Bilder aus dem Berliner Thiergarten

Beitragsbild

Westlich vom Brandenburger Thor in Berlin dehnt sich zwischen der Unterspree und der äußeren Friedrichstadt der etwa dreiviertel Stunden lange und eine Viertelstunde breite Thiergarten in einer Größe von 255 Hektar aus. Was für die Wiener der Prater und für die Pariser das Bois de Boulogne, das ist der Thiergarten für die Berliner, deren einzigen Erholungsort er lange Zeit hindurch bildete.

Viele der alten Vergnügungslokale aus dem Ende des vorigen und dem Anfang unseres Jahrhunderts sind aber jetzt verschwunden, und an ihre Stelle sind schöne Villenbauten getreten, die fast den ganzen großen Park auf allen Seiten umsäumen. Vom Brandenburger Thor aus führt schnurgerade die 20 Meter breite, von Fuß- und Reitwegen eingefaßte, auch Nachts erleuchtete Chaussee nach dem benachbarten Charlottenburg mitten durch den Berliner Thiergarten, diesen in zwei Hälften theilend. In dem nördlichen Theile kommen wir zunächst zu der die Charlottenburger Chaussee fast rechtwinkelig schneidenden Siegesallee, von der Skizze 8 unseres Bildes eine Ansicht gibt. Diese Allee wurde erst 1870 in ihrer heutigen Breite hergestellt. Sie mündet auf den Königsplatz, in dessen Mitte das von Strack entworfene, 1878 eingeweihte Siegesdenkmal 61,5 Meter emporragt.

Dies ist ein historischer Text, welcher nicht geändert wurde, um seine Authentizität nicht zu gefährden. Bitte beachten Sie, dass z. B. technische, wissenschaftliche oder juristische Aussagen überholt sein können. Farbige Bilder sind i. d. R. Beispielbilder oder nachcolorierte Bilder, welche ursprünglich in schwarz/weiß vorlagen. Bei diesen Bildern kann nicht von einer historisch korrekten Farbechtheit ausgegangen werden. Darüber hinaus gibt der Artikel die Sprache seiner Zeit wieder, unabhängig davon, ob diese heute als politisch oder inhaltlich korrekt eingestuft würde. Lokalgeschichte.de gibt die Texte (zu denen i. d. R. auch die Bildunterschriften gehören) unverändert wieder. Das bedeutet jedoch nicht, dass die darin erklärten Aussagen oder Ausdruckweisen von Lokalgeschichte.de inhaltlich geteilt werden.

In der Siegesallee entwickelt sich an schönen Frühlings und Sommernachmittagen ein glänzender Korso, im Winter ein Schlittenkorso, dem auf beiden Seiten zahlreiche Spaziergänger zuschauen. Auf der Ostseite des Königsplatzes ist seit dem Frühjahr 1884 das neue Reichstagsgebäude nach dem Entwurf von Paul Wallot in Ausführung begriffen. Hinter dem westlich am Königsplatz gelegenen Kroll’schen Etablissement befinden an der Spree die Restaurationslokale der „Zelte“ (Skizze 6), welche schon im vorigen Jahrhundert eine Rolle spielten. Neuerdings haben sie ein verändertes durch den Neubau des Kronprinzenzeltes Nro. 1 erhalten, dessen schöne Renaissancefassade der Gegend zu besonderer Zierde gereicht. Noch weiter nach Westen zu liegt ebenfalls an der Spree das königliche Schloß Bellevue (Skizze 5), das gegenwärtig keine ständigen fürstlichen Bewohner mehr hat, sondern nur, wenn bei der Vermählung eines Prinzen des königlichen Hauses eine fremde Prinzessin in die Hauptstadt einzieht, dieser vor dem feierlichen Einzug als Absteigequartier dient. So haben auch die drei deutschen Kaiserinnen Augusta, Viktoria und Augusta Viktoria von dort aus als Kronprinzessinnen Berlin zuerst betreten. Kürzlich war auch der Schah bei seinem Besuche in Berlin darin untergebracht. –

Bilder aus dem Berliner Thiergarten
Bilder aus dem Berliner Thiergarten. Nach Originalskizzen von E. Hosang. 1. Der Neue See. 2. Eingang zum Zoologischen Garten. 3. Der Floraplatz. 4. Am Goldfischteich. 5. Schloß Bellevue. 6. An den Zelten. 7. Die Löwenbrücke. 8. Siegesallee mit der Siegessäule. 9. Denkmal Friedrich Wilhelm’s III. 10. Die Rousseau-Insel im Winter. 11. Der Große Stern an der Charlottenburger Chaussee.

