit sie nicht verglast wurden, mit Zementplatten ausgefacht, das Holzwerk gestrichen. Das Innere des Kneipraumes ist reich gemalt; die Fenster haben farbige Bleiverglasung oder, wie die Vierpässe unter der Traufe, Grisaillemalerei erhalten. Die Dächer sind mit gemusterten Falzziegeln gedeckt, nur der Rundthurm erhielt Schuppendeckung aus Dachpappe.

Der Bau ist in etwas über zwei Monaten von einem Polier und durchschnittlich etwa 10 Zimmerleuten unter unmittelbarer Leitung der Architekten ausgeführt worden. Die Malereien sind von dem Lehrer an der Fortbildungsschule Hrn. Ed. Deventer ausgeführt, die Glaserarbeiten von der Firma Oskar Schmidt; die Dachdeckung lieferte Hr. Moritz Viktor, sämmtlich zu Posen.

II. Die nordost-deutsche Gewerbe-Ausstellung zu Königsberg i. Pr.

Es hat nicht den Anschein, als ob die Provinzial-Gewerbe-Ausstellung in Posen aus einem dringenden Bedürfnisse, das die Industrie geäussert hätte, hervorgegangen sei. Dazu ist hier die landwirthschaftliche Thätigkeit, neben welcher die Industrie auf ein bescheidenes Maass zurücktritt, eine zu umfassende; zu ihr steht die Industrie gleichsam im Verhältniss einer dienenden Stellung und in einer solchen Stellung kann nicht wohl von treibenden Kräften gesprochen werden, welche zu einer selbständigen Initiative führen. Aehnlich liegen die Verhältnisse in Ostpreussen.

Gleichwie in der Provinz Posen ist auch hier die landwirthschaftliche Thätigkeit die weitaus bedeutendere, neben ihr sind Handel, Schiffahrt und Schiffbau entwickelt. Die eigentliche Industrie aber vertheilt sich auf nur wenige Orte, wie Königsberg, Memel, Tilsit, Insterburg usw., an welchen neben Handel, Schiffahrt und Schiffbau Eisenwerke, Glashütten, Papierfabriken, Bierbrauereien, Branntweinbrennereien, Sägemühlen, auf dem Lande Leineweberei eine bescheidene industrielle Thätigkeit entfalten. Man kann also auch von der nordostdeutschen Gewerbe-Ausstellung zu Königsberg nicht sagen, dass sie aus einem innersten Verlangen der Industrie hervorgegangen sei, und in der That erfahren wir denn auch, dass die Jubelfeier des 50 jährigen Bestandes des Polytechnischen Vereins in Königsberg den Gedanken gezeitigt hat, dem Feste durch Veranstaltung einer Gewerbe- und Industrie-Ausstellung einen erhöhten Glanz zu verleihen. Der Gedanke fand fruchtbaren Boden und reifte derart seiner Ausführung entgegen, dass die Ausstellung am 26. Mai d. J., wenn auch noch nicht in allen ihren Theilen fertig, eröffnet werden konnte.

II. Ausschank der Ponarth’chen Brauerei
II. System der Kuppelhalle des Haupteinganges

Als Ausstellungsgebiet ist ein etwa 41 Morgen grosses, unregelmässiges Gelände gewählt worden, auf welchem sich Wasser und in einem anderen Theile alter Baumbestand fanden, welche beide den Zwecken der Ausstellung nutzbar gemacht werden konnten, Für die Gestaltung des mit einer Summe von nahezu 60 000 M. errichteten Hanptgebäudes, das einen Flächenraum von etwa 4100 qm bedeckt, war ein augenscheinlich auf Königsberger Architekten beschränkter engerer Wettbewerb ausgeschrieben, aus welchem Hr. Arch. Strehl als Sieger mit einem Entwurf hervorging welcher im Grundriss das bewährte System des ┴-Baues zeigt, dessen äussere Enden durch Gallerien in der Form eines Viertelkreises verbunden sind, sodass dem Besucher eine in sich geschlossene Zirkulation ermöglicht ist. Der Haupteingang führt in eine stattliche Kuppelhalle von 21 m innerer Höhe und 19 m Diagonalspannweite deren Konstruktionssystem wir nebenstehend dieser Besprechung anfügen. Die Kuppel tritt im Aeussern herrschend in die Erscheinung und unterstützt lobhaft die lebendige und in gewissem Sinne festliche Wirkung, die unter Benutzung gleichfalls bewährter Formen zu erreichen versucht ist. Im Innern des Baues ist ein einheitliches Axensystem von 4,5 m durchgeführt worden. Bohlenbinder von 13,5 m Spannweite gestalten ein Mittelschiff, dem 4,5 m breite Seitenschiffe gleich laufen, die zu einzelnen Kojen ausgebildet sind. Die Beleuchtungs-Verhältnisse sind derart geordnet, dass auf 1 qm Grundfläche 0,21 qm Fensterfläche kommen. Die Wandhöhe beträgt in den Seitenschiffen 5 m, im Hauptschiff 9 m.

