Karlsruher Genossenschaftsbauten

Karlsruher Genossenschaftsbauten

Architekt: Professor Eugen Bischoff in Karlsruhe i. B.

Wie in einer Reihe von deutschen Städten, so hat sich auch in Karlsruhe i. B. eine Anzahl von Männern zusammengefunden, welche die Gründung eines Vereins zur Erstellung billiger, gesunder kleiner Wohnungen in die Hand nahm. Heute, nach zweijährigem Bestehen, soll über seine bisherige Thätigkeit in baulicher Beziehung an dieser Stelle berichtet werden.

Unter dem Namen „Miether- und Bauverein G.m.b. H.“ trat derselbe 1897 ins Leben, dank der Initiative der Hrn. Landtags-Abgeordneter Karl Delisle und Prof. Heinr. Herkner, damals an der technischen Hochschule hier, jetzt an der Universität in Zürich, und anderer Förderer der gemeinnützigen Baugenossenschafts-Bewegung. Der Verein zählt heute zwischen 700 und 800 Mitglieder.

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Er erwarb eine Baustelle im Osten, an der Peripherie der Stadt, gelegen von 10 400 qm um 93 000 M.; es sollen darauf 10 Gebäudegruppen errichtet werden mit 162 Wohnungen, davon 4 mit einem Zimmer, Küche und Zubehör; 129 mit zwei Zimmern und Küche; 25 mit drei Zimmern und 4 mit vier Zimmern. An 3 Eckgrundstücken sind Verkaufsläden eingerichtet. Das Grundstück wurde durch eine Privatstrasse in zwei Baublocks getheilt, wovon jeder mit 5 Häusergruppen bebaut wird, Die umschliessenden Strassen sind 15 m, die Privatstrasse ist 12 m breit.

Karlsruher Genossenschaftsbauten - Lageplan
Karlsruher Genossenschaftsbauten – Lageplan
Kopfbau von Haus IX.
Kopfbau von Haus IX.

Die Strassen- und Kanalkosten betragen neben der kostenfreien Abtretung des Geländes im Werthe von 17 600 M. noch rd. 38 000 M. Dadurch vertheuert sich sehr der Grundpreis der Baustelle, der im Ankauf zu 10 M. für 1 qm ein mässiger zu nennen war, Die Baustelle liegt in der Zone der offenen Bauweise, in welcher bei 6 m Abständen von Haus zu Haus nur zwei Obergeschosse gebaut werden dürfen. Die Ausnutzung des Dachraums für kleine und billige Wohnungen ist zunächst verboten, was die Rentabilität und die Miethpreise der Wohnungen ungünstig beeinflusst. Denn gerade dort liessen sich wenige kleine billige Wohnungen für Unbemitteltere in bester Weise herstellen, welche die Preise der unteren Wohnungen. nicht erschwingen können. Nebenbei kann man das Wohnen im III. Übergeschoss noch nicht als gesundheitsgefährlich erachten, und es geht auch hierin die behördliche Fürsorge wohl zu weit.

Von diesen Gebäuden sind heute sieben bezogen mit 96 Wohnungen; zwei weitere sind im Bau begriffen und kommen bis Juli 1900 zur Vollendung; vier von den Häusern haben je 2 Treppenhäuser, fünf haben je 3 Treppen.

Haus VIII. 1. und 2. Obergeschoss
Haus VIII. 1. und 2. Obergeschoss
Haus VI. 1. und 2. Obergeschoss
Haus VI. 1. und 2. Obergeschoss

Als Grundsatz hat der Verein festgehalten, dass jede Wohnung für sich abgeschlossen hinter dem Glasverschluss nach dem Treppenhaus liegt, dass also keine gemeinsamen Aborte oder Abortanlagen auf den Podesten vorkommen. Hierin entspricht somit die Anlage vollständig den Leitsätzen, die 1892 von dem Hamburger Architekten-Verein und der Vereinigung Berliner Architekten aufgestellt wurden und deren § 6 lautet: „Jede Wohnung muss selbstständig sein, d. h. unmittelbaren Zugang von dem gemeinsamen Treppenhause, ihren eigenen Abort, Ausguss und wenn thunlich eigene Wasserversorgungs-Anlage besitzen“. – Die Grösse der Einzimmerwohnung beträgt innerhalb des Glasabschlusses, Veranden nicht mitgemessen, zwischen 32 und 43 qm, die der zweizimmerigen Wohnung zwischen 41 und 59 qm, die der dreizimmerigen Wohnung zwischen 64 und 77 qm, die der Vierzimmer-Wohnung 80 bis 90 qm.

