Der Königin Olga-Bau in Stuttgart

Architekten: Lambert & Stahl.Im Jahre 1892 lief der schöne Stuttgarter Schlossplatz Gefahr, durch die Herstellung eines Spekulationsbaues etwas von seinem aristokratischen Charakter zu verlieren.

Das dem Krongut gehörige Gelände des sogenannten Café Bechtel an der Nordseite des Platzes, zwischen Hoftheater und Königsstrasse, war schon in den Besitz eines Bauunternehmers übergegangen. Es war vorauszusehen, dass letzter einen schönen Bau herstellen lassen würde, allein er war ja darauf angewiesen, den theuren Bauplatz vollständig und besonders in der Höhe auszunutzen. Um dieser Gefahr entgegenzutreten, machte die verewigte Königin Olga von ihrem Rechte Gebrauch, Krongut zu erwerben, und so ging der Bauplatz in ihren Besitz über.

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Die Königin Olga wollte den vornehmen Charakter des Platzes wahren und zugleich ihrer Erbin, der Herzogin Wera, Grossfürstin von Russland, die später Besitzerin des Anwesens werden sollte, eine gute Kapitalanlage verschaffen, ohne dass die zulässige Höhe des Gebäudes vollständig inanspruch genommen würde.

Nach dem Programm sollte das unter diesen Gesichtspunkten entworfene Gebäude enthalten:
1. ein Palais für die Frau Herzogin;
2. ein Cafe und Restaurant als Ersatz für das seitherige;
3. Räumlichkeiten für das Offizierskasino und die beiden Klubs, welche in dem alten Bau untergebracht waren;
4. womöglich einige Kaufläden und
5. einen Konzertsaal.

Aufgrund dieses Programmes wurde eine beschränkte Konkurrenz eingeleitet, aus welcher die Firma Lambert & Stahl in Stuttgart siegreich hervorging und in der Folge mit der Ausführung des Bauwerkes betraut wurde.

Der genehmigte und hier mitgetheilte Plan theilt den Bau in drei Hauptgruppen:
A. Das Palais mit fürstlicher Wohnung.
B. Die Restauration mit darüber liegendem Konzertsaal.
C. Die Klubs mit darunter liegenden Kaufläden.

Die ruhigere Lage von A. gegen das Hoftheater und die kgl. Anlagen eignete sich besser zu einer Wohnung, während der Geschäftsverkehr der Königsstrasse und die Nähe des Bahnhofes für die Lage der Kaufläden maassgebend waren.

Erdgeschoss
Lageplan
I. Obergeschoss

Kurz nach Fertigstellung des Entwurfes starb die Königin Olga und es wurde beschlossen, aus der fürstlichen Wohnung drei herrschaftliche Miethswohnungen zu machen. Dieses hatte eine Aenderung der Lage der Treppen im östlichen Flügel zurfolge. Eine weitere Aenderung des ursprünglichen Planes war das Weglassen der Arkaden, die auf Wunsch der Königin Olga den Schlossplatz entlang hätten ausgeführt werden sollen. Diese frei vorgeschobenen Arkaden hätten die Kaufläden maskirt und den monumentalen Charakter des Baues wesentlich gesteigert, sie hätten einen Schutz für das Publikum gebildet und den Besuchern des Klubs und der Restaurationszimmer im ersten Obergeschoss die Annehmlichkeit einer breiten Terrasse gewährt.

Giebelfeld am Mittelbau

Aus Rücksicht für den Verkehr wurden dieselben jedoch nicht genehmigt. Als Ersatz für dieselben wurde an dieser Seite gegen den Schlossplatz ein durchlaufender Balkon mit reichem schmiedeisernem Geländer angebracht. Sonst blieb die geplante Anlage ungeändert.

Für die äussere und innere Architektur des Gebäudes, welche sich derjenigen des königlichen Schlosses anschliessen sollte, wurde der Palaststil der Meister des vorigen Jahrhunderts gewählt. Das Schloss ist von Retti und de la Guépiére von 1744-1760 gebaut worden.

Wie die Bestimmung der 3 Haupttheile des Gebäudes eine verschiedene ist, so sind auch die Formen, obwohl in einem Stil sich bewegend, dieser Bestimmung angepasst, Der Flügel gegen das Theater hat das abgeschlossene Wesen eines vornehmen Privathauses des XVIII. Jahrhunderts, während die Hauptfront gegen den Schlossplatz eher im dekorativen Charakter gehalten ist. Eine auf die Ecke dieser zwei Fronten gestellte Rotunde vermittelt die Verschiedenheiten der Formen. Der dritte Theil, Flügel gegen die Königstrasse, hat im Erdgeschoss sehr grosse Schaufenster und erhält dadurch mehr den Charakter eines Geschäftshauses.

