Durch das preussische Gesetz vom 11. Juli 1891 sind die Landarmen-Verbände u. a. verpflichtet worden, hilfsbedürftige Idiote und Epileptische in Anstaltspflege zu nehmen.
Diesen Theil der sogen. ausserordentlichen Armenlast zu tragen, werden die meisten Provinzial-Verwaltungen auf die Errichtung neuer Sonderanstalten angewiesen sein. In der Provinz Brandenburg hat es sich nun gefügt, dass aus der inneren Mission heraus bereits bei Potsdam zwei Anstalten entstanden waren, die in freier Liebesthätigkeit einigermaassen die jetzt gesetzlich geschlossene Lücke in der öffentlichen Fürsorge auszufüllen versucht hatten. Vom Provinzial-Verbande wurde die eine, für Epileptische bestimmte Anstalt ganz erworben, die andere, eine Stiftung für bildungsfähige Idiote, in dauernde Verwaltung übernommen, Die Arbeiterkolonie Friedrichswille hatte ferner im Vereine mit einem Netze von Verpflegungsstationen, zu deren Unterhaltung der Provinzial-Verband Beihilfen leistet, die Zahl der Arbeitshäuslinge dermaassen sinken lassen, dass das frühere Landarmen- und Arbeitshaus in Lübben für die Idiotenpflege bereit gestellt werden konnte.
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Der Um- und Ausbau desselben, sowie die Erweiterung aller drei Anstalten brachte eine Reihe von Aufgaben mit sich, deren Lösung theils An- und Aufbauten auf der durch die älteren Baulichkeiten gegebenen Grundlage, theils vollständige Neubauten erfordert hat.
Die Anstalt für Epileptische zu Potsdam ist mit 38 Freistellen bedacht und nimmt neben Orts- und Landarmen auch zahlende Pfleglinge auf. Imganzen bietet sie jetzt für 230 Köpfe Platz, nachdem sie zur besseren Erfüllung ihrer Zwecke um zwei, in Abbildg. 6 u. 7 dargestellte Neubauten, Isolirhäuser für je 20 vorübergehend Tobsüchtige beiderlei Geschlechts bereichert worden ist.
Bis auf Kleinigkeiten stimmen Männer- und Frauenhaus überein. Der Grundrissgedanke lehnt sich an die vom ärztlichen Sachverständigen, Geheimen Sanitätsrath Dr. Zinn zu Eberswalde für Irrenanstalten empfohlene Tobhausanlage an, deren Zelleneinrichtung mit den aufziehbaren Fenstern und Läden unverändert übernommmen wurde. Die dadurch bedingte 2 m hohe Drempelwand, die zwischen Verstärkungs-Pfeilern aus die Aufzugsschlitze aussen deckenden, nur ½ Stein starken und darum geputzten Schürzen besteht, ist für die Architektur des sonst unter einem rothen Falzziegeldache durchgeführten zweifarbigen Ziegelfugenbaues maassgebend gewesen. Bei 642 qm bebauter Bodenfläche und 5966 cbm Baukörper haben die Baukosten annähernd 87000 M. betragen, d. i. Für 1 qm 136 M. und für 1 cbm 14,6 M.
Auch der für die Unterbringung von 80 Mädchen bestimmte Anbau der benachbarten Idioten-Bildungsanstalt, des Wilhelm-Stiftes, wird in den Umfassungen der Geschosse mit gelben Klinkern, im Sockel und in den Gesimsen mit rothen Hartbrandsteinen errichtet. Im Grundriss desselben sind unter Verzicht auf einen Längsflurgang die Unterrichts-, Schlaf- und Nebenräume in drei Geschossen um eine als Wohnsaal dienende Abart der Diele, die in keiner unmittelbaren Beziehung zur Treppe steht, geordnet.
Eine verwandte Anlage zeigen die beiden hier aus Abbildg. 3 u. 5 ersichtlichen neuen Pflegehäuser für je 60 Idiote beiderlei Geschlechts in Lübben, mit dem Unterschiede, dass im Obergeschosse der eben mit Diele bezeichnete Hauptraum als Schlafsaal benutzt wird, infolgedessen an den unteren Wohnsaal nur ein kleiner Schlafraum anzugliedern blieb. Da nach dem Programme sowohl das Männer- als auch das Frauenhaus durch den Wärterraum in zwei gleiche Abtheilungen mitten durchzutrennen war, so ergab sich von selbst eine symmetrische Gestaltung der Architektur, welche die aus rothen Handstrichsteinen hergestellten Umfassungen mit geputzten Friesen und Blenden belebt und darüber ein Schieferdach ansteigen lässt. Die Baukosten belaufen sich für ein Haus auf rd. 69 000 M., also für ein Bett auf 1150 M. Bei 408 qm bebauter Bodenfläche und 5208 cbm Baukörper macht das 170 M. für 1 qm und 13,3 M. für 1cbm.
Um die Anstalt zu befähigen, bis 350 Köpfe aufzunehmen, sind die Amtsräume und die Dienstwohnung des Vorstehers in einem dritten Neubau untergebracht worden.