Im südlichen Theile des Thiergartens liegt an der Charlottenburger Chaussee, dicht hinter der Siegesallee, der Goldfischteich (Skizze 4), ein beliebter Ort für die Jugend, der das Füttern der zahlreichen Goldfische stets großes Vergnügen bereitet. Unfern davon strömt uns herrlicher Duft von dem Floraplatz (Skizze 3) entgegen, dessen prächtiger Flor in der schönen Jahreszeit alle Blumenfreunde herbeilockt. Um den Platz zieht sich ein Reitweg, wo elegante Damen und Herren ihre Rosse tümmeln; in der Mitte erhebt sich eine Statue der Flora, die hier mitten unter ihren Schützlingen steht. Wenn wir nach der Thiergartenstrasse hinüberschauen, so gewahren wir durch das Laub der Bäume das Marmordenkmal König Friedrich Wilhelm’s III. (Skizze 9), ein Meisterwerk Drakes. Unfern davon erhebt sich das schöne Marmordenkmal der unvergeßlichen Königin Luise von E. Encke. Beide Denkmäler sind von schönen Blumenparterres umgeben, und an den Geburtstagen der Verewigten sie jedes mal noch besonderen gärtnerischen Schmuck. Am schönsten ist der westliche Theil des Thiergartens, der sogenannte Seepark, und die Gegend der Rousseau-Insel (Skizze 10), wo sich im Winter die beliebtesten Eisbahnen befinden. Zwischen zwei und vier Uhr Nachmittags konzertirt dort immer eine Militärkapelle, sobald die Eisbahn eröffnet ist, und das elegante Berlin;, besonders viele Offiziere, zeigt hier seine Kunstfertigkeit im Schlittschuhlaufen.

Der Charlottenburger Chaussee uns wieder zuwendend, kommen wir zum Großen Stern (Skizze 11), wo mehrere der großen, den Thiergarten durchschneidenden Alleen sich kreuzen. Die regelrecht beschnittenen Taxuswände, die den Platz umgeben, erinnern an die Zopfzeit, in der er entstanden ist. Nach links abbiegend, bringt uns die Pferdebahn rasch zu dem vor dem Südwestende des Thiergartens gelegenen Zoologischen Garten (Skizze 2), dessen Eingang an den 25 Pfennig-Sonntagen besonders dicht umlagert ist.

Wir aber treten diesmal nicht ein, sondern wenden uns abermals dem vorhin schon erwähnten, zuletzt angelegten Theile des Thiergartens, dem Seepark, zu. Ueber die von vier grimmen Leuen getragene Löwenbrücke (Skizze 7), die von verliebten Pärchen mit Vorliebe als leicht zu findender Ort für ein Stelldichein gewählt wird, führt uns der Weg zu den Ufern des Neuen See’s (Skizze 1). Sein Spiegel wird durch Schwäne und zahlreiche kleine Boote belebt, in denen die Berliner und Berlinerinnen dem beliebten Rudersport huldigen. Nicht weit davon pfeift die Stadtbahn; wir steigen auf der Station „Thiergarten“ in dieselbe ein, und in einer Viertelstunde sind wir wieder in der Friedrichstraße, wo uns statt der idyllischen Ruhe der schönen Natur der tausendstimmige Lärm, das rastlose Hasten und Treiben der Weltstadt umgibt.

Dieser Artikel erschien zuerst in Heft 7/1890 des Das Buch für Alle.