Berliner Neubauten 94 – Das Geschäftshaus für die Berlinische Lebens-Versicherungs-Gesellschaft, Markgrafenstr. 11 u. 12

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Architekten: Solf & Wichards in Berlin.

Im Laufe der verflossenen beiden Jahre ist im südlichen Theile der Markgrafen-Strasse in Berlin nach den Entwürfen der Architekten Solf & Wichards ein Bauwerk entstanden, welches in mehr als einer Beziehung unter den neueren Bauten Berlins verdient hervorgehoben zu werden.

Es ist kein sogenanntes modernes Gebäude und doch ist es eine frische Bereicherung des etwas einförmigen südlichen Theiles jener Strasse; es ist in dem, wie die grössten, lediglich an der Schablone der Antike gebildeten Geister gesagt haben, der monumentalen Wirkung entbehrenden Stile der deutschen Renaissance gehalten und doch wirkt das Werk wie ein stattlicher Monumentalbau in der Alltagserscheinung des Strassenbildes; es ist lediglich ein Geschäftshaus und doch ist es den Architekten gelungen, bei voller Befriedigung des materiellen Bedürfnisses das profan Geschäftliche soweit zu unterdrücken, dass das Bauwerk aus der nüchternen Bestimmung des Nutzbaues zur Höhe des monumentalen Kunstbaues erhoben wurde, ohne dass der am Aeusseren zum Ausdruck kommenden inneren Anlage in ihrem organischen Gefüge Gewalt angethan wäre. Ein solches Werk, das nicht modern ist, ja sogar in einem nach der heutigen Anschauung der Dinge vielfach verpönten Stile gehalten ist, ein Werk, das der schaumgleichen Litteratenbegeisterung für die stilistischen Errungenschaften der jüngsten Zeit gegenüber seine Bedeutung behauptet und nicht übersehen wird, ein solches Werk verdient es wohl, dass man sich einen Augenblick mit ihm beschäftigt und es aus der seichten Fluth der Alltagserzeugnisse oder aus dem wild daherschiessenden Strome der verwegenen und überzeugungslosen Sensations-Architektur heraushebt, um sich über das Rechenschaft abzulegen, was das Verdienst des Werkes bedeutet. Und dieses Verdienst ist ebenso einfach wie selten: es ist die schlichte Ueberzeugung, der einfache Glaube an sich selbst, das aufrichtige Wiederspiegeln der wahren, inneren Empfindung, die aus dem Werke sprechen und uns zwingen, ihm die Sympathie zuzuwenden.

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Den Auftrag zur Ausführung des Gebäudes erkämpften die Architekten in einem engeren Wettbewerb. Das zur Verfügung stehende Gelände kam durch seine schiefwinklige Lage zur Strassenflucht den Absichten der Architekten nicht sehr entgegen, gleichwohl ist anzuerkennen, dass die Anlage der Räume und ihre Gruppirung um einen geräumigen, inneren Hof so erfolgt ist, dass die schiefwinkligen Verschneidungen in der Hauptsache in den Nebenräumen ausgeglichen werden konnten. Das Gebäude erhebt sich in Unter-, Erd-, zwei Obergeschossen und einem Dachgeschoss zu mässiger Höhe, sodass es bei einer stattlichen Frontentwicklung von rd. 40 m die Ruhe breiter Lagerung nicht verloren hat. Das Untergeschoss, in dem zur Linken der Haupteingang, in der Höhe durch das hohe Erdgeschoss reıchend, liegt und welches in der Mitte eine Durchfahrt zu Hof und Garten besitzt, liegen Wohnungen für den Pförtner, für den Heizer und für Unterbeamte, ein Geschäftsraum für Policen, der zweigeschossige Tresor, sowie Pack- und Lagerräume.

Berliner Neubauten 94 - Das Geschäftshaus für die Berlinische Lebens-Versicherungs-Gesellschaft, Markgrafenstr. 11 u. 12
Berliner Neubauten 94 – Das Geschäftshaus für die Berlinische Lebens-Versicherungs-Gesellschaft, Markgrafenstr. 11 u. 12

