Auf der Alm

Ob’s koa Sünd giebt auf der Alm drob’n?
Sell woaß dengerscht i net g’wiß –
Aber der hat ganz g’wiß g’sündigt,
Der auf koana drob’n g’wen is!

Die Zeit, wo die „Almahütt’n“ den berghungrigen Touristen als „Stützpunkte“ bei Partien dienen mußten, oder wo sie überhaupt die einzige Unterkunft in höheren Regionen boten, sind längst vorbei.

Die großartige Thätigkeit des deutsch-österreichischen Alpenvereins zur „Aufschließung“ der herrlichsten Teile der deutschen Alpen hat die Almahütten-Poesei“ in zweite Linie geschoben. Jeder Hochtourist strebt heute zum Uebernachten nach einer „Unterkunftshütte“ mit ihrer Behaglichkeit und dem verhältnismäßig immer großstädtisch guten „Papperl“, das dem „ewig Käsernen“ der Almhütte und ihren verschiedenen „Miliarten“, als da sind: die „G’stöckelte“, „A’grahmte“ und so fort denn doch von einem „Stadtfrack“ vorgezogen wird.

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Aber trotz der „grüabigen“ Hütten des Alpenvereins, wo es so schöne Betten, so schmackhafte Konserven und meist auch ganz brillantes Münchner Bier giebt, zieht es viele Städter doch immer wieder, wenigstens zu einem Besuch, nach der Almhütte.

An feurigem Buam is koa Wasser fei’ z’ nass!
Der Seppel und s’ Midei

Der poetische Reiz, der über diesem Wort liegt, hat noch lange nicht seinen alten Zauber verloren. Es ist eben die uralte Sehnsucht nach jenen patriarchalischen Verhältnissen, wo der Mensch noch im inniasten Anschluß an die Natur lebte – und was ist es denn anders, das alljährlich die vielen Tausende hinein in die freie Welt der Alpen treibt, als die ewig unstillbare Sehnsucht, „sich von der heiligen Mutter Natur in die Arme nehmen zu lassen“?

Einkehr im Bergswirtshaus

Da flieht denn gern selbst der behäbigste „Thalonkel“, der sich die Bergesgipfel und Alpenvereinshütten am liebsten durch ein Bierglas ansieht, einmal hinauf in die Abgeschiedenheit und Stille der Alm. Denn „gesehen haben“ soll man’s ja doch – und der Aufstieg zu einer Alm ist noch immer keine Ersteigung eines Vajolettturms. Zudem haben die Almer in ihrer angeborenen Pfiffigkeit schon längst den „volkswirtschaftlichen Nutzen des Fremdenverkehrs“ gründlich erkannt, und wenn auch hier und da noch ein besonders eifriger Pfarrer von der Kanzel gegen die Ueberschwemmung des Landes durch „norddeutsche Lutherische! donnerte – die wackeren Almer schmunzelten, ließen den Pfarrer reden, sagten voll Herzlichkeit ihr „Gelt’s Gott für die schöne Predi’“ und – schauten zu, daß recht viel Fremde auf ihre Almen kamen. Denn wo konnten sie bessere Preise für ihre „A’grahmte“ oder ihren halbgaren „Kas’“ erzielen?

So kennen denn heute die Almbewohner in jenen besonders bevorzugten Gegenden Oberbayerns, Berchtesgadens und im „Werdenfelser Landl“ bis hinüber ins käsereiche Allgäu sehr genau die „Saison“ in ihren Unterabteilungen, wie Vor- Hoch- und Nachsaison.

Sie haben sich an vielen Orten schon nach Art der Hoteliers einen ganz artig arrangierten gegenseitigen Reklamedienst eingerichtet, und zwar in der Weise, daß der Bergwirt – und in welcher Höhe, wo nur halbweg- eine nette Aussicht ist, giebt’s heute kein Bergwirtshaus? – ihnen wißbegierige Gäste hinaufschickt, während sie ihm wieder jene Touristen „zuwiweisen“, die von der andern Seite des Berges kommen.

Traut-München, phot

Ja, nicht nur die Kultur und mit ihr der Hotelgeschäftsgeist haben auf den meisten Almen schon ihren Einzug gehalten, sondern auch die Romantik – und zwar die schönste, himmelblauste Liebesromantik. Die Geschichte von dem mudelsauberen Almadeandl in der Hinterriß ist gar vielen „Kolleginnen“ zu Kopf gestiegen. Die G’schicht ist aber auch gar schön, wenn sie auf der Alm „verzählt“ wird.

Da kam im Jahr 1895 ein junger, reicher Engländer nach Tölz. Er sprach ganz gut deutsch – und das ist gewiß die Hauptsache, denn keine von unsern Almerinnen kann englisch oder weiß ganz genau, wo’s „Englische liegt“. Also der junge Tourist kraxelte eines Tags wieder auf eine Alm, sah dort die Ebnerhof- Midei, ein blutjunges Ding von fünfzehn Jahren und nebenbei ein „blutarms Leut“, aber sauber – sauber . . .! So ein Engländer schwärmt nicht lange – er ging zu dem „bluatarma Vattern“, klimperte mit einem Haufen Goldstücke, daß dem armen Teufel von Floßarbeiter ganz schwummerlich wurde – na, und dann kam das Midei als Fräulein Marie in ein feines Pensionat nach München, und in drei Jahren war sie eine wirklich pikfeine, allerliebste Städterin geworden, die heute als Frau des romantischen Engländers in der Gesellschaft sehr gute Figur macht.

Aber auch die „Buam“ auf der Alm träumen von romantischen Abenteuern.

