Das städtische Spiel- und Festhaus zu Worms

Architekt: Otto March. Schon vor 3 Jahren (in No. 31, Jhrg. 1887) hat die Deutsche Bauzeitung der Anlage eines Volkstheaters in Worms einen ausführlichen Bericht gewidmet. Wir haben damals nicht allein den Plan des durch Hrn. Reg.-Bmstr. Otto March zu Charlottenburg im Auftrage von Hrn. Friedrich Schön zu Worms entworfenen Baues in eingehender Darstellung und Beschreibung vorgeführt, sondern es auch versucht, vor unseren Lesern die idealen Grundlagen zu entwickeln, auf denen der Gedanke eines neuen deutschen Volks-Schauspiels und eines den eigenartigen Zwecken desselben angepassten Hauses sich aufgebaut hatte.

Mittlerweile hat am 20. November v. J. die festliche Eröffnung der nach Umfang und Zweck noch wesentlich erweiterten Anlage stattgefunden, der am 8. Dezember eine zweite, nicht minder feierliche Aufführung in Gegenwart S. M. des Deutschen Kaisers gefolgt ist. Der Verfasser, welchem eine freundliche Einladung des Hrn. Schön Veranlassung gab, diesem „Kaiserabend“ gleichfalls beizuwohnen, ist nunmehr in der Lage, seinen früheren Bericht aufgrund eigener Anschauung des fertigen Hauses und unter dem Eindrucke des in demselben gesehenen Schauspiels entsprechend zu ergänzen. Da er Wiederholungen möglichst zu vermeiden wünscht, so bittet er diejenigen Leser, welche dem Gegenstande ihre besondere Theilnahme zuwenden, zunächst von jenem älteren Aufsatze Kenntniss nehmen zu wollen,

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Als der letztere im April 1887 erschien, befand sich die Entwickelung des ganzen Unternehmens noch in lebhaftem Flusse. Erst im März d. J. war ein Ausschuss von 50 Wormser Bürgern unter dem Vorsitz Fr. Schöns zusammen getreten, von dem ein Aufruf zur Betheiligung an demselben erlassen worden war; gleichzeitig hatte ein Versprechen des Grossherzogs von Hessen, dem Theater zeitweise die Kräfte seiner Darmstädter Hofbühne zur Verfügung zu stellen, für den künftigen Betrieb desselben die günstigsten Aussichten geschaffen, Aber so fest war schon damals das Vertrauen in das Gelingen des Werks, dass man sofort an den Gedanken heran trat, das (nach dem Bayreuther Vorbild) für eine theilweise Ausführung im Fachwerkbau geplante Haus ganz als Steinbau zu errichten und dass man demnächst, im Mai, die Erweiterung der Anlage durch einen Konzertgarten mit den erforderlichen Wirthschafts-Räumen und einem Festsaal beschloss. Als dann die eingeleiteten Sammlungen einen so erfreulichen Verlauf nahmen, dass (in einer nur 25 000 Einwohner zählenden Stadt!) am 1. Juli 1887 bereits 204 341 M. von 734 Gebern aufgebracht waren, als die hessische Regierung zur Gewinnung weiterer Mittel die Veranstaltung einer Lotterie gestattete und als die Stadtgemeinde Worms, als künftige Besitzerin der Anlage, beschloss, sich an dem Bau durch einen Zuschuss von 100 000 M. zu betheiligen und denselben im übrigen aus den Mitteln der städtischen Sparkasse noch mit 150 000 M. zu beleihen: da war die Zukunft des Unternehmens endgültig gesichert und die Ausführung des Baues, für welche Hr. Fr. Schön zum „Bauherrn“ ernannt wurde, „konnte ihren Anfang nehmen.

