Der Stand der Arbeiten an der Eisenbahnbrücke bei Müngsten

Zur Verbindung der beiden benachbarten Bergstädte Solingen und Remscheid, welche bis jetzt nur auf einem grossen Umweg ihren regen Geschäftsverkehr vermitteln konnten, wird gegenwärtig eine 2-gleisige Eisenbahnbrücke rd. 107 m hoch über das trennende Wupperthal gebaut.

Das letztere ist tief und steil in den Lenneschiefer eingeschnitten. In der Thalsohle ist derselbe 7-8m hoch von den Alluvionen des Flusses bedeckt, während die Thalhänge – der westliche steigt mit etwa 1:2, der östliche mit 1:3 an – unter einer nur dünnen Humus- und Verwitterungsschicht einen vorzüglichen Felsgrund aufweisen. Diese von der Natur gegebenen Verhältnisse und die landschaftliche Schönheit des Thales führten zur Wahl einer (annähernd nach einer hochgestellten Parabel verlaufenden) Bogenbrücke, an welche sich beiderseitig. wo die kolossale Höhe den Pfeilerbau nicht mehr unrationell und gefährlich macht, Gerüstbrücken anschliessen.

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Das ganze Bauwerk hat eine Länge von rd. 465 m, davon entfallen auf die Spannweite des Bogens 160 m, auf die 6 Pfeiler je 15 m, auf die sie verbindenden Parallelträger, vom Bogen aus gerechnet westlich 45 + 30 + 30 m, östlich 45 + 45 + 30 m (vergl. Abbildg. 1).

Abbildungen 1-3

Die Tragwände des Bogens und die Längswände der Pfeiler sind zur sicheren Aufnahme der lothrecht zur Brückenlängsaxe gerichteten Kräfte mit 1:7 gegeneinander geneigt. Der wagrechte Abstand der Bogengurtungen im Scheitel bezw. die Breite der Pfeilerköpfe entspricht dem Axabstand der senkrechten stehenden Parallelträger von 5 m. Durch die Neigung wächst er beispielsweise für den Kämpfer auf rd. 25 m. Trotzdem war für die festen Flächenlager daselbst noch eine starke Verankerung in wagrechtem und senkrechtem Sinne nöthig (Abbildg. 4), um die in der unteren Bogenlaibung herabgeführten Wind- und Bremskräfte aufzunehmen. Auch die festen Lager der Pfeilerfüsse sind je durch einen mitten hindurchgehenden Rundeisenanker mit dem Fundamentmauerwerk verbunden.

Abbildung 4 und 5

Der fest eingespannte 3fach statisch unbestimmte Bogen wurde dem Sichelbogen mit Kämpfergelenken, mit Rücksicht auf die leichte Montage und Materialersparniss, vorgezogen, zumal an der Unverrückbarkeit der Widerlager nicht zu zweifeln war. Dort sind die Gurtungen über 12 m auseinander gezogen und einzeln fest gelagert und verankert, ohne jede Quer- und Längsverbindung der 4 Auflager jedes Kämpfers, welche eine Vermehrung der Seitenkräfte durch Wärmeausdehnung veranlassen könnte. Ein Prinzip, welches auch für die Pfeilerfüsse durchgeführt ist. Im Scheitel des Bogens sind die Gurtungen bis auf 4 m zusammengeführt. Das verbindende Fachwerk besteht aus Vertikalen und im Sinne der bezüglichen Thalhänge geneigten Diagonalen.

Die 6 m hohen Parallelträger werden auf dem Bogen durch Pendeljoche abgestützt; auf den Rändern der Gerüstpfeiler ruhen sie mittels Rollen-Kipplager auf. Die oberen kastenförmigen Gurte der Parallelträger, mit dem dazwischen liegenden kräftigen Querverband, nehmen die Bremskräfte auf. Sie sind am Bogenscheitel und an den beiden äussersten (niedrigsten) Pfeilern befestigt und nur über den Bogenkämpfern durchschnitten. Damit sie nicht als kontinuirliche Träger wirken, ist ihr Querschnitt in der Nähe der Auflager in wagrecht liegende Flacheisen aufgelöst und ihre Absteifung über den Pfeilermitten durch eine pendelnde Konstruktion bewirkt. Zwischen den Untergurten liegt ein leichterer Querverband, über den Auflagern Querrahmen.