Das hohe Erdgeschoss enthält neben der geräumigen Vorhalle und dem gleichfalls geräumigen Haupt-Treppenhause nach der Strasse zu die Hypotheken-Abtheilung, Räume für die Korrespondenz und die Buchhaltung, nach rückwärts die mit dem Tresor im Untergeschoss verbundene Kasse, weitere Räume für die Buchhaltung, Räume für die General-Agentur der brandenburgischen Versicherung, sowie gegen den Garten eine Reihe von Räumen vorläufig ohne Zweckbestimmung. Kleiderablagen, ein Waschraum, Klosets und andere Nebenräume, sowie vier Nebentreppen vervollständigen die Gruppe der Geschäftsräume dieses Geschosses. Im ersten Obergeschoss liegen gegen die Strasse der Sitzungssaal, die Direktionsräume, sowie die Inspektionsräume; gegen den Hof Korrespondenzräume, Räume für die Berliner Generalagentur der Gesellschaft und die umfangreiche Registratur. Auch hier wieder Kleiderablagen und die sonstigen Nebenräume. Die Hälfte des zweiten Obergeschosses und einen Theil des Dachgeschosses nimmt die Wohnung für den Direktor ein, im übrigen Theil des Dachgeschosses sind Wohnungen für Unterbeamte angelegt. Die Geschosshöhen wechseln zwischen 3 u. 5 m von Oberkante zu Oberkante Fussboden; das geringste Höhenmaass haben die Dachgeschoss-Wohnungen, das grösste die Räume des ersten Obergeschosses.

Das Geschäftshaus für die Berlinische Lebens-Versicherungs-Gesellschaft in Berlin. Architekten Solf u. Wichards in Berlin
Das Geschäftshaus für die Berlinische Lebens-Versicherungs-Gesellschaft in Berlin. Architekten Solf u. Wichards in Berlin

Die in den Formen einer maassvollen deutschen Renaissance mit feiner Abwägung der Massen, des ornamentalen Schmuckes und der Umrisslinie der Giebel gehaltene Vorderfassade ist in graugelbem Wünschelburger Sandstein erstellt; die Hoffassaden sind in den architektonischen Gliederungen aus Warthauer Sandstein gebildet und in den Flächen mit weissen Siegersdorfer Glasurziegeln verblendet. Ueber die gesammte Haltung des Aeusseren giebt unser perspektivisches Bild eine ausreichende Vorstellung.

Das gesammte Innere ist feuersicher konstruirt worden; die Decken sind in Kleine’scher Art erstellt, die Fussböden zum grössten Theil mit Gipsestrich und mit Delmenhorster Linoleum belegt. Die Repräsentationsräume der Geschäftsabtheilung wie der Direktorialwohnung haben Parkettbelag erhalten. Die Geschäftsräume sind hell und geräumig, ihre architektonische Durchbildung schlicht, aber dauerhaft. Allenthalben zeigtsich das Bestreben möglichster Ausscheidung aller Kunststoffe und Verwendung nur echten Materials.

Eine etwas weitergehende Ausstattung haben die Vorhalle, Sitzungssaal und Direktorzimmer, sowie die vornehmeren Räume der Direktorialwohnung erhalten Das Haus besitzt eine Warmwasserheizung, eine elektrische Entlüftungs-Anlage, Bade-Einrichtungen, eine Fernsprech-Anlage und eine elektrische Signal-Anlage.

Die örtliche Bauleitung war Hrn. Architekten H Seidel übertragen, der sie in gewissenhafter und umsichtiger Weise ausübte.

An der Ausführung des stattlichen Bauwerkes waren durch umfangreichere Arbeits- und Kunstleistungen betheiligt die Aktien-Gesellschaft für Bauausführungen, welche sämmtliche Rohbauarbeiten sowie auch einen Theil der Tischlerarbeiten übernommen hatte. Die Steinmetzarbeiten sowie die Lieferung des ausgezeichneten Steinmateriales hatte Hof-Steinmetzmstr. C. Schilling; die Modelle der Bildhauerarbeiten der Fassaden sind unter dem kunstgeübten Holze des Hrn. G. Riegelmann entstanden. Denselben Ursprung haben die Stuckarbeiten und die Holzschnitzereien des Inneren. Die Marmorarbeiten waren den Saalburger Marmorwerken, die Tischlerarbeiten, soweit nicht schon genannt, den Firmen G. & H. Schütze und Lubnitz & Reese übertragen. Die Zentralheizung richtete Joh. Haag ein; die Malerarbeiten führte G. Vorsheim aus. Die Baukosten betrugen, auf die kubische Einheit bezogen, 25 M. und für die Flächeneinheit der bebauten Grundfläche 530 M.

Wer einst die Baugeschichte Berlins der Vergangenheit schreibt, wird an dieser reifen Schöpfung deutscher Bauweise umso weniger vorübergehen dürfen, als sie in einer Zeit undeutscher Nachahmung des Auslandes ein erfreuliches Bekenntniss deutscher Gesinnung und nationaler Empfindung bedeutet. –

Dieser Artikel erschien zuerst am 07.04.1900 in der Deutsche Bauzeitung, er war gekennzeichnet mit „-H.-“.