Im September 1887 wurden die den Bauplatz umgebenden Strassenzüge angelegt und dieser selbst vorgerichtet. Im Dezember d. J. legte Hr. Reg.-Bmstr. O. March seine, dem erweiterten Programm entsprechend umgearbeiteten Pläne vor und im Frühjahr 1888 wurde unter der Leitung von Hrn. Reg.-Bmstr. L. Arntz aus Köln mit den eigentlichen Bauarbeiten begonnen, die im Laufe desselben Jahres noch so weit gefördert wurden, dass im Januar 1889 bereits das Kuppeldach des Zuschauerraums aufgebracht werden konnte. Die vollständige Fertigstellung des Hauses wurde im Oktober v. J. erzielt. Als Bauplatz für die neue Anlage, welche zufolge ihres erweiterten Zwecks nunmehr den Namen „Städtisches Spiel- und Festhaus“ erhalten hat, ist ein Strassenviertel auf einem bisher von Weinbergen eingenommenen Gelände im Westen der Stadt, zwischen Promenade und Eisenbahn gewählt worden. Die Lage des Hauses an dieser hohen Stelle, auf welcher es nicht allein dem vorüber fahrenden Bahnreisenden ins Auge fällt, sondern auch von vielen Punkten der Stadt gesehen wird, ist so günstig wie möglich. Es ist von den beiden Haupt-Sehenswürdigkeiten, die Worms besitzt, dem Dom und dem Luther-Denkmal nicht allzuweit entfernt und gewährt aus seinem Konzert-Garten einen schönen Ausblick auf die Stadt, insbesondere auf die herrliche Baugruppe des Domes. Mit Rücksicht hierauf ist auch augenscheinlich die Anordnung des Gebäudes auf dem Grundstück getroffen worden. Während der eigentliche Theaterbau, das „Spielhaus“, die Nordseite desselben einnimmt, schliefst das den Bühnenräumen angefügte „Festhaus“ die Westseite – Verhältnisse, welche an den Sommer-Abenden, wo Konzerte stattfinden, den Besuchern des Gartens zugleich erwünschten Schutz gegen Sonne und Wind gewähren werden.

Ansicht des Zuschauerraums und der Bühne (Ursprünglicher Entwurf)

Ueber die Grundriss-Gestaltung des Hauses giebt die mitgetheilte Planskizze in Verbindung mit den auf enthaltenen Plänen des älteren Entwurfs vollständige Auskunft. Die Abweichungen, welche der ausgeführte Bau gegen die ursprünglich geplante Anlage des Spielhauses aufweist, erstrecken sich – von den konstruktiven Aenderungen abgesehen – vorzugsweise auf den östlichen Vorbau mit den beiden Haupttreppen, sowie auf die Gestaltung der zur Bühne gehörigen Nebenräume, sind jedoch nicht von so grundsätzlicher Wichtigkeit, dass wir sie besonders aufführen müssten; ebenso erscheint es für den Zweck dieser Mittheilung entbehrlich, auf die Anordnung und Vertheilung der im Untergeschoss liegenden Betriebs- und Verwaltungs-Räume näher einzugehen. Das Festhaus, dessen Haupteingang an der südlichen, der Hagen-Str. zugekehrten Giebelseite sich befindet, enthält in seinem vorderen, zweigeschossigen Theile eine Anzahl kleinerer Wirthschafts-Räume mit der Schenke, sowie demnächst den 12,75 m breiten, 22,50 m langen Festsaal, an den auf der Nordseite eine, auch als Bühne für kleinere Fastnachts-Aufführungen u. dergl. zu benutzende Orchester-Laube mit einem Damenzimmer sich anschliesst. Ein rechts neben dem Orchester liegender kleiner Vorraum setzt den Saal nicht allein mit der vor seiner Gartenfront liegenden, überdeckten Halle und der an diese sich anfügenden, erhöhten Gartenterasse in Zusammenhang, sondern gewährt auch eine unmittelbare Verbindung mit dem Spielhause, wie sie für mannichfache Arten der Benutzung des letzteren erwünscht bezw. erforderlich ist.

