Berliner Neubauten 87 – Die neue St. Georgen-Kirche

Arch. Geh. Reg.-Rth. Prof. Joh. Otzen. Mit der am 6. Februar d. J. erfolgten Einweihung der neuen St. Georgen Kirche ist die deutsche Hauptstadt in den Besitz eines monumentalen Bauwerks gelangt, das nicht nur durch seinen Aufbau zur wesentlichen Bereicherung des Stadtbildes beiträgt, sondern auch vermöge seiner eigenartigen Grundriss-Anordnung darauf Anspruch erheben kann, die schon vorhandene Vielgestaltigkeit der Berliner kirchlichen Anlagen um eine neue bedeutsame Form vermehrt zu haben.

Der Bestand eines Gotteshauses unter demselben Namen und an der gleichen Stelle lässt sich bereits seit dem Mittelalter verfolgen. Als ursprünglicher Bau erhob sich hier auf dem östlichen Aussengebiete der Stadt, vor dem nach ihm genannten Georgen-Thor, die Kapelle eines für fremde Kranke, insbesondere für Aussätzige bestimmten Spitals. Nachdem diese Kapelle i. J. 1689 zum Sitze einer selbständigen Pfarrei für die östlichen Vorstädte Berlins erhoben worden war, hat sie mehrfache Erweiterungen erfahren, bis sie endlich in den Jahren 1779-80 durch einen von dem Oberbaudirektor, Kriegsrath Naumann entworfenen Neubau ersetzt wurde; nur der ihr i. J. 1713 angefügte Thurm blieb erhalten. In dieser letzten, durchaus dürftigen Gestalt ist die im Inneren als ein Querhaus-Saal mit doppelten Emporen angeordnete Kirche bis auf unsere Tage überkommen.

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Das Bedürfniss nach einer Vermehrung der Sitzplätze, vor allem aber wohl der Wunsch auch diesem Gotteshause eine der Bedeutung der Gemeinde und der Würde der Hauptstadt besser entsprechende Form zu geben, haben zu dem Entschlusse geführt, anstelle desselben abermals einen Neubau aufzuführen.

Bei dem Entwurfe dieses Neubaues, welcher dem Geh. Reg.-Rath Prof. Johannes Otzen übertragen wurde, musste in erster Linie auf die Lage der Kirche Rücksicht genommen werden. Wie die beigefügte Planskizze zeigt, wird der, durch Umbauung der alten Kirche und des ursprünglichen Kirchhofes entstandene, unregelmässig geformte Georgen-Kirchplatz auf allen Seiten von Häusern umschlossen und öffnet sich nach den benachbarten Verkehrsstrassen nur durch schmale, zumtheil als Gässchen zu bezeichnende Zugänge. Die Gemeinde wünschte jedoch mit Recht, zum mindesten den Thurm ihres Gotteshauses auf eine weitere Entfernung sichtbar zu machen, um dasselbe im Stadtbilde zu gewisser Geltung zu bringen.

Lageplan
Die neue St. Georgen-Kirche. Arch. Geh. Reg.-Rth. Prof. Joh. Otzen

Dies war nur möglich, wenn der Thurm, dem zugleich eine verhältnissmässig bedeutende Höhe gegeben werden musste, ungefähr in die Axe der Königstrasse gestellt wurde.

Es darf wohl angenommen werden, dass die Gemeinde bei diesen Erwägungen von den Rathschlägen ihres Architekten sich hat leiten lassen, dem es gelungen ist, auch bei seinen beiden älteren Berliner Kirchenbauten den Thürmen eine Stellung zu geben, die schon von entfernten Strassenzügen her einen Blick auf sie gestattet. So tritt der Kuppelthurm der Heilig.-Kreuzkirche nicht nur von den Kanal-Uferstrassen in der Gegend der Bellealliance-Brücke, sondern auch aus der Markgrafenstrasse in die Erscheinung, während der Thurm der Lutherkirche nicht nur in den Sehlinien der Bülowstrasse, sondern auch in derjenigen der Schöneberger Strasse liegt.