Frei an einer Strassenecke gelegen – siehe den Lageplan, Abbildg. 2; die für die Gesammt-Erscheinung wenig günstige Stellung der Gebäude ist einerseits mit Rücksicht auf die Besonnung, andererseits behufs Trennung der Geschlechter so gewählt worden – konnte diesem Verwaltungs-Gebäude, das ausserdem die Wohnungen für den Oberwärter, einen Haus- und Kassenboten, sowie für einen unverheiratheten Beamten beherbergt, eine mehr malerische Erscheinung gegeben werden (s. Abbildg. 1 und 4). Sockel und Gesimse aus Torgauer Hartbrandsteinen, Umfassungen der Geschosse und Giebelwände aus Senftenberger Verblendern vereinigen sich mit Blenden und Friesen aus hydraulischem Kalkputz zu einer reichen Farbenwirkung, die ein ruhiges Schieferdach zusammenhält. Die Baukosten für 1 qm der bebauten Bodenfläche beziffern sich ebenfalls auf 170 M., für 1 cbm Baukörper aber auf 14,8 M. Imganzen hat der Bau 61 000 M. erfordert bei 359 qm bebauter Bodenfläche und 4135 cbm Baukörper.
Das Verwaltungs-Gebäude ist mit Einzelöfen ausgestattet, alle übrigen Häuser haben Zentral-Luft- oder Dampfheizung erhalten. Wasser- und Gasleitung, sowie Bade-Einrichtungen befinden sich überall. Die Aufwendungen hierfür sind in den angegebenen Baukosten einbegriffen. Die Ziegelsteine mussten nach Lübben sehr weit herangeschafft werden, so dass die Preise dafür sich ziemlich hoch gestellt haben.
Obwohl die sozialpolitische Gesetzgebung die öffentliche Fürsorge wesentlich gesteigert hat, blüht daneben doch noch, und zwar ebenfalls in wachsender Fülle, das menschliche Mitgefühl in freiwilliger Vereinsthätigkeit. Es möge daher gestattet sein, an die eben angeführten Beispiele öffentlicher Wohlfahrts-Anstalten noch die Mittheilung einer vom Unterzeichneten in derselben Zeit erbauten Vereins-Heil- und Lehranstalt zu knüpfen.
Das vom Brandenburgischen Verbande der Vaterländischen Frauenvereine zu Eberswalde gestiftete Auguste-Viktoria-Heim, eine Ausbildungsstätte von Pflegerinnen für im Felde verwundete und erkrankte Krieger, besteht aus drei, nach Abbildg. 8 verschiedenen Zwecken gewidmeten und demgemäss verschieden ausgestalteten Bautheilen, dem Krankenflügel, einem nach hinten verlängerten Mittelbau und aus dem Schwesternflügel. Ersterer enthält in 2 Geschossen die Räume für gewöhnliche Kranke, letzterer unten die Wohnung der Oberin und den gemeinsamen Speisesaal der Schwestern, oben die Räume für besser zahlende Kranke. Im Mittelbau scheidet das Haupttreppenhaus die vorderen Räume – im Erdgeschoss Sprech- und Amtszimmer, im I. Obergeschoss Hör- und Betsaal – von den hinteren, unten für die Thätigkeit, oben zur Wohnung des Arztes bestimmten Räume. Von wesentlichem Einflusse auf die Durchbildung des Grundrisses sind gewesen: 1. die geforderte Beheizung mittels Kachelöfen von den Fluren bezw. Tagräumen aus; 2. die vorgeschriebene Einrichtung von Tonnen-Aborten, die nach der Hinterseite zusammen zu legen waren und 3. die erwünschte Bequemlichkeit einer Wirthschaftstreppe und eines Speiseaufzuges.
Die Wirthschaftsräume befinden sich nebst einer Hauswartwohnung und einer medico-mechanischen Abtheilung im Keller. Der Dachraum des Schwesternflügels ist im Zusammenhange mit dem II. Obergeschosse des vorderen Mittelbautheils vollständig ausgebaut zu Wohnungen auszubildender Schwestern.
Die Vorderseite des Gebäudes ist nach SSO gerichtet, im Hinblick auf die sich zum Schwärzethal herabsenkenden Waldungen. Das hochgelegene 1,8 ha grosse Grundstück reicht rückwärts bis an die Berlin-Stettiner Eisenbahn heran, wodurch die Möglichkeit geboten ist, im Kriegsfalle Verwundete sofort in die dort zu errichtenden Baracken bringen zu können.
Das jetzt erbaute Stammhaus, an das sich nöthigenfalls die Erweiterungsbauten anzureihen haben, bietet 38 Kranken und einschliesslich der Oberin 10 Schwestern Platz. Die Baukosten haben nur 110 000 M. betragen, also bei 625 qm bebauter Bodenfläche und 8245 cbm Baukörper 176 M. bezw. 13,35 M. für die Einheit.
Dieser Artikel von Th. Goecke erschien zuerst am 15.02.1896 in der Deutsche Bauzeitung.