Die Mietpreise für Einzimmer-Wohnungen sind 185 M., für Zweizimmer-Wohnungen 240-320 M., für Dreizimmer-Wohnungen 360-420 M., für Vierzimmer- Wohnungen 480 M. Die Zimmergrössen schwanken zwischen 13 und 25 qm, die Zimmerhöhe ist durchweg 3 m i. L., die Küchen haben zwischen 8 und 13 qm Grundfläche, der Durchschnitt ist 10 qm, die grössere Zahl derselben hat eine kleine Speisekammer neben sich liegen mit direktem Fenster; wo dies nicht zu erreichen war, wurde in der Fensternische der Küche ein ins Freie entlüfteter Speiseschrank aufgestellt. Die Küchenböden sind mit Sinziger Plättchen belegt, die Wände auf 1,5 m mit Oelfarbe gestrichen, am Spülstein und Heerd mit glasirten Wandplättchen verkleidet. Gas und Wasser, z. Th. Gasautomaten, sind in jeder Küche. Ein Tellergestell ist an der Wand aufgehängt. Die Mehrzahl der Küchen hat eine eiserne Veranda von 4-6 qm Grösse mit Blumenschäften, Vorhangstangen und Haken zum Spannen des Waschseils, die Veranden sind gedeckt. Die Zimmer haben im Erdgeschoss Fussböden in Pitch-Pine-Langriemen, in den oberen Geschossen Riemen aus Tannenholz. Die Fenster sind mit Rolläden und Ausstellvorrichtung versehen, theilweise auch mit Zugjalousien.

Jede Wohnung hat eine geräumige tapezierte Bodenkammer und einen verschliessbaren Keller; ausserdem Antheil an dem Trockenraum, an den Waschküchen zwei in jedem Hause im Keller belegen mit unmittelbarem Zugange vom Hofe – und dem ebenfalls im Keller befindlichen Badezimmer.

In einem Theile der Häuser sind freistehende Klosets mit Wasserspülung eingerichtet, mit Abortgruben nach System Glass, da in Karlsruhe noch keine Schwemm-Kanalisation eingeführt ist.

Karlsruher Genossenschaftsbauten
Karlsruher Genossenschaftsbauten

Die Gebäude sind in Backstein aufgeführt, an den Strassenfronten im Erdgeschoss in hammerrechtem Schichtenmauerwerk aus rothem Sandstein; die oberen Geschosse und die Rückseiten sind mit Maschinensteinen I. Wahl verblendet und ausgefugt. Sockel, Gurten, Thür- und Fenstergewände sind theils in rothem Pfälzer Enkenbacher, theils in graugrünem Kürnbacher Sandstein versetzt. Einige Häuser wurden in den Obergeschossen auf der Strassenseite in ganz rauhem Besenwurf verputzt. Die Dachgesimse sind in verschiedenen Schichten bunter Backsteine, theilweise in Formsteinen, mit einem hölzernen Kastengesims darüber ausgeführt. Von den Treppen im Erdgeschoss wurden einige in Schmiedeisen, die Mehrzahl in rothem hartem Pfinzthäler Sandstein gefertigt; die äusseren Treppen bestehen aus Granit vom Schwarzwald. Die oberen Geschosse verbinden Treppen aus Eichenholz. Die Dächer sind mit rothen Doppelfalzziegeln von Ludovici aus Jockgrim eingedeckt. Die Flure sind in Terrazzo hergestellt oder mit Sinziger und Mettlacher Plättchen belegt. Die Höfe sind gepflastert und mit einem Drahtzaungitter abgegrenzt. Inmitten dieser Höfe bleibt je ein Gelände übrig, das für Gemüsegärten hergerichtet und an die lusttragenden Umwohner vermiethet wird. Dabei ist zu erwähnen, dass ein sehr grosses angrenzendes Stück Feld von dem Verein gepachtet und an seine Mitglieder überlassen ist, welche auf demselben Gemüse und Feldfrüchte angepflanzt haben.

Die Baukosten betragen f. 1 qm bebaute Fläche nach den abgerechneten Häusern 193 M. oder 14,40 M. f. 1 cbm von Kellerfussboden bis Dachgesims-Oberkante.

Die Rechnungs-Aufstellung gestaltet sich etwa folgendermaassen:

Bauplatz mit Gebühren93 039,26 M.
1 ½ Jahre im Mittel Zins zu 4 %5 582,34 M.
Strassen- und Kanalkosten37 838,13 M.
Baukosten760 000,- M.
Allgemeine Unkosten für 4 Jahre3 540,27 M.
im ganzen900 000,- M.

Unterstützt wurde das Unternehmen durch die Gewährung eines Darlehens von 100 000 M. zu 3 % seitens des Grossherzogs von Baden. Auch der staatlichen Arbeiter-Pensionskasse verdankt der Verein Kapital-Beleihungen der Häuser bis 60 % des Schätzwerthes zu 3 ½ %. Ueber eine Opferwilligkeit von Privaten dagegen wie in Stuttgart, Berlin und a. a. O. oder ein greifbares Entgegenkommen der Gemeinde-Behörden kann leider bis jetzt noch nicht berichtet werden. Die Mitglieder der Genossenschaft sind überwiegend Eisenbahn- und Postbeamte; auch Handwerksmeister, Krämer und Arbeiter aller Arten haben sich angeschlossen.

Die Bauleitung liegt in den Händen des Verfassers. Die Bauausführung geschieht zum allergrössten Theile durch Mitglieder der Genossenschaft. Die Maurerarbeit wurde von der Firma Fischer und Bischoff, Baugeschäft, und Bernh. Pfeifer, die Zimmerarbeit von Ludw. Hölzer, Meess & Nees und Josef Minzinger ausgeführt.

Karlsruhe, im Sept. 1899. Eugen Bischoff.

Dieser Artikel erschien zuerst am 14.03.1900 in der Deutsche Bauzeitung.