Im Kucherl

Haben doch schon mehrere ganz gute Partien gemacht durch Frauen, die als Touristinnen auf die Alm kamen und sich in den feschen Berglerburschen verschauten. Die bayrischen Oberlandler sind allerdings ein ausgesucht schöner Menschenschlag, und Bismarck selbst war es, der ihnen nachrühmte, daß sie „in Gang, Haltung und Gebaren so viel unbewußt Aristokratisches haben“. Und wer sich die Geschichte vielleicht in Bozen noch nicht erzählen ließ, dem sei sie hier kurz angedeutet. Der eiserne Kanzler hat sich als Jüngling auch einmal in ein taufrisches Berglerdeandl verschaut, hat’s so sehr närrisch gern gehabt, daß er’s um jeden Preis heiraten wollte. Also wäre auf ein Haar eine saubere Almerin Frau Reichskanzler geworden! Wer’s nicht glaubt, der gehe nach Bozen und lasse sich von „Zeitgenossen“ die Sache näher „ausdeutschen“. – Neben ihrer äußeren Schönheit haben diese Bergler aber auch eine innere Schönheit: eine hohe Begeisterung für Kunst und Musik.

Ihr natürliches Talent zum „Kumedig’spiel“ ist ja heute durch die verschiedenen „Originalbauerntheater“ in ganz Deutschland bekannt. Es überrascht daher auch die Besucher Norddeutschlands nicht mehr allzusehr, wenn sie auf Spaziergängen aus verschiedenen Almhütten und Stadle den Seppel und die Lisei in höchst geschwollenem Pathos deklamieren hören; die „g’studieren“ eben gerade für irgend ein Ritterstück voll Hingebung ihre Rollen.

Weniger bekannt als die dramatische Begabung ist das musikalische Talent der bayrischen Oberlandler, und doch ist dies entschieden das hervorragendere.

bei der Lisei in der Klaus’n

Die kleinsten „Hüatabuam“ schneiden sich schon selbst ihre Panflöten, oder sie spielen auf dem Birnbaumblatt Solis und Duette von bewundernswürdiger Technik. Werden sie größer, dann ist all ihr Sparen darauf gerichtet, sich auf dem Jahrmarkt einen „Fozhobel“ kaufen zu können, wie die Mundharmonika allgemein heißt. Die fehlt dann auf keiner Alm – kein „Hüatabua“ zieht ohne sie auf die Weide.

Nicht mindere Kunstfertigkeit kann man aber auch auf dem primitiven blechernen Zehnpfennigflötchen finden, wie sie auf Jahrmärkten feilgeboten werden. Es ist geradezu überraschend, zu welcher Meisterschaft diese Almbuben es da oft bringen. sie begnügen sich auch nicht mit einer, sondern blasen auf zweien durch die Nasenlöcher die kunstvollsten Sachen. Jetzt endlich fällt das Auge der „Unternehmer“ auch auf diesen Zweig oberbayrischer Kunstfertigkeit, und ein Impresario ist eben damit beschäftigt, an Stelle der stark überlebten Bauerntheater ein „Bauernüberbrettl“ treten zu lassen, wofür schon eine ganze Anzahl Almer und Almerinnen für die Wintersaison „gewonnen“ sind. Jedenfalls könnte die Sache lustiger werden als manches rührselige, verlogene Originalbauernstück.

Daß uns auf den bayrischen Bergen heute noch die malerisch-schönen Trachten so vollkommen erhalten sind, ist wohl mit ein großer Anziehungspunkt für Almbesuche. Der Dank hierfür gebührt in erster Linie den Münchner Volkstrachtenvereinen, die sich ihre „Arbeitsgebiete“ ganz nach Muster der Alpenvereinssektionen in den einzelnen Teilen des Hochlandes ausgesucht haben. Hand in Hand mit der reizenden Tracht geht eine außerordentliche Reinlichkeit, von der die Bauernwirtschaften Niederbayerns, namentlich im bayrischen Wald und Tirols, nicht eben vorteilhaft abstechen.

Peinliche Sauberkeit: das ist der große Vorzug in diesen Berghütten vom Salzburgischen an bis hinüber ins Allgäu, wo der Reinlichkeitssinn seinen Höhepunkt erreicht, denn nicht mit Unrecht heißt es, daß man bei so einem „Almkaser“ im Kuhstall am Boden Table d’ hote speisen kann.

Die ersten Gäste der Saison

Wie reizend und einladend sieht da nur so eine „Klaus’n“ aus, das Schlafkämmerchen der Almerin – und wie blitzsauber und Schmuck kommen die Burschen und Mädl daher, wenn sie am Sonntag hinab in die Kirche gehen.

Da spielt denn auch manches blitzsauberes Stadtfräulein einmal ganz gern „Almerin“ und zeigt sich mit dem feschen „Hüattei“ und der ganzen „Kluft“ dem staunenden Volk.

So ist denn heute die Alm nicht nur für den Städter noch immer ein Ort, wo er gern hingeht und sich „mit Bauernvolk vermengt“, sondern auch für die Almer selbst ist der Sommer jetzt trotz aller Arbeit und Mühe eine heiß ersehnte Zeit, denn er beschert ihnen so manches, was sie Monate hindurch entbehrt und woran sie sich allmählich gewöhnt haben. Er bringt ihnen die fidelen Fremden aus aller Herren Ländern und damit Unterhaltung und Abwechlung aller Art, Anregung und – Geld vor allen Dingen. Und Geld hat ja überall in der ganzen Welt einen guten Klang – auch dort droben in den Bergen auf der einsamsten Alm, wo die Schellen des friedlich grasenden Viehs harmonisch läuten.

Dieser Artikel von Ferdinand Kronegg erschien zuerst am 13.09.1902 in Die Woche.