I. Berlin. – Von Dr. Alfred Nossig.
Es ist eine eigene Sache um das Sammeln von Kunstwerken. Wohl auf keinem Gebiet bewährt sich so drasüsch wie hier das Sprichwort der Römer: „Duo si faciunt idem, non est idem.“ „Wenn zwei das gleiche tun, so ist es nicht das gleiche.“
„Das Kollektionieren – beteuern die Sammler – ist die edelste aller Leidenschaften!“ – „Und die kostspieligste!“ ergänzen seufzend ihre Familienangehörigen. Es gibt aber Fälle, in denen keine von diesen beiden Definitionen zutreffend ist. Man kennt Bildersammler, deren Passion genau auf der ethischen Höhe einer Vorliebe für Hasardspiel steht- und andere, für die ihre halbfingierte Sammelwut eine sichere Quelle bedeutender Gewinne ist.
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Paradoxal erscheint im ersten Augenblick die Ansicht die über den Sammelsport in manchen Künstlerkreisen herrscht. Der Grund für ihre oft scharfe Kritik ist darin zu suchen, daß die Sammler mit äußerst seltenen Aunahmen nicht moderne Werke, sondern Schöpfungen aus vergangenen Kunstepochen erwerben. So treten langst verblichene Künstlergenerationen gewissermaßen in Konkurrenz mit der heute lebenden; Mäzene, die die Mittel und das Verständnis haben, um die Kunst zu förden protegieren längst anerkannte Größen, nicht aufstrebende Talente, die tote, nicht die lebendige Kunst.
Man kann es begreifen, daß viele Künstler sich auf diesen Standpunkt stellen; aber auch der Standpunt der Sammler leuchtet dem Unparteiischen sehr wohl ein. Es ist keineswegs richtig, daß diese Vorliebe der Sammler für die großen Epochen der Kunst ausschließlich auf den Ehrgeiz zurückzuführen ist, es den öffentlichen Museen gleichzutun und Signaturen unsterblicher Meister in ihren Salons zu wissen. – „Für uns“ – erklären die meisten dieser Herren – „ist die moderne Kunst eine Sphäre zweifelhafter Werte. Strömungen, die eine Zeitlang als alleinseligmachend gelten, entpuppen sich später als Verirrungen. Wir wollen Kunstwerke besitzen, deren Bedeutung nicht mehr von der Mode abhängig ist, sondern von zahlreichen Generationen festgestellt wurde.“ Man kann, sage ich, diese Passion für künstlerische Antiquitäten gut verstehen. Im Keim besitzt jeder gebildete Mensch diesen Instinkt, der eben eine der Haupterscheinungsformen ästhetischen Empfindens ist. Ein eigener Reiz liegt in der Betrachtung solcher Werke, in denen sich die Phantasie und Geschicklichkeit eines vor Jahrhunderten entschlafenen Künstlers -kristallisiert hat, und die verblüffenste Virtuosität eines Zeitgenossen kann den Zauber der ehrwürdigen Patina nicht ersetzen.
Ueber die „sicheren Werte“ ließe sich freilich debattieren. Die Modeströmungen in der Kunst berühren nicht nur zeitgenössische, sondern auch alte Meister, ja sie treiben ihr Spiel mit ganzen Kunstepochen. Nur daß an Stelle enthusiastischer Kritiker hier die kühlberechnende Kunstbörse tritt. Es gibt aber noch einen andern Gesichtspunkt, von dem aus die sogenannten „sicheren Kunstwerte“ gerade als die unsichersten erscheinen. Sie verquicken sich nämlich stets mit der schweren, bedenklichen Frage der Authentizität. Wenn sich die neunmal Gelehrten in den Museen täuschen, wie soll der Privatsammler nicht oft irregehen ? Der eine verlaßt sich auf seinen Instinkt, der andere auf mikroskopische Untersuchungen. Mit oder ohne Lupe, man fällt herein.
Aber welche Freude, wenn es dem intelligenten Sammler gelingt, einen Schatz zu heben, an dem der Kunsthändler vorübergegangen ist, in einem verstaubten Bild in der Ecke einen Meister ersten Ranges zu entdecken! Ein einziger Erfolg dieser Art entschädigt für zehn Fehlkäufe, nicht nur moralisch, sondern auch finanziell. Und wenn er das zuwege bringt, so fördert der Sammler nicht nur das Interesse seiner Sammlung, sondern er leistet der Kunst einen großen Dienst.
Zweifellos fällt also den Besitzern von Galerien und Privatmuseen eine bedeutsame Funktion zu. Je nach dem Maß ihrer Mittel und ihrer Opferwilligkeit erfüllen sie diese in verschiedenem Umfang. Es gibt Kunstliebhaber großen Stils, deren Sammlungen öffentlichen Galerien an Fülle und Wert des Inhalts gleichkommen; kleine Kollektioneure, die ab und zu etwas kaufen und am Schluß des Lebens einen oder zwei Räume gefüllt haben; und schließlich eine Mittelkategorie, Sammler, die unablässig auf Neuerwerbungen ausgehen, deren Haus mit Kunstwerken förmlich tapeziert ist, dabei aber doch den quantilativ bescheideneren Charakter einer Privatkollettion nicht überschreitet.