Der Erfolg in diesem engeren Wettbewerb hatte für Hrn. Strehl die glückliche Folge, dass ihm durch das Ausstellungs-Komité der Entwurf zu sämmtlichen übrigen grösseren Ausstellungsgebäuden übertragen wurde. Inwieweit ihm auch ein Einfluss auf die Lage derselben im Ausstellungsparke zugestanden wurde, entzieht sich unserer Kenntniss eben so sehr, als die Kenntniss der Grundsätze, nach denen die etwas planlos vertheilten Ausstellungsgebäude an den verschiedenen Stellen des Geländes errichtet wurden.

Die Gruppen-Eintheilung des Ausstellungsgutes ist auch in Königsberg die übliche, durch eine grosse Reihe von Provinzial-Ausstellungen mit gleichem Programm bewährte; es wird kaum möglich sein, hier Neuerungen aufzunehmen. Infolgedessen wird sich immer die gleiche Reihe in ihrer Bestimmung festgelegter Bauten ergeben. Ausser dem Hauptgebäude sind zur Ausführung gelangt die eine Fläche von etwa 3700 qm überdeckende Maschinenhalle, das mit einem Aufwande von 11 000 M. im Stile der Renaissance auf der Grundform des U errichtete Gebäude für Frauenarbeit, Hausfleiss und die Erziehung des Kindes, die in einer Gesammtlänge von 126 m und auf einer Fläche von 1300 qm erbaute Landwirthschaftshalle, das nahezu 1200 qm Flächenraum enthaltende, um die Summe von 26 000 M. ausgeführte Gebäude für Kunst und Kunstgewerbe, dessen Gemälde-Abtheilung nach dem System von Magnus eingerichtet ist und für das im übrigen der Anspruch erhoben wird, in griechischem Stil errichtet zu sein, das für 32 000 M. errichtete, 2400 qm enthaltende Gebäude für Marine, Handel und Fischerei, das Forsthaus und die 1000 Personen fassende Festhalle, die eine Bausumme von rd. 15 000 M. beanspruchte. Für alle diese Bauten lieferte Hr. Strehl die Entwürfe und war ausserdem beauftragt, für eine grosse Reihe der kleinen, im Park zerstreuten Pavillone, Kioske usw. die künstlerische Ausbildung zu übernehmen. Von diesen letzteren zeigt eine gewisse Eigenart der im Stile der nordischen Holzbaukunst errichtete Pavillon der Ponarth’schen Brauerei, von dem wir umstehend eine Abbildung geben. Sämtliche Bauten mussten in dem kurzen Zeitraum von 5 Monaten geschaffen werden, ein Umstand, der ein glänzendes Zeugniss für die Umsicht und Thatkraft des leitenden Architekten ablegt, in dem aber zugleich die Ursache für die künstlerische Erscheinung der Bauten zu suchen ist.

Es kann nicht in der Aufgabe dieser kurzen Besprechung liegen, auch auf die einzelnen Ausstellungs-Gegenstände, soweit dieselben bautechnischer oder baukünstlerischer Natur sind, einzugehen. Das verbietet neben dem Raum, der den Berichten über die verschiedenen deutschen Ausstellungen dieses Jahres in karger Weise zugemessen sein kann, schon der Umstand, dass die wichtigeren dieser Gegenstände entweder bereits bei anderen Anlässen oder in selbständiger Form besprochen wurden, aber bei der gelegentlichen Schilderung entsprechender Bau-Ausführungen besprochen werden dürften.

Ein Schlusswort über diese Ausstellung hätte sich dahin auszusprechen, dass sie vor ihren zahlreichen Vorgängerinnen nichts voraus hat und gleich diesen in ihrem wirthschaftlichen Werth zu bestreiten ist. Auch eine Förderung der Kunst kann aus ihr nicht abgeleitet werden.