Nahezu unverändert ist der Kern der ganzen Anlage, der Zuschauer-Raum des Spielhauses mit der Bühne geblieben, deren Einrichtung wir in jenem älteren Bericht ausführlich beschrieben haben. Durch einige kleine Verbesserungen, insbesondere aber durch Besetzung des zwischen den vorderen Sperrsitzen und der Bühne befindlichen Vorraumes mit 4 Stuhlreihen ist es ermöglicht worden, die Zahl der Zuschauer-Plätze, welche nach dem 1. Entwurfe etwa 1000 betragen sollte, auf 1183 zu steigern. Die Anordnung selbst hat, sich, wie wir aus eigener Anschauung und Erprobung bezeugen können, bei ihrer Verwirklichung sowohl im ganzen wie im einzelnen aufs trefflichste bewährt. Wie es im Hause keinen Platz giebt, auf dem man nicht vollkommen sehen und hören könnte, was auf der Vorder- und der Hinterbühne vorgeht, so vollzieht sich auch der Zutritt der Zuschauer zu ihren Plätzen und die Entleerung des Hauses (durch 39 Thüren) in der denkbar leichtesten und besten Weise. Wenn bei den ersten Aufführungen die Ausgabe der abgelegten Kleider zu einigen Schwierigkeiten und Stockungen Veranlassung gab, so fiel dies nicht den bezgl., in auskömmlicher und bequemster Weise getroffenen Anordnungen des Architekten zur Last, sondern lediglich dem Mangel an Geschick und Uebung sowie der für solchen Massen-Andrang zu kleinen Zahl der in den Kleider-Ablagen beschäftigten Personen, – Alles in allem stehen wir nicht an, diesen March’schen Bau als die zweckmässigste Gestaltung eines Volkstheaters anzusehen, die bis jetzt zur Ausführung gelangt ist, und von ihm eine nützliche und wirksame Anregung für die weitere Entwickelung unseres Theaterbauwesens zu erwarten. Wenn Hr. Sturmhoefel in seiner, im vorigen Jahrgang u. Bl. so vielfach erörterten Schrift dem March’schen Plane nur eine Berechtigung für ein zu Festspielen und kleineren Aufführungen einfachster Art einräumen will, so hat er damit, soweit es die für Worms bestimmte Bühne betrifft, vollkommen Recht. Aber er würdigt dabei nicht genügend die eigenartige Gestaltung des Zuschauer-Hauses, mit dem sich unschwer eine Bühne von beliebig grösserer Breite und Tiefe in Verbindung bringen liesse, ohne dass ein einziger der auch ihm eigenen Vorzüge, auf welche Hr. Sturmhoefel bei seinem Entwurf das Hauptgewicht legt, aufgeopfert zu werden brauchte, Diese eigenartige Gestaltung, welche ersonnen zu haben das unbestreitbare und nicht zu unterschätzende Verdienst von Hrn. March ist, erblicken wir in der ungezwungenen Einordnung des in seinem vorderen Theile (nach Bayreuther Muster) als Kreisausschnitt gestalteten Zuschauer-Raums in einen Rundbau. Der Architekt, welcher hierbei nicht nur sein Geschick in Grundriss-Bildungen, sondern zugleich sein künstlerisches Gestaltungs-Vermögen bekundete, hat dadurch in einfachster Weise für die äussere Gestaltung seines Theaterbaues ein ebenso klares wie bezeichnendes Hauptmotiv gewonnen, während es – wie s. Z. schon Hr. Seeling mit vollem Recht betont hat – äusserst schwer, wenn nicht unmöglich, sein dürfte, den Aufbau des Sturmhoefel’schen Grundrisses künstlerisch zu bezwingen.