Da diese Axe aber mit der Mittelaxe des Georgen-Kirchplatzes, in welche das Kirchen-Gebäude annähernd zu rücken war, nicht zusammen fällt, so ergab sich als Ausgangspunkt für die Anordnung des letzteren von vorn herein eine seitliche Stellung des Thurmes und damit eine mehr malerische Haltung der ganzen Anlage.

Die schliesslich gewählte, in der umstehenden Planskizze anschaulich gemachte Stellung des Baues ist aus einem Kompromiss zwischen den Wünschen des Magistrats, dem das Patronat der Kirche zusteht, und den Bedingungen des Architekten zu betrachten. Dass die Kirche nach Osten hin vorgeschoben wurde, ist nicht nur geschehen, um einen möglichst geräumigen Vorplatz und damit einen umfassenderen Blick auf die Hauptfront derselben zu gewinnen, sondern war auch insofern günstig, als demzufolge das alte mehr westlich gelegene Gotteshaus (nach einer geringen Verkürzung) bis zur Beendigung des Neubaues erhalten bleiben und benutzt werden konnte. Und dass die Axe des letzteren parallel der Südseite des Platzes angenommen wurde, brachte den Vortheil, dass der Thurm etwas schräg zur Axe der Königstrasse zu stehen kam und somit von dort aus in reicherem und interessanterem Kontur sich darstellt. – Die in der Planskizze angegebenen Umgestaltungen der Umgebung der Kirche, welche der Erscheinung derselben sehr zugute kommen werden, sind übrigens bis jetzt leider nicht ausgeführt, da der Magistrat und die Kirchen-Gemeinde über die Bedingungen, unter welche der noch im Besitz der letzteren befindliche Kirchplatz an die Stadt abgetreten werden soll, sich völlig zu einigen noch nicht vermocht haben. Wenn später das der Westseite der Kirche gegenüber liegende alte Hospital-Gebäude niedergelegt und der Strassenzug der Alten Schützenstrasse bis zur Landsberger Strasse durchgelegt sein wird, soll anstelle des ersteren noch ein Gemeindehaus errichtet werden.

Aus jener durch die Lage der Kirche bedingten seitlichen Stellung eines in bedeutenden Abmessungen zu haltenden Thurmes und dem von der Gemeinde festgesetzten Programm, nach welchem ein besonders geräumiger Chor für die Abendmahls-Feier und eine seitliche Anorddnung der Kanzel gefordert wurden, ergab sich für die Grundrisslösung gleichsam von selbst eine zweischiffige Anlage der Kirche mit einem breiten Haupt- und einseitigem Nebenschiff. Es ist diese während des letzten Jahrzehnts in Deutschland so beliebt gewordene Lösung, deren Vorzüge in diesem Blatte wiederholt erörtert worden sind, für Berlin das zweite (im Entwurf u. W. das erste) Beispiel ihrer Art. Die neue St. Georgen-Kirche dürfte zugleich der grösste bisher ausgeführte Bau dieses Grundriss-Systems sein und etwa die Grenze der Abmessungen bezeichnen, bis zu welcher letzteres noch als empfehlenswerth gelten kann.

Die neue St. Georgen-Kirche. Blick auf den Orgelchor
Die neue St. Georgen-Kirche. Blick auf den Altar-Raum

Haupt- und Nebenschiff sind bei einer Länge von 23,45 m i. L. in 3 Jochen überwölbt. Jenem ist zwischen den Gurtbögen eine lichte Weite von 14,90 m diesem eine solche von 4,70 m gegeben; doch sind durch theilweises Hereinziehen der Strebepfeiler in den Innenraum beiderseits noch tiefe Nischen gebildet, so dass die gesammte Lichtweite der Kirche zwischen den Aussenmauern 23,34 m beträgt. Die beiden Schiffe bilden also nahezu ein Quadrat. Der Architekt hat diese Erweiterung in sehr geschickter Weise zur Vermehrung der Sitzplätze ausgenutzt, indem er im Nebenschiff die nach innen vorspringenden Strebepfeiler mit Oeffnungen durchbrach und auf diese Weise einen äusseren Gang herstellte, während die Nischen des Hauptschiffs unmittelbar mit Sitzreihen bestellt sind. Oestlich schliesst dem Hauptschiff mittels eines Triumphbogens mit breiter schräg gestellter Laibung der geräumige Chor sich an, den 3 Sakristeien nach Art eines Kapellenkranzes umgeben; westlich legt demselben eine stattliche Halle sich vor, in die man jedoch nicht unmittelbar von aussen, sondern seitlich durch die grosse Thurmhalle gelangt. Es ist damit erreicht, dass der Haupt-Eingang zur Kirche zugfrei gehalten werden kann; auch wird jener Vorraum bei Trauungen als Brauthalle benutzt, aus welcher der feierliche Hochzeitszug in dem breiten Mittelgange nach dem Altar sich bewegt.

