Der Maler Walter Leistikow hat neulich in der „Woche“ (No. 20, S. 865) sich dagegen verwahrt, daß die Berliner Sezession, der er angehöre, den sogenannten „sezessionistischen“ Stil pflege. Im Grund gäbe es diesen Stil gar nicht.
Man kann den Ausspruch Leistikows noch weiter fassen. Setzt man statt des Schlagworts „sezessionistisch“ das Schlagwort „die Moderne“, das als Gegensatz zur „klassischen Antike“ geprägt wurde so staunt man, wie solche Schlagwörter verwirren können.
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Ein lebendiges Beispiel für diese Wirrnis spricht besser als eine langatmige Erläuterung. Jüngsthin wurde eine kritische Stimme laut, die verkündete, Max Liebermann sei auf dem besten Wege zu „den Alten“. Also ein heimgekehrter verlorener Sohn; und warum? Er sucht nach der Schönheit, wie seine eleganten Reiter am Strand aus der Sezession beweisen. Offenbar hat sich in dem Mann, der über den reuigen „modernen“ Sünder doppelte Freude empfindet, der Gedanke festgewurzelt, die „Modernen“, das seien die Häßlichkeitsmaler in Wald und Flur, und er verwechselte Form und Stoff. Die Liebermannschen Reiter und ihre Rosse sind elegant, die künstlerische Behandlung ist resolut und wahrheitskräftig, wie auch sonst in Liebermanns tüchtigen Malereien. Unerquicklich – modern, süß und glatt – gute alte Schule: derlei spukt leider immer noch wie ein Urteil von vorgestern bei gar zu vielen Leuten herum.
Die Ausstellungen der Sezession haben darum einen gewissen Lehrcharakter. Sie beweisen, daß es denn doch zu wohlfeil sei, von irgendwelcher einseitigen Befangenheit aus mit dem Begriff moderne Kunst zu spielen. Ist Böcklin nicht ein „Moderner“, und wer vor ihm hat eine Landschaft so gesehn wie er? Und war er nicht schönheitstrunken bis zum glühenden Enthusiasmus? Gut, Böcklin ist heute der Erörterung entrückt. Nehmen wir jüngere Talente, L. v. Hofmann, den phantastisch-dekorativen Künstler, Walter Leistikow, der die Landschaft verklärend stilisiert, Oskar Frenzel mit seinem schlichten und aufrechten Empfinden für Tier und Landschaft, und dann vielleicht ein paar herbe Naturalisten, welche Verschiedenheit der künstlerischen Aufgaben und selbst der Technik: und doch fühlen sie sich allesamt als moderne Künstler.
Jetzt, da alte Kämpfe zum größten Teil entschieden sind, läßt sich der Wirrwarr von Schlagwörtern ja leicht lösen. Die moderne Kunstbewegung war im Wesen ein Aufbegehren gegen das erstarrte akademische Epigonentum „Die Moderne“, wenn wir das Wort gelten ließen, könnte man nicht als eine bestimmte Grundrichtung auffassen.
In verschiedenen Ausstrahlungen, in verschiedenen Richtungen wirkte man nach einer Emanzipation hin: los vom Schulbeispiel! Wir wollen mit unsern eigenen Augen, nicht mit denen unserer Altvordern sehen, so riefen die stärkeren und auch die schwächeren Persönlichkeiten. Dann probierte man vielerlei; und wie es die geistige Geschichte solcher modernen Bewegungen immer lehrt: die Abwehr gegen das Veraltete gebärdet sich im Anfang oft überradikal, und es tauchen die Fanatiker jeweiliger Richtungen auf, gleichsam Sektengründer Ob sie sich Naturalisten strengster Observanz, Symbolisten, Impressionisten u. s. w. nennen, das ist das Untergeordnete dabei.
Sind die gröbsten Kämpfe vorüber, dann schwindet auch der überhitzte Fanatismus der Richtung und auf erobertem Neuland gilt wieder die machtvolle Individualität, die starke Persönlichkeit und darf nach ihrer Fasson selig werden.
Nahezu ein klassisches Zeugnis hierfür sind die Bilder Claude Monets (S. 1020). Monet lebt heute als Greis in stiller Landabgeschiedenheit im französischen Departement de l’Eure. Seine Ausstellungsbilder, sowohl das meisterliche Damenporträt wie die merkwürdig eindringlichen, prächtigen Hafenansichten, sind vor langen Jahren entstanden. Wer möchte sie heutzutage auf den Sektenbegriff „Impressionismus“ festnageln wollen? Der Impressionist Monet war aber auf der Suche nach neuen Empfindungswerten. Die ganz persönlichen „Impressionen“ wollte er festhalten, ein Stück Natur gleichsam mit einem Ruck herausreißen, und da er eine starke und ausgesprochene Persönlichkeit ist, so haften, so bleiben eben seine „Impressionen“.
Josef Israëls im Haag, der zu jenen großen Künstlern gehört, die erst spät zu allgemeiner Anerkennung gelangen, steht heute im 77. Lebensjahr. Längst ist seine Kunst abgeklärt und reif geworden; und doch hatte auch er manchen Sturm durchzumachen, bis man, unbehindert vom lärmenden Tagesschlagwort, den tief elegischen Gemütsinhalt seiner Gemälde erfaßte. Dem „Naturalisten“, dem „Armeleutmaler“ in Helldunkel nahm man die Wendung zum „Modernen“ um so mehr übel, als er doch in der Zeit seiner jungen Entwicklung wie ein regelrechter „Historienmaler“ begann. Heute hält man sich nur mehr an die ergreifende Gemütstiefe, wenn man z. B. das Gemälde von Israëls „Wenn man alt wird“ betrachtet.
Nicht zu den führenden und viel umstrittenen Geistern im Reich der Kunst gehört Erik Werenskiold auf Lysaker in Norwegen. Er mußte nichts erst ertrotzen. In der Bildnismalerei wirkt seine markige Persönlichkeit in anschaulicher Kraft wie in dem trefflichen Björnsonporträt. Auch in dem einfachen Vorwurf „Bauernmädchen in Telemarken“ (S. 10l9) überrascht die gesunde Einfachheit.
Dieser Artikel erschien zuerst am 03.06.1901 in Die Woche, er war gekennzeichnet mit „Eckehard“.