Abbildg. 6 – Gesammtansicht von Süden

Die Fahrbahnkonstruktion besteht aus Quer- und je 4 dazwischen gespannten Längsträgern, auf deren Untergurten die dicht liegenden Schwellen ruhen, während die Obergurte einem mittleren und 2 seitlich ausgekragten Riffelblech-Stegen (für das Bahnpersonal) zur Unterstützung dienen. Bei 8,5 m Fahrbahnbreite zwischen den Geländern und 3,5 m Gleisentfernung bleibt Platz genug, einem vorüberfahrenden Zug auszuweichen. Die Fahrbahnkonstruktion liegt vollständig unabhängig von den Parallelträgern auf den Obergurten der letztern. Die Last wird durch flache Auflagerplatten in den Knotenpunkten übertragen, die Befestigung erfolgt durch je 4 alle 3 Konstruktionstheile durchdringende Schraubbolzen. Diese Anordnung hat den Vorzug, dass die völlig für sich gegeneinander ausgesteiften Parallelträger, die vorgekragt zur Montage des Bogens dienen, während derselben nicht unnöthig belastet werden. Die oben erwähnte Durchschneidung der Obergurte der Parallelträger wird selbstverständlich während der Montage durch eine provisorische Verbindung aufgehoben. Sämmtliche Konstruktionen der Brücke sind steif durchgeführt.

Der Entwurf der Brücke rührt von der Nürnberger Maschinenbau-Aktien-Gesellschaft, Filiale Gustavsburg, her, welcher auch seitens der Eisenbahndirektion Elberfeld die Ausführung übertragen ist. Dieselbe hat sich auf der Höhe des westlichen Hanges, bis zu welchem von Solingen aus Normalspur-Gleis verlegt ist, einen Lager- und Montageplatz eingerichtet. Hier haben die Baubüreaus und die elektrische Zentralanlage Platz gefunden. Die letztere enthält 2 stehende Dampfmaschinen, welche in 2 entsprechenden Primärdynamos für Gleichstrom ungefähr 70 Pferdekräfte zu erzeugen vermögen.

Abbildg. 7 – Ansicht der Brücke vom östl. Thalhang des Wupperthals

Die angekommenen Eisentheile werden mittels Portalkrahne entladen und, soweit sie für die westliche (Solinger) Seite bestimmt sind, in gleicher Höhe, in dem Maasse, wie die Brücke vorgebaut ist, von oben an ihren Bestimmungsort gebracht.

Ausserdem bestreicht ein Schmalspurgleis dicht an der südlichen Seite parallel der Brückenaxe den Hang hinunter, auf einer breiten Hilfsbrücke in Kämpferhöhe (rd. 30 m über Mittelwasser der Wupper) über das Thal, und auf der anderen Seite wieder hinaufgeführt, die ganze Brückenlänge. Die Hilfsbrücke hat theilweise schon bei der Montage der von derselben Firma erbauten Grünenthaler Brücke über den Kaiser Wilhelm-Kanal gedient.

An jedem Ende steht ein Maschinenhäuschen, welches eine Dynamomaschine und eine mächtige liegende Windetrommel mit starkem Drahtseil enthält. Das Hinabfahren der mit Drehgestellen versehenen Wagen wird durch eine Backenbremse regulirt. Die Bremsscheibe dehnte sich dabei so sehr durch die Erwärmung aus, dass die Speichen brachen. Jetzt hat man ein Rad mit äusserem und innerem Kranz verwendet. Der äussere, auf welchen die Backen wirken, ist an 8 oder 10 Stellen durchschnitten und kann sich beliebig dehnen (Abbildg. 5). Beim Aufziehen der Wagen tritt die Dynamomaschine in Thätigkeit. Die Geschwindigkeit beträgt etwa ½ m/Sek. und ein Zeiger giebt dem Wärter den Ort des Wagens an. Ausserdem dienen noch Glockensignale dazu, die genaue Einstellung zu veranlassen. Das endgiltige Versetzen der Konstruktionstheile erfolgt durch 2 elektrische Drehkrahne (für jede Brückenseite einer) von 8-9 t Tragfähigkeit.

Was die Art der Montage betrifft, so sind die Pfeiler der Hilfsbrücke (einige aus Holz, einige aus Eisen) ohne Gerüste erbaut, die Träger dazwischen aufgezogen. Der am westlichen Ufer der Wupper hinführende viel begangene Weg ist durch ein Wellblechdach unterhalb der Brücke geschützt, welches schon manchen herabsausenden Hammer aufgefangen hat.

Die Gerüstpfeiler der Brücke haben hölzerne Kerngerüste erhalten, die für die beiden Endpfeiler gleich zu voller Höhe emporgeführt und dann mit den Eisenpfeilern umbaut wurden. Für die anderen Pfeiler – der Kämpferpfeiler hat 70 m Höhe – war dies wegen des Winddrucks nicht räthlich. Das Kerngerüst eilte daher der umhüllenden Eisenkonstruktion nur um einige Geschosse voraus. Ueber dasselbe wurden Träger von dreieckigem Querschnitt gestreckt, welche hauptsächlich als Ausleger für die in einer tieferen Etage aufgestellten elektrischen Winden dienten (Abbildg. 3). Die Dreiecksträger mussten daher, ausser bei den Endpfeilern, bei jeder Erhöhung abgebrochen und auf der obersten Etage wieder zusammengesetzt werden. An den so aufgestellten Pfeilern wurden Konsolen ausgebaut und zwischen ihnen die in der Tiefe zusammengesetzten Hilfsgerüste für die Montage der Parallelträger emporgezogen.