Im Obergeschoss öffnet sich über dieser Vorhalle mit einem, demjenigen der Chorseite entsprechenden Triumphbogen die durch einen Altan-Vorbau nach dem Schiff erweiterte Orgel-Empore, während über der Thurmhalle ein sehr ansehnlicher Saal für die Sitzungen des Gemeinde-Kirchenraths angeordnet ist. Das Nebenschiff wird durch eine tiefe, 8 Sitzreihen enthaltende Empore ausgefüllt, die auf Konsolträgern 1,30 m weit in das Hauptschiff vorgekragt ist. Eine entsprechende, 2 Sitzreihen tiefe Empore ist mit Benutzung jener Nischen zwischen den Strebepfeilern auf der Aussenseite des Hauptschiffs gewonnen. Die Gesammtzahl der Sitzplätze, welche die Kirche darbietet, kann auf rd. 1200 angenommen werden; die Abmessungen derselben sind auf 95 cm zu 50 cm festgesetzt. – Die Anordnung der verschiedenen, sämmtlich durch Vorhallen geschützten Eingänge, sowie der zu den Emporen führenden Treppen ist aus den Grundrissen genügend ersichtlich.

Die neue St. Georgen-Kirche. Schnitt
Die neue St. Georgen-Kirche. Grundriss

Ueber diesem Grundriss erhebt sich der als malerisch gruppirter Baukörper gestaltete Aufbau der Kirche insofern mit strenger Folgerichtigkeit, als jedes Glied des inneren Organismus auch im Aeusseren selbständig hervortritt. Hauptschiff und Nebenschiff, der Chor mit seinem Kapellenkranze, das Orgelhaus mit der darunter liegenden Vorhalle sind jedes für sich hervor gehoben, ohne dass der Einheit des Ganzen Gewalt angethan worden wäre. Die Treppenhäuser sind durch Thürme gekennzeichnet, welche das Bild noch lebendiger machen, während durch den mächtig aufsteigenden, als Uhr- und Glockenträger dienenden Hauptthurm, dessen Masse ein nicht zu besiegendes Gegenstück zu jenen bildet, dafür gesorgt ist, dass der Eindruck trotz allen Formen-Reichthums doch nicht ein gar zu unruhiger wird. Die Höhe dieses Hauptthurmes, der nächst der Domkuppel und dem Thurm der Kaiser Wilhelm-Gedächtnisskirche z. Z. das höchste Bauwerk Berlins bildet, beträgt rd. 105 m. Für die Höhe des übrigen Baukörpers war die Rücksicht maassgebend, dass der Innenraum nach seinen Abmessungen zwar die Würde eines Gotteshauses von dieser Grösse und Bedeutung wahren musste, aber in seiner Höhe doch nicht so weit gesteigert werden durfte, dass dabei seine Eignung zur Predigtkirche Beeinträchtigung erlitt. Die Höhe der Emporen-Brüstungen ist demnach zu 4,85 m, diejenige der Kämpfer zu 11,5 m, diejenige der Gewölbescheitel des Hauptschiffs zu 20,7 m über dem Kirchenfussboden angenommen worden.

