Herbstausstattung der Pariserin

Wir haben hier augenblicklich so etwas wie eine Zwischensaison. Die „Welt“ mit ihren Manifestationen amüsiert oder langweilt sich offiziell allerdings noch anderwärts, meist in den Schlössern, wo viele Pariser bis zum neuen Jahr bleiben; andere unterbrechen den Landaufenthalt durch eine Reise in wärmere Himmelsstriche, und die, die dazu imstande sind, vertauschen das leicht etwas monotone Cháteaubehagen mit einem Jachtausflug, wobei man auf „seiner eigenen Insel“, diesem neusten, beliebtesten und wohl kostspieligsten Bibelot der oberen „Tausend“, anlegt und in seinem eigenen Hafen vor Anker geht, um erst gegen Weihnachten in die ehrwürdigen Hallen des eigenen oder befreundeten Schlosses wieder einzurücken.

Alle Pariserinnen aber, die etwas auf sich halten, auch die, denen Finanzen oder sonstige unangenehme Thatsachen die Herbstabwechslung einer Biarritzfahrt oder einiger Wochen Jachtsport verwehren, profitieren von der verhältnismäßigen „Accalmie“, die mit dem Ende der Seebadesaison die mondäne Existenz befällt, und begeben sich für einige Tage in ihre geliebte Hauptstadt, um dort Toiletteneinkäufe zu machen. In den großen Magazinen, Bazars und Schneiderateliers sind augenblicklich Demisaison- und Winterherrlichkeiten in Hülle und Fülle zu sehen; es ist also der passendste Moment, sich neu auszustatten, und die Zahl der anmutigen, elegant ajustierten Damen, die in den Nachmittagsstunden die Chiffontempel der Straßenzüge um den Vendómeplatz und um die Oper beleben, ist nicht gerade Legion, aber immerhin stattlich genug, um dem Pariser Augenblicksbild sein charakteristisches Gepräge aufzudrücken. Das erste, was die Pariserin, die in diesem Augenblick, wie bei jedem Jahreszeitwechsel natürlich nichts, aber auch gar nichts anzuziehen hat, sich besorgt, ist ein Straßenkleid, allerdings „genre tailleur“, aber doch so pariserisch, daß es seinen Ursprungstempel, rue de la Paix und Umgegend, nicht verleugnen kann. Der ewige Streit um das Pariser „tailleur“ und das englische „tailor-made“ erneuert sich alljährlich und tobt in diesem Jahr ganz besonders heftig, da einige „grandes dames“, die durch die Krönungsfeierlichkeiten noch mehr, als sonst schon der Fall ist, englische Modeluft eingenommen haben, erklären, nur solche einfache geradlinige Schneiderkleider, wie sie die Königin von England und ihre Schwiegertochter, die Prinzessin von Wales, trugen, seien möglich und annehmbar, was der Ansicht einer großen Zahl von einflußreichen Kundinnen der großen Pariser Künstler von der Nadel widerspricht.

