Zwei sieghafte Persönlichkeiten aus dem „Midi“, der so unendlich viele seiner Kinder eroberungsfreudig nach der Hauptstadt entsendet, haben dieses Jahr mit einer geradezu triumphierenden Einleitung der Wintertheatersaison dem alten Wort von der Ueberlegenheit der lateinischen Rasse im gallischen Land eine erfreuliche Bestätigung gebracht.
Herr Guitry, der vortreffliche Schauspieler und neue Direktor des Renaissancetheaters, ein Hauptfaktor in diesem Inaugurationstriumph, erblickte allerdings das Licht der Welt in Paris, aber sein Autor par excellence, Alfred Capus, der auch bei uns in Deutschland durch mehrere Komödien bekannt geworden ist, ist aus Aix, und die strahlende Interpretin der jüngsten Capusschen Heldin auf der von Guitry beherrschten Bühne, Jeannette Treéfouret-Hadingue, genannt Jane Hading, ist sogar eine Tochter der Cannebiere. Mehr als Marseillaise kann die ehrgeizigste Meridionalin nicht sein. Aber auch dieser und demgemäß der schönen „Chätelaine“ Jane Hading muß die Größe des ersten Renaissanceerfolgs, seit dieses Theater unter Guitrys Leitung steht, ihres Strebens würdig erscheinen.
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Das Renaissancetheater hat, trotzdem Sarah Bernhardt und nach ihr einer der besten Schauspieler, die Paris überhaupt besitzt, Gémier, eine Zeitlang darin regierten, bis jetzt wenig Glück gehabt. Sein jetziger Direktor hat die „Veine“, die er in dem gleichnamigen erfolgreichen Stück von Capus glänzend personifizierte, was man so sagt in Erbpacht genommen, und es ist alle Aussicht vorhanden, daß er sie mit in sein neues Haus bringt, bei dessen Leitung er die gleiche Intelligenz, die gleichen organisatorischen Talente, die umfassende glänzende Begabung anwendet, die wohl eine ganz natürliche Erklärung für seine hier viel berufene „Veine“ sind.
Guitry schüttelte die Last ab, die das Amt des „directeur de la scene“ des „Théátre Francais“ – ein Amt, zu dem er als ein Meister in der Kunst der Regie allerdings wie geschaffen schien – für ihn und seine freie, spontan-künstlerische Entwicklung war, und trat die Nachfolge des armen, hochbegabten, aber unpraktischen Gémier am Boulevard Saint Martin an. Guitry vermied den Fehler, den so viele selbst schauspielerisch hochbegabte Direktoren leicht begehen, den nämlich, daß sie sich einbilden, alles allein machen zu können; er dachte an den Ausspruch des erfahrenen Samson, der da meinte, daß man ebensowenig ganz allein Momödie wie „Ball“ (jeu de paume) spielen könne und immer jemand haben müsse, der einem den Ball oder die Gegenrede gewandt zukommen lasse. Erst dann werde das „Spiel“ interessant.
Nach diesem Grundsatz handelnd, hat Guitry eine auserlesene Truppe versammelt, unter denen Boisselot, der beinah einzige Schauspieler, der hier die unter der unübersetzbaren Bezeichnung „Ganache“ (der Kassandra der alten italienischen Komödie und ungefähr unserm „komischen Vater“ entsprechend) im französischen Repertoir wichtigen Rollen hält, und Tarride, den man hier den König der Duckmäuser (roi des pince-sans-rire) nennt und der die Renaissance trotz der Lockungen der „Comédie“ erwählte, auf der Herrenseite obenanstehen. Unter den weiblichen Untergebenen Guitrys nenne ich die schöne und talentierte, vielleicht etwas massive Rosa Bruck, die, wie ihr aktueller Direktor, jahrelang am Théätre Michel in Petersburg (des russischen Treibhauses für französische Schauspieler) gespielt und kurze Zeit der „Comédie“ angehört hat. Die Genannten nahmen alle an dem Erfolg der Capusschen „Chátelaine“ teil, mit der Guitry seine Direktorwirksamkeit begann und in der er die Hauptrolle des André Jossan mit Jane Hading als Partnerin spielte. Jane Hading, die man früher mit einer gewissen Unterschätzung ihres dramatischen Könnens ausschließlich „la belle Hading“ nannte, war zu Beginn ihrer Karriere und besonders, so lange sie sich der Operette widmete, eigentlich auch nur als große Schönheit bekannt und bewundert; zu schauspielerischer, sehr achtungswerter Höhe erhob sie sich durch ihre Schöpfung der Claire in Ohnets Gesellschaftsrührstück „Maitre de Forges“, das ja auch bei uns sattsam bekannt ist und noch immer auf deutschen Bühnen gegeben wird. Die Premiere dieses Dramas war für Madame Hading der Wendepunkt. Bis dahin mehr „professional beauty“, hatte sie nun gezeigt, daß ihre Passion für die Bühne und ihre eiserne Willenskraft der kalten Sprödigkeit, die die schauspielerische Wirkung bei ihr einschränkte, teilweise Herr werden und aus den vorhandenen Mitteln Intelligenz, Anpassungsvermögen, vortreffliche Diktion, unübertroffene Eleganz der Erscheinung und der Bewegungen eine Schauspielerin schaffen konnten, die in ihrem Rahmen weit über die Mittelmäßigkeit hinausreicht. Ich sage mit Vorbedacht „in ihrem Rahmen“, und zwar meine ich damit den Rahmen eleganter, möglichst moderner mondainer Stücke. Für diese hat Jane Hading kraft ihrer sieghaften Schönheit, gehoben von unnachahmlicher Toilettenkunst, gerade Talent genug, um große Erfolge zu erringen. Die „Chátelaine“ hat das zur Evidenz bewiesen. Auf diese als Stück hier näher einzugehn, ist nicht mehr an der Zeit und paßt nicht in diese Zeilen, die hauptsächlich der wahrhaft großartigen Toilettenerfolge, die Jane Hading und ihr Pariser Beirat Redfern errangen, gedenken sollen.