Der schwierigste Theil der Arbeit, der sich jetzt vollzieht, ist natürlich der Vorbau des Bogens von den vorgekrägten Parallelträgern aus. Zur Verankerung der vor Schluss des Bogens entstehenden Konsolen ist die obere Gurtung der Parallelträger benutzt, welche später die Bremskräfte aufnehmen wird und ferner die dem gleichen Zwecke dienenden Endpfeiler, welche zwischen ihren senkrechten Wänden noch einen starken bis zum Obergurt des Parallelträgers reichenden Bock einschliessen (Abbildg. 8). An der Spitze desselben greifen 4 je 90 mm starke Drahtseile an, welche in 25 m tief in den Fels eingearbeiteten Tunneln verankert wurden. Soweit die Seile zwischen den Gurten der Parallelträger liegen. sind hydraulische Pressen in sie eingeschaltet, welche sie – mit kleiner Handpumpe betrieben – in Spannung zu setzen vermögen. Aehnliche Spannseile werden über dem Kämpferpfeiler vom Obergurt des Parallelträgers nach der Stelle des Bogenobergurts herunterführen, wo das erste Pendeljoch sich aufsetzt. Die Endpfeiler sind durch hydraulische Winden, welche zwischen den Auflagequadern und provisorisch angenieteten Konsolen angesetzt wurden in eine solche Lage gebracht, dass ihre beiden hinteren Füsse in der Luft schweben und die thalseitigen, durch zylindrische Lagerplatten von 5 cm Stärke unterstützt, den ganzen Druck aufnehmen. Für diesen Zustand sind die Füsse provisorisch gegeneinander abgespreizt. Das ganze Pfeilergewicht dreht nun um letzteren Punkt im entgegengesetzten Sinne, wie die vorgekragten Theile. Ausserdem wird dadurch erreicht, dass die provisorische Konstruktion nur 2fach statisch unbestimmt wird.

Die ganze Spannvorrichtung ist noch nicht in Wirksamkeit getreten. Rechnungsmässig wird dies geschehen und sich durch das Abheben der hinteren Pfeilerfüsse erkennen lassen, sobald der Bogen bis zum ersten Pendeljoch vorgekragt ist. was binnen kurzem zu erwarten ist. An jeder Untergurtung sind in diesen Tagen auf daselbst angebrachten Schienen fliegende eiserne Gerüste – gewissermaassen Vorschieblinge (Abbildg. 2), welche durch eine Laufbrücke verbunden sind – durch über Rollen geleitete Windeseile unterstützt, von dem elektrischen Krahn hochgezogen. Sie dienen den vorzubauenden Eisentheilen zur Unterstützung, bis dieselben in der richtigen Lage befestigt sind, und gleichzeitig als Arbeitsbühnen.

Abbildg. 8 – Oestl. Pfeiler (die bergseit. Füsse sind angehoben)

Die Nietung erfolgt durchweg von Hand. Das Eisengewicht hat sich gegen den Anschlag – 4300 t – hauptsächlich durch die Verstärkung der Verankerungen und Bogengurtungen auf rd. 5000 t vermehrt. Es kommt Thomasflusseisen zur Verwendung, nur die Bleche sind aus Martineisen.

Auch der Mauerwerksinhalt ist von den anschlagsmässigen 10 000 cbm auf rd. 12-13 000 cbm vermehrt worden. Die Widerlager allein enthalten je etwa 2000 cbm Bruchsteinmauerwerk.

Die Verblendung erfolgte mit Ruhrkohlensandstein von hellgrauer Farbe, während Gesimse usw. aus röthlichem Eifelsandstein hergestellt sind. Auf unserem Ansichtsbilde bemerkt man rechts, neben dem in die Wupper gebauten hölzernen Hilfsbrückenpfeiler, ein Häuschen, welches einen Elektromotor und eine Pumpe enthält. Aus 2 Brunnen im Fluss wurde das Wasser für die Maurerarbeiten und die Kesselspeisung in eiserner Leitung und mit etwa 60 Atm. Druck an seinen Bestimmungsort befördert,

Man hofft die Brücke im Frühjahr 1897 dem Betriebe zu übergeben. Unsere Bilder zeigen den Zustand der Brücke am 8. Oktober 1896 in:

Abbildg. 6 der Ansicht der Brücke von Süden,
Abbildg. 7 der Ansicht der Brücke vom Osthang und
Abbildg. 8 dem östlichen Pfeiler, welcher die Windkräfte für das zugehörige Drittel in der Längsrichtung aufnimmt.

Dieser Artikel erschien zuerst am 25.11.1896 in der Deutsche Bauzeitung.