Städtischen Spiel- und Festhaus in Worms

Eine leichte Aufgabe war freilich auch die Gestaltung des Wormser Baues nicht, insbesondere nachdem zu letzterem noch das Festhaus getreten war, und nachdem der Architekt von einer Ausführung des Hauses in Fachwerk, welche dem Ganzen bis zu einem gewissen Grade das anspruchlose Gepräge eines Gelegenheits-Baues verlieh, hatte Abstand nehmen müssen. Dass er trotzdem auch inbetreff der äusseren Erscheinung der Anlage einen unbestreitbaren Erfolg erzielt hat, verdankt er einerseits der glücklichen Wahl jenes Hauptmotivs, welches so mächtig ist, dass alle Nebentheile ohne weiteres sich ihm unterordnen, andererseits aber dem kühnen Entschlusse, seinem Bau zur Hauptsache die Formen des romanischen Stils zugrunde zu legen. Bestimmend für diesen Entschluss war wohl ebenso der Zwang, sich mit verhältnissmässig sehr geringen Baumitteln zu behelfen, also einer möglichst einfachen und schlichten Architektur sich zu bedienen, wie der nahe liegende Wunsch der neuen und eigenartigen Plangestaltung der Anlage auch eine eigenartige Erscheinung zu geben und die letztere zu dem hervorragendsten Bauwerke der Stadt in innere Beziehung zu setzen. Die Art, wie Hr. March die romanischen Formen verwendet hat, überrascht durch ihre, in unserem Zeitalter überaus seltene, gesunde Naivetät (im besten Sinne des Wortes), die, ohne lange zu suchen, doch meist das Richtige getroffen hat. Nirgends sind die geschichtlichen Formen und Motive des Stils zu dekorativen Zwecken künstlich heran gezogen – es findet sich an dem ganzen Bau keine Zwerg-Galerie und nur ein einziger Rundbogen-Fries, während Säulen nur an der Vorhalle verwendet sind – sondern überall ist den schlichten Baumassen, wie sie sich aus der Grundriss-Gestaltung ergaben, mit dem möglichst geringen Aufwande an Mitteln eine architektonische Form gegeben. Der Skulpturen-Schmuck der Fassaden beschränkt sich auf 2 stilisirte Löwen, welche die seitlichen Wangenmauern des Balkons über der Vorhalle krönen, auf das Wappen der Stadt Worms in_ der Giebelkrönung des Vorbaues und auf ein Terrakotta-Relief (Siegfried mit dem Drachen) unter dem Dacherker des Wirthschafts-Gebäudes. Welche gefällige Gesammtwirkung trotzdem im Aufbau der Gesammt-Gruppe erreicht worden ist, zeigt das von uns mitgetheilte Bild. Dasselbe verliert in Wirklichkeit auch bei näherer Betrachtung durchaus nicht, sondern wird durch die angenehme farbige Wirkung des Ganzen noch gehoben. Alle Architekturtheile, Fenster und Thür-Einfassungen, Sockel, Ecken, Lesinen, Gesimse sind aus blassroi’hem Sandstein hergestellt, an welche der in seiner Naturfarbe belassene Putz der Zwischenflächen bündig sich anschliesst. Die Dächer sind mit glasirten Pfannen aus der Fabrik von Ludovieci & Jockgrim in Ludwigshafen mit Musterungen in Schwarz, Gelb und Braunroth, der Oberlichtkreis um die Laterne ist mit Glasziegeln gedeckt, Das sichtbare Holzwerk der Laterne ist mit Kupferblech bekleidet; aus letzterem sind auch die Bekrönungen getrieben, welche die verschiedenen Dachspitzen zieren. – Dass Einzelnes noch verbesserungsfähig gewesen wäre, namentlich dass stellenweise wohl eine grössere Zierlichkeit hätte Platz greifen können, kann den trefflichen Eindruck des Ganzen in keiner Weise schädigen, In ähnlicher Schlichtheit und Naivetät, sowie mit demselben glücklichen Erfolge ist das Innere des Baues ausgestaltet worden, von dem wir eine der Wirklichkeit entsprechende Ansicht mitzutheilen leider nicht in der Lage sind.

Doch weicht das früher gegebene und hier nochmals vorgeführte Bild des Zuschauerraums mit der Bühne nach dem ursprünglichen Entwurf von der thatsächlichen Ausführung nicht so weit ab, dass es der Vorstellung des Lesers nicht eine genügende Grundlage zu geben imstande wäre. Auf eine reichere dekorative Ausstattung im Sinne der üblichen „Luxustheater“ ist überall verzichtet worden.

Ein gelblich getönter Anstrich bildet die einheitliche Grundfarbe für die Wand- und Deckenflächen der Vorhalle wie des Zuschauer-Raums, in jener belebt durch bunte ornamentale Malereien romanischen Stils in den Bogenlaibungen und sparsame Wandfriese, in diesem durch entsprechende Malereien an den Brüstungen der Lauben und Emporen, sowie reicheren Ornament-Schmuck an den glatten, nur bei Konzerten zu öffnenden Wänden, welche den Kreis-Ausschnitt seitlich begrenzen, durch das farbig verglaste Oberlicht, die vergoldeten Gitter, welche die einzelnen Sitz-Abtheilungen trennen, durch den rothen Plüschbezug der Sitze und die Dekoration des Orgelprospekts. Die Wände der den Zuschauerraum umgebenden Gänge zeigen als Grundfarbe ein kräftiges Roth; das Holzwerk ihrer Decken sowie das sämmtlicher Thüren ist in seiner Naturfarbe gezeigt. Wo Eisen (an den Thürbeschlägen usw.) sichtbar ist, hat es einen hellblauen Ton erhalten. Trotz dieser Einfachheit, die auch in der Ausstattung des hinter der Sänger-Laube gelegenen sogen. Fürstenzimmers und des mit einer farbig gemalten Holzdecke versehenen Festsaals nicht wesentlich überschritten ist, kann der Eindruck des Ganzen durchaus nicht ein ärmlicher genannt werden.

