Berliner Malerateliers II

Nur wenige Tage lagen diesmal zwischen der Eröffnung der „Großen“ am Lehrter Bahnhof und der Sezessionsausstellung neben dem Theater des Westens. „Der grimme Krieg“, der im Vorjahr sich zwischen den Getreuen Anton von Werners und der Gefolgschaft Max Liebermanns entfachen wollte, „hat inzwischen seine Stirn entrunzelt.“

Es giebt keinen Toten und Verwundeten. Die beiden Ausstellungen marschieren getrennt und siegen vereint, denn hüben und drüben finden die Besucher, daß die Ausstellungen sehr schön sind. War im Vorjahr der liebenswürdige und freundwillige Max Koner bei Eröffnung der Sezessionsausstellung der Friedensbote der Akademie, so hatte in diesem Jahr der fleißige und in Arbeiten unerschöpfliche Bildhauer Eberlein sogar seinen Pegasus gesattelt, um die Modernen zu begrüßen. Und so wollen auch wir aus unsern Atelierbesuchen heute Meister aus beiden Lagern unsern Lesern vorführen.

Professor Dettmann vor seinem Wandgemälde für das Altonaer Rathaus

In der Königin Augustastraße, so recht mitten im Malerviertel, in der nächsten Nachbarschaft von Knaus, Gude, Meyerheim hat Professor Franz Skarbina sich behaglich, aber für fremde Besucher einigermaßen vorsichtig eingerichtet. Er wohnt nämlich im Gartengebäude eines Hauses, dessen Thorwart nicht zu finden ist; deshalb klettert mancher Freund, der noch nicht Bescheid weiß, erst alle Stockwerke des Vorderhauses ab, ehe er das im Garten belegene Atelier entdeckt, in dem einer der Matadore der Berliner Sezession wohnt und schafft. Gleich Marx Liebermann verschmäht Franz Skarbina alle Ausschmückung der Künstlerwerkstatt. Die breite Fensterwand nach Norden, drei mit Skizzen und Entwürfen behängte graue Wände, etliche Staffeleien mit angefangenen und fertigen Bildern, Tische für das Malergerät und ein paar hübsch geschnitzte Stühle bilden die ganze Einrichtung. Der Schmuck des Ateliers sind die Werke des Meisters, der die Landschaften der Natur so schön abguckt, um sie mit ausdrucksvollen Menschengestalten zu beleben, und der charakteristische Menschenfiguren in die richtige landschaftliche Umgebung stellt.

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Schlicht und ohne philosophierende Stimmungen schafft Franz Skarbina aus dem – man möchte sagen naiven Leben der Menschen und der Natur; er sieht Personen und Dinge ohne Voreingenommenheit, wie sie sind, und mit sichrerer Hand bringt er das gesehene auf die Leinwand, darum sind seine Bilder auch in der Stimmung doppelt wirksam, weil sie wahr und in der Wahrheit schön sind. Wie flott und stramm steht der Grenadier mit geschultertem Gewehr auf Wache vor dem bescheidenen Bauernhaus, in dem Friedrich der Große sein Hauptquartier aufgeschlagen hat! Und doch spricht aus dem einfachen Soldaten der ganze große Geist einer großen Zeit. Der Mann gehört zu den „langen Kerls“, die in hunderte von Schlachten und Scharmützeln die Fahnen zum Sieg führten. Eine wundervolle Abendstimmung liegt über dem Bild, das vorerst noch nicht vollendet ist. Mit einem kleinen Atelierscherz gab uns der Meister den Vollgenuß des Bildes; er wies auf einen in der Ecke stehenden Spiegel, der das Bild wiedergab; in der dadurch verdoppelten Entfernung schwanden die Unfertigkeiten der Ausführung, und das Bild präsentierte sich in der Perspektive des großen Galeriesaals, für den es bestimmt ist, in seiner ganzen Wirkung. Franz Skarbina liebt sein Berlin und in diesem namentlich die alten, einst so charakteristischen Gestalten des Berlin von ehedem, das heute in der aufblühenden oder auch nivellierenden Großstadt immer mehr verschwindet. Leider ist auf unserer Aufnahme die Skizze des Bildes verdeckt, das ale eines der reizvollsten jetzt die Sezzesionsausstellung ziert: eine Droschke zweiter Güte; der Kutscher, ein alter echter Graubart, thront in winterlicher Kleidung, Mütze und Mantel, behaglich auf dem Kutschbock, das Pferdchen, ein etwas klapperiger, aber noch leidlich rüstiger Brauner ist mit der Decke zugedeckt und giebt sich ungefähr denselben Betrachtungen hin wie sein Lenker und hinten der breite Familienkasten von Wagen. Das ist die gute alte, billige Droschke, wie sie war, wie sie noch ist, aber freilich nicht mehr lange sein wird. Kein Spott ist in dem Bild, sondern Liebe, und darum heimelt es in seiner meisterlichen Ausführung jeden an, der für „so Etwas“ Sinn hat.

Professor Franz Skarbina vor seinen neusten Gemälden

Professor Ludwig Dettmann war bekanntlich im Vorjahr bei den Sezessionisten und ist jetzt mit seinen Historien für Altona wieder in die „Große“ übergesiedelt. Eins dieser Wandgemälde, an dem er eben mit dem Modell der Ratsherren arbeitet, zeigt unsere Aufnahme. Professor Dettmann ist ein viel geschätzter Künstler, dessen fleißig und sorgsam gemalte Bilder, wie namentlich die letzten Schöpfungen, einen guten, repräsentativen Eindruck machen. Mit zu den führenden Großen der einen oder andern Richtung gehört Dettmann noch nicht, und deshalb ist auch seine Sezession aus der Sezession nicht das Ereignis geworden, das weitergehende Erörterungen veranlaßt hätte. Sein Atelier auf dem Lützowplatz ist ein wunderschöner Hochraum, der sich in geschmackvoller Holztäfelung, die an der Hauptfront sich zu einem mit dem Madonnenbild geschmückten Kreuz zuspitzt, äußerst heimlich und geschmackvoll ausnimmt. Hier sind die großen Wandgemälde entstanden, die augenblicklich das Interesse des Publikums fesseln. Ihre Bedeutung liegt vor allem darin, daß sie die malerischen Errungenschaften der modernen Kunst mit den monumentalen Wirkungen der Wandmalerei aufs glücklichste vereinen. Sie sind ein Beweis dafür, daß die moderne Kunst ihre Sturm- und Drangperiode dürchlaufen hat und nach einer Zeit des Experimentierens sich wieder nach großen Aufgaben sehnt.

Dieser Artikel von Emil Granichstaedten erschien zuerst 1900 in Die Woche.