Die Mehrzahl der deutschen Sammler gehört dieser Mittelkategorie an. Ein Blick auf die hier reproduzierten Werke aus den Berliner Sammlungen von Heynauer, Dr. v. Kaufmann, Gumprecht und Dr. Darmstädter beweist jedoch, daß unsere vornehmeren Privatgalerien qualitativ hinter Staatsmuseen nicht zurückstehen.
Manche voñ ihnen, wie z. B. die v. Kaufmannsche, erinnern auch in der architektonischen Anlage an Museen. Die große, blau getönte Bibliothekhalle des Hauses des Professors v. Kaufmann an der Maaßenstraße ist den Berliner Kunsffreunden wohl bekannt. So hoch hinauf, als der Blick noch Formen unterscheiden kann, sind die Wände dieser Halle mit Bildern, Reliefs, Statuetten und Büsten aus der Zeit der Gotik und der Frührenaissance geziert. Bemaltes Holz und Majolika, Bronze, Elfenbein und Marmor wechseln mit alten, matt glänzenden Goldrahmen ab. In Glasschränken drängen sich Miniaturkunstwerke, deren Studium allein lange Stunden in Anspruch nimmt. In einem Obergeschoß öffnet sich dann noch eine Anzahl von Sälen, die, mit altitalienischem rotem Damast tapeziert, mit prächtigen altdeutschen Holzschnitzereien ausgestattet, für die alten Meister, die ein zäher, verständnisvoller und selten glücklicher Sammeleifer hier vereinigt, einen würdigen Rahmen abgeben.
Es liegt eine Art Koketterie darin, daß dieser mit auserlesenen Werken gefüllte Kunsttempel nach außen hin in der unscheinbaren Form eines ganz schmucklosen, grau angestrichenen Wohnhauses auftritt.
Die Perlen der v. Kaufmannschen Bildergalerie machen die Cranachs, Memlings und Botticellis aus. Inbesondere die neuste Botticellierwerbung, ein großes Rundbild, das die Madonna mit Christus und Johannes in einer Landschaft darstellt, dürfte den Neid manches verwöhnten Kenners erregen.
Unter den hier abgebildeten Werken ist die Holzfigur (Abb. 3 rechts), die ein architektonisches Modell in der Hand trägt, eine besondere Sehenswürdigkeit. Als sie gefunden wurde, war sie versilbert; die Zeit ihres Ursprungs ließ sich nicht genau bestimmen, doch datierten sie Kenner in das 14. oder 15. Jahrhundert zurück. Durch einen Zufall wurde dann die Versilberung an einer Stelle abgeschürft, und nun sah man, daß die Figur ehemals bunt bemalt war. Man beseitigte die ganze Versilberung, und die Bemalung, die jetzt zum Vorschein kam, ließ keinen Zweifel darüber übrig, daß man es mit einem viel älteren Werk zu tun habe, als ursprünglich angenommen wurde. Die Figur dürfte im 13. Jahrhundert entstanden sein und repräsentiert in ihrer köstlichen, naiven Steifheit den Schutzheiligen einer Stadt, der einen kleinen Bau als deren Sinnbild emporhält.
Besonders reich an primitiven Holzskulpturen dieser Art ist die Gumprechtsche Sammlung. Auch hier sieht man neben Werken der italienischen Frührenaissance, wie das Relief der Madonna mit dem Kind, hauptsächlich gotische Holzschnitzereien. Besonders typisch für die Gestaltung der Meister jener Epochen zwei Gruppen aus dem Passionszug, Christus, von Schergen umgeben, und die vor Schmerz zusammenbrechende Maria, die die heiligen Frauen stützen. Ein famoses Stück, charakteristisch in seine Formen und besonders wertvoll wegen seiner vorzüglichen Erhaltung, ist die Halbfigur des Schalks der als Handtuchhalter dient.
Auch die Hainauersche Sammlung sieht der Leser hier hauptsächlich durch primitive Plastik vertreten. Das große Wandarrangement, das deutsch gotische Architekturbestandteile mit italienischen Majoliken und Bronzen geschmackvoll vereinigt, beweist es, wie vorzüglich die Schöpfungen der Frühepochen aus verschiedenen Ländern stilistisch zusammengehen. Nur der Kampf mit dem Drachen das an der anstoßenden Wand sichtbar werdende Relief, das offenbar einer späteren Periode angehört, will in diese sonst vorzüglich zusammengestimmte Umgebung nicht passen. Um so besser harmoniert mit ihr das herrliche Kirchengerät in gotischem Stil, in seiner Filigranarbeit ein kleines Meisterwerk alter Goldschmiedekunst.
Porzellan, Majolika und Biskuit bilden die Spezialität der Sammlung Dr. Darmstädters. Es ist wohl auf diesem Gebiet die reichste Privatsammlung Berlins. Von den übrigen Kollektionen, die wir heute behandelt haben, unterscheidet sie sich auch dadurch, daß sie nicht auf die Frühperiode Nachdruck legt, sondern gerade Werke der Blutezeit der Porzellantechnik vereinigt. Mit welchem Glück ihre Wahl getroffen ist, beweist die Statuette der französischen Hofdame, die mit der Grazie des ancien régime ihren Krinolinerock schürzt, und die liebenswürdige Gruppe, wo Pierrot der Herrin seines Herzens ein Ständchen vorträgt.
Dieser Artikel erscghien zuerst in Die Woche 48/1903.