Inbetreff der architektonischen Ausgestaltung des Aeusseren sei zunächst auf die a mitgetheilte Gesammtansicht der Kirche von S.W. verwiesen, der noch eine Ansicht von N.O. und ein Detail angereiht werden sollen. Die stilistische Auffassung, die der Künstler diesmal seiner Schöpfung zugrunde gelegt hat, deckt sich mit der des geschichtlichen „Uebergangsstils” zu wenig, als dass man sie mit diesem Namen bezeichnen könnte. Es ist im wesentlichen die von Otzen in selbständiger Fortentwicklung der Hannover’schen Backsteingothik gepflegte Kunstweise, der ein eigenartiges Moment dadurch hinzugefügt worden ist, dass neben dem Spitzbogen vorwiegend der Rundbogen und neben dem Ziegel und der Terrakotta noch der Werkstein in Anwendung kam. Aus letzterem, einem wetterfesten Sandstein, sind sämmtliche Gesimse und Abdeckungen hergestellt; ebenso sind mit ihm die Mauerecken bekleidet und Streifen in den Flächen des unteren Thurmgeschosses gebildet. Aus Ziegeln von warmer Lederfarbe bestehen die übrigen Mauerflächen und die Zierglieder, während das in den Schildern der Rundbogen-Friese, in den Zwickeln der Portalbögen usw. eingesetzte, einheimischen Pflanzenformen nachgebildete kräftige Blattornament in sandsteinfarbiger Terrakotta ausgeführt ist. Verglichen mit anderen Bauten des Architekten, bei denen das übliche Backstein-Breitenmaass die Grundlage für sämmtliche Formbildungen abgiebt, hat derselbe nach mittelalterlichem Vorbilde hier versucht, Formen in grösseren Abmessungen zu verwenden, um dadurch eine bessere Annäherung an die kräftigen Haustein-Gliederungen des Baues zu erzielen. Unserem Empfinden nach hätte er hierin getrost noch weiter gehen können, da manche Anordnungen – wir verweisen z. B. auf die Ausbildung des Obergeschosses am südwestlichen Treppenthurm – fast zu zierlich wirken. Auch wollen wir nicht verhehlen, dass der Gesammt-Eindruck der Fassade nicht ganz so frisch ist, wie der anderer Otzen’scher Werke. Wir machen jedoch hierfür weniger die Formen-Behandlung, als das übertrieben glatte und „geleckte“ Ziegelmaterial und die nicht überall glückliche Farben-Vertheilung zwischen Werkstein und Ziegel verantwortlich – Mängel, die sich unter dem Einflusse der Zeit und des in der Berliner Atmosphäre vorhandenen Kohlenrusses bald genug von selbst verlieren werden.

Von der Ausgestaltung des Inneren geben die beiden Entwurfs-Zeichnungen des Architekten im Verein mit den nach photographischen Aufnahmen angefertigten Darstellungen auf der Beilage und ein Bild, das im wesentlichen nur durch einige Mitheilungen über die Technik der angewandten Dekoration und deren farbige Wirkung sowie über den figürlichen Schmuck und die Ausstattungs-Stücke des Kirchenraumes ergänzt zu werden braucht.

Die neue St. Georgen-Kirche.
Altar-Raum der St. Georgen-Kirche in Berlin
Die neue St. Georgen-Kirche.

Die der Beilage zugrunde liegende Aufnahme, bei der ganz ungewöhnliche Schwierigkeiten zu überwinden waren, ist von Hrn. H. Rückwardt gefertigt, während uns die Aufnahme des Altarraumes freundlichst von der Firma E. Wasmuth zur Verfügung gestellt worden ist. Die Ansichten des Aeusseren bat Hr, F, Kullrich aufgenommen.

Wie jene Darstellungen zeigen, ist das gesammte architektonische Gerüst des Innenbaues in zierlicher Backstein-Architektur durchgebildet; nur für die Konsolträger der vorspringenden Empore, sowie die Säulen des Altar-Vorbaues vor dem Orgelchor, deren Schäfte aus polirtem Syenit bestehen, ist Werkstein angewendet. Auch die friesartigen Streifen, durch welche die grösseren Wandfelder getheilt werden, sind mit Ziegelschichten eingefasst. Wo der Backstein, dessen Lederfarbe mit dem Aussenbau übereinstimmt, in grösseren Flächen auftritt – so namentlich an den breiten Pfeilern des Triumphbogens werden diese durch ein aus gemusterten Formsteinen hergestelltes zartes Relief belebt, während die Gliederungen zu demselben Zweck theilweise eine mit Farbe aufgetragene Dekoration in Gold und Schwarzbraun erhalten haben.