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Letztere Ansicht bleibt hier vorläufig Siegerin, und das Modell zeigt das aktuelle, augenblicklich allgemein beliebte Pariser Straßenkleid, wie es hübsch, schick, nicht frei von anmutigen Phantasiebegleitungen den Ansprüchen einer gewissermaßen ernsthaften Eleganz genügt, ohne in die spezifisch englische, auf den Pariser Geschmack und seine Freude an Toilettenfrivolitäten erkältend wirkende tailor-Manier hinüberzugleiten. Das reizende Straßenkleid, das die Pariserin erwirbt, um ihre hiesigen Einkäufe und freundschaftlichen Besuche, zu denen jenes vollkommen genügt, zu machen, wird auf dem Land, selbst bei großartigem Cháteauleben, außerhalb des eigenen Zimmers vom ersten Frühstück bis zum mittaglichen Dejeuner, bei diesem selbst, vielleicht auch noch bei dem nachmittaglichen Spaziergang getragen, falls dieser nicht für Sportzwecke besondere Toilettenansprüche erhebt. Es ist also ein sehr nützliches Gewand, das sich aber trotz aller praktischen Velleitäten in dieser Richtung noch nicht so recht zu einer radikalen Kürzung entschließen kann. Das Modell streift allerdings nur eben den Boden, muß aber doch mit der Hand auf, genommen werden, was bei der ziemlich bedeutenden Weite der heutigen Röcke und angesichts seines Zwecks nicht immer bequem ist. Der Rock aus feinem, glänzendem myrtengrünem Tuch ist über die breite Hinterbahn dicht gekraust; die Seitenbahnen liegen in breite Falten geordnet, die Vorderbahn ist diesen glatt und schürzenartig untergesetzt und gänzlich ungarniert, während Seiten· und Hinterbahnen in drei Volantz von einem viertel Meter Höhe auslaufen. Jeder dieser Volants ist mit Atlasröllchen, grün und weiß, gedrellt, paspeliert; gleichfarbiger Atlas mit einem Rand grüngemischten weißen Felbelsammets und starke Silberschnur garnieren den Kragen, die Aermelmanschetten, die an den Schößen und an dem rechten Vorderteil angebrachten Täschchen, sowie den Gürtel aus Tuch. Die stilgerechte schwarze lange Krawatte, die sich durch mehrere matte Goldringe zieht, hebt sich von dem breiten hübschen Guipürekragen, mit dem die Guipüremanschetten harmonieren, ab. Hut, Form Toque, aus einem aus schwarzen Federchen hergestellten, drapierten Phantasiestoff, der linksseitig mit einer schwarzen Straußenfeder garniert ist und dem breit gewellten Haar kleidsam aufliegt. Das Kleid dient, wie bereits erwähnt, praktisch zwei Zwecken; es ist Straßenkleid und daneben für den Landaufenthalt Hauskleid, wenigstens für die Morgenstunden. Nachmittags zum Five o’clock, der Chátelaine und Gäste vereinigt, wird für erstere die „robe d’intérieur“ notwendig. In ihm gipfelt die Kunst des Pariser Schneiders, und in seiner fließenden drapierenden Anmut legt er all die Begabung, die ihn zum Herrscher im Reich des Chiffon gemacht hat. Ist es nicht wirklich ein Künstler, der das Modell in nebenst. zusammengezaubert hat? Aus gelbem, sehr mattgelbem Chinakrepp mit gestickten Volants, in einem Arrangement, das durch seitliche Spaltung das gelbseidene Unterkleid sehen läßt, tritt es in Empireform auf, für die robe d’intérieur mit Vorliebe und sehr glücklich gewählt. Ein breiter Goldgürtel mit Kamee als Schloß hält das Gewand unter der Brust zusammen, und die gestickten Kreppvolants bilden eine fichuartige Garnierung für das vom Hals leicht abfallende Mieder; aus gleichartigen gestickten Volants bestehen die offenen halblangen Aermel.

Ballkleid aus weissem Seidenmusselin mit Blumenapplikation. Atelier Paquin
Theekleid aus gelbem Chinakrepp. Atelier Leferiére
Hauskleid aus helllila Seidenstoff mit dunkellila Sammetgarnitur. Alelier Raudnitz

Da die robe d’interieur, das eigentliche Tea-gown, nur für die Nachmittagstheestunde zulässig ist, muß die einkaufende Dame sich auch noch nach einer Toilette umsehen, die, ohne Gesellschaftskleid zu sein, für das abendliche Diner, selbst wenn einige Gäste kommen, genügt, also vor allen Dingen als korrektes Hauskleid gelten kann. Da hat ein Schneider nun ein wahres Meisterwerk geschaffen in einer Robe aus helllila Seidenstoff, durchweg mit einem in dunklerem Lila gehaltenen Arabeskenmuster chiniert. Die originelle Garnierung aus dunkler schattiertem lila Sammetband, die in Karos und Doppelstreifen Rock und ausgeschnittenes Mieder, sowie die in einem Bündchen gefaßten Bauschärmel schmückt, wird durch das Halsstück in seiner Eleganz noch erhöht. Letzteres, aus einem Chemisett aus weißem plissiertem Seidenmusselin und einem englischen Guipürekragen bestehend, ist eine der hübschesten Neuheiten der Saison, deren frischer Eindruck durch die Spitzenkrawatte und die Spitzenmanschetten noch sehr wirksam erhöht wird.