III. Die Deutsch-Nordische Handels- und Industrie-Ausstellung in Lübeck.

Wenige Jahre, ja nur wenige Monate sind verflossen, da zog der kleine Freistaat Lübeck wieder die Aufmerksamkeit von ganz Deutschland auf sich. Wie der Glanz der stolzen Hansa uns sich spiegelnd in den glücklicherweise gut und zahlreich erhaltenen Kunstdenkmälern der Stadt Lübeck entgegentritt, so scheint auch der Unternehmungsgeist der Hanseaten des 14. Jahrh. dem heutigen Geschlechte ein Sporn zu thatkräftigem Handeln zu werden. Das war nöthig, denn ohne eine nachhaltige und kräftige Entfaltung des unternehmenden kaufmännischen Geistes ist Lübeck ein verlorener Punkt.

III. Abbildg. 1. Mühlthor; Ach. Julius Grube – Lübeck
III. Abbildg. 2. Haupt-Restauration; Ach. Georg Thielen – Hamburg

Lübeck hat eine ausserordentlich glückliche Lage, um den Export nach dem Norden und Osten und umgekehrt den Import von dort nachhaltig zu betreiben. Der Plan des Elbe-Trave-Kanals entstand aus dem Bestreben, bessere und erfolgreichere Handelsbeziehungen zu erwerben und aus dem gleichen Bestreben geht die Kühnheit hervor, im kleinen Lübeck eine nordisch-deutsche Handels- und Industrie-Ausstellung zu veranstalten. Die Ausstellung soll nach dem Plane ein Bild des Aus- und Einfuhrhandels zwischen Deutschland und den nordischen Reichen (Russland, Finnland, Schweden, Norwegen und Dänemark) entrollen. In unglaublich kurzer Zeit ist in Lübeck eine Ausstellung geschaffen, die es ohne Zweifel verdient, besucht zu werden, zumal Lübeck so manchem Fachgenossen Gelegenheit zu reichlichstem Studium auf dem Gebiete der Kunst und in neuerer Zeit auf dem Gebiete des Tiefbauwesens bietet.

Der Katalog der Ausstellung weist 1808 Nummern auf. Die Ausstellung zerfällt in 25 Gruppen, von welchen Gruppe I.: Bergbau-, Hütten- und Salinenwesen, Gruppe III.: Stein-, Thon- und Glaswaaren, Gruppe IX.: Holz und Holzwaaren, Gruppe XIV.: Architektur- und Ingenieurwesen, Gruppe XV.: Marine, Schiffsbau und Schiffsausrüstungs-Gegenstände, Gruppe XVI.: Maschinenwesen, Elektrotechnik und Transportmittel, Gruppe XVIII.: Wissenschaftl. Instrumente, Gruppe XIX.: Gesundheitspflege, Wohlfahrts-Einrichtungen usw. in erster Linie interessiren dürften.

Der Ausstellungsplatz ist sehr gut gewählt; er liegt auf einer von der Wakenitz gebildeten Halbinsel, auf dem Brth. Wallbrecht zu Hannover hegörigen Villengelände. Vom Ausstellungsplatze aus geniesst man ein unvergleichliches, 500 Jahre altes Städtebild. Von links nach rechts treten in demselben dem Beschauer die Thürme des Domes, der neuen Herz-Jesu-Kirche, der Aegidien-, Petri-, Marien-, Katharinen- und Jakobikirche entgegen und ganz rechts schliesst das Burgthor mit seiner Barockhaube das Bild ab. Unmittelbar links von der Marienkirche erblickt der Beschauer die Rathhaus-Thürmchen.

Die Gesammtanordnung der Ausstellung ist eine Arbeit des Baudir. Schwiening, unter Mitwirkung des Platzingenieurs W. Reinhard. Das Ausstellungsgelände ist sehr reich bebaut. Sehr reizvoll ist der Anblick des Ausstellungsplatzes von der Moltkestrasse aus.

Am Eingange zum Ausstellungsplatze tritt dem Besucher eine Nachbildung des alten, 1572 erbauten und 1851 beseitigten Mühlthores entgegen; das Bauwerk ist eine ausserordentlich sympathisch wirkende Schöpfung des Lübecker Architekten Julius Grube. (Siehe Abbildg. 1). Diesem Hauptthore schliessen sich die Verwaltungsgebäude des Ausstellungs-Ausschusses an.

Rechts vom Haupteingange erhebt sich die erste Haupt-Ausstellungshalle mit 10515 qm bebauter Fläche; sie ist eine gelungene Arbeit des Hamburger Architekten H. Groothoff. Die Ausführung lag in den Händen der Lübecker Zimmermstr. Chr. Behrens, H. Lühr und Aug. Burmeister. Links vom Haupteingange liegt die Maschinenhalle (Arch. G. Hahn – Lübeck) 5700 qm Grundfläche aufweisend. Ausserordentlich reizvoll, namentlich im Innern, wirkt die Hauptrestauration, eine ohne Zweifel sehr schätzenswerthe Arbeit des Hamburger Architekten Georg Thielen, (ausgeführt durch die Zimmermstr. Ad. Rittscher und F, Runan (s. Abbildg. 2). Ich habe bisher noch kein so gelungenes Bauwerk bei Aufwendung so einfacher Mittel gesehen.