Perspektive von der Südwest-Ecke
Perspektive von der Südost-Ecke

Ueber die Wohnungen im östlichen Flügel ist nichts besonderes zu bemerken, Die Durchfahrt, das Entrée und das Treppenhaus sind besonders stattlich; aber sonst unterscheiden sich die Räume nicht von grossen herrschaftlichen Miethswohnungen.

Der Mittelbau gegen den Schlossplatz dagegen, mit der Restauration und dem Konzertsaal, hat einige interessante Einzelheiten zu verzeichnen. In erster Linie in der Axe des Gebäudes die Haupttreppe, welche zu dem Konzertsaal, den Restaurations-Zimmern und den Klubs im linken Flügel führt. Die Treppe von Granit ist halbkreisförmig und freitragend; sie springt in das Cafe-Lokal vor und verleiht ihm sein eigenartiges Aussehen.

Das Cafe ist 30 m lang, 23 m tief und 7 m hoch. Es ist mit frei angetragenen Stuckarbeiten und mit Malereien geschmückt. Im Hintergrund des Saales, gegenüber dem mit Spiegeln dekorirten Treppenhaus-Einbau, befindet sich ein erhöhtes Podium, auf welchem die Billards aufgestellt sind.

Unter diesem Podium ist die Küche und unter der Freitreppe das Buffet angeordnet. Die Freitreppe ist mit einer Kopie der Ariadne von Dannecker dekorirt, die daran erinnern soll, dass der Meister an dieser Stelle sein Atelier besass.

Das Lokal ist durch zwei in den Ecken angeordnete leichte Treppen mit den oberen Räumen in Verbindung gesetzt, und zwar vermittelt die rechte den Verkehr mit den Restaurations-Zimmern im I. und II. Obergeschoss, die linke mit den Klubs und dem Offiziers-Kasino.

Der über dem Cafe liegende Konzertsaal ist im Grundriss annähernd quadratisch, die Gallerie lässt ihn jedoch in der Richtung des Podiums länglich erscheinen. Eine Eigenthümlichkeit dieses Saales ist seine Beleuchtung, welche durch Glühlampen erfolgt, die als Blumen und Knospen an Ranken angebracht sind, die sich um 5 Ketten winden. Diese Ketten hängen von der Decke herab und sind an der Brüstung der Gallerie befestigt, so dass sie die letztere scheinbar tragen. Die Ketten wurden nach dem Entwurf der Architekten von der Firma Spinn & Sohn in Berlin ausgeführt und sind gesetzlich geschützt.

Konzertsaal
Innenansicht des Cafes

Im linken Flügel gegen die Königsstrasse, wo sich die Klubs mit ihren stattlichen Lese-, Konversations-, Spiel- und Speisesälen befinden, ist der Festsaal des Offiziers-Kasinos im Dachgeschoss besonders beachtenswerth. Derselbe erreicht eine Höhe von 5 m, die Vertiefungen der Dachfenster sind als Nischen ausgebildet und das ganze macht einen recht feierlichen Eindruck.

Im allgemeinen ist zu bemerken, dass im ganzen Bau reiche schmiedeiserne Arbeiten als Treppen- und Balkongeländer verwendet wurden und ein Hauptdekorationsmittel bilden. Ausserdem wurde auch ziemlich viel Cipolinmarmor aus den Steinbrüchen von Saillon im Rhönethal verwendet. Dieses mit grünen Adern auf Elfenbeingrund mächtig gezeichnete Material ist von aussergewöhnlich dekorativer Wirkung.

Der Voranschlag zu dem Königin Olga-Bau belief sich auf 1 000 000 M. sammt dem Mobiliar des Cafes und des Konzertsaales im Werth von 50 000 M. Diese Summen sind streng eingehalten worden.

Die auf künstlerische Ausführung Anspruch machenden Ausstattungs-Arbeiten wurden von folgenden Firmen ausgeführt: Schmiedeiserne Arbeiten: Gebr. Armbrüster in Frankfurt a. M., Rössler und Eichberger & Leuthi in Stuttgart. Stuckaturarbeiten: Füglister in Frankfurt a. M., Reinwald und Reisser in Stuttgart. Kunstmalerei: Lauxmann, Schön, Braune und Closs. Dekorationsmalerei: Nachbauer, Pfitzenmaier, Kämmerer und Dietrich & Mickeler. Bildhauerarbeit: Knaisch, Erfort & Wüst, Kienle, Kötzle & Scheckeler, Rothe & Hilliger.

Feinere Schreinerarbeit: Gottl. Schumacher, Wirth’s Söhne, Gerson & Wolf.

Als Mitarbeiter der leitenden Architekten Lambert & Stahl sind zu nennen: Als Zeichner Hr. C. Beck, als Bauführer Hr. Werkmeister Bestlen und Hr. Weishaar.

Dieser Artikel erschien zuerst am 01. & 08.08.1896 in der Deutsche Bauzeitung.