Der vornehme Schneiber vervollständigt das Demisaisontousseau der Pariserin durch das notwendige, im Cháteau besonders viel gebrauchte große Dinerkleid aus schwerer rosa Seide, dessen Schlepprock mit Spitzeneinsätzen garniert ist. Die Spitzeneinsätze wiederholen sich an dem viereckig ausgeschnittenen Rokokomieder, von dessen kurzem ausgezacktem Schoß ein breiter Spitzenvolant herabfällt. Halbärmel aus rosa Seide und bis über das Handgelenk fallende „mauches mitaines“ aus Spitzenstoff.

Der reiche, prächtige Eindruck der distinguierten Toilette wird erhöht durch vorn am Rock am Brustlatz des Mieders und an den Aermeln angebrachte rosaseidene Glöckchenpassementerien, die durch Perlenschnüre, die auch den Ausschnitt umgeben, verbunden sind. Breites Kollier aus Perlen und Steinen. Ich habe die soeben beschriebene Toilette auf einem Jagddiner in einem gastfreien Cháteau in der Nähe von Paris gesehen; sie erschien wie für diesen Zweck gemacht, ist aber auch, in andern Nuancen, beispielsweise mattgrün oder mauve ausgeführt, ein hochelegantes passendes Kleid für Galatheatervorstellungen und fügt sich der Kollektion dessen, was die elegante Pariserin momentan an Garderobe braucht: Straßenkleid, Tea-gown, korrektes Hauskleid, als viertes sehr passend an.

Um aber niemals in Verlegenheit zu kommen, müssen wir noch auf das Modell in Abb. S. 1967 eingehen. Auf diesem Bild sehen wir eine „große Toilette“, ein graziöses Ballkleid, das aus weißem, mit Punkten durchsticktem Seidenmusselin über weißer Seide gearbeitet ist und bei besonderen Anlässen, bei großartigen Festen und zum Galadiner getragen werden kann. Der lose, in leichten und ungekünstelten Falten herabfließende Rock ohne Volants und Verschnörkelungen ist mit Zweigen von rosa Akazienblüten geschmückt. Die Blüten heben sich völlig erhaben ab, und die Blätter sind in Perlmutterflittern gestickt. Das Mieder, dessen tiefer Ausschnitt ein Volant umgiebt, und die Coiffure zeigen den gleichen Blumenschmuck. Lange Halbhandschuhe (mitaines) aus schwarzer Chantillyspitze, die sowohl bei Tisch als auch natürlich beim Tanzen anbehalten werden und zu deren voller Wirkung viele kostbare Ringe gehören. Hohes, mehrreihiges Perlenkollier mit Querstäben aus kleinen Brillanten.

Strassenkleid aus myrtengrünen Tuch. Ateleir Armand
Dinerkleid aus schwerer rosa Seide. Ateleir Redfern

Es versteht sich von selbst, daß es für die Pariserin sehr wohl möglich ist, sich für die Demisaison noch mit sehr viel mehr Gewändern zu versehen, als ich hier angeführt habe. Die von mir beschriebenen fünf Roben, die außerdem jede in ihren Eigentümlichkeiten ihren „faiseur“ charakterisieren und seine Vorzüge erkennen lassen, genügen aber, um selbst einer anspruchsvollen und geselligen Pariserin zu erlauben, für den Augenblick den Pflichten der Eleganz, sowohl auf dem Land als bei früher Rückkehr in die Hauptstadt auch in den Pariser Gesellschaften richtig und gut angezogen nachzukommen.

Dieser Artikel erschien zuerst am 18.10.1902 in Die Woche, er war gekennzeichnet mit „Clementine.“.