Die landwirthschaftliche Ausstellung befindet sich in einer eine etwa 1000 qm grossen Grundfläche aufweisenden Halle, die nach den Plänen des bereits oben genannten Hrn. Thielen – Hamburg durch die Hrn. A. Bluneke und F. Schwartzkopff als Unternehmer erbaut ist. Die Marine-Ausstellung dagegen befindet sich rechts vom Haupteingange in der von den Hamburger Architekten Puttfarken & Janda erbauten zweiten Hauptausstellungshalle (5680 qm Grundfläche). Von dieser Grundfläche nimmt die Marine-Ausstellung allein 1500 qm inanspruch.

Der Erbauer dieser zweiten Hauptausstellungshalle und anderer bedeutender Bauten ist Hr. Zimmermstr. W. Torkuhl – Lübeck. Marks, C. H. Vogt, H. Karstens F. Jäde & J. H. F. Häseler (u.a. den Musikpavillion für 65 Musiker), J. J. Niemann und H. Hoffmann (Ausstellungs-Theater), H. Stoemer, G. Classen u. a.

Von den Privatbauten sind u. a. Hervorzuheben das Cafe Prediger & Ritter nach den Plänen der Hamburger Architekten Chr. Brackhan und Kark Rode, das Gebäude der Kulmbacher Export-Brauerei (Arch. G. Hahn), das Wein-Restaurant „Zum Niederwald“ und die Kneipe der Lübecker Aktienbrauerei, beide nach den Plänen des Arch. Jul. Grube, und die etwas freie Nachahmung des Nürnberger Glöckle (Arch. W.Reinhard). Vergessen hätte ich beinahe die die Kolonial-Ausstellung enthaltende Tembe, welche nach der Skizze des Berliner Malers Rud. Hellgreve durch Hrn. Reinhard entworfen ist.

Die geschmackvollen Gartenanlagen sind in kurzer Zeit von Stadtgärtner M. Langenbuch – Lübeck geschaffen.

Die ganze Ausstellung zeigt, was vonseiten thatkräftiger Bauleiter und rühriger, geschickter Unternehmer geleistet wer kann, denn am 26. März dieses Jahres wurde der erste Binder gerichtet und nach 2 ½ Monaten war das ganze bereits fertig. Leider verbietet mir der Mangel an Raum meine Besprechung auf die ausgestellten Gegenstände auszudehnen; ich muss mich daher begnügen, im allgemeinen die Stoffe und Fabrikate anzuführen, welche die nordischen Länder ausgestellt haben. Aus Finnland sind namentlich Fabrikate aus Holzstoff (Tapeten), Modelle von Thonröhren, Schleifsteine, Thüren und Produkte aus Theer usw. ausgestellt. Russland hat nur sehr wenig zu zeigen; zu nennen sind Asbeste, Hufnägel, Flachs und Leder-Mosaikarbeit. Schweden dagegen hat weit mehr der Ausstellung zugeführt; Eisenerze, Eisen, Stahl, Granit, Cellulose, Schmirgel, Schiffsmodelle, Stühle, Thüren, Leisten, Panneele und Konserven. Dänemark hat nichts nennenswerthes ausgestellt.

Von Interesse dürfte noch eine Mittheilung über den bedeutenden Holzhandel Lübecks sein.

Bau- und Nutzholz


EinfuhrAusfuhrAn Lohn wurde gezahlt
1879352 099 cbm316 889 cbm316 889 M.
1891256 412 cbm320 248 cbm320 248 M.
1894280 096 cbm252 087 cbm252 087 M.

In der Tabelle hat sich offensichtlich ein Fehler eingeschlichen, die Angaben für Lohn und Ausfuhr sind gleich. Dieser Fehler wurde vom Original so übernommen.

Wenn ich nun noch zum Schlusse auf die vielen Sehenswürdigkeiten Lübecks in künstlerischer Hinsicht hinweise, so ist gewiss die warme Empfehlung eines Besuches der Lübecker Ausstellung gerechtfertigt.

Bremen, im August 1895. Direktor Walther Lange.

Dieser 3-teilige Artikel erschien zuerst am 10., 14. und 18.08.1895 in der Deutsche Bauzeitung.