Die drei auf den Porträts der hervorragenden Künstlerin wiedergegebenen Toiletten der schönen „Thérese de Rive“ waren das Chiffonévenement der letzten Tage. Die Schloßherrin erschien zuerst, wie nebensteh. Abb. zeigt, in einer dunklen Visitentoilette aus algengrünem Seidenmusselin über schwarzem Taffet drapiert und von großen Medaillons aus schwazer Chantillyspitze durchsetzt. Den Rand des schleppenden Seidenmusselinrocks umgiebt ein Zobelstreif. Das Mieder aus grünem Seidenmusselin zeigt die Chantillygarnierung boleroartig in zwei kurzen Volantstücken über die Schultern sich legend und in einem zweiten gefalteten Volant bis zum Gurt reichend. Weite Chantillyhalbglocken, über in einem Bündchen endenden grünen Seidenmusselinpuffen, bilden die Aermel und drapierter Seidenmuffelin den Gürtel. Der Hut in Toqueform, an dessen Vorderseite ein Perlenbuckel (Makaron) sichtbar wird, besteht aus einem Gewinde aus grünem Seidenmusselin, schwarzem Taffet und schwarzer Chantillyspitze.
Abb. S. 2270, die superbe Empfangs- und Soireerobe beweist, daß selbst Geschmacksverwirrungen der Mode, wenn von einem Meister des Chiffon manipuliert und von einer schönen Frau mit Eleganz getragen, Bewundern erregen können. Die seither für Gardinen und Möbelschoner recht gut gefundene, auch als Bettdecken verwendete Filetguipüre, noch dazu in grobfädigen, ockergelb angehauchten bestickten Karos, bildet die Empfangstoilette und sieht reizend aus. Besonders gut macht sich die ausgefaserte Franze, die den Rockrand und die kurzen epauletteartigen Ueberfallärmel aus Filetguipüre umrandet. Unterärmel, in Bündchen geschlossener weiter Bausch, aus point d’Angleterre. Am seitlichen Vorderschluß des Gewandes, das großartig byzantinisch wirkt, glänzen umfangreiche Straßknöpfe.
Sehr hübsch ist auch die Sommerrobe (Abb. S. 2271) von Jane Hading aus weißem Seidenmusselin, deren drei den Schlepprock umrandende Volants aus inkrustierten Spitzen bestehn. Die gleiche Spitzeninkrustation garniert die Taille, deren oberer Teil ohne Unterstoff die Haut durchschimmern läßt. Sehr hoher schließender Spitzenkragen und damit harmonierende Manschetten „mitaine“, die die Hand beinah bis zur Hälfte bedecken und den weiten losen Bausch des Seidenmusselinärmels zusammenfassen. Gürtel aus weißem Seidenmusselin mit zwei vollen Rosen an der linken Vorderseite.
Jane Hading ist ja auch uns Deutschen keine Fremde. Gelegentlich ihres Gastspiels in Berlin haben wir nicht nur die feine und elegante Schauspielerin schätzen gelernt, sondern auch die geschmackvolle und hervorragende Toilettenkünstlerin, die gewohnt ist, zu herrschen und der Mode einer halben Welt Gesetze zu diktieren.
Dieser Artikel erschien zuerst in Die Woche 49/1902, er war gekennzeichnet mit „Clementine“.