Der Architekt hat durch diese Belebung der Backstein-Architektur ein harmonischeres Zusammenstimmen der letzteren mit dem reichen Schmucke farbigen Glasmosaiks herbeiführen wollen, mit dem der Chor der Kirche ausgestattet ist. Und soweit hierbei lediglich die formale Haltung und der Maasstab des Ornaments infrage kommen, ist ihm dieser erste grössere Versuch einer Verbindung jener beiden so ungleichartigen Materialien auch in meisterlicher Weise geglückt. Weniger gelungen ist nach unserem persönlichen Empfinden die dabei erzielte farbige Wirkung; denn das Lederbraun des Backsteins und die grünlichen Töne, die in den Mosaiken überwiegen, stehen sich nach ihrem Farbenwerthe so nahe, dass die Haltung des Ganzen zwar nicht der Ruhe, wohl aber bis zu einem gewissen Grade der Kraft entbehrt. Ob sich bei einer anderen Farbenstellung der Mosaiken, insbesondere durch eine ausgedehntere Anwendung des in den alten Mosaiken so wirkungsvollen feierlichen Weiss für die Gewänder der Figuren, ein anderes Ergebniss hätte erzielen lassen, oder ob der satte Farbenton des Backsteins an sich überhaupt zu kräftig ist, als dass Mosaiken neben ihm zur Geltung kommen könnten, ist eine Frage, deren theoretische Erörterung wohl nur geringen Werth haben würde. Bei der heute in so erfreulicher Weise wieder erwachten Neigung, auch die protestantischen Kirchen mit reichem Schmuck auszustatten, ist nicht anzunehmen, dass der hier vorliegende erste Versuch auch der letzte seiner Art bleiben wird. Es dürften somit binnen kurzem genügende thatsächliche Unterlagen zur Beurtheilung jener Frage gewonnen werden.

Die Dekoration der Wandflächen des Schiffs, die in ihrer formalen Haltung natürlich den Mosaiken des Chors sich anschliesst und am reichsten an den schrägen Laibungen der Fensternischen und des Orgelchor-Bogens sich entfaltet, ist in einfacher Malerei – zum kleineren Theile mit Keim’schen, überwiegend in Kaséin-Farben – hergestellt. Von der bei früheren Otzen’schen Kirchenbauten fast durchweg angewendeten, an sich ungleich wirksameren Dekoration in Sgraffito-Malerei hat der Architekt infolge der üblen Erfahrungen, die er mit derselben gemacht hat, neuerdings Abstand nehmen müssen. Wenn nämlich die Herstellung des Sgraffito-Putzes nicht tadellos erfolgt ist, was sich leider nicht kontrolliren lässt, wird dieser durch die beträchtliche Feuchtigkeit, die sich an Kirchenwänden niederzuschlagen pflegt, binnen kurzer Zeit zerstört. – Ein Theil des Wandputzes ist zur Erzielung besserer Hörsamkeit als Stipputz hergestellt; der untere Theil der Wände hat ein Panneel erhalten, das im Altarraum durch Schnitzereien geziert und mit einem Gestühl in Verbindung gebracht ist. Ergänzt wird die Dekoration der Wände durch die Glasmalereien der Fenster, die im wesentlichen ornamental gehalten sind. – Der Fussboden des Chors und des Mittelganges ist mit echtem Stift-Mosaik, derjenige der Seitengänge mit bunten Fliesen belegt.

Von den Ausstattungs-Stücken sind Altar, Kanzel und Taufstein aus weissem politurfähigem Kalkstein hergestellt und in bescheidener Weise mit buntem Mosaik nach Art der Cosimaten-Arbeit verziert. Der Deckel des Taufsteins und sein Träger, sowie die vom Gewölbe niederhängenden Kronen für das elektrische Licht bestehen aus Messing und Schmiedeisen; der Schalldeckel der Kanzel, das Gerüst des Orgelprospekts und das Gestühl sind in Eichenholz gearbeitet.