Man entbehrt, gern den Schein einer grösseren (zumeist ja doch wenig echten) Pracht und erfreut sich um so mehr der künstlerischen Leistungen, die in den fast durchweg überaus glücklichen dekorativen Malereien dargeboten werden, bei deren Erfindung der Architekt durch Hrn. Maler Carl Lange aus Berlin aufs wirksamste unterstützt worden ist. Dass bei der Erscheinung des durch sein Oberlicht auch bei Tage hell beleuchteten Zuschauerraumes neben der Dekoration auch noch die Wirkung des Raumes an sich eine wichtige Rolle spielt, versteht sich von selbst. Sie ist eine gewaltige, ja geradezu feierliche und trägt hierdurch zu dem Eindrucke, nach welchem die in dem Hause vorzugsweise vorzuführenden Schauspiele hinstreben, nicht wenig bei.

Wenn ein Theil des Hauses und insbesondere des Zuschauer-Raums in seiner gegenwärtigen Gestalt noch nicht voll befriedigt, so ist es die Hinterwand der Vorderbühne mit den 3 Oeffnungen des mittleren Söllers, den beiden Seitenfenstern und dem dunklen, rothbraunen Vorhang, der die Oeffnung der (mit gleichfarbigem Stoff ausgeschlagenen) Hinterbühne umrahmt, sowie die beiden seitlichen Eingangsthüren verdeckt. Jene Oeffnungen, welche gelegentlich verwendet werden sollen, wenn im Schauspiel Personen aus dem Innern eines Hauses heraus sprechen oder sichtbar werden, liegen für einen solchen Zweck offenbar viel zu hoch über der schmalen Vorderbühne. Die dunkle Farbe des Vorhangs und der Hinterbühne dagegen, so vortheilhaft sie auch als Hintergrund für die Kostüme der Schauspieler sich geltend machen mag, bildet in der lichten Erscheinung des ganzen Zuschauer-Raums einen fühlbaren Missklang; es sind daher auch andere Einrichtungen nöthig, wenn in dem Hause nicht ernste Volksstücke feierlichen Gepräges, sondern gewöhnliche Schauspiele mit szenischer Ausstattung der Hinterbühne zur Aufführung gelangen. Zwar ist ein Stoff-Vorhang für die Umrahmung der Hinterbühne wohl nicht nur im Anschluss an die ursprünglichen provisorischen Einrichtungen des Luther-Festspiels, sondern auch aus dem Grunde gewählt worden, weil diese Form eine so zu sagen neutrale, daher für jedes Stück passende ist. In München, wo man zum nicht geringen Verdruss der Wormser schon im Juni v. J. für Aufführung Shakespeare’scher Stücke eine Bühnen-Einrichtung in Anwendung gebracht hatte, die mit der für Worms geplanten fast völlig überein stimmte, hat man bekanntlich bald die Erfahrung gemacht, dass die feste architektonische Dekoration, die man dort der Bühnenwand gegeben hatte, zu dem Charakter einzelner Vorgänge, wie auch ganzer Stücke schlechterdings nicht passen wollte, Man hat dort zu dem etwas zweifelhaften – weil mit der angestrebten Einfachheit der Bühne nicht zu vereinbarenden – Auskunftsmittel gegriffen, die Hinterwand bei jedem Vorgang mit einer neuen gemalten Dekoration zu verdecken, die als sogen. „Bogen“ von oben vor dieselbe herab sich senkt. – Es muss der Zukunft und dem Nachdenken Vieler überlassen bleiben, in dieser Beziehung das Richtige zu finden. – Dass es auch bei dem Volksstück zuweilen nicht angeht, die Hinterbühne ohne jede Dekoration zu lassen und dass für gewisse Fälle zum mindesten ein Abschluss-Prospekt nicht zu entbehren ist, hat sich in Worms schon bei der ersten Aufführung heraus gestellt.

Mag es zunächst mit diesen Mittheilungen und Bemerkungen über die architektonische Gestalt des Wormser „Spiel- und Festhauses“ genug sein. – In technischer Beziehung möge noch angeführt werden, dass die Erwärmung desselben durch eine von H. Rösicke in Berlin angelegte Dampf-Luftheizung erfolgt, dass für die Lüftung durch einen Drucklüfter mit einer stündlichen Leistung von 20.000 cbm gesorgt ist und das Haus (neben der nur für die Wirthschafts-Räume angewendeten Gasbeleuchtung) seine eigene elektrische Beleuchtungs-Anlage, sowie eine sehr ausgiebige Wasserversorgung (mit 46 Hydranten für Löschzwecke) besitzt. Die Gesammt-Baukosten, welche für den ersten Entwurf auf 350 000 M. veranschlagt waren, haben die Höhe von 610 000 M. erreicht.

Dürfen wir noch ein Wort über den Eindruck des Festspiels sagen, dem wir in Worms beigewohnt haben, so bekennen wir gern und freudig, dass er für uns ein mächtiger gewesen ist. So viel das zur Eröffnung des Hauses geschriebene Festspiel von Hans Herrig: „Drei Jahrhunderte am Rhein“ auch an echter, dichterischer Kraft und vor allem an wirklichem dramatischen Leben zu wünschen übrig liess – das Urtheil hierüber ist wohl ein einstimmiges – so günstig kamen trotzdem die Vorzüge der vereinfachten, szenischen Anordnung und der erzielten engeren Beziehung zwischen Schauspielern und Zuschauern zur Wirkung. Vor allem ist der schon in dem Lutherfestspiele Herrigs, auf Anregung von Fr. Schön, verwirklichte Gedanke ein besonders glücklicher, für die volle Wirksamkeit des Chors in der altgriechischen Tragödie dadurch Ersatz zu schaffen, dass man die Betrachtungen, zu welchen die Handlung der Zuschauer veranlasst, den vor der Vorderbühne gelagerten Zwischen-Figuren in den Mund legt, während man die Empfindungen, welche sie in ihnen erweckt, in Orgelspiel und Chorgesang ausklingen lässt.

Wohl Keiner, der mit warmem Herzen einer solchen Aufführung folgt, wird sich der Ueberzeugung erwehren können, dass hierdurch Mittel gegeben sind, um die Volksseele bis aufs tiefste rühren und erregen zu können und dass es nur eines gottbegnadigten Dichters bedarf, um auf solchen Anfängen ein neues nationales Drama erstehen zu lassen.

Es ist hier nicht der Ort, um diese Seite der Frage weiter zu erörtern. Ungern nur verzichten wir ebenso darauf, eine Schilderung des bunten und festlichen Treibens zu geben, dass sich an jenem „Kaisertage“ in der prächtig geschmückten „Nibelungen-Stadt“ entwickelte und das in der glänzenden Abend-Beleuchtung seinen Höhepunkt fand.

Wer den von hellem silbernen Mondlicht übergossenen Dom von dem rothen Feuerschein der im Innern seiner Kuppeln und Thürme entzündeten Lichter hat strahlen sehen, wird dieses unvergleichliche Schauspiel niemals vergessen. Die Stadt Worms und voran ihr ausgezeichneter Bürger, Hr. Friedrich Schön, der eigentliche Gründer und Vollbringer des Werks, haben nicht allein durch die Thatsache, dass sie aus eigener Kraft so bedeutende Mittel zur Errichtung eines Spiel- und Festhauses aufbrachten, sondern vor allem durch den idealen Sinn, in dem sie das Unternehmen angefasst und durchgeführt haben, gerechten Anspruch auf dauernden Ruhm und die dankbare Anerkennung von ganz Deutschland sich erworben. Denn dass das Vorbild und die Anregung, welche sie gegeben haben – wenn auch nur langsam und allmählich – fortwirken und sich fruchtbar erweisen werden zum Heile der Kunst und des deutschen Volkes, dürfte wohl keinem Zweifel unterliegen.

Die deutschen Architekten in ihrer Mehrheit werden, wie wir versichern zu können glauben, gern zu einem solchen Danke bereit sein.

Dieser Artikel erschien zuerst 1890 in der Deutschen Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „- F. -„.