Berliner Malerateliers I.

Die Pforten der großen sommerlichen Kunstausstellungen haben sich geöffnet. Was emsige Künstlerhand in der Stille der Ateliers geschaffen, prangt nun an den Wänden der großen Glashallen und fordert die Scharen der Besucher zur Bewunderung, aber auch zur Kritik auf.

Welch ein Abstand aber in der Wirkung der Gemälde hier, wo sich Rahmen an Rahmen drängt, und dort in stimmungsvoller Werkstatt, wo nicht nur das Kunstwerk, sondern auch der Künstler zum Beschauer spricht! Das hat unser erster Rundgang durch die Berliner Malerateliers uns recht deutlich vor Augen geführt.

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Im Gartenviertel von Friedenau bewohnt Professor Hans Bohrdt eine allerliebste kleine Villa, die einen still emsigen Meister und seine frohe Familie birgt. Draußen in der Sommerfrische konnte der Künstler sein Atelier in das erste Stockwerk verlegen. Dort in dem architektonisch von dem Turmbau des mächtigen grünen Kachelofens beherrschten Gemach schafft Hans Bohrdt seine Marinebilder, und aus seinen Skizzen erstehen in ihrer ernsten Pracht die Fluten und Wellen des Meeres, die Stimmungen in Luft und Wolken und die eilenden Schiffe mit Masten und Segeln. Wir überraschten Hans Bohrdt, als er sich mit dem Modell eines Dreimasters beschäftigte; das Bild auf der Staffelei, die Segeljacht „Senta“ während der Kieler Regatta darstellend, war eben vollendet.

Marinemaler Professor Hans Bohrdt bei technischen Vorstudien in seinem Atelier

In einem Werkhaus der hohen Kunst, das eigens für Ateliers im Nordwesten Berlins, im Siegmundshof, aufgerichtet wurde, hält Professor Arthur Kampf seine moderne Meisterschule. Die elegante, schlanke Figur des Künstlers steht fast in Widerspruch mit den Cyklopengestalten des Hauptwerks, an denen er gegenwärtig arbeitet: ein monumentales Wandgemälde für das Kreishaus in Aachen. Eisen und Muskeln!

Professor Arthur Kampf bei der Arbeit an seinem Gemälde für das Kreishaus in Aachen

Die Arbeiter mit entblößtem Oberkörper schleppen an Zangen das Metall der Arbeit von einer Arbeitsstätte zur andern und zeigen mit ihrem athletischen Gliederbau die Ueberlegenheit des Menschen über Stahl und Eisen, die er meistert.

Den Triumph menschlicher Kraft und menschlichen Geistes über das rauhe Element predigt der große Karton, der nun zum Bild erstehen soll. Ferner sehen wir im Atelier zahlreiche angefangene und vollendete Kunstwerke, darunter ein in wundersamer Märchenstimmung gehaltenes Triptychon für den Festsaal des Gymnasiums in Posen, drei Männertugenden darstellend: Freundestreue, Nächstenliebe, Tapferkeit. Hier herrschen Geist und Kunst, die den Gedanken Form und Farbe geben.

Aus der schier weltentrückten Einsamkeit dieses Atelierbaus führt uns der Weg durch die frühlingsgrüne Pracht des Tiergartens in die Hardenbergstraße, wo Thür an Thür mit dem Bildhauerarchitekten Bruno Schmitz der Schlachtenmaler Professor Karl Röchling sich Wohnung und Werkstätte behaglich eingerichtet hat. Ein neuer seltsamer Kontrast! Der breitschultrige, so behäbig freundliche Meister, dessen Kunst die wild bewegten Schrecken und Wunder blutiger Schlachten schildert!

Schlachtenmaler Professor Karl Röchling vor seinem Gemälde Die Schlacht bei Hohenfriedberg

In dem geräumigen Atelier Röchlings finden wir fast die ganze preußische Krieggeschichte in einzelnen Hauptaktionen dargestellt, von den Bataillen Friedrichs des Großen bis zu den Kämpfen der Befreiungskriege und den Schlachten von 1870. Das große Werk, das unser Bild zeigt, ist auf Bestellung des Kaisers gemalt; es soll im Schloß seinen Platz finden, nachdem es vorher in der diesjährigen großen Kunstausstellung zur Schau gestellt ist. Das Bild stellt jenen Hauptmoment aus der Schlacht von Hohenfriedberg vor, da der Frontangriff der beiden Anhaltschen Regimenter gegen das österreichische Regiment Botta den Sieg entscheidet. Im Vordergrund links sehen wir den rechten Flügel der Oesterreicher bereits zur Flucht gewendet, während die Hauptfront noch steht. Rechts und im Hintergrund rücken, geführt von den Prinzen Leopold, Dietrich und Moritz von Anhalt, in langgestreckter Front die Regimenter Moritz von Anhalt und Alt-Anhalt vor. Die an das Bild gelehnten Figuren und Landschaftsstizzen erzählen von den sorgfältigen Vorstudien, die der Künstler zu seinem Werk gemacht hat. Den modernen Menschen berührt solches Bild, das in seiner virtuosen Ausführung mit strengster Korrektheit den historischen Vorgang wiederspiegelt, ganz eigentümlich. Noch steht die Hauptfront der Verteidiger unerschüttert. Aus unmittelbarer Nähe wird die Salve auf den Angreifer abgegeben, die letzte Salve allerdings, denn ehe der Pulverrauch sich verzogen hat, werden die Bajonette der Anhalter den Kampf entscheiden.

Durch die würdige Höhe von vier Stockwerken der Vertraulichkeit des Alltagsgetriebes entrückt, schafft Hermann Hendrich an seinen Landschaften und Phantasien, die Kontraste der Realität und der idealischen Intuition in sich bewegend und versöhnend. Die von Richard Wagner zu Tonwerken erweckte germanische Götter- und Heldensage beherrscht das Sinnen und Trachten des Künstlers, der die ahnungsvollen und die tragischen Stimmungen der großen Wagnerschen Leitmotive wieder in Farben gestaltet.

Hermann Hendrich und seine neusten italienischen Landschaften

Die schlafende Brünhilde, der Tod Siegfrieds, die um den Helden klagenden Rheintöchter, der Trauermarsch der Nibelungen mit Siegfrieds Leiche, Siegfried und Fafner, die Todesahnungen aus Tristan und Isolde sind ihm zu gemalten Phantasien geworden. Und jetzt, da die lachende Frühlingssonne den Menschen hinaus lockt in Gottes freie Natur, schließt Hendrich das Atelier in der Friedrich-Wilhelmstraße ab und wandert gen Süden nach dem Wunderland Italien, um dort in der frohen Farbenpracht der tiefblauen Meerflut, des Himmels, der üppigen Vegetation mit ihren Blumenwundern den Phantasien der Landschaft in ihrer holden Wirklichkeit zu lauschen und sie in seinen Bildern fest zuhalten. Solche warm durchleuchteten italienischen Landschaftsbilder hatte er eben vollendet, ehe er die Winterarbeit abschloß.

Nun mögen im Mai Kunstfreunde und Kunstkenner ihre Kritiken formen und fällen. Die Künstler fliegen aus zu neuer Saat und neuer Ernte. Frohe Fahrt sei ihnen allen gewünscht!

Dieser Artikel von Emil Granichstaedten erschien zuerst 1900 in Die Woche.