Was den symbolischen Inhalt der im Kirchenraum befindlichen figürlichen Darstellungen plastischer und malerischer Art betrifft, so zeigt der Altar in seinem Mittel-Relief die Einsetzung des Abendmahls – umgeben von den 4 alttestamentlichen Opfertypen Abel, Isaak, Aron, Melchisedek; die beiden Engelgestalten am Fusse des krönenden Kruzifixes sollen die trauernde und die hoffende Christenheit darstellen, während das in Leder getriebene Antependium das Symbol des Pelikans enthält. An den Mittelpfeilern der Chorwände stehen unter Baldachinen die in Stein gearbeiteten plastischen Figuren des segnenden Christus und der 4 Evangelisten, umgeben von den Mosaikbildern der 12 Apostel; darüber sind in den Stichkappen des Chorgewölbes das Lamm und die Symbole der Evangelisten, im Schlusstein das Auge Gottes enthalten. Die schräge Laibung des Triumphbogens, an welchem unten die plastischen Figuren von Moses und Johannes d. T. stehen, zeigt die Bilder der grossen Propheten sowie zwei Darstellungen der höchsten sittlichen Mächte des Christenthums, des Glaubens und der Liebe, in den biblischen Erzählungen von der begnadigten Sünderin und dem barmherzigen Samariter. Im Fussboden des Chores sind in mittelalterlicher Auffassung die Welt, die 4 Elemente und das Himmelsgewölbe abgebildet. Die Kanzel ist mit einem Relief der Bergpredigt, die schräge Laibung des Orgelchor-Bogens mit den Bildern der hlg. Cäcilia und Davids sowie einem Friese musizirender Engel geschmückt. In den Fenstern des Schiffes sind neben ornamentalen Motiven, die – wie am ganzen Bau – überwiegend der nordischen Pflanzenwelt entlehnt sind, die Symbole der Taube, des Löwen, des Adlers, des Hahns, des Pelikans und des Hirsches verwerthet.

In konstruktiver Beziehung ist zunächst hervor zu heben, dass es durch eine sorgfältige Bemessung der Sohlenflächen des Mauerwerkes gelungen ist, trotz der gewaltigen Höhen- und Belastungs-Unterschiede doch eine so gleichmässige Inanspruchnahme des Baugrundes (bei grossen Flächen mit rd. 2 kg, bei kleinen mit rd. 2,5 kg für 1 qcm) zu erzielen, dass sich nirgends der geringste Riss gezeigt hat. Die höchsten Beanspruchungen des Mauerwerks selbst stellen sich in den Thurmpfeilern auf 10,5 kg, in den südlichen Strebepfeilern auf 11,2 kg für 1 qcm. Sehr bemerkenswerth ist die u. W. hier zum ersten Male ausgeführte Konstruktion des Thurmhelms aus einem mit Sandstein bekleideten Stahlgerüst. Indem die am unteren Ende mit einem Ausschnitt versehenen Sandsteinplatten sich mittels desselben auf dachlattenartig angeordnete Winkeleisen stützen, greifen sie entsprechend der Tiefe des Ausschnitts über die vorausgehende Schicht hinweg; die Dichtung der Stossfugen erfolgte durch Vergiessung eines in die beiderseitige Nuth zweier Nachbarplatten eingreifenden Kupferstreifens. Luftöffnungen sorgen dafür, dass im Inneren des Helms nicht zu viel Wasser sich niederschlagen kann. – Der interessanten Vorrichtung zum Bewegen des aus Gusstahl hergestellten Glocken-Geläutes durch elektrische Triebkraft ist bereits gedacht worden. – Die Erwärmung der Kirche erfolgt durch eine Mitteldruck-Hochwasser-Heizung, deren Röhren unter den Fussbrettern der Bänke liegen. – Zur Beleuchtung dient durchweg elektrisches Licht, dessen Leuchtkörper grossentheils ornamental der Brüstung der Emporen eingefügt sind.

Die Gesammtbaukosten haben auf rd. 778 000 M. sich gestellt. Davon sind für den eigentlichen Bau und die Bauleitung rd. 633 800 M. verwendet worden. Die gesammte Dekoration des Inneren einschl. der Kartons für die Mosaiken, aber ausschl. dieser selbst und der Glasmalereien, welche 27 600 M. bezw. 12 000 M. erfordert haben, ist auf 17 300 M. zu stehen gekommen. Die Orgel, ein Werk von 45 Stimmen mit elektrichem Betriebe, hat einschl. des Prospektes rd. 31 000 M., der Altar einschl. der Mosaiken und Modelle rd. 17 000 M., die Kanzel 8000 M., der Schalldeckel 2800 M., der Taufstein mit Deckel 2500 M. gekostet. Für das Gusstahl-Geläut, dessen voller und mächtiger Ton das gegen Glocken aus diesem Metall noch immer bestehende Vorurtheil glänzend widerlegt, sind rd. 26 000 M. verausgabt worden; auf die Einrichtung des elektrischen Betriebes, durch den die Kosten des Läutens mit allen 3 Glocken auf etwa 1,50 M. für die Stunde ermässigt worden sind, entfallen davon 5500 M.

Die neue St. Georgen-Kirche. Photographische Aufnahme von H. Rückward-Berlin

Zum Schluss seien noch die Namen der Künstler und Unternehmer erwähnt, welche in hervorragender Weise an dem Werk betheiligt waren.

Der Ausführung des Baues stand unter der Oberleitung von Hrn. Otzen dessen langjähriger künstlerischer Mitarbeiter, Architekt A. E. Fritsche vor. Die Maurerarbeiten waren an Otto Lindner, die Haustein-Arbeiten an L. Niggl in Breslau-Berlin, die Zimmer-Arbeiten an W. Küster, die Dachdecker- und Klempner-Arbeiten an Puppel & Schulz übertragen. Die Siegersdorfer Werke A.-G. haben das Verblendstein-Material, Philipp Holzmann &Co. in Frankfurt a. M. Altar, Kanzel und Taufstein, Gebr. Dinse das Orgelwerk, der Bochumer Verein für Bergbau und Gusstahlfabrikation das Geläut und Gust. Richter das Uhrwerk geliefert. Durch Eduard Schulz in Potsdam sind der Schalldeckel der Kanzel und der Orgelprospekt, durch F. P. Krüger die geschmiedeten Hauptthüren und die Beleuchtungskörper durch Puhl & Wagner in Rixdorf die Mosaiken des Chors, durch W. Wiegmann diejenigen am Triumphbogen, sowie an Altar, Kanzel und Taufstein, durch Dusberger & Hartung (Firma Wilh. Franke) in Naumburg die Glasmalereien der Fenster, durch die A.-G. vorm. Schäffer & Walcker die Heizanlagenen hergestellt. Maler Otto Berg endlich, dem die Malerarbeiten anvertraut waren, hat zugleich die Cartons zu sämmtlichen figürlichen und ornamentalen Dekorationen entworfen, Bildhauer Haverkamp in Friedenau sämmtliche Skulpturen des Inneren und Aeusseren (an letzterem insbesondere auch den St. Georg am Giebel der Westfront und den Christus in der Vorhalle) modellirt bezw. in Stein ausgeführt.

Sie alle können mit nicht geringerer Befriedigung auf das unter ihrer Mitwirkung vollbrachte Werk zurückblicken, als der Schöpfer desselben. Hat der letztere auch vielleicht nicht überall das künstlerische Ziel erreicht, das er sich selbst gesteckt hatte, so hat er doch um so glänzender erwiesen, wie unermüdlich er bestrebt ist, neue Bahnen einzuschlagen und über das früher Erreichte hinaus zu gelangen. Und was wollen einem solchen ehrlichen und begeisterten Streben gegenüber die kleinen Einwendungen besagen, die man wider das Ergebniss eines erstmaligen Versuches erheben kann?

Dieser Artikel erschien zuerst am 08. & 15